Was ist (nicht) links?

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Sören74

Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

naddy hat geschrieben:(11 Dec 2020, 13:38)

Dann hat sie sich also vom Klassenziel "Diktatur des Proletariats" endgültig verabschiedet?
Ich denke schon. Oder hast Du bei den Linken was anderes gehört?
naddy hat geschrieben:Wie lautet denn die aktuelle Formulierung dieser Zielvorgabe? Irgendwie muß man ja auch von der SPD unterscheidbar bleiben, so allgemein "mehr Sozialstaat" reicht da nicht.
Wenn es diese Zielvorgabe nicht mehr gibt, wird es wohl auch keine aktuelle Formulierung selbiger geben.
Sören74

Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

Stoner hat geschrieben:(11 Dec 2020, 14:36)

Formal gesehen nicht. Jede Partei kann sich demokratisch eine Zweidrittelmehrheit beschaffen und dann das Grundgesetz ändern bzw. dem Volk auch eine neue Verfassung zur Abstimmung vorlegen. Der Begriff der Demokratie sollte nicht verwechselt werden mit dem Begriff der liberalen Demokratie, auch wenn die Gleichsetzung heute wie selbstverständlich scheint. So würde das "demokratisch" vor "Sozialismus" nichts anderes bedeuten, als dass man keinen revolutionären Umsturz plant, sondern ganz verfassungskonform die Macht erobern möchte, um den Sozialismus dann wie beschrieben in die Praxis umzusetzen.
So denke ich auch.
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Dark Angel
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Dark Angel »

tarkomed hat geschrieben:(11 Dec 2020, 12:38)

Was soll denn bitte an meiner Behauptung falsch sein? Die DDR war ein von der Sowjetunion besetztes Land und es war naheliegend, das die Sowjetunion ihr politisches System der DDR aufzwingen würde und sie hat es getan. Der einzige Unterschied war, dass sie sich demokratisch nennen durften, sie dienten schließlich für lange Zeit als das Schaufenster des Sozialismus in Richtung Westen.
Die Nazis gab es im Osten wie im Westen gleichermaßen, genauso wie die Kommunisten und Sozialisten jeder Färbung, die Liberalen, die Konservativen und sonstige.
Im Westen haben auch die Alliierten dafür gesorgt, dass die Galionsfiguren der Nazis beseitigt wurden und mit dem Rest hat man versucht, eine föderale Republik aufzubauen, damit Deutschland nicht mehr für Europa und die Welt gefährlich werden kann. Wir hatten Glück und es hat funktioniert. Ohne die Einwirkung der Alliierten ist es nicht sicher, ob es funktioniert hätte, denn der Geist des Nationalsozialismus war noch lange nicht beseitigt; bis heute nicht, wie man sieht.
Deutschland wurde auf der Konferenz von Jalta in Besatzungszonen aufgeteilt - das ist richtig, richtig ist auch, dass diese Besatzung - aller Siegermächte des WK2 - 50 Jahre andauern sollte (4-Mächte-Abkommen in Potsdam). Damit sollte sicher gestellt werden, dass in Deutschland nie wieder faschisitische und nationalsozialistische Kräfte die Macht erlangen können, Deutschland nie wieder als Aggressor auftritt bzw auftreten kann und Deutschland fester Bestandteil der internationalen Staatengemeinschaft wird.

Und natürlich hatte die jeweilige Besatzungsmacht - also lange bevor es überhaupt zur Gründung der beiden deutschen Staaten kommen konnte bzw kam - auch Einfluss auf die Etablierung des bevorzugten politischen Systems.
"Einfluss haben" hat allerdings recht wenig mit "aufzwingen" zu tun.
Aufgezwungen hat nicht einmal Stalin, den von der Roten Armee besetzten Staaten irgend etwas, gefördert, Einfluss genommen - Ja, aufgezwungen - Nein!
Es waren deutsche Kommunisten, die in ihrem Exil in der UdSSR bereits während des WK2 ihre Machtübernahme vorbereiteten und später unter der SMAD auch etablierten und zwar bereits unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation UND sie hatten das Bestreben "ihr" politisches System auf ganz Deutschland auzuweiten.
Das scheiterte in "Trizonesien" allerdings an der Etablierung demokratischer Strukturen durch die so genannten Westmächte.

Die "Galionsfiguren der Nazis" wurden auch in der SBZ beseitigt und nicht nur die, die so genannte Entnazifizierung ging in der SBZ sehr viel weiter, was aber nichts daran ändert, dass gerade in den Anfangsjahren - genauso wie in "Trizonesien" auch - "ehemalige" Nazis und Angehörige der SS, ihren Weg in die frisch gegründeten Blockparteien und sogar die SED fanden.

Noch einal: geschichtliche Ereignisse stehen immer in einem bestimmten (historischen) Kontext, sind niemals monokausal und/oder eindimensional, sondern sehr komplex.
Du versuchtst aber gerade (sehr) kompexe Prozesse auf Monokausalität und Eindimensionalität herunterzubrechen und das funktioniert nicht.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 15:51)

Das wäre dann aber eher so etwas wie "demokratisch herbeigeführter Sozialismus". "Demokratisch herbeigeführt" sind ganz zweifellos auch die undemokratischen Zustände hinsichtlich Pressefreiheit und Gewaltenteilung in Ländern wie Ungarn oder Polen.

Was wir definitiv und zumindest in den Gesellschaften Mitteleuropas haben, ist eine zunehmende Divergenz der Lebemswelten. Die nicht eins zu eins mit einer Absicherung der Daseinsexistenz korrespondiert. Und damit wird oder würde auch der demokratische Sozialismus in Konflikte geraten. Der will Mindestlöhne, Kindergartenplätze, gleichen Lohn bei gleicher Qualifizierung usw. usf. Demokratisch herbeigeführt selbstverständlich. Und setzt dabei implizit und wie selbstverständlich ein einheitliches Menschenmodell voraus. Die Menschen sind aber (trivialerweise) sehr verschieden. Es gibt Menschen, die bewusst in einfachen Verhältnissesn leben und an einem großen Roman oder an der Weltformel oder am ultimativen Song arbeiten. Früher oder später wird auch der demokratische Sozialismus mit solchen Menschen in Konflikt geraten. Ressourcen sind grundsätzlich beschränkt. Man kann nicht beliebig Geld verteilen. Also muss man Kriterien erfinden. Und irgendwann werden die einen Menschen nicht mehr freiwillig die Smartphone-App installieren wollen, mit der die Konformität zur Vergabe von Mitteln bewichtet wird. "Demokratie" bedeutet für mich unter anderem, jenseits von Existenzabsicherung Verschiedenheit unter allen Umständen nicht nur zuzulassen sondern befördern zu sollen,.
Ich sehe das, nicht aus Neigung oder Lust oder gar aus politischen Gründen, anders. Es gibt ein Maß an Verschiedenheit, an Pluralität, das eine Gesellschaft als solche nicht mehr aushält, in der sich diese Freiheiten selbst verzehren an den inneren Widersprüchen zwischen Aufrechterhaltung der Freiheit und dem Inschachhalten der divergierenden Interessen. Das von allem befreite souveräne Individuum bedeutet eben auch die Auflösung aller Ordnung. Solange Friede, Freude, Eierkuchenwohlstand und Party herrscht, mag das nicht auffallen, aber einem wohlstandbefreiten Stresstest wollte ich das nicht unterziehen.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 15:51)

Das wäre dann aber eher so etwas wie "demokratisch herbeigeführter Sozialismus". "Demokratisch herbeigeführt" sind ganz zweifellos auch die undemokratischen Zustände hinsichtlich Pressefreiheit und Gewaltenteilung in Ländern wie Ungarn oder Polen.

