tarkomed hat geschrieben:(14 May 2021, 11:49)
Obwohl ich Tatort, Kochsendungen, Spielshows u. ä. mehr meide, sehe ich diese Präferenzen als meine persönlichen an und will sie nicht anderen aufzwingen. Allein in meiner Familie unterscheiden sich die Präferenzen, denn meine Kinder wollten und wollen heute noch ganz andere Sendungen anschauen als ich und meine Frau. Was ich damit sagen will: das Programm des ÖRR soll möglichst alle Bevölkerungsschichten und –gruppen erreichen können, denn reine Information tut sich kaum ein Zuschauer an. Es gibt schließlich auch Spartensender wie Phönix, die das anbieten, aber der Zuschauerkreis ist begrenzt.
Fußball interessiert mich auch kaum, aber ich weiß, dass ich damit eine Minderheit repräsentiere und nachdem der ÖRR kaum noch Fußballspiele in voller Länge sendet, flüchten die Fußballfans zu den Bezahlsendern.
Na, hier stimme ich Dir 100% zu. Jeder hat andere Vorlieben in dem,
was er oder sie gerne sieht. Und ein jeder soll das auch ausleben
können.
tarkomed hat geschrieben:(14 May 2021, 11:49)
Wenn der ÖRR keine – auch aus meiner Sicht seichte – Unterhaltung anbietet, dann flüchten die Zuschauer zu den Privaten und lassen sich dabei mit niveaulosen Werbeblöcken berieseln. Die Privatsender bedienen den Bedarf ihrer Zuschauer, denn sie sind profitorientiert und wenn reißerische Meldungen bei ihren Zuschauern gut ankommen, dann werden sie gesendet auf Kosten der Informationsvielfalt. Ist also der Zuschauer erst mal bei einem Privatsender gelandet, dann bleibt er auch dort, wenn es um Informationssendungen geht.
Ich glaube nicht, dass der Zuschauer dann nur zu den Privaten
flüchtet und dort bleibt.
Der Grund ist: Bei den heutigen Sehgewohnheiten wird so oder
so ganz viel selektiv geguckt und gezappt. Der junge Zuschauer
heute sieht sich vieles bei Youtube im Internet an - und wenn er
mal TV sieht, dann gezielt - mal bei diesem Sender und mal
bei jenem Sender.
Die "Sendertreue", die Du hier voraussetzt, gibt es heute nicht
mehr - oder wenn, dann nur bei wirklich ältlichen Senioren.
Bei den heutigen Medienkonsumenten gibt es diese "Sender-
treue" kaum und deshalb zieht dieses Argument, "dass die Zuschauer
flüchten würden" nicht. Wenn sie Fußball sehen wollen,
wählen Sie einen Sender, der gerade Fußball sendet. Ob dies
der ÖRR ist oder ein Privater Sender, das ist dann egal.
Wenn sie einen Krimi sehen wollen, wählen Sie einen Sender,
der gerade einen "guten" Krimi sendet. Ob dies
der ÖRR ist oder ein Privater Sender, das ist dann egal.
Und wenn sie eine politische Talkrunde sehen wollen, dann
wählen Sie einen Sender, der gerade eine aktulle Talkrunde sendet.
Und das ist dann meistens - nicht immer - ein ÖRR-Sender.
Der heutige Mensch springt sowieso - je nach Bedarf - mal hier
oder mal dorthin. "Sendertreue" ist ihm unbekannt.
tarkomed hat geschrieben:(14 May 2021, 11:49)
Es kommt dann auch darauf an, welche Interessengruppen diese Sender kontrollieren, siehe Fox News in den USA oder bis vor einigen Jahren Berlusconis Sender in Italien. Du weißt wie oft Berlusconi zum Regierungschef gewählt wurde und wessen Interessen er dabei vertreten hat.
Das ist in der Tat ein Problem.
Aber ich würde dieses Problem gerne in einen größeren Zusammenhang stellen:
Dieses Problem der "reißerisch populistischen Thesen" und der Fake-Nachrichten
haben wir nicht nur bei "unsoliden Sendern" (Fox, Berlusconi), sondern generell
im Internet auf sozialen Plattformen.
D.h. diese Baustelle müsste allgemeiner - für Sender, soziale Plattformen und
Foren - geregelt werden. Es ist nicht damit getan, möglichst viel öffentliche
Kommunikation via ÖRR laufen zu lassen. Das geht schlicht nicht.
Konkret hieße das: Wir brauchen auch für Private Sender einen Ethos und
eine gewisse Kontrolle, die reißerische Parolen und Fakes unterbindet.
tarkomed hat geschrieben:(14 May 2021, 11:49)
Somit kommen wir zum Punk steuerfinanzierter ÖRR. Diese Forderung kommt auch in anderen europäischen Ländern meistens von den Rechtspopulisten. In Österreich hätte es beispielsweise die FPÖ gemeinsam die der ÖVP beinahe geschafft, wenn die Koalition nicht vorher zerbrochen wäre. Bei einem steuerfinanzierten ÖRR ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Regierungen die Steuern kontrollieren und somit bestimmen können, wofür sie ausgegeben werden, d. h. sie haben dann die gleiche Macht über den ÖRR wie heute die Interessengruppen über die Privatsender. Die Unabhängigkeit des ÖRR wäre daher gefährdet und dass das keine aus der Luft gegriffene Begründung ist, beweist die aktuelle Situation in Ungarn.
Was das bei uns bedeuten würde, haben wir auch ansatzweise gesehen, als die CDU in Sachsen-Anhalt, aus Angst Wähler an die AfD zu verlieren, die Erhöhung des Rundfunkbeitrags vorerst verhindert hat. Man sieht also, wie bestimmte Regierungskonstellationen schon jetzt Einfluss auf die Finanzierung des ÖRR nehmen können. Jetzt kann noch das Bundesverfassungsgericht eingreifen, aber über die Verwendung der Steuern durch eine Bundesregierung nicht mehr.
Die Judikative ist eine der drei Staatsgewalten per Grundgesetz. Der ÖRR gehört nicht dazu.
In der Tat liegt hier eine große Gefahr. Ich sehe durchaus mit großer
Besorgnis die Vorgänge in Polen, