Lieblingsgedichte

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Zunder
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Zunder »

Möwenlied

Die Möwen sehen alle aus
als ob sie Emma hiessen.
Sie tragen einen weissen Flaus
und sind mit Schrot zu schiessen.

Ich schiesse keine Möwe tot,
ich lass sie lieber leben -
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heissest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.

Christian Morgenstern
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Vongole
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Vongole »

In Hamburg

In Hamburg ist die Nacht
nicht wie in andern Städten
die sanfte blaue Frau,
in Hamburg ist sie grau
und hält bei denen, die nicht beten,
im Regen Wacht.

In Hamburg wohnt die Nacht
in allen Hafenschänken
und trägt die Röcke leicht,
sie kuppelt, spukt und schleicht,
wenn es auf schmalen Bänken
sich liebt und lacht.

In Hamburg kann die Nacht
nicht süße Melodien summen
mit Nachtigallentönen,
sie weiß, daß uns das Lied der Schiffssirenen,
die aus dem Hafen stadtwärtsbrummen,
genau so selig macht.

Wolfgang Borchert
Am Yisrael Chai

"It's God's job to judge the terrorists, it's our duty to arrange that meeting." (IDF)
franzmannzini

Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von franzmannzini »

T.King
Der dünnste Bär erwacht im Winter
durch das Schlaflachen der Heuschrecken,
durch das Traumsummen der Bienen,
durch den Honiggeruch des Wüstensands,
den der Wind in seinem Schosse
in die fernen Hügel, die Zedernhäuser trägt.

Der Bär hat ein festes Versprechen vernommen.
Manche Wörter sind essbar; sie sättigen
mehr als Schnee, gehäuft auf Silberteller,
oder Eis aus goldenen Schüsseln. Eissplitter
vom Mund des Geliebten sind nicht immer besser,
noch träumt die Wüste immer im Trugbild.

Der erwachende Bär singt einen anschwellenden Lobgesang,
gewebt aus Sand, der die Städte erobert
im langsamen Kreis. Sein Lob verführt einen
Winterhauch auf der Reise zum Meer,
wo ein Fisch, gefangen im achtsamen
Netz, eines Bären Lied im kühlen Schnee vernimmt.
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X3Q
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von X3Q »

von Kathinka Zitz-Halein:

Deutscher, sei deutscher, als deutsch, dann dringet die wahre Verdeutschung
Dir in das deutsche Geblüt, bleibend mit deutschem Bestand.
Dann läßt durch deutsche Befeindung du nimmer dich feige entdeutschen,
Sinkest dann ganzlich durchdeutscht, einst in's germanische Grab.
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Zunder
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Zunder »

Was bringt den Doktor um sein Brot?
a) die Gesundheit, b) der Tod.
Drum hält der Arzt, auf daß er lebe,
uns zwischen beiden in der Schwebe.

Eugen Roth (1895-1976)
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Carl Sandburg - 1878-1967

Four Preludes on Playthings of the Wind

The past is a bucket of ashes.

I
The woman named Tomorrow
sits with a hairpin in her teeth
and takes her time
and does her hair the way she wants it
and fastens at last the last braid and coil
and puts the hairpin where it belongs
and turns and drawls: Well, what of it?
My grandmother, Yesterday, is gone.
What of it? Let the dead by dead.

II
The doors were cedar
and the panel strips of gold
and the girls were golden girls
and the panels read and the girls chanted:
We are the greatest city,
and the greatest nation:
nothing like us ever was.
The doors are twisted on broken hinges.
Sheets of rain swish through on the wind
where the golden girls ran and the panels read:
We are the greatest city,
the greatest nation,
nothing like us ever was.

III
It has happened before.
Strong men put up a city and got a nation together,
And paid singers to sing and women to warble: We are the greatest city,
the greatest nation,
nothing like us ever was.
And while the singers sang
and the strong men listened
and paid the singers well,
there were rats and lizards who listened
... and the only listeners left now
...are... the rats ... and the lizards.
And there are black crows
crying, “Caw, caw,”
bringing mud and sticks
building a nest
over the words carved
on the doors where the panels were cedar
and the strips on the panels were gold
and the golden girls came singing:
We are the greatest city,
the greatest nation:
nothing like us ever was.
The only singers now are crows crying, “Caw, caw,”
And the sheets of rain whine in the wind and doorways.
And the only listeners now are ... the rats ... and the lizards.

IV
The feet of the rats
scribble on the doorsills;
the hieroglyphs of the rat footprints
chatter the pedigrees of the rats
and babble of the blood
and gabble of the breed
of the grandfathers and the great-grandfathers of the rats.
And the wind shifts
and the dust on the doorsill shifts
and even the writing of the rat footprints
tells us nothing, nothing at all
about the greatest city, the greatest nation
where the strong men listened
and the women warbled: Nothing like us ever was.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Napoli
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Napoli »

Napoli hat geschrieben: Mo 21. Feb 2022, 03:17 Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Friedrich Hölderlin,


LG
. . . .. napoli
franzmannzini

Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von franzmannzini »

Die apokalyptischen Reiter
Zu dem Calton von Cornelius.

Eh' die Erde zerschellt in ein ewiges Nichts
Am ernsten Tage des Weltgerichts,
Da sprengen aus des Himmels Thor
Vier kampfgerüstete Reiter hervor.

Der Erste kommt auf weißem Roß,
Im Kronenschmuck und mit sich'rem Geschoß,
Sein Pfeil, von der schwirrenden Sehne geschnellt,
Trägt Pest und Seuche hinaus in die Welt.

Roth ist das Roß, das den Andern trägt,
Das Schwert die Waffe, mit der er schlägt;
Wenn Völker sich morden in blutiger Schlacht,
Hei, wie sein flammendes Auge da lacht!

Er mordet den Jüngling, den Mann und den Greis,
Zerstört, was erschaffen der Völker Fleiß;
Verderbenbringend über die Flur
Geht seines blutigen Rosses Spur.

Ihm folgt auf schwarzem, hagerem Roß
Der nagende Hunger, der schlimme Genoß;
Sein Mund wölbt sich gierig, sein Auge blickt hohl;
Die feilschende Wage ist sein Symbol.

Auf fahlem Roß sprengt der Vierte daher,
Und heulend folgt ihm das höllische Heer;
Wo seine mordende Hippe blinkt,
Das letzte Leben darniedersinkt.

Wo Klage erschallt und banges Geschrei,
Da sprengt er mit hämischem Grinsen herbei,
Da erntet er gierig, was Jene gesäet,
Was Jenen entgangen, ihm nimmer entgeht. —

Wenn endlich erfüllt ist des Ew'gen Gebot
Und alles Leben gewichen dem Tod:
Dann hält hoch oben im himmlischen Licht
Der Weltenrichter das Weltgericht.

August Freudenthal
franzmannzini

Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von franzmannzini »

oder

Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der daraufsaß,
des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach.
Und ihnen ward Macht gegeben, zu töten
das vierte Teil auf der Erde mit dem Schwert und Hunger
und mit dem Tod und durch die Tiere auf Erden.
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

  • Fred Endrikat
An den Staatsanwalt

Nun bin ich satt und habe wieder ein Paar heile Schuhe,
vorhin war ich noch hungrig, naß, und mir war kalt.
Jetzt sonn’ ich mich im Gras in aller Seelenruhe
und denk’ an dich, gestrenger Staatsanwalt.

Ich hab’ gebettelt, das gesteh’ ich unverhohlen.
Die Wurst war ranzig, und das Brot war alt.
Aus Dankbarkeit hab’ ich die Schuh nach Maß gestohlen.
Sei mir nicht böse, lieber Staatsanwalt.

O welch ein Wunder, wie die Stiefel passen.
Ich bin ein Lump und mach’ vor keinem Paragraphen halt.
Ein Lump darf alles tun – nur nicht sich kriegen lassen,
das weißt auch du, gerechter Staatsanwalt.

Betrachtet man die Welt mit einem vollen Magen,
bekommt sie wirklich eine freundliche Gestalt.
Ich kann versteh’n, dass über mich die Menschen klagen,
auch dir verzeih’ ich, guter Staatsanwalt.

Ich lieg’ im Gras, und Lämmerwölklein wehen,
für dich und mich die Sonne freundlich strahlt –
und sollten wir uns einmal wiedersehen,
dann sei mir gnädig, lieber Staatsanwalt.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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schokoschendrezki
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von schokoschendrezki »

Rainer Maria Rilke: Elegie

an Marina Zwetajewa-Efron

O Die Verluste ins All, Marina, die stürzenden Sterne!
Wir vermehren es nicht, wohin wir uns werfen, zu welchem
Sterne hinzu! Im Ganzen ist immer schon alles gezählt.
So auch, wer fällt, vermindert die heilige Zahl nicht.
Jeder verzichtende Sturz stürzt in den Ursprung und heilt.

Wäre denn alles ein Spiel, Wechsel des Gleichen, Verschiebung,
nirgends ein Name und kaum irgendwo heimisch Gewinn?
Wellen, Marina, wir Meer! Tiefen, Marina, wir Himmel.
Erde, Marina, wir Erde, wir tausendmal Frühling, wie Lerchen,
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft.

Wir beginnens als Jubel, schon übertrifft es uns völlig;
plötzlich, unser Gewicht dreht zur Klage abwärts den Sang.
Aber auch so: Klage? Wäre sie nicht: jüngerer Jubel nach unten.
Auch die unteren Götter wollen gelobt sein, Marina.
So unschuldig sind Götter, sie warten auf Lob wie die Schüler.

Loben, du Liebe, laß uns verschwenden mit Lob.
Nichts gehört uns. Wir legen ein wenig die Hand um die Hälse
ungebrochener Blumen. Ich sah es am Nil in Kôm-Ombo.
So, Marina, die Spende, selber verzichtend, opfern die Könige.
Wie die Engel gehen und die Türen bezeichnen jener zu Rettenden,
also rühren wir dieses und dies, scheinbar Zärtliche, an.

Ach wie weit schon Entrückte, ach, wie Zerstreute, Marina,
auch noch beim innigsten Vorwand. Zeichengeber, sonst nichts.
Dieses leise Geschäft, wo es der Unsrigen einer
nicht mehr erträgt und sich zum Zugriff entschließt,

rächt sich und tötet. Denn daß es tödliche Macht hat,
merkten wir alle an seiner Verhaltung und Zartheit
und an der seltsamen Kraft, die uns aus Lebenden zu
Überlebenden macht. Nicht-Sein. Weißt du’s, wie oft
trug uns ein blinder Befehl durch den eisigen Vorraum

neuer Geburt . . .Trug: uns? Einen Körper aus Augen
unter zahllosen Lidern sich weigernd. Trug das in uns
niedergeworfene Herz eines ganzen Geschlechts. An ein Zugvogelziel
trug er die Gruppe, das Bild unserer schwebenden Wandlung.

Liebende dürften, Marina, dürften soviel nicht
von dem Untergang wissen. Müssen wie neu sein.
Erst ihr Grab ist alt, erst ihr Grab besinnt sich, verdunkelt
unter dem schluchzenden Baum, besinnt sich auf Jeher.
Erst ihr Grab bricht ein; sie selber sind biegsam wie Ruten;

was übermäßig sie biegt, ründet sie reichlich zum Kranz.
Wie sie verwehen im Maiwind! Von der Mitte des Immer,
drin du atmest und ahnst, schließt sie der Augenblick aus.
(O wie begreif ich dich, weibliche Blüte am gleichen
unvergänglichen Strauch. Wie streu ich mich stark in die Nachtluft,

die dich nächstens bestreift.) Frühe erlernten die Götter
Hälften zu heucheln. Wir in das Kreisen bezogen
füllten zum Ganzen uns an wie die Scheibe des Monds.
Auch in abnehmender Frist, auch in den Wochen der Wendung
niemand verhülfe uns je wieder zum Vollsein, als der
einsame eigene Gang über der schlaflosen Landschaft.


Dieses Gedicht hat Rainer Maria Rilke 1926 geschrieben und es ist der russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa. gewidmet. Mit ihr sowie mit dem späteren Nobelpreisträger Boris Pasternak entwickelte sich Mitte der 20er Jahre ein intensiver Briefwechsel Rilkes und so etwas wie eine platonische Liebe. Gespeist u.a. von dieser unerklärbaren Faszination für Russland.

Das Gedicht folgt im Stil dem in seinen "Duineser Elegien". Vor ziemlich genau hundert Jahren erschienen. Ein Meilenstein deutscher Sprachkultur. Immer und immer wieder kann ich solche Texte lesen. Mit niemals nachlassender Verzückung.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Percy Bysshe Shelley

Ozymandias

I met a traveller from an antique land
Who said: — Two vast and trunkless legs of stone
Stand in the desert... Near them, on the sand,
Half sunk, a shattered visage lies, whose frown,
And wrinkled lip, and sneer of cold command,
Tell that its sculptor well those passions read
Which yet survive, stamped on these lifeless things,
The hand that mocked them, and the heart that fed
And on the pedestal these words appear
‚My name is Ozymandias, king of kings
Look on my works, ye Mighty, and despair!‘
Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von mila18W »

aleph hat geschrieben: Mo 3. Jan 2022, 23:52 Rosen sind rot
Gelb ist die Biene
Ich kann nicht dichten
Waschmaschine
Tolles, lustiges Gedicht!
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Der Weltschöpfer

Als Knabe war Gottlieb ein kleiner Teufel,
An Schelmenstücken kam kein Andrer ihm nah,
Und immer war er, ganz sonder Zweifel,
Wo irgend im Dorf’ etwas Dummes geschah.

Drum mocht’ auch geschehen, was immer wollte,
So mußt’ es Gottlieb gewesen seyn;
Und daß er sogleich es gestehen sollte,
War’s üblich, ihn mächtiglich durchzubläun.

Dieß machte, daß er, um dergleichen Gebühren
Nicht zwier zu empfahen, sogleich gestand. —
Einst wollte der Pfarrer ihn examiniren,
Da dunkelt’ es plötzlich um seinen Verstand.

Ernst frug, wer die Welt erschaffen habe,
Der Pfarrer mit strengem Angesicht;
Und höchlich erschrocken rief der Knabe:
„Das, Herr Magister, das weeß ich nicht!“

Da zürnte der Pfarrer: du schlimmer Geselle,
Sprich, wer hat die Welt erschaffen? Sprich!
Und sagst du mirs nicht gleich auf der Stelle,
Zerprügl’ ich den Rücken dir jämmerlich.

Da glaubte der Bub’, er wäre verlesen,
Und schluchzte: Ach, laß er den Ziemer nur ruhn!
Ich will’s ja gestehen, ich bin es gewesen,
Und will es auch nimmermehr wieder thun.
>
Als ich las, dass Theodor Körner der Verfasser ist, wollte ich es nicht glauben :)
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

The Second Coming
  • William Butler Yeats, Nobelpreis für Literatur 1923
Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.

Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight: somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Reel shadows of the indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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elmore
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von elmore »

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
in den Büros, als wären es Kasernen.

Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
Und unsichtbare Helme trägt man dort.
Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.
Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!

Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will
- und es ist sein Beruf etwas zu wollen -
steht der Verstand erst stramm und zweitens still.
Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
und mit gezognem Scheitel auf die Welt.
Dort wird man nicht als Zivilist geboren.
Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen?
Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein
und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.

Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann!
Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.
Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.
Das will mit Bleisoldaten spielen.

Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was man auch baut - es werden stets Kasernen.
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

(Erich Kästner)
Putin ist kein Politiker, sondern ein krimineller Schwerverbrecher. Wie Israel sich wehrt, ist nicht verkehrt.
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H2O
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von H2O »

Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen?
Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein
und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.
ICH kenne dieses Land! Nur die Sache mit dem glücklich Sein, die fällt ihm immer noch schwer!

Aber die meisterliche Sprache darf hier nicht zu kurz kommen; etwa mit Conrad Ferdinand Meyers Gedicht "Der römische Brunnen".
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.
Ich habe noch einmal nachgeforscht... der Dichter hat in 24 Jahren 7 (sieben) Fassungen dieses Gedichts aufgeschrieben. In wiki wird die bildhafte Beschreibung des Gedichts als wesentliche Eigenschaft des Meisterwerks hervorgehoben. In der Schule wurde ich "angemacht", als ich dahinter auch das Bild einer sich unterstützenden Gesellschaft erkennen wollte. Vermutlich wollte ich zu viel erkennen. Das Meisterwerk hat auch ohne solche Hintergedanken wunderbare Berechtigung!
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Eduard Mörike: Um Mitternacht

Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet's nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flüchtgen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Invictus by William Ernest Henley

Out of the night that covers me,
Black as the pit from pole to pole,
I thank whatever gods may be
For my unconquerable soul.

In the fell clutch of circumstance
I have not winced nor cried aloud.
Under the bludgeonings of chance
My head is bloody, but unbowed.

Beyond this place of wrath and tears
Looms but the Horror of the shade,
And yet the menace of the years
Finds and shall find me unafraid.