Was wir definitiv und zumindest in den Gesellschaften Mitteleuropas haben, ist eine zunehmende Divergenz der Lebemswelten. Die nicht eins zu eins mit einer Absicherung der Daseinsexistenz korrespondiert. Und damit wird oder würde auch der demokratische Sozialismus in Konflikte geraten. Der will Mindestlöhne, Kindergartenplätze, gleichen Lohn bei gleicher Qualifizierung usw. usf. Demokratisch herbeigeführt selbstverständlich. Und setzt dabei implizit und wie selbstverständlich ein einheitliches Menschenmodell voraus. Die Menschen sind aber (trivialerweise) sehr verschieden. Es gibt Menschen, die bewusst in einfachen Verhältnissesn leben und an einem großen Roman oder an der Weltformel oder am ultimativen Song arbeiten. Früher oder später wird auch der demokratische Sozialismus mit solchen Menschen in Konflikt geraten. Ressourcen sind grundsätzlich beschränkt. Man kann nicht beliebig Geld verteilen. Also muss man Kriterien erfinden. Und irgendwann werden die einen Menschen nicht mehr freiwillig die Smartphone-App installieren wollen, mit der die Konformität zur Vergabe von Mitteln bewichtet wird. "Demokratie" bedeutet für mich unter anderem, jenseits von Existenzabsicherung Verschiedenheit unter allen Umständen nicht nur zuzulassen sondern befördern zu sollen,.
Zum einen denke ich, die heutige Demokratie gerät auch schon heute in Konflikte mit den Zielen bestimmter Menschen. Sie hält es aus, aber wer es übertreibt, wird u.a. vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Frage ist eher für mich, würde durch ein demokratischen Sozialismus deutlich mehr Menschen in eine schwierige Konfliktsituation mit dem Staat gebracht. Oder geht es darum, Menschen Angebote zu bieten, die man nicht nutzen muss. Mindestlöhne, mehr Kindergartenplätze, gleicher Lohn bei gleicher Qualifizierung schränken ja Menschen nicht automatisch ein, die dagegen sind. Also da wird man genauer hinschauen müssen. Im übrigen fand man zumindest in alten SPD-Programmen hin und wieder den Ausdruck demokratischen Sozialismus und auch der verstorbene SPDler und Schwabe Erhard Eppler nutze ihn.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(11 Dec 2020, 16:50)

Ich bin im oberfränkischen Grenzgebiet aufgewachsen. Die ideologischen Unterschiede lassen sich dort heute noch mit bloßem Auge erkennen.

Auf bayrischer Seite die Felder der kleinteiligen bäuerlichen Landwirtschaft, auf thüringischer Seite große zusammenhängende Anbauflächen, die durch die Kollektivierung der Landwirtschaft entstanden sind.

Mit reinem Machtkalkül hat das nichts zu tun. Das sind die Folgen konkret angewandter Ideologie.
Ja. Und das "oberfränkische Grenzgebiet" ist ja quasi sowas wie ein Brennspiegel der Welt, des Universums geradezu. So wie es im oberfränkischen Grenzgebiet läuft - das weiß doch jeder, der ein wenig politische Erfahrung hat, so läuft es überall in der Welt. Nicht nur in Thüringen oder Bayern. Hinter den Riesenanbauflächen in Südamerika stehen doch letztendlich die SED-Genossen. Warum zum Beispiel ist Margot Honecker nach Chile emigriert? Mmh? Dämmerts?
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 17:15)

Ja. Und das "oberfränkische Grenzgebiet" ist ja quasi sowas wie ein Brennspiegel der Welt, des Universums geradezu. So wie es im oberfränkischen Grenzgebiet läuft - das weiß doch jeder, der ein wenig politische Erfahrung hat, so läuft es überall in der Welt. Nicht nur in Thüringen oder Bayern. Hinter den Riesenanbauflächen in Südamerika stehen doch letztendlich die SED-Genossen. Warum zum Beispiel ist Margot Honecker nach Chile emigriert? Mmh? Dämmerts?
Die Kollektivierung der Landwirtschaft hat nichts einem mutmaßlichen Brennspiegel zu tun, sondern tatsächlich mit Ideologie. Vor Gründung der DDR war die Flur in Thüringen genauso kleinteilig wie in Franken.
Statt unübersehbare Tatsachen einfach anzuerkennen, kann man sich natürlich auch in dümmliche Trollerei flüchten. Realitätsverweigerung ist eine typische Eigenschaft von Ideologen.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

Die Fluraufteilung am ehemaligen Grenzgebiet ist mit Sicherheit die Folge einer Ideologie. Einer vergangenen Ideologie.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von naddy »

Sören74 hat geschrieben:(11 Dec 2020, 16:54)

Ich denke schon. Oder hast Du bei den Linken was anderes gehört?
Eben nicht, sonst hätte ich die Expert*Innen ja nicht gefragt. ;)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

Hier ein paar Gedanken von Gysi zum Stichwort "demokratischer Sozialismus" und zu Marx. Es lohnt sich, das gesamte Interview des Deutschlandfunks mit ihm zu lesen, passend zur Diskussion:

Zitat:

Die Linke ist natürlich geschwächt, weil der Staatssozialismus gescheitert ist, und so, wie er war, ist er ja auch zurecht gescheitert. Aber es gab ja nur drei Versuche eines demokratischen Sozialismus, wie es sich vielleicht auch Karl Marx vorgestellt hat. Das eine war die Pariser Kommune, die ist militärisch zerschlagen worden. Das zweite war der Prager Frühling, 1968 unter Dubcek in der CSR, auch militärisch kaputt gemacht worden. Und der dritte Versuch war von Allende in Chile, auch militärisch kaputt gemacht worden. Das ist interessant. Der demokratische Sozialismus hatte noch nie eine Chance. Der Staatssozialismus, der hatte seine Chance und hat sie verspielt.

https://www.deutschlandfunk.de/gregor-g ... _id=417134
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(11 Dec 2020, 17:24)

Die Kollektivierung der Landwirtschaft hat nichts einem mutmaßlichen Brennspiegel zu tun, sondern tatsächlich mit Ideologie. Vor Gründung der DDR war die Flur in Thüringen genauso kleinteilig wie in Franken.
Statt unübersehbare Tatsachen einfach anzuerkennen, kann man sich natürlich auch in dümmliche Trollerei flüchten. Realitätsverweigerung ist eine typische Eigenschaft von Ideologen.
Ja. Das Problem in der Massenagrarwirtschaft spielt sich heute und aktuell im mitteleuropäischen Raum vor allem in Niedersachsen, in der Niederlande, vor allem Norbrabant, in West-Mecklenburg ab. Ursache ist schlicht und einfach die Nähe zu den Nordsee-Häfen, in denen preiswertes Viehfutter angelandet wird. Und der nächste Faktor in dieser Hinsicht ist die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik. So wünsche ich mir politische Diskussionen. Analytisch, nüchtern und faktenbasiert.

Es gibt in vielen (seriösen) politischen Kommentaren diese Redewendung "Jetzt haben die Ideologen das Ruder übernommen". So oder ähnlich. Dies bedeutet jedoch nicht nur, dass Anhänger dieser oder jener Ideologie das Ruder übernommen haben. Sondern auch, dass man generell "Ideologie" (ob nun positiv oder negativ) für negativ hält. Könnte es sein, dass sich politische Entwicklung und - auf längere Sicht - "Geschichte" einfach ereignet. Und nicht Materialisierung einer Ideologie ist? Wenn der Aufwind die Überhand hat, fliegen die Blätter im Herbst nach oben, wenn die Erdanziehungskraft die Oberhand hat, fliegen sie nach unten. Statt diese Interessenskräfte zu analysieren, werden Schriften analysiert. Das ist doch idiotisch. Es kann auch nur das moralisch bewertet werden, was sich ereignet hat. Und nicht das, was irgendwie in irgendwelchen Schriften zu sein oder nicht zu sein hat.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 17:57)

Hier ein paar Gedanken von Gysi zum Stichwort "demokratischer Sozialismus" und zu Marx. Es lohnt sich, das gesamte Interview des Deutschlandfunks mit ihm zu lesen, passend zur Diskussion:

Zitat:

Die Linke ist natürlich geschwächt, weil der Staatssozialismus gescheitert ist, und so, wie er war, ist er ja auch zurecht gescheitert. Aber es gab ja nur drei Versuche eines demokratischen Sozialismus, wie es sich vielleicht auch Karl Marx vorgestellt hat. Das eine war die Pariser Kommune, die ist militärisch zerschlagen worden. Das zweite war der Prager Frühling, 1968 unter Dubcek in der CSR, auch militärisch kaputt gemacht worden. Und der dritte Versuch war von Allende in Chile, auch militärisch kaputt gemacht worden. Das ist interessant. Der demokratische Sozialismus hatte noch nie eine Chance. Der Staatssozialismus, der hatte seine Chance und hat sie verspielt.

https://www.deutschlandfunk.de/gregor-g ... _id=417134
Dies alles hat nur nix oder wenig mit den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun.Die auf eine Diversifizierung der Lebenswelten hinauslaufen. Unabhängig von meinen Einkommensverhältnissen habe ich nix und will auch nix zu tun haben mit den Leuten irgendwo in Oberhausen. Die gern mit dem klimatisierten Auto zum Tennis fahren und sich vor Leuten mit Körpergeruch ekeln. Ich fahre viel lieber mit dem Fahrrad oder der S-Bahn. Das hat erst mal nix mit Einkommen, Existenzsicherung und dergleichen zu tun. Das hat damit zu tun, dass ich mit diesen Menschen nach dem Modell "Einfamilienhaus, Auto, Supermarkt" nix zu tun haben will, sie aber auch nicht irgendwie negativ sehe. Wie will ein "demokratischer Sozialismus" mit diesen divergierenden Lebenswelten umgehen? Das kann meiner Ansicht nach nur ein politischer Liberalismus. Aber einer, der a) diese entscheidende Grenze zwischen existentiellen und übergeordneten Wohlstandsproblemen kennt und b) in keinster Weise auf Zugehörigkeiten und Loyalitäten setzt. Letzteres ist vermutlich das Grundproblem für einen ideologischen Liberalismus a la FDP.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von naddy »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 18:24)

Dies alles hat nur nix oder wenig mit den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun.Die auf eine Diversifizierung der Lebenswelten hinauslaufen.
Ich würde eine leichte Akzentverschiebung vom gegenwärtig grassierenden Hang zum hypertrophen Individualismus auf mehr Gemeinsinn durchaus für sinnvoll erachten. Dafür gibt's ja auch hier im Forum ein paar Beispiele. Allerdings nur auf ein vernünftiges Maß. Die völlige Reduktion des Individuums auf die Rolle "Rädchen im Getriebe", wie beispielsweise in China zu beobachten, würde mir allerdings noch weniger gefallen. ;)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 18:09)

Ja. Das Problem in der Massenagrarwirtschaft spielt sich heute und aktuell im mitteleuropäischen Raum .........
Was willst du mit dieser permanenten Spammerei eigentlich beweisen?
Daß dich Argumente grundsätzlich nicht interessieren?
Oder daß du ihnen nicht folgen kannst?

Es geht hier konkret um die Kollelktivierung der Landwirtschaft. Und die war ideologisch motiviert. Was denn sonst? Hat sich Walter Ulbricht persönlich am bäuerlichen Grundbesitz bereichert? Nicht wirklich.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Stoner hat geschrieben:(11 Dec 2020, 17:02)

Ich sehe das, nicht aus Neigung oder Lust oder gar aus politischen Gründen, anders. Es gibt ein Maß an Verschiedenheit, an Pluralität, das eine Gesellschaft als solche nicht mehr aushält, in der sich diese Freiheiten selbst verzehren an den inneren Widersprüchen zwischen Aufrechterhaltung der Freiheit und dem Inschachhalten der divergierenden Interessen. Das von allem befreite souveräne Individuum bedeutet eben auch die Auflösung aller Ordnung. Solange Friede, Freude, Eierkuchenwohlstand und Party herrscht, mag das nicht auffallen, aber einem wohlstandbefreiten Stresstest wollte ich das nicht unterziehen.
Die andere Seite des Liberalismus besteht aber eben in einem nicht nur von allem befreiten sondern in einem in jeder Hinsicht dem Prinzip Rechtsstaatlichkeit unterworfenem Individuum. Das Gute an Regeln und Gesetzen besteht u.a. darin, dass damit jenseits der Regeln ein Raum der Freiheit entsteht. Anders ist Freiheit auf vernünftige Art gar nicht möglich. Ich denke mal, selbst kleine Kinder, wenn sie irgendwie helle sind, begreifen, dass ihnen gerade mit Regeln Freiheiten eröffnet werden. Schlimm wirds nur, wenn informelle Regeln in Kraft treten. Wenn Du irgendwie "Guten Tag" sagen sollst, aber gar nicht genau weißt wie und warum.
Das ist das Prinzip des Liberalismus. Gib feste Regeln vor. Und ansonsten: Jeder macht wie er will! So soll es sein!
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

Zunder hat geschrieben:(11 Dec 2020, 18:44)

Was willst du mit dieser permanenten Spammerei eigentlich beweisen?
Daß dich Argumente grundsätzlich nicht interessieren?
Oder daß du ihnen nicht folgen kannst?

Es geht hier konkret um die Kollelktivierung der Landwirtschaft. Und die war ideologisch motiviert. Was denn sonst? Hat sich Walter Ulbricht persönlich am bäuerlichen Grundbesitz bereichert? Nicht wirklich.
Ehrlich gesagt sehe ich nicht so ganz den Widerspruch zwischen euren beiden Aussagen. Es kann doch in Summe beides als Ursache zutreffen. Zum einen ist in Thüringen die Großteiligkeit der Flächen historisch gewachsen. Durch die entsprechende Ideologie der Kollektivierung. Nach der Wende ist das in großen Teilen beibehalten, weil auf dem härter werdenden Markt große Flächen sich besser bewirtschaften lassen und bestimmte Kosten niedriger sind.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 18:24)

Dies alles hat nur nix oder wenig mit den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun.Die auf eine Diversifizierung der Lebenswelten hinauslaufen. Unabhängig von meinen Einkommensverhältnissen habe ich nix und will auch nix zu tun haben mit den Leuten irgendwo in Oberhausen. Die gern mit dem klimatisierten Auto zum Tennis fahren und sich vor Leuten mit Körpergeruch ekeln. Ich fahre viel lieber mit dem Fahrrad oder der S-Bahn. Das hat erst mal nix mit Einkommen, Existenzsicherung und dergleichen zu tun. Das hat damit zu tun, dass ich mit diesen Menschen nach dem Modell "Einfamilienhaus, Auto, Supermarkt" nix zu tun haben will, sie aber auch nicht irgendwie negativ sehe. Wie will ein "demokratischer Sozialismus" mit diesen divergierenden Lebenswelten umgehen? Das kann meiner Ansicht nach nur ein politischer Liberalismus. Aber einer, der a) diese entscheidende Grenze zwischen existentiellen und übergeordneten Wohlstandsproblemen kennt und b) in keinster Weise auf Zugehörigkeiten und Loyalitäten setzt. Letzteres ist vermutlich das Grundproblem für einen ideologischen Liberalismus a la FDP.
Von alledem steht aber nix drin im Interview. Es geht bei dieser Weltsicht auch nicht um das kleine heile deutsche Lebensmodell einiger Links-Grün-Liberaler oder Soft-Konservativer. Es geht darum, dass es in all der Diversität auch Leute gibt, die sehen die Riesenungerechtigkeit in großen Teilen der Welt. Das ist damit gemeint. Die Verwerfungen überall, dieser Hunger, dieses Elend, dieser Raubbau an der Natur. Da etwas ändern zu wollen, ist nicht die schlechteste Idee. Aber wie gesagt, alles nur Reflexionen, Ideen, Antworten auf Fragen, nicht mehr und nicht weniger. So, wie es aussieht, bleibt sogar nach der jetzigen Pandemie alles so, wie es schon immer war in diesem glorreichen Kapitalismus. Statt gerade jetzt zu schauen, welche Chancen es gibt, etwas zu verändern in Richtung Chancengleichheit und wirklicher Umweltpolitik, die den Namen auch verdient.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von tarkomed »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Dec 2020, 17:01)

Deutschland wurde auf der Konferenz von Jalta in Besatzungszonen aufgeteilt - das ist richtig, richtig ist auch, dass diese Besatzung - aller Siegermächte des WK2 - 50 Jahre andauern sollte (4-Mächte-Abkommen in Potsdam). Damit sollte sicher gestellt werden, dass in Deutschland nie wieder faschisitische und nationalsozialistische Kräfte die Macht erlangen können, Deutschland nie wieder als Aggressor auftritt bzw auftreten kann und Deutschland fester Bestandteil der internationalen Staatengemeinschaft wird.

Und natürlich hatte die jeweilige Besatzungsmacht - also lange bevor es überhaupt zur Gründung der beiden deutschen Staaten kommen konnte bzw kam - auch Einfluss auf die Etablierung des bevorzugten politischen Systems.
"Einfluss haben" hat allerdings recht wenig mit "aufzwingen" zu tun.
Aufgezwungen hat nicht einmal Stalin, den von der Roten Armee besetzten Staaten irgend etwas, gefördert, Einfluss genommen - Ja, aufgezwungen - Nein!
Es waren deutsche Kommunisten, die in ihrem Exil in der UdSSR bereits während des WK2 ihre Machtübernahme vorbereiteten und später unter der SMAD auch etablierten und zwar bereits unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation UND sie hatten das Bestreben "ihr" politisches System auf ganz Deutschland auzuweiten.
Das scheiterte in "Trizonesien" allerdings an der Etablierung demokratischer Strukturen durch die so genannten Westmächte.

Die "Galionsfiguren der Nazis" wurden auch in der SBZ beseitigt und nicht nur die, die so genannte Entnazifizierung ging in der SBZ sehr viel weiter, was aber nichts daran ändert, dass gerade in den Anfangsjahren - genauso wie in "Trizonesien" auch - "ehemalige" Nazis und Angehörige der SS, ihren Weg in die frisch gegründeten Blockparteien und sogar die SED fanden.
Dann sind wir uns ja weitgehend einig, wer hätte das gedacht. Jetzt muss ich nur noch überlegen, wo unsere Streitpunkte waren. Kannst du mir auf die Sprünge helfen? :D
Ach ja, ein Punkt fällt mir ein: die SU hat ihr politisches System nicht aufgezwungen, sondern nur Einfluss genommen. So wie in Bulgarien beispielsweise, nach dem Einmarsch der Roten Armee Einfluss genommen wurde und die BKP von heute auf morgen zur mächtigen Partei wurde… ;)
Dark Angel hat geschrieben:(11 Dec 2020, 17:01)
Noch einal: geschichtliche Ereignisse stehen immer in einem bestimmten (historischen) Kontext, sind niemals monokausal und/oder eindimensional, sondern sehr komplex.
Du versuchtst aber gerade (sehr) kompexe Prozesse auf Monokausalität und Eindimensionalität herunterzubrechen und das funktioniert nicht.
Ich habe eine Tochter und sie hat mir beigebracht, dass es gut für meine Geduld und meine Nerven ist, wenn ich ihr das letzte Wort überlasse. :D
Gib dich nicht so, dass alle andern dich für etwas halten, was du nicht sein willst.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(11 Dec 2020, 18:44)

Was willst du mit dieser permanenten Spammerei eigentlich beweisen?
Daß dich Argumente grundsätzlich nicht interessieren?
Oder daß du ihnen nicht folgen kannst?

Es geht hier konkret um die Kollelktivierung der Landwirtschaft. Und die war ideologisch motiviert. Was denn sonst? Hat sich Walter Ulbricht persönlich am bäuerlichen Grundbesitz bereichert? Nicht wirklich.
Also "hier" gehts gemäß Eingangsbeitrag erstmal nicht um das Problem "Kollektivierung der Landwirtschaft" sondern um die Frage "Was ist (nicht) links". Also konkret um die Frage, ob linke Autokraten politisch wirklich links sind. Ich interpretiere das,wenn ich länger drüber nachdenke, so, dass es um die Frage geht: Gab es die wirklich "gute" linke Regierung nur noch nicht in der Welt. Müssen nur erst "gute Sozialisten", "wahre Sozialisten" an die Macht kommen, um zu beweisen, dass "Linkssein" nicht quasi automatisch auf autokratisch sein hinausläuft. Um das mal zu entwirren. Und um deine rein persönlich gefärbten Angriffe zu entkräften.

Die "Kollektivierung der Landwirtschaft", erstens, läuft in einem geradezu unfassbaren Ausmaß im Zuge einer Ökonomisierung der Landwirtschaft. Als wenn Du noch nix von Massentierhaltung, Schweineübereinanderstapelung und Sojaimporten gehört hättest.

Und bei denen, die sich der Ideologen bedienen, wie Walter Ulbricht, geht es nur dritt-, viert- oder fünftrangig um "persönliche Bereicherung". Erstrangig geht es um Macht- und Systemerhalt. Die Kollektivierung in der Landwirtschaft in der DDR der unmittelbaren Nachkriegszeit folgt dem Stalinschen Vorbild der Kulakenverfolgung bzw. der "Entkulakisierung". Es erfordert eine gründliche Analyse der Motive dieser Entkulakisierung, um aus den Interesssenslagen heraus diese Vorgänge zu verstehen. "Ideologie", aber auch "Zeitgeist" ist das eine. Stalin wollte umgeleitete Ströme, riesige Staudämme, Atomkraft, Raumfahrt. Das waren seine Visionen. Sie entsprachen dem Zeitgeist des 20. Jahrhunderts. Und er erkannte, einfach in seiner Bauernschläue, dass er große Mengen von Menschen dafür begeistern konnte. Konnte er auch. Kleinteilige agrarische Produktion, Religiösität auf dem Lande stand als Erzählung dagegen. Erstens. Zweitens gab es die Vorstellung einer einfachen Einheimsung von Agrarversorgung vom Lande per Beschluss und ohne Markt. Und dann gab es die Interessen der lokalen Bevölkerung auf dem Lande. Funktionäre vs Nichtfunktionäre. Glaubst du wirklich, dass ich mich in diesen Sachen nicht auskenne, mich Argumente nicht interessieren, ich ihnen nicht folgen kann? Das Problem der Ideologiekritiker besteht u.a. darin, dass sie nur in Schriften gelesen haben. Und den ganzen Komplex der Prozesse, die sich dann letztendlich in politischer Realität wiederspiegeln, nicht durchschauen (wollen). Das ist halt mühselig!
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 18:56)

Von alledem steht aber nix drin im Interview. Es geht bei dieser Weltsicht auch nicht um das kleine heile deutsche Lebensmodell einiger Links-Grün-Liberaler oder Soft-Konservativer. Es geht darum, dass es in all der Diversität auch Leute gibt, die sehen die Riesenungerechtigkeit in großen Teilen der Welt. Das ist damit gemeint. Die Verwerfungen überall, dieser Hunger, dieses Elend, dieser Raubbau an der Natur. Da etwas ändern zu wollen, ist nicht die schlechteste Idee. Aber wie gesagt, alles nur Reflexionen, Ideen, Antworten auf Fragen, nicht mehr und nicht weniger. So, wie es aussieht, bleibt sogar nach der jetzigen Pandemie alles so, wie es schon immer war in diesem glorreichen Kapitalismus. Statt gerade jetzt zu schauen, welche Chancen es gibt, etwas zu verändern in Richtung Chancengleichheit und wirklicher Umweltpolitik, die den Namen auch verdient.
Hunger und Elend in der Welt haben sich noch nie so schnell und gravierend geändert wie etwa durch einen rabiaten Kapitalismus in Bangladesh. Trotz der extremen und gravierenden Begleiterscheinungen. Keinem Menschen dort wünsche ich eine Rückkehr in das Elends- und Hungerland Bangladesh der 70er Jahre des sich "sozialistisch" gebenden Präsidenten Mujibur Rahman. Dann lieber der totale Kapitalismus mit Niedriglohn und Kinderarbeit. Das mag verstörend klingen. Aber die meisten Menschen haben aufgrund eines sehr eingeschränkten Medienzugangs einfach nix mitbekommen von den Schrecknissen dieser Zeit, Es hat auch wiederum überhaupt nix mit "Sozialismus" oder irgendeiner Ideologie zu tun, was in den 70er Jahren in Bangladesh passierte. Sondern mit Interessenswahrnungen und Machtpolitik. Der "Sozialist" Rahman wurde erst zu einem Islamisten, um seine Macht zu erhalten und dann zu einem Diktator. Dann wurde er ermordet. So geht das. Nix Ideologie.Nix Sozialismus. Nix bessere Welt. Macht. Macht. Macht.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von BlueMonday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 10:47)

Und was den Iran betrifft: Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen: Hinsichtlich der schiitischen Glaubenskrieg hätte der Iran einen natürlichen Verbünden in der Welt: Aserbaidshan. Noch dazu dank seiner natürlichen Ressourcen ein wirtschaftlich ziemlich potentes Land. Der Iran fürchtet jedoch separatistische politische Bewegungen in seinen Nordprovinzen. Und schon ist es aus mit der "schiitischen Ideologie". Macht kommt zuerst. Ideologie im 21. Jahrhundert ist allenfalls Bemäntelung von Machtstreben. Erzählung für die Dummköpfe,
Immer wieder das Gleiche.
Die Macht(= das Vermögen, die Möglichkeit) ist eine Folge einer Investition, ist Teil eines langen Kommunikationsprozesses. Erst einmal kommt die Vorstellung, Story, der Mythos, die mitreißende Idee, das Ziel. Versuch doch mal endlich die Gegenprobe und präsentiere irgendeine Macht, die ohne Idee auskam, ohne gedanklichen Gehalt und Differenz zum Bestehenden. Wozu braucht eine rein hypothetische "Macht", die ideenlos "zuerst kommt", überhaupt noch irgendeine Idee? Wieso sollte sie den "Dummen" noch irgendetwas "erzählen" wollen? Hätte sie ja als etablierte Macht gar nicht nötig. Gerade im erfolgreichen Storyerzählen besteht die Macht.

Wenn es nicht um Ideen ginge, wieso sollte man dann einer Macht überhaupt entgegentreten, wieso sich ihr nicht einfach anschließen, an ihr teilhaben? Die Ideen, Farben, Richtungen spielen doch deiner Meinung nach keinerlei Rolle und könnten nicht dagegen sprechen. Stattdessen: Molon labe! Wovon getrieben, wenn nicht von einer starken Überzeugung? Was steht wohl entgegen sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, wenn nicht eine Idee, eine Überzeugung, eine Vorstellung, eine Moral, eine Ästhetik, irgendein geistiges Ding?
Du erzählst immer wieder diese kuriose Story, dass man den Hammer nur des Hammers haben will, aber nicht um Nägel in die Wand zu schlagen. Also bar einer Zielvorstellung, eines Zwecks, einer Idee.

