Der kulturelle Verfall und Aufstieg Europas

[schokoschendrezki]

Für einen Beleg des Verfalls gibt es ein Phänomen, auf das sich wahrscheinlich doch relativ viele Leute einigen könnten: Das Phänomen "Berlusconi" in den 90ern und Nullern. Skandalpresse, Fußball, Sexprozesse, Yellow Press, eine selbstproduzierte Schlager-CD ... und das im Lande da Vincis mit den mit Abstand meisten Weltkulturerbeobjekten pro Kopf der Welt. Das italienische Weltkulturerbe verfällt entweder aus Geldmangel oder wird zu millionenschweren Spekulationsobjekten oder zu Touristenhorderneinfallsflächen degradiert. Diesem vieldiskutierten und populären Zeugnis des kulturellen Verfalls Europas im nächsten Beitrag gleich noch ein unbekannteres aber nicht weniger bemerkenswerteres Beispiel.

Beleg für den gleichzeitigen kulturellen Aufstieg Europas sind die zahlreichen neueren politischen liberalen Bewegungen. Von lokal tätigen wie Wiosna (Frühling) in Polen oder Momentum in Ungarn bis zu den europaweit wirksamen Bewegungen Volt oder Pulse of Europe. Liberalität und Offenheit sind die grundsätzlichen Prinzipien. Das ist der Bezug zur europäischen Renaissance vor dem Beginn der Hegemonialkonflikte wie dem 30-jährigen Krieg.

Andere (Gegen-)Beispiele?

[schokoschendrezki]

Joseph Haydn ist neben Beethoven und Mozart bekanntlich einer der drei "Wiener Klassiker" und damit einer der herausragendsten Vertreter europäischer Kultur. Den größten Teil seines Lebens und seiner Schaffenszeit verbrachte er auf dem Landsitz der ungarischen Familie Esterházy im heutigen ungarischen Fertőd, ganz im Nordwesten des Landes. Die Schlossanlage, in den letzten 5 bis 10 Jahren umfangreich renoviert, wird wirklich nicht umsonst "ungarisches Versailles" genannt. Der Eindruck, zumal im umgebenden ziemlich ländlichen Umfeld, ist einfach überwältigend. Und natürlich fehlt auch eine geschmackvoll minimalistisch gestaltete Haydn-Statue vor dem sogenannten Marionettentheater nicht. Bis vor kurzem gab es hochrangige Sommerschulen für Instrumentalvirtuosen, die dann auch im Schloss öffentliche Kammermusikkonzerte veranstalteten. Damit ist zwar nicht ganz und komplett Schluss ... aber im Zuge einer gezielten Magyarisierung, Verungarischung der Orbánschen Kulturpolitik wird alles Nichtnationale in den Hintergrund gedrängt. Dass die Esterházy-Familie erzkatholische Habsburg-Anhänger waren und in ihren Verließen ungarische Freiheitskämpfer einkerkerten, steht noch mal auf einem anderen Blatt. Man bekommt heute, bei einer Schlossführung nicht einmal mehr offiziell etwas über Haydn zu hören. (Wohl aber etwas verschlüsselt von den jungen Leuten, die die Führungen machen), dass diese Enthaydnerisierung wirklich und tatsächlich Teil einer staatlich durchgedrückten KUlturpolitik ist.

Noch um einiges brisanter ist der "stille Kulturkampf" um das Erbe des Literatur-Nobelpreisträgers von 2002 Imre Kertész. Der ungarische Autor jüdischer Abstammung hat mit dem "Roman eines Schicksallosen" eine der maßgeblichsten Auschwitz-Erinnerungs-Aufarbeitungen geschrieben, emigrierte schließlich
Anfang der Nuller nach Berlin und starb 2016. Diesen Kulturkampf um das Kertész-Erbe zwischen Berlin und Budapest darf man sich als wirklich ziemlich ernst vorstellen. Es ist eigentlich Teil eines Kampfs zwischen liberalem europäischen Kosmpolitismus auf der einen und einer neuen Begeisterung und auch politischen Instrumentalisierung von Nationalkultur auf der anderen Seite.

[schokoschendrezki]

Der Literaturnobelpreis: 2017 untergegangen in einem Intrigenspiel innerhalb der schwedischen Akademie aus Geld, Sex, Insiderwissenhandel und Lügen. Wie in der soundsovielten Staffel irgendeiner blöden TV-Serie. 2019 wundersamerweise wieder auferstanden. Im Herbst wird sowohl der neue als auch der verpasste 2018er-LNP-Träger verkündet. Diesmal mit dabei: Rebecka Kärde, eine 27jährige Studentin, die seit vier Jahren in Berlin-Neukölln lebt. Der Abstieg steht für eine "ehrwürdige" nationale Institution, der (hoffentlich mögliche) Wiederaufstieg für eine junge kosmopolitische Generation.

[Selina]

(31 May 2019, 11:45)

Der Literaturnobelpreis: 2017 untergegangen in einem Intrigenspiel innerhalb der schwedischen Akademie aus Geld, Sex, Insiderwissenhandel und Lügen. Wie in der soundsovielten Staffel irgendeiner blöden TV-Serie. 2019 wundersamerweise wieder auferstanden. Im Herbst wird sowohl der neue als auch der verpasste 2018er-LNP-Träger verkündet. Diesmal mit dabei: Rebecka Kärde, eine 27jährige Studentin, die seit vier Jahren in Berlin-Neukölln lebt. Der Abstieg steht für eine "ehrwürdige" nationale Institution, der (hoffentlich mögliche) Wiederaufstieg für eine junge kosmopolitische Generation.

Sorry, darf ich mal fragen, was in diesem Thread deine Grundthese ist und was du hier gerne diskutieren möchtest? Dass zunehmender Nationalismus und verstärkte Internationalisierung Prozesse sind, die parallel ablaufen, so widersprüchlich sie auch sind? Das sind wieder alles sehr interessante spannende Fakten in deinen Beiträgen, wie immer, ich verstehe jetzt nur nicht, was die Diskussions-These oder -Frage sein soll.

[schokoschendrezki]

(31 May 2019, 11:53)

Sorry, darf ich mal fragen, was in diesem Thread deine Grundthese ist und was du hier gerne diskutieren möchtest? Dass zunehmender Nationalismus und verstärkte Internationalisierung Prozesse sind, die parallel ablaufen, so widersprüchlich sie auch sind? Das sind wieder alles sehr interessante spannende Fakten in deinen Beiträgen, wie immer, ich verstehe jetzt nur nicht, was die Diskussions-These oder -Frage sein soll.

Die These ist, dass beide Prozesse parallel stattfinden und die Frage steht nach ähnlichen oder ganz anderen Eindrücken.