It matters not how strait the gate,
How charged with punishments the scroll,
I am the master of my fate,
I am the captain of my soul.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Aus dem Nachlass von: Friedrich HEBBEL: Schau' ich in die tiefste Ferne

Schau ich in die tiefste Ferne
meiner Kinderzeit hinab,
steigt mit Vater und mit Mutter
auch ein Hund aus seinem Grab.

Fröhlich kommt er hergesprungen,
frischen Muts, den Staub der Gruft,
wie so oft den Staub der Straße,
von sich schüttelnd in der Luft.

Mit den treuen braunen Augen
blickt er wieder auf zu mir,
und er scheint, wie einst, zu mahnen:
Geh' doch nur, ich folge dir!

Denn in uns'rem Hause fehlte
es an Dienern ganz und gar;
doch die Mutter ließ mich laufen,
wenn er mir zur Seite war.

Besser gab auch keine Amme
je auf ihren Schützling acht,
und er hatte schärf're Waffen
und gebrauchte sie mit Macht.

Seine eig'nen Kameraden
hielt er mit den Zähnen fern,
und des Nachbars Katze ehrte
ihn von selbst als ihren Herrn.

Doch, wenn ich dem alten Brunnen
spielend nahte hinterm Haus,
bellte er mit heller Stimme
meine Mutter gleich heraus.

Er erhielt von jedem Bissen
seinen Teil, den ich bekam,
und er war mir so ergeben,
daß er selbst die Kirschen nahm.

Wie die beiden Dioskuren
brachten wir die Tage hin,
einer durch den andern glücklich,
jede Stunde ein Gewinn.

Macht' ich nicht auch halb vom Tode
meinen treuen Pollux frei,
ließ ich's nur, weil ich nicht ahnte,
daß ich selbst der Kastor sei.


Aber allzubald nur trübte
uns der heitre Himmel sich;
denn er hatte einen Fehler,
diesen, daß er wuchs, wie ich.

Und an ihm erschien als Sünde,
was an mir als Tugend galt,
da man mich ums Wachsen lobte,
aber ihn ums Wachsen schalt.

Immer größer ward der Hunger,
immer kleiner ward das Brot,
und der eine konnte essen,
was die Mutter beiden bot.

Als ich eines Morgens fragte,
sagte man, er wäre fort
und entlaufen wie ein Hase;
doch das war ein falsches Wort.

Noch denselben Abend kehrte
er zu seinem Freund zurück,
den zerbiss'nen Strick am Halse;
doch das war ein kurzes Glück.

Denn, obgleich er mit ins Bette
durfte, ach, ich bat so sehr,
war er morgens doch verschwunden,
und ich sah ihn niemals mehr.

Ward er an die Eisenkette
jetzt gelegt von seinem Herrn,
oder fiel sein Los noch härter,
weiß ich nicht, doch blieb er fern!

Schau' ich in die tiefste Ferne
meiner Kinderzeit hinab,
steigt mit Vater und mit Mutter
auch ein Hund aus seinem Grab.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Amun Ra
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Amun Ra »

Der klugen Leute Ungeschick
stimmt uns besonders heiter.
Fühlt man sich - für den Augenblick! -
doch auch einmal gescheiter!
- Wilhelm Busch
'I find that offensive.' has no meaning; it has no purpose; it has no reason to be respected as a phrase. 'I am offended by that.' Well, so fucking what? - Stephen Fry
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Gluck
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Gluck »

Uber die gestalt der Sylvia

Ich finde zwar sehr viel/ die schön und artig seyn;
Dann eine rühret uns durch ihrer augen schein/
Die andre lacht und prangt mit lippen von corallen/
An vielen pflegen uns die haare zu gefallen/

Die hat ein kleines kinn/ und eine steiffe brust/
Die macht durch ihren gang uns zu der liebe lust/
Die führt/ ich weiß nicht was für anmuth in den lenden/
Und andre fesseln uns mit ihren marmel-händen;

Du aber/ Sylvia/ hast alles diß allein:
Dann iedes glied an dir kan eine kette seyn.
Wie soll mich ärmsten dann nicht deine pracht entzünden/
Die/ wann man sie zertheilt/ kan ihrer sieben binden?