Dass Ideen nicht immer halten, was sie versprechen, das liegt ja nun in ihrer Natur als Vorstellung, also dass sie ihrer Verwirklichung voraus gehen und die Realisierung in einer unsicheren Zukunft liegt. Bspw. der Verfassunsganspruch(=Idee) ist selten deckungsgleich mit der Verfassungswirklichkeit eines Staates. Ein Schalck-Golodkowski ist dann die Folge des Scheiterns der Idee vom Sozialismus, praktisch das Beatmungsgerät, das man dem Patienten noch mal umglegt hat, damit er ein paar Jahre weiter überdauert. Der Idealismus ist auch weitaus älter als Hegel und auch räumlich nicht auf Deutschland begrenzt.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(11 Dec 2020, 20:05)

Immer wieder das Gleiche.
Die Macht(= das Vermögen, die Möglichkeit) ist eine Folge einer Investition, ist Teil eines langen Kommunikationsprozesses. Erst einmal kommt die Vorstellung, Story, der Mythos, die mitreißende Idee, das Ziel. Versuch doch mal endlich die Gegenprobe und präsentiere irgendeine Macht, die ohne Idee auskam, ohne gedanklichen Gehalt und Differenz zum Bestehenden. Wozu braucht eine rein hypothetische "Macht", die ideenlos "zuerst kommt", überhaupt noch irgendeine Idee? Wieso sollte sie den "Dummen" noch irgendetwas "erzählen" wollen? Hätte sie ja als etablierte Macht gar nicht nötig. Gerade im erfolgreichen Storyerzählen besteht die Macht.

Wenn es nicht um Ideen ginge, wieso sollte man dann einer Macht überhaupt entgegentreten, wieso sich ihr nicht einfach anschließen, an ihr teilhaben? Die Ideen, Farben, Richtungen spielen doch deiner Meinung nach keinerlei Rolle und könnten nicht dagegen sprechen. Stattdessen: Molon labe! Wovon getrieben, wenn nicht von einer starken Überzeugung? Was steht wohl entgegen sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, wenn nicht eine Idee, eine Überzeugung, eine Vorstellung, eine Moral, eine Ästhetik, irgendein geistiges Ding?
Du erzählst immer wieder diese kuriose Story, dass man den Hammer nur des Hammers haben will, aber nicht um Nägel in die Wand zu schlagen. Also bar einer Zielvorstellung, eines Zwecks, einer Idee.

Dass Ideen nicht immer halten, was sie versprechen, das liegt ja nun in ihrer Natur als Vorstellung, also dass sie ihrer Verwirklichung voraus gehen und die Realisierung in einer unsicheren Zukunft liegt. Bspw. der Verfassunsganspruch(=Idee) ist selten deckungsgleich mit der Verfassungswirklichkeit eines Staates. Ein Schalck-Golodkowski ist dann die Folge des Scheiterns der Idee vom Sozialismus, praktisch das Beatmungsgerät, das man dem Patienten noch mal umglegt hat, damit er ein paar Jahre weiter überdauert. Der Idealismus ist auch weitaus älter als Hegel und auch räumlich nicht auf Deutschland begrenzt.
Nee nee. Ganz blende ich das nicht aus. Der Vergleich mit dem Hammer ist übrigens bezeichnend. Der "Hammer" als Teil des Staatswappens der DDR ... worauf geht die Symbolik "Hammer Zirkel Ährenkranz" zurück? Auf Lenins zentrale Schrift "Was tun". In der er neben dem Konzept der "Partei neuen Typus" (sprich: der Kaderpartei) ein strategisches Bündnis Arbeiterklasse/Intelligenz/Bauernschaft entwickelte. Das genau ist der Hammer im Staatssozialismus. Nicht das Werkzeug, um Nägel einzuschlagen sondern das Werkzeug um ein strategisches Bündnis der Arbeiterklasse mit Bauernschaft und Intelligenz herzustellen. Ich bleibe dabei: Eine sorgfältig konzipierte Erzählung für die Dummköpfe. Zum Zwecke der Machterlangung bzw. des Machterhalts.

Wie ist es nun heute. Politiker, nennen wir die derzeit drei Mächtigsten, Trump, Putin und Jinping ... sind einerseits Ideologen. Klar. Aber es sind ein-Drittel oder ein-Viertel oder auch nur ein-Siebentel-Ideologen. Die anderen Sechs Siebentel bestehen aus Dealmakerei.Auch die bestimmenden Leute des 30jährigen Kriegs waren allesamt gläubige Menschen. Durch und durch. Der 30jährige Krieg war dennoch nicht in erster Linie ein GLaubenskrieg!
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 19:57)

Hunger und Elend in der Welt haben sich noch nie so schnell und gravierend geändert wie etwa durch einen rabiaten Kapitalismus in Bangladesh. Trotz der extremen und gravierenden Begleiterscheinungen. Keinem Menschen dort wünsche ich eine Rückkehr in das Elends- und Hungerland Bangladesh der 70er Jahre des sich "sozialistisch" gebenden Präsidenten Mujibur Rahman. Dann lieber der totale Kapitalismus mit Niedriglohn und Kinderarbeit. Das mag verstörend klingen. Aber die meisten Menschen haben aufgrund eines sehr eingeschränkten Medienzugangs einfach nix mitbekommen von den Schrecknissen dieser Zeit, Es hat auch wiederum überhaupt nix mit "Sozialismus" oder irgendeiner Ideologie zu tun, was in den 70er Jahren in Bangladesh passierte. Sondern mit Interessenswahrnungen und Machtpolitik. Der "Sozialist" Rahman wurde erst zu einem Islamisten, um seine Macht zu erhalten und dann zu einem Diktator. Dann wurde er ermordet. So geht das. Nix Ideologie.Nix Sozialismus. Nix bessere Welt. Macht. Macht. Macht.
Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Teeernte »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:24)

Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
...einer MUSS die Lete "treiben"....sonst murkeln die nur noch privat.

...sinnstiftende Tätigkeit - zu Ostzeiten - im SKL - die haben sich 20er Jollenkreuzer aus Stahl geschweißt....während der Arbeit, aus Firmenmaterial...
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 19:42)

Also "hier" gehts ......
Hier geht es schlicht und ergreifend um die Antwort auf einen Beitrag, in dem ich anhand eines konkreten Beispiels gezeigt habe, daß deine Behauptung:

"Selbstverständlich klaffen Idee und Praxis auseinander. Und zwar nicht ausnahmsweise sondern grundsätzlich."

in dieser Grundsätzlichkeit nicht zutrifft.

Mit der Frage, was denn links oder nicht links sein soll, hat das nur insofern zu tun, als diese ganze Enteignungspolitik auch dann zweifellos dem linken Spektrum zuzuordnen ist, wenn man Ulbricht oder Honecker von noch weiter links aus gesehen für rechts hält.
Stoner

Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:24)

Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
Darum ging es doch immer: Um das Neue, das sich als Überwindung des Hier und Jetzt anpries, um die Aufhebung dessen Negativität, seiner Transzendenz ins Überbiedermeier. Wenns nicht geklappt hat, war's noch nicht links, sondern wird es erst beim nächsten Mal sein. Alles Sein muss, wie's der eschatologische Ernschtl zum Programm erhoben hat, ins Werden aufgelöst werden. Und wer sich jetzt nicht versäumt, wird abgeräumt, der eine gleich, der andere später.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(11 Dec 2020, 23:31)

Hier geht es schlicht und ergreifend um die Antwort auf einen Beitrag, in dem ich anhand eines konkreten Beispiels gezeigt habe, daß deine Behauptung:

"Selbstverständlich klaffen Idee und Praxis auseinander. Und zwar nicht ausnahmsweise sondern grundsätzlich."

in dieser Grundsätzlichkeit nicht zutrifft.

Mit der Frage, was denn links oder nicht links sein soll, hat das nur insofern zu tun, als diese ganze Enteignungspolitik auch dann zweifellos dem linken Spektrum zuzuordnen ist, wenn man Ulbricht oder Honecker von noch weiter links aus gesehen für rechts hält.
Die Zwangs-Kollektivierungen in der Landwirtschaft sind zweifellos einem sich selbst und auch von außen als irgendwie "links" zugeordneten Spektrum zuzuordnen. Das bestreite ich doch gar nicht.

Heute. Und real. Wie siehts aus: Die Lebensverhältnisse in Rand-Berlin, im sogenannten Speckgürtel kenne ich ziemlich genau. Die Bauern wurden enteignet und zwangskollektviert. Ja. Gleichzeitig haben sie unmittelbar nach 45 für eine Kiste Kartoffeln einen Familienschmuck eingeheimst. Und wussten den auch zu Geld zu machen. Nach 1990 waren die wiederprivatisierten Genossenschaftsimmobilien eine Art Lotto-Gewinn. Die armen zwangskollektivierten Bauern in Randberlin - wirklich, ich bin da zu Hause - die waren und sind Menschen, die den Tag über in Gummistiefeln und mit Arbeitsjacke rumlaufen .. die aber hunderttausende auf ihren Konten haben. Heute wie auch zu DDR-Zeiten.

Nur ein Beispiel für eine Betrachtungsweise, die nicht davon ausgeht, dass Geschichte nicht die Materialisierung von Ideen, Ideologien, von "Geist" im Sinne von Hegel ist ... sondern dass sich Geschichte schlicht und einfach ereignet. Dass sie sich entlang von Interessenswahrnehmungen vollzieht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2020, 21:24)

Das ist alles Vergangenheit. Kein Linker möchte einen Sozialismus zurück, der solche Zustände verursacht hat. Es geht um etwas Neues: Den demokratischen Sozialismus. Eigentlich ist es auch egal, wie man das nennt, es geht um ein Gesundheitswesen ohne "Fallpauschalen" und Personalmangel, um einen modernen kostenlos zu nutzenden Nahverkehr, um ein Arbeitsleben, das keine Maloche ist, sondern sinnstiftende Tätigkeit, um gleiche Bildungschancen und kein Bildungsprivileg, um bezahlbare Mieten und und und.
Da geht es dann darum, wo man die Grenze ziehen will zwischen Existenzsicherung, Daseinsvorsorge und den divergierenden Lebenswelten. Was Existenzsicherung anbelangt, bin ich ganz klar überzeugter demokratischer Sozialist und insofern auch Linker. Ich setze nur vermutkich diese Grenze sehr viel weiter unten an als die Mehrheit der Linken in Deutschland. Zumindest bis zu den Coronasperren lebte ich einen Teil des Jahres in Ungarn und weiß ganz genau, dass Existenzsicherung auch mit einem Drittel des Durchschnittseinkommens in Deutschland möglich ist. Oder auch mit noch weniger. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus: Alle Sozialhilfeempfänger, die ich kenne, sind, was materielle Ansprüche anbelangt, komischerweise wesentlich anspruchsvoller als ich, der ich ein ziemlich gutes und gesichertes Einkommen habe. Wie geht das? Die belächeln mich, weil ich zum Beispiel die Leistung meines Autos in PS gar nicht zu benennen weiß. Mich interessiert das einfach nicht. Diese Sozialhilfeempfänger besitzen - meiner Erfahrung nach - auch TV-Geräte, Schränke, Kleidungsstücke, Schuhe usw. usf. die völlig jenseits meiner Vorstellungen liegen. Nicht, weil ich sie mir nicht leisten könnte, Sondern einfach, weil mich der ganze Scheiß schlicht und einfach nicht interessiert. So. Und nun sage einer mal, es müsse unbedingt soziale Gerechtigkeit in Deutschland hergestellt werden.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Stoner »

Eigentlich ist die Haltung, genau zu wissen, mit wie viel weniger als man selbst hat, jemand auskommen kann, eine typisch rechte, also nicht-linke Haltung.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:36)

Da geht es dann darum, wo man die Grenze ziehen will zwischen Existenzsicherung, Daseinsvorsorge und den divergierenden Lebenswelten. Was Existenzsicherung anbelangt, bin ich ganz klar überzeugter demokratischer Sozialist und insofern auch Linker. Ich setze nur vermutkich diese Grenze sehr viel weiter unten an als die Mehrheit der Linken in Deutschland. Zumindest bis zu den Coronasperren lebte ich einen Teil des Jahres in Ungarn und weiß ganz genau, dass Existenzsicherung auch mit einem Drittel des Durchschnittseinkommens in Deutschland möglich ist. Oder auch mit noch weniger. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus: Alle Sozialhilfeempfänger, die ich kenne, sind, was materielle Ansprüche anbelangt, komischerweise wesentlich anspruchsvoller als ich, der ich ein ziemlich gutes und gesichertes Einkommen habe. Wie geht das? Die belächeln mich, weil ich zum Beispiel die Leistung meines Autos in PS gar nicht zu benennen weiß. Mich interessiert das einfach nicht. Diese Sozialhilfeempfänger besitzen - meiner Erfahrung nach - auch TV-Geräte, Schränke, Kleidungsstücke, Schuhe usw. usf. die völlig jenseits meiner Vorstellungen liegen. Nicht, weil ich sie mir nicht leisten könnte, Sondern einfach, weil mich der ganze Scheiß schlicht und einfach nicht interessiert. So. Und nun sage einer mal, es müsse unbedingt soziale Gerechtigkeit in Deutschland hergestellt werden.
Für das Existenzminimum gibt es Kriterien. Dazu zählt auch das soziokulturelle Existenzminimum. Freiwilliges Eremitendasein ist damit nicht gemeint.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:15)

..... sondern dass sich Geschichte schlicht und einfach ereignet........
Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

Wer Ideologie ignoriert, wird sich dann halt wundern, daß er Trumps Politik bekommt, wenn er Trump wählt.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von conscience »

Zunder hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:19)

Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

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Und Marx hatte also doch Recht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Stoner hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:42)

Eigentlich ist die Haltung, genau zu wissen, mit wie viel weniger als man selbst hat, jemand auskommen kann, eine typisch rechte, also nicht-linke Haltung.
"zu glauben genau zu wissen ...." wenn schon. Macht nix. Mir egal. Ich kenne jemanden, der haust in einem Zelt. Auch winters. Auch wenn er sich eine gute Wohnung leisten könnte. Sich im Bereich hochwertiger Konsumgüter auszukennen ... früher war das mal ein Symptom von irgendwie Angekommenheit in der bürgerlichen Mittelschicht. Von "Es-geschafft-habenheit". Für mich ist dies heute zuallererst ein Symptom von Ungebildetheit und Zurückgebliebenheit. Wer sich auf Relativitätstheorie, KI, Java-Programmierung, Impfstoffentwicklung, Sinologie usw. einlässt ... hat gar keine Zeit, sich mit besonders hochwertigen Kochtöpfen, Matratzen oder Mobiltelefonen zu befassen.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von naddy »

Stoner hat geschrieben:(12 Dec 2020, 14:42)

Eigentlich ist die Haltung, genau zu wissen, mit wie viel weniger als man selbst hat, jemand auskommen kann, eine typisch rechte, also nicht-linke Haltung.
Ich wollte Sarrazin damals auch schon empfehlen, doch mal probeweise zwei Wochen kalt zu duschen und sich von eineurofuffzig pro Tag zu ernähren. Wäre vielleicht heilsam gewesen. ;)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:19)

Geschichte ereignet sich nicht, Geschichte wird gemacht. Sie ist ein fortwährender Prozess menschlichen Handelns, wobei der bewußte und gewollte Teil des Handelns auf Interessen und Überzeugungen beruht. Sofern diese Überzeugungen mehr als rein privater Natur und halbwegs konsistent sind, haben wir es mit Ideologien zu tun. Das heißt nicht, daß jede Herrschaft auf Ideologie beruht - ich wüßte nicht, für welche Ideologie z.B. ein Idi Amin stünde -, das heißt aber, daß Ideologien ernst zu nehmen sind, wenn man Geschichte und Gegenwart verstehen will.

Wer Ideologie ignoriert, wird sich dann halt wundern, daß er Trumps Politik bekommt, wenn er Trump wählt.
Sie sind schon ernst zu nehmen. Sie machen - einfach aufs Geratewohl und subjektiv geschätzt - ein Drittel Einfluss aus. Es gibt zum Beispiel überhaupt keinen Zweifel daran, dass die verschiedenen Akteure des 30 jährigen Kriegs in Europa tatsächlich und wirklich der Glaubensrichtung anhingen, für die sie an diesem Krieg teilnahmen. Anfang/Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Menschen in Europa gläubig. Wirklich gläubig. Auch der mächtigste Herrscher hatte in seinerm Innersten Angst vor der ewigen Verdammnis. Es trifft aber dennoch nicht das Wesentliche, diesen 30jährigen Krieg im Kern als einen "Religionskrieg" anzusehen. Dieser Krieg fand in einer historischen Umbruchphase statt. Nicht zuletzt weil das mittelalterliche Ständesystem für den AUfstieg des bürgerlichen Handels und der aufkeimenden Industrie mehr und mehr ein HIndernis darstellte. Und später: Frankreich war vor der französischen Revolution vor allem eines: Verschuldet bis über die Ohren. England war zwar weitaus höher verschuldet, aber einfach durch die Existenz eines frühen Parlamentarismus war Transparenz für ANleger gegeben. Das heilige Recht der frühen Parlamente bestand in dem Recht, Kredite für die Königshäuser bewilligen oder verweigern zu können. Insbesondere Kredite für dynastische Kriege. Das ging einfach mehr konform mit den Anforderungen des beginnenden Industriezeitalters. Der Mensch hat die Eigenschaft, sich im Nachhinein solche Entwicklungen als Ergebnis von edlen Einstellungen und Kampf für hohe Gesinnungen schönzureden. Als Ergebnis von Entwicklungen, in denen "die bessere, die richtigere Ideologie" den Sieg davon getragen hat. Das ist menschlich vielleicht verständlich. In Wirklichkeit hat sich aber einfach nur Geschichte ereignet. Die aufstrebende Industrie und Wirtschaft braucht Investitionen und von daher Sicherheiten. Parlamentarismus und Dinge wie Pressefreiheit waren einfach Parameter für eine optimalere Lösung des Problems und haben sich demzufolge durchgesetzt. So wie ein Apfel eben nach unten und nicht nach oben fällt.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

naddy hat geschrieben:(12 Dec 2020, 16:24)

