Diestel hat geschrieben:(09 Nov 2019, 09:00)Ich halte die Formulierung „unrechtstaat“ deshalb für den unglücklich, weil sie gleichzeitig das Leben der Menschen, die in diesem Staat gelebt haben, abwertet. Dass staatliches Unrecht begangen wurde, wird niemand bestreiten, aber in seiner Pauschalisierung trifft der Begriff eben auch die Menschen. Wer möchte gern damit leben, vielleicht über die Hälfte seines Lebens Teil eines Unrechts gewesen zu sein?
Wer dort gelebt hat, der kann das verdrängen, absolutes Desinteresse zeigen oder auch glorifizieren. Es ist jedem selbst überlassen, wie er sich damit auseinandersetzt und seine Rolle dabei einordnet. Daran, dass die DDR ein Unrechtsstaat war wie die faschistischen Regime Portugal, Spanien und Griechenland im Westen, die südamerikanischen Militärdiktaturen, das rassistische Südafrika, die Islamische Republik Iran, der ganze unter Moskaus Kontrolle stehende Ostblock, China, Nordkorea, Vietnam, Laos, Kambodscha zur Zeit kommunistischer Herrschaft darf jeder zweifeln so viel es ihm beliebt.
Millionen Deutsche waren am 3. Reich beteiligt. So wie ich das in Rückblicken sehe, versuchte man bis in die späten 60er das zu verdrängen, auszublenden. Erst musste eine unbelastete Generation nachwachsen, die sich mit dem Schweigen ihrer Eltern auseinandersetzte. Heute werden von Rechts auch Relativierungsversuche gestartet mit der Forderung, man müsse auch den Mut, die Tapferkeit die Leistungen der Soldaten des großen Krieges anerkennen. Aber das war ein Raubmordkrieg. Und der Mut und die Tapferkeit war da, diente aber dem Zweck des Massenmordes. Es gibt sicher auch wahnsinnig intelligente und clevere Produzenten von Kinderpornos.
Den Versuch, den Begriff des "Unrechtsstaates" zu relativieren, wegzutricksen, sollte man entschieden entgegentreten. Ich kann damit leben, in einem Unrechtsstaat gelebt zu haben. In dieser Zeit wurde die Bevölkerung 6 Mal zu den Wahlurnen getrieben - schon das ein deutlicher und nicht zu entkräftender Beleg für den Unrechststaat. Beim ersten Mal gab ich eine Gegenstimme ab, zwei Mal durfte ich nicht, zwei Mal danach ging ich hin um meine Ruhe zu haben, denn ich hatte meine Nische gefunden. Beim letzten Mal blieb ich zu Hause. Und irgendwie ist mir das Zettelfalten, wenn auch nur in 2 Fällen, heute noch peinlich.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
Libanesin Anfang August 2020