Benjamin Neukirch
(* 27.03.1665, † 15.08.1729)
Dann hob ein gewaltiger Engel einen Stein auf, so groß wie ein Mühlstein; er warf ihn ins Meer und rief: So wird Babylon, die große Stadt, mit Wucht hinabgeworfen werden und man wird sie nicht mehr finden.
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Gluck
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Gluck »

Auff die krönung des Römischen Königs Josephi

Europa zanckte sich und wolte gerne wissen/
Wer in Germanien noch würde könig seyn.
Der stoltze Ludewig war äusserst drauff beflissen/
Wie er das deutsche reich möcht auseinander streun:
Drum spahrt' er weder gelt/ noch müh und schmeicheleyen/
Und bot sein eignes kind zu einem käyser an:
Wer/ sprach er/ wird euch mehr als dieser Printz erfreuen/
Der so/ wie ich/ die kunst sich zu vergrössern kan?
Allein der himmel rieff: Behalte deine Gaben/
Ich will ein Josephs-Hertz und keinen Nero haben.

Benjamin Neukirch
(* 27.03.1665, † 15.08.1729)
Dann hob ein gewaltiger Engel einen Stein auf, so groß wie ein Mühlstein; er warf ihn ins Meer und rief: So wird Babylon, die große Stadt, mit Wucht hinabgeworfen werden und man wird sie nicht mehr finden.
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

  • Volkslied
Es saß ein klein wild Vögelein
auf einem grünen Ästchen;
es sang die ganze Winternacht,
sein Stimm tat laut erklingen.
Es sang die ganze Winternacht,
sein Stimm tat laut erklingen.

O sing mir noch, o sing mir noch,
du kleines wildes Vöglein!
Ich will um deine Federchen
dir Gold und Seide winden.

Behalt dein Gold und deine Seid,
ich will dir nimmer singen;
ich bin ein klein wild Vögelein,
und niemand kann mich zwingen.

Geh du herauf aus diesem Tal,
der Reif wird dich auch drücken.
Drückt mich der Reif, der Reif so kalt,
Frau Sonn wird mich erquicken.
:) ;)
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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harry52
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von harry52 »

Napoli hat geschrieben: Di 28. Dez 2021, 12:32 Da ich ein Knabe war,
Rettet' ein Gott mich oft
...
(Friedrich Hölderlin)
Aua. Das Gedicht fängt schon ganz schlecht an.

Ich habe keine Ahnung,
ob Du als Knabe tatsächlich jemals gerettet werden mußtest. Wenn es so war, dann rettete Dich wahrscheinlich nicht ein Gott, sondern

- der Kaiserschnitt
- der Kinderarzt
- der Kindersitz im Auto
- Ampeln
- Impfungen und deren Erfinder
- Antibiotika
- Zebrastreifen
...

Unsere hohe Lebenserwartung verdanken wir
Mathematiker(innen), Physiker(innen), Chemiker(innen), ... Ingenieur(innen), Techniker(innen), Erfinder(innen) und auch der Demokratie mit allen ihren Mechanismen und Institutionen.
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Billie Holiday
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Billie Holiday »

harry52 hat geschrieben: Fr 21. Jul 2023, 21:31 Aua. Das Gedicht fängt schon ganz schlecht an.

Ich habe keine Ahnung,
ob Du als Knabe tatsächlich jemals gerettet werden mußtest. Wenn es so war, dann rettete Dich wahrscheinlich nicht ein Gott, sondern

- der Kaiserschnitt
- der Kinderarzt
- der Kindersitz im Auto
- Ampeln
- Impfungen und deren Erfinder
- Antibiotika
- Zebrastreifen
...

Unsere hohe Lebenserwartung verdanken wir
Mathematiker(innen), Physiker(innen), Chemiker(innen), ... Ingenieur(innen), Techniker(innen), Erfinder(innen) und auch der Demokratie mit allen ihren Mechanismen und Institutionen.
Es gibt das Argument, dass ein Gott, ein Schöpfer dem Menschen den Verstand gegeben hat, Wissenschaftler zu werden. Ich glaub eh nicht an einen Gott, finde aber diese Aussage ganz schlüssig für einen gläubigen Menschen.
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

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Amun Ra
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Amun Ra »

Billie Holiday hat geschrieben: Fr 21. Jul 2023, 22:01 Es gibt das Argument, dass ein Gott, ein Schöpfer dem Menschen den Verstand gegeben hat, Wissenschaftler zu werden. Ich glaub eh nicht an einen Gott, finde aber diese Aussage ganz schlüssig für einen gläubigen Menschen.
Ein wenig Offtopic, aber das erinnert mich an diesen alten 'Witz':