Ich wollte Sarrazin damals auch schon empfehlen, doch mal probeweise zwei Wochen kalt zu duschen und sich von eineurofuffzig pro Tag zu ernähren. Wäre vielleicht heilsam gewesen. ;)
Klar ist, dass Konsumverzicht das Privileg einer sozial privilegierten Schicht ist. Keine Frage.

Was zur Existenzsicherung gehört ... ist dennoch ziemlich klar und eindeutig definierbar. Kleidung, Nahrung, Schutz vor Natureinflüssen, Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Polizeischutz. Irgendwas habe ich vielleicht noch vergessen. Aber das ist klar eingrenzbar.

Das Problem bei Sarrazin ist doch, dass er die Plünderung der Sozialsysteme irgendwie herkunfts- oder eigentlich sogar rassemäßig meinte festmachen zu können.

Ich kann nur meine persönlichen Erfahrungen dokumentieren: Ich erlebe einerseits sozial augegrenzte, die im Winter nicht mal eine Decke zum schlafen haben und irgendwo in einem Berliner U-Bahnhof ein warmes Plätzchen für die Nacht suchen. In der Regel keine deutschen Staatsbürger. Und ich erlebe Sozialhilfeempfänger, die die Schränke, Kochtöpfe, Schuhe, Computer, Autos, die ich so normalerweise verwende als Zumutung ansehen, weil sie den Anspruch auf hochwertige Konsumgüter erheben.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Vongole »

naddy hat geschrieben:(12 Dec 2020, 16:24)

Ich wollte Sarrazin damals auch schon empfehlen, doch mal probeweise zwei Wochen kalt zu duschen und sich von eineurofuffzig pro Tag zu ernähren. Wäre vielleicht heilsam gewesen. ;)
Diese Ansicht dürfte für Einige einer Blasphemie gleichen. ;)
Am Yisrael Chai

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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

conscience hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:25)

Und Marx hatte also doch Recht.
Naja. Womit hatte Marx Recht? Dass das Sein das Bewusstsein bestimme und nicht umgekehrt. Oder dass die Philosophen die Welt immer nur unterschiedlich interpretiert haben, es aber darauf ankomme, sie zu verändern? Der Spruch aus Marxens Thesen zu Feuerbach stand während meiner Studentenzeit groß im Hauptempfangsgeböude der Humboldt-Uni. Ich muss bei Gelegenheit direkt mal nachschauen, ob dieser Schriftzug dort immer noch angebracht ist.

Es braucht trivialerweise natürlich die Akteure in der Geschichte. Von nix kommt nix. Dinge wie Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Demokratie und Meinungsfreiheit sind aber dennoch primär keine "Erfindungen" oder Hervorbringungen kluger Geister oder heroischer Männer oder edler Gesinnungen sondern Notwendigkeiten. Sie waren in erster Linie die bessere Lösung für das aufsteigende Indutriezeitalter. Und die Geschichte folgt einem Prinzip der kleinsten Wirkung ebenso wie alles in der Physik. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich nur mit Hegelscher Dialektik aufklären. Und "Dialektik" ist keineswegs einfach eine Art philosophischer Taschenspielertrick nach dem Motto "Sowohl als auch".
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von BlueMonday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2020, 20:20)

Nee nee. Ganz blende ich das nicht aus. Der Vergleich mit dem Hammer ist übrigens bezeichnend. Der "Hammer" als Teil des Staatswappens der DDR ... worauf geht die Symbolik "Hammer Zirkel Ährenkranz" zurück? Auf Lenins zentrale Schrift "Was tun". In der er neben dem Konzept der "Partei neuen Typus" (sprich: der Kaderpartei) ein strategisches Bündnis Arbeiterklasse/Intelligenz/Bauernschaft entwickelte. Das genau ist der Hammer im Staatssozialismus. Nicht das Werkzeug, um Nägel einzuschlagen sondern das Werkzeug um ein strategisches Bündnis der Arbeiterklasse mit Bauernschaft und Intelligenz herzustellen. Ich bleibe dabei: Eine sorgfältig konzipierte Erzählung für die Dummköpfe. Zum Zwecke der Machterlangung bzw. des Machterhalts.

Wie ist es nun heute. Politiker, nennen wir die derzeit drei Mächtigsten, Trump, Putin und Jinping ... sind einerseits Ideologen. Klar. Aber es sind ein-Drittel oder ein-Viertel oder auch nur ein-Siebentel-Ideologen. Die anderen Sechs Siebentel bestehen aus Dealmakerei.Auch die bestimmenden Leute des 30jährigen Kriegs waren allesamt gläubige Menschen. Durch und durch. Der 30jährige Krieg war dennoch nicht in erster Linie ein GLaubenskrieg!
Also der eigentlich Unlgläubige ist der "Dumme", dem man eine Geschichte erzählt? Entweder macht man ihn dadurch zu einem willigen Gläubigen, der wegen einer Idee in den Krieg zieht. Oder es muss was anderes sein und er ist gar nicht der Dumme, dem man erst Geschichten erzählen muss. Sicherlich gibt es viele Motive. Der bezahlte Söldner steht vor den Toren Jerusalems dann wohl wegen seines Solds vor allem. Aber warum sollte man ihm einen Sold bezahlen, auf dass er sich durch die halbe Welt zu Fuß einem Kreuzzug nach Jerusalem anschließt? Für eine eigentlich wertlose Stadt in der wüsten Wüste, ein Ort, der seinen Wert gerade durch die Erzählung, den Mythos erhalten hat. Ein riesiger Aufwand für eine bloße Idee.
Oder "man" zwingt die Menschen zum Soldatentum. Aber dazu braucht man wiederum hinter jedem Soldaten einen Politruk. Aber wo kommt nun der Politruk her, was bewegt ihn? Oder man muss hinter dem Politruk noch einen Überzeugteren stellen. Man hangelt sich offenbar zu einer Idee zurück. Wie ist ein Krieg ohne Idee möglich? Wozu überhaupt einen Raumgewinn? Die Idee ist Begriff. Der Begriff ist nichts anderes als die Unterscheidung, ein Schnitt durch die Welt. Ohne diesen Schnitt ist alles einerlei. Es gäbe gar nichts zu erobern, keine Grenzen zu verschieben, weil es keine Grenzen gäbe.

Was ist denn die minimalste Ideologie? Die findet sich in jeder bewussten menschliche Handlung. Da gibt es ein Ziel, einen Zweck, einen Grund, also eine Idee. Dann folgt die Frage nach dem Mittel. In Dingen ein Mittel zu sehen ist wiederum Idee. Und dass das gewählte Mittel den Zweck bewirkt, ist die Vorstellung von Kausalität. Das Ganze nichts anderes als ein Ideensystem. Und Macht ist es, wenn die ganze Theorie tatsächlich funktioniert. Im sozialen Kontext ist das wesentliche Mittel eben die Sprache. Wie bringt man Menschen dazu, einen "Mundnasenschutz" aufzusetzen? Und warum? Dazu muss man eben eine glaubhafte Geschichte erzählen, die überzeugt, die Angst macht, die einen Nutzen verspricht, einen Grund erklärt usw. Allein der Begriff des "Schutzes" erzählt eine Geschichte.

