Selina hat geschrieben:(06 Mar 2021, 11:41)
"Virtue Signalling" geht als Vorwurf in dieselbe Richtung wie "Gutmenschentum". Soziales Engagement, Solidarität, Empathie mit Armen und Kranken, Unterstützung für Umweltprojekte, Black-Lives-Matter-Demos, Einsatz für Chancengleichheit... all das soll als "Tugendterror" und "Gutmenschentum" gebrandmarkt und ins Lächerliche gezogen werden. Kommt alles aus ein und derselben Ecke. Und wenn ich den interessanten und zutreffenden Breitbart-Hinweis eines Users lese, fällt mir sofort der feine Herr Bannon ein, der ja als Ex-Chef der rechtsradikalen Breitbart-Seite nun in Europa "die Bewegung" kräftig ankurbeln will. Was er ja auch bereits tut.
Natürlich geht der Vorwurf in die gleiche Richtung, weil Virtue Signalling schlicht eine andere Ausprägung des selben Effektes ist - nämlich Gesinnungsethik.
Es geht dabei weniger darum "gut sein zu wollen" - das will eigentlich jeder, nach den jeweils individuellen Definitionen dessen, was man als gut empfindet. Bei Virtue Signalling geht es eher darum Themen zu simplifizieren und Meinungspole zu bilden, und durch öffentliches Posing Gruppenzugehörigkeit zu einem als "gut" deklarieren Pol zu bekennen.
Beispiel: Es ist allgemein ein menschliches Drama, dass Menschen bei illegalen Einreiseversuchen im Mittelmeer ertrinken. Als moralische Position wird dann deklariert, dass man als "Lösung" der Situation mit Schiffen die Küsten patrouliert um Boot mit Menschen aufzusammeln. Es mag durchaus andere Lösungen geben, sogar welche, die weniger Opfer hervorbringen würden, aber die werden alle in eine große Gruppe der "menschenverachtenden" Lösungen einsortiert. Die Gegenposition einzunehmen ist kein sachlicher Diskussionsgegenstand, sondern "Kennzeichen" mangelnder Gruppenzugehörigkeit - wodurch die "feindliche" Gruppe definiert ist.
Das ist eben der Effekt, den ich mit dem Übergang einer tugendhaften Haltung zu einer Hassideologie meine. Ab einem bestimmten Punkt gleicht eine tugendhafte Haltung weniger einem moralischen Standpunkt, sondern sie geht über in eine Ideologie, die dazu aufstachelt zu polarisieren und Hass auf die andere Gruppe zu fördern. Das hat man gerade beim Umgang mit der Flüchtlingskrise sehr deutlich gesehen. Da wurden dann Punkte, insbesondere anfangs, nicht ausdiskutiert, sondern es ging einzig und alleine darum nach außen hin zu signalisieren, wo man steht. Erst sehr viel später, als man dann auch in der gesellschaftlichen Breite verstanden hatte, dass es nicht nur um Gut oder Böse geht, sondern es sich durchaus lohnt sachlich zu differenzieren (ja, manche müssen das erst lernen), erst da ist man wieder stärker aufeinander zugegangen.
Tugendhaftigkeit ist somit durchaus ein positiver wertegeleiteter Effekt. Man sollte sich nur davor hüten in der eigenen Tugendhaftigkeit von Strukturen instrumentalisiert zu werden, die hintergründig hochpolitische Ziele verfolgen, diese aber über eine Polarisierung der Gesellschaft, quasi mit der Brechstange, versuchen einzuführen.