Hochwasser, alles überflutet, Bauer Fritz, ein tiefgläubiger Christ, rettet sich auf das Dach seines Hauses. Er betet und betet, doch das Wasser steigt unaufhörlich weiter. Da kommt auf einmal ein Boot der Feuerwehr angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot der Feuerwehr fährt unverrichteter Dinge davon, während das Wasser steigt. Da kommt auf einmal ein Boot des THWs angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot des THWs fährt unverrichteter Dinge davon, während das Wasser steigt. Da kommt auf einmal ein Boot des Roten Kreuzes angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot des Roten Kreuzes fährt unverrichteter Dinge davon, während das Wasser steigt. Da kommt auf einmal ein Boot der Bundeswehr angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot der Bundeswehr fährt unverrichteter Dinge davon, das Wasser steigt weiter und Bauer Fritz ertrinkt. Erbost über die Tatsache, dass all seine Gebete nicht erhört wurden, er ertrank und sich nun im Himmel befindet sucht Bauer Fritz den lieben Herrgott auf und wirft ihm vor, ihn nicht gerettet zu haben. "Mein Sohn", erwidert Gott, "ich habe dir die Feuerwehr, das THW, das Rote Kreuz und die Bundeswehr geschickt, was willst du denn noch?"
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Billie Holiday
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Billie Holiday »

Amun Ra hat geschrieben: Sa 22. Jul 2023, 05:55 Ein wenig Offtopic, aber das erinnert mich an diesen alten 'Witz':

Hochwasser, alles überflutet, Bauer Fritz, ein tiefgläubiger Christ, rettet sich auf das Dach seines Hauses. Er betet und betet, doch das Wasser steigt unaufhörlich weiter. Da kommt auf einmal ein Boot der Feuerwehr angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot der Feuerwehr fährt unverrichteter Dinge davon, während das Wasser steigt. Da kommt auf einmal ein Boot des THWs angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot des THWs fährt unverrichteter Dinge davon, während das Wasser steigt. Da kommt auf einmal ein Boot des Roten Kreuzes angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot des Roten Kreuzes fährt unverrichteter Dinge davon, während das Wasser steigt. Da kommt auf einmal ein Boot der Bundeswehr angefahren. "Brauchen sie Hilfe?" ruft der Bootsführer. "Nein," ruft Bauer Fritz zurück, "der liebe Herrgott wird mich retten!". Das Boot der Bundeswehr fährt unverrichteter Dinge davon, das Wasser steigt weiter und Bauer Fritz ertrinkt. Erbost über die Tatsache, dass all seine Gebete nicht erhört wurden, er ertrank und sich nun im Himmel befindet sucht Bauer Fritz den lieben Herrgott auf und wirft ihm vor, ihn nicht gerettet zu haben. "Mein Sohn", erwidert Gott, "ich habe dir die Feuerwehr, das THW, das Rote Kreuz und die Bundeswehr geschickt, was willst du denn noch?"
Da kann man getrost von religiöser Verblödung sprechen. :D
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Georg Friedrich Daumer

Der Verzweifelte

Nicht mehr zu dir zu gehen,
Beschloß ich und beschwor ich,
Und gehe jeden Abend,
Denn jede Kraft und jeden Halt verlor ich.

Ich möchte nicht mehr leben,
Möcht’ augenblicks verderben,
Und möchte doch auch leben
Für dich, mit dir, und nimmer, nimmer sterben.

Ach, rede, sprich ein Wort nur,
Ein einziges, ein klares;
Gib Leben oder Tod mir,
Nur dein Gefühl enthülle mir, dein wahres!
Zuletzt geändert von Trutznachtigall am Mi 4. Okt 2023, 16:19, insgesamt 1-mal geändert.
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Tom Bombadil »

Heinz Erhardt

Hinter eines Baumes Rinde
wohnt die Made mit dem Kinde.

Sie ist Witwe, denn der Gatte,
den sie hatte, fiel vom Blatte.
Diente so auf diese Weise
einer Ameise als Speise.

Eines Morgens sprach die Made:
„Liebes Kind, ich sehe grade,
drüben gibt es frischen Kohl,
den ich hol. So leb denn wohl!
Halt, noch eins! Denk, was geschah,
geh nicht aus, denk an Papa!“

Also sprach sie und entwich. -
Made junior aber schlich
hinterdrein; doch das war schlecht!
Denn schon kam ein bunter Specht
und verschlang die kleine fade
Made ohne Gnade. Schade!

Hinter eines Baumes Rinde
ruft die Made nach dem Kinde...
The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.
Thomas Jefferson
---
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Hier ein Link für Liebhaber von Gedichten. Wenn ich da eingestiegen bin, verweile ich stundenlang.

https://gedichte.xbib.de/
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Wilhelm Busch
(1832-1908)

Fuchs und Igel

Ganz unverhofft an einem Hügel
sind sich begegnet Fuchs und Igel.

„Halt!" rief der Fuchs, „Du Bösewicht,
kennst du des Königs Order nicht?

Ist nicht der Friede längst verkündigt,
und weißt du nicht, dass jeder sündigt,
der immer noch gerüstet geht?
Im Namen Seiner Majestät -
geh her und übergib dein Fell!"

Der Igel sprach: „Nur nicht so schnell!
Lass dir erst deine Zähne brechen;
dann wollen wir uns weiter sprechen."
Und alsogleich macht er sich rund,
schließt seinen dichten Stachelbund
und trotzt getrost der ganzen Welt,
bewaffnet, doch als Friedensheld.

Wilhelm Busch
(1832-1908)
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von H2O »

Ja, diesen Gedanken hätte Kaiser Wilhelm II zur Grundlage seiner Reichspolitik machen sollen! Hoffentlich erkennen unser Kanzler und sein Verteidigungsminister diese kluge Wehrhaftigkeit!
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Mendoza
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Mendoza »

Katze in der leeren Wohnung
(von Wiesława Szymborka)

Sterben - das tut man einer Katze nicht an.
Denn was soll eine Katze
in einer leeren Wohnung.
And den Wänden hoch,
sich an Möbeln reiben.
Nichts scheint sich hier verändert zu haben,
und doch ist alles anders.
Nichts verstellt, so scheint es,
und doch alles verschoben.
Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,
aber nicht die.
Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,
ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht
zur gewohnten Zeit.
Etwas findet nicht statt,
wie es sich gehört hätte.
Jemand war hier und war,
dann verschwand er plötzlich
und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.
Alle Regale durchlaufen.
Unter den Teppichen geprüft.
Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.
Was bleibt da noch zu tun.
Schlafen und warten.

Komme er nur,
zeige er sich.
Er wird's schon erfahren.
Einer Katze tut man so etwas nicht an.
Sie wird ihm entgegenstolzieren,
so, als wolle sie es nicht,
sehr langsam,
auf äusserst beleidigten Pfoten.
Noch ohne Sprung, ohne Miau.
Churchill "Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleichmäßige Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmäßige Verteilung des Elends."
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von H2O »

Sorgen, die wohl jeden verantwortungsbewußten Tierhalter umtreiben, wenn er das Ende seiner Tage vor Augen hat: Was wird aus meinem geliebten Haustier, wenn ich es bald nicht mehr versorgen kann? Da heißt es vorsorgen!
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Trutznachtigall
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von Trutznachtigall »

Carl Spitzweg : Die Orden

Wenn einer einen Orden kriegt,
Bei uns ist's so der Brauch,
Sagt jeder grad zu ihm ins G'sicht:
"Verdient hätt' ich ihn auch!"
Wahrhaft erfreulich ist dies schon,
Es gibt ein treues Bild!
Wie hoch muß stehen die Nation
Wo jeder sich so fühlt!
☸ڿڰۣ--ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣ--☸ڿڰۣڿڰۣ--☸☸ڿڰۣڿڰۣ
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Re: Lieblingsgedichte

Beitrag von firlefanz11 »

The Lance Ballad

There was a knight who longed to wield a more impressive lance
To carry into battle, and to aid him with romance.
A wizard overheard the knight and granted his request.
The knight at first was overjoyed to see how he was blessed.

The knight went to a revel with his weapon thus enhanced.
The lance made dining difficult and tripped him while he danced.
The next day at the tournaments he won the jousting meets,
For all who faced his fearsome lance fell laughing from their seats.

The knight romanced a lady who admired his staff of oak.
They'd scarse begun their gentle joust before the staff had broke.
The knight sought out the wizard, who replied when brought to task,
"Your wish bespoke how long it WAS, and not how long 'twould LAST!"
:D
Am Rande des Wahnsinns stehen keine Geländer!
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