Nun kann man unterstellen, dass eine bestimmte Idee nur eine vorgeschobene Idee ist, dass hinter der vermeintlichen Maskerade eine andere Idee steckt. Aber damit hat nun immer noch nicht die Idee aus dem Spiel geworfen und hängt nur einer Verschwörungsidee an. Sicherlich gibt es auch zahlreiche Trittbrettfahrer, die dann ihr Kapital schlagen aus einer etablierten Grundidee, die als Ideenkatalysatoren wirken, die etwas auch dramatisieren im eigenen Interesse. Aber überzeugen kann man nur effektiv, wenn man selbst überzeugt ist.
Himmler, die Posener Reden. Da sprich im "inner circle" der SS. Muss sich nicht verstellen, etwas vorgeben. Herbst 43. Der Krieg fortgeschritten. Eine gewisse "Pragmatik" wird ausweichlich. Aber er spricht immer noch voller Überzeugung von der nationalsozialistischen Sache, von der Idee der SS und vielen anderen Vorstellungen, von der Minderwertigkeit der Slawen, vom "Wlassow-Rummel", dass ein russischer Offizier kein Maßstab für einen deutschen sein kann usw. Ideen, Ideen, Ideen. Oder die letzten Interviews Honeckers, da spricht ein Überzeugter, der seine Idee immer noch lebendig wähnt.
Zuletzt geändert von BlueMonday am Sa 12. Dez 2020, 20:33, insgesamt 3-mal geändert.
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Selina
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Dec 2020, 16:46)

Klar ist, dass Konsumverzicht das Privileg einer sozial privilegierten Schicht ist. Keine Frage.

Was zur Existenzsicherung gehört ... ist dennoch ziemlich klar und eindeutig definierbar. Kleidung, Nahrung, Schutz vor Natureinflüssen, Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Polizeischutz. Irgendwas habe ich vielleicht noch vergessen. Aber das ist klar eingrenzbar.

Das Problem bei Sarrazin ist doch, dass er die Plünderung der Sozialsysteme irgendwie herkunfts- oder eigentlich sogar rassemäßig meinte festmachen zu können.

Ich kann nur meine persönlichen Erfahrungen dokumentieren: Ich erlebe einerseits sozial augegrenzte, die im Winter nicht mal eine Decke zum schlafen haben und irgendwo in einem Berliner U-Bahnhof ein warmes Plätzchen für die Nacht suchen. In der Regel keine deutschen Staatsbürger. Und ich erlebe Sozialhilfeempfänger, die die Schränke, Kochtöpfe, Schuhe, Computer, Autos, die ich so normalerweise verwende als Zumutung ansehen, weil sie den Anspruch auf hochwertige Konsumgüter erheben.
Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 15:06)

Für das Existenzminimum gibt es Kriterien. .
keine absoluten.

Sondern relative = Kosumverhalten der unteren 15%, die keine Trnsferleistungen beziehen.
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von 3x schwarzer Kater »

Realist2014 hat geschrieben:(12 Dec 2020, 19:38)

keine absoluten.

Sondern relative = Kosumverhalten der unteren 15%, die keine Trnsferleistungen beziehen.
War es nicht das unterste Quintil? Also 20%? Oder hat sich das geändert?
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Tom Bombadil »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ich rede vom globalen Kapitalismus...
Dank des globalen Kapitalismus ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie heute. Natürlich mit Ausnahme der sozialistischen Experimente Venezuela, Kuba, Nordkorea. Denen geht es immer bescheidener.
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
Ja. Denkt man erst mal. Ich habe vor ein zwei Jahren einen Bericht zum Problem "Zwangsweise Stromabschaltung" gehört. Demnach war dieses Problem "Stromabschaltung" vor allem und komischerweise ausgerechnet im reichen Baden-Württemberg vakant. MIch wundert das überhaupt nicht, Für mich ist das ganz logisch. In Vorpommern wird wesentlich weniger Menschen zwangsweise und wegen Bezahlschulden der Strom abgeschaltet. Warum. Weil man in BW einfach der Meinung ist, dass dieses und jenes nicht Luxus ist sondern zu dieser sogenannten "Grundversorgung" gehört.

Gegenwärtig wird Berlin von diesen "Querdenkern" besucht. Irgendwie meist Leute aus der Antroposophen- und Ernährungsstatlinistenszene in Stuttgart ... Ich fasse es zuweilen nicht. Ich werde noch zu einem "Schwabenhasser" obwohl ich selbst aus einer sogenannten "donauschwäbischen" Familie herkomme.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von BlueMonday »

Links scheint jedenfalls die Vorstellung zu sein, dass der Staat das "Soziale" zu lösen habe. Die ewige Klage an den Staat, mehr zu tun, mehr zu nehmen, um mehr zu geben, mehr umzuverteilen. Jede Mäßigung oder Rücknahme daran ein Affront.
"Versorgungsstaat von der Wiege bis zum Grab."
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

BlueMonday hat geschrieben:(13 Dec 2020, 00:27)

Links scheint jedenfalls die Vorstellung zu sein, dass der Staat das "Soziale" zu lösen habe. Die ewige Klage an den Staat, mehr zu tun, mehr zu nehmen, um mehr zu geben, mehr umzuverteilen. Jede Mäßigung oder Rücknahme daran ein Affront.
"Versorgungsstaat von der Wiege bis zum Grab."

Daher auch die unermüdlichen Forderungen alles zu "verstaatlichen", was der "Daseinsvorsorge" dient...

also zurückdrängen der Marktwirtschaft und des Eigentums an den PM

Das größte Problem der Linken ist ihre Unfähigkeit, aus den Fakten & Ergebnissen der Vergangenheit bezüglicher derartiger "Versuche" zu lernen.

Ist wahrscheinlich irgendein Gendefekt.
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Realist2014 »

3x schwarzer Kater hat geschrieben:(12 Dec 2020, 22:38)

War es nicht das unterste Quintil? Also 20%? Oder hat sich das geändert?
20% war Wunsch von "links", 15% war dann das Ergebnis- ich würde die untersten 5% nehmen....
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

Tom Bombadil hat geschrieben:(12 Dec 2020, 22:44)

Dank des globalen Kapitalismus ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie heute. Natürlich mit Ausnahme der sozialistischen Experimente Venezuela, Kuba, Nordkorea. Denen geht es immer bescheidener.
Aus Sicht der Republikaner in den USA finden ja in Europa massenhaft sozialistische Experimente statt. ;)
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Sören74 »

BlueMonday hat geschrieben:(13 Dec 2020, 00:27)

Links scheint jedenfalls die Vorstellung zu sein, dass der Staat das "Soziale" zu lösen habe. Die ewige Klage an den Staat, mehr zu tun, mehr zu nehmen, um mehr zu geben, mehr umzuverteilen. Jede Mäßigung oder Rücknahme daran ein Affront.
"Versorgungsstaat von der Wiege bis zum Grab."
Schöne Parallele zur Corona-Pandemie. Nicht nur Linke haben die Vorstellung, dass der Staat alleine das Problem zu lösen habe. Diese Sichtweise bzw. Glaube an den Staat als Problemlöser hat mich in den letzten Monaten zugegeben recht überrascht.
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Re: Was ist (nicht) links?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2020, 18:58)

Ja, Konsumverzicht ist ein Privileg hierzulande. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die sich Deutschland mit aller Kraft vom Leibe hält, würden deine Worte wie Hohn empfinden. Du hast es doch sonst so mit internationalen Vergleichen. Ich rede vom globalen Kapitalismus mit allen seinen schrecklichen Verwerfungen und nicht vom kuscheligen Wohlstands-Deutschland. Obwohls hier natürlich auch Altersarmut gibt. Ein Drittel künftiger Rentner wird von der Rente alleine nicht mehr leben können und muss Grundsicherung beantragen oder Flaschen sammeln. Der Niedriglohnsektor ist in D einfach zu groß seit Schröders Entsolidarisierungs-Aktion. Vor allem im Osten.
Es ist ja nichts Neues, dass Linke mit der Realität auf Kriegsfuß stehen und die sieht folgendermaßen aus:
die "schrecklichen Verwerfungen des globalen Kapitalismus" haben dazu geführt, dass die Armutsquote (und damit ist absolute Armut gemeint) von 35% in den Achtzigern auf 8,5% (2015) gesunken ist.
Solche Tatsachen werden beflissentlich ignoriert, ignoriert wird ebenfalls, dass die so genannten Flüchtlinge aus Zentralafrika (Subsahara) keinesfalls zu diesen absolut Armen gehören, gar nicht gehören können.
Die absolut Armen Afrikas können sich die mehreren Tausend US$ für die Schlepper gar nicht leisten.
Ein weiterer Denkfehler Linker besteht darin, zu ignorieren, dass Reichtum a) erwirtschaftet werden muss bevor er verteilt werden kann und b) dass dieser Reichtum (der den "Reichen" weggenommen soll) nur einmal verteilt werden kann.
Ist dieser Reichtum einmal verteilt, war's das, da gibt es keinen Nachschub mehr.
Was Linke ebenso (gerne) vergessen ist, dass der Reichtum, den sie so gerne verteilen wollen, NICHT in frei verfügbaren Geldmitteln zur Verfügung steht, sondern in Form von so genanntem Buchgeld (Aktien, Unternehmenswerten etcpp)
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
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