Dampflok94 hat geschrieben:(27 Feb 2019, 10:38)
Strang wurde entlüftet und wird wieder entsperrt.
Aber einen Hinweis möchte ich noch geben: Das Thema ist sehr allgemein, daher neigt die Diskussion dazu in Nebenaspekte abzugleiten. Ob z. B. der Vergleich der Heime in der DDR mit denen des Westens hier reinpaßt ist fraglich, ich lasse das aber erstmal stehen. Wenn das Thema konkreter ausdiskutiert werden soll, wäre ggf. ein eigener Strang hilfreich. Ich bitte also sich enger an den Strangtitel zu halten.
Hallo,
ich meine, "was ist links" lässt sich als Grundsatzfrage verstehen. Traditionell "links" stehen die liberalen, antimonarchistischen, republikanischen Kräfte. Zu ihnen gesellte sich schnell der Gegensatz zwischen den Interessen "kleiner Leute" (genauer gesagt Städter) und den Interessen der Dienstklasse - Landadel, Funktionsadel, Beamtentum im modernen Sinne, aber auch der Großvermögenden, seien sie nun bürgerlich oder von Adel. Da kommen wir her.
In Deutschland war die Revolution oder Reform des Staates lange Zeit von oben getrieben, von staatlicher Seite. Meistens, nachdem irgendein Krieg den Chefs wieder mal gezeigt hat, dass die Staatsmacht im internationalen Vergleich wenig hergibt und dringend umgekrempelt gehört. Entsprechend fanden sich Nationalliberale häufig an der rechten Seite bei den Monarchisten oder den Konservativen wieder. Wenn wir heute von "rechts" sprechen, geht es meistens nicht um Monarchisten sondern eher um verschiedene Ausprägungen von Nationalsozialismus, Rassismus, Antisemitismus, ... usw. Konservative und Liberale betrachten sich heute als "Mitte". Was ist also links? Auch die Sozialdemokraten sind unsicher, ob sie nun eher der Mitte oder der Linken angehören. Ebenso ihre Artverwandten, die Grünen. Erklärt links hingegen ist "Die Linke", erklärt links sind auch die verschiedenen Gruppen der "Neuen Linken" seit den 80er Jahren. Dabei sind sich diese in vielen Punkten nicht einig.
Ein wichtiger Streitpunkt darüber, was links ist, ist die Rolle des Staates. Die Linke ist gestartet mit einer teils liberalen, teils sehr grundlegenden Staatskritik. Häufig finden sich Linke aber dabei wieder, dem Staat immer mehr gesellschaftliche Kompetenzen und Mittel zuzuordnen zulasten des Einzelnen oder organisierter Interessengruppen.
Ein weiterer wichtiger Streitpunkt ist die Frage, wer im Mittelpunkt linker Politik steht. Hier gibt es vier Grundrichtungen:
* Das Individuum. Der einzelne Mensch in seinem persönlichen Wollen und Müssen. Hier gibt es viele Schnittmengen mit liberalen Ideen.
* Das Volk. Eine kulturell, biologisch oder anders historisch hergeleitete Gemeinschaft im Widerstreit mit anderen solchen Gemeinschaften. Hier finden sich viele Probleme der "internationalen Solidarität", der Ruf nach einem "Völkerrecht" oder einem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" im Gegensatz zu den praktischen Interessen einzelner Menschen. Hier gibt es Anschlüsse zu klassisch konservativen Ideen, aber auch Ähnlichkeiten mit Konzepten, die wir heute sonst auf der Rechten finden.
* Die soziale Klasse. Traditionell die Citoyens gegen die Reichen, seltener auch die Landbevölkerung gegen den Stadtadel, marxistisch die "Arbeiterklasse" gegen andere "Klassen". Hier liegt im Programm schon ein Konfliktbewusstsein formuliert. Der klassische Widerpart solcher Ideen sind paternalistische und monarchistische Vorstellungen, bei denen gut für das Volk ist, was gut für die Herrschaft oder die Nation ist.
* Schließlich kann sich linke Politik auch an einem globalen "gut für die Welt insgesamt" ausrichten. Eine Kritik an Wirtschaftswachstum, Wohlstandsproblemen, Umweltverschmutzung, Verbrauch knapper Ressourcen, an der "Ausbeutung anderer Länder" im Welthandel, aber auch ein - an sich sehr liberales - Plädoyer für die Öffnung und Abschaffung von Grenzen für Waren, Informationen und Menschen.
In der sogenannten Globalisierungskritik treffen sich diese verschiedenen linken Denklinien. Überhaupt wird es erst spannend, wenn man sie in der Praxis im Konflikt sieht.
Wie passt der Schutz von "Völkern" zur Freiheit der Einzelnen? Wie passt die Wachstumskritik der Satten zu Unterversorgung so vieler Citoyens vor allem auswärts, weniger (aber auch) bei uns?
Schnell mischen sich in die Kritik am Flächenverbrauch Fragen danach, ob man denn alle hier reinlassen könne - wobei die Frage oft untergeht, warum sie denn hier her wollen.
Schnell steht auch der Wohlstand hiesiger kleiner Leute im Konflikt mit der Offenheit für weltweite Kooperation. Was ist der Unterschied zwischen Lafontaines "Fremdarbeiter"-Warnung und Rütters' "Kinder statt Inder" oder die Reden von Düsseldorfer IG-Metall-Vertretern anlässlich damaliger Produktionsverlagerungen bei Nokia?
Links ist auf jeden Fall ein spannendes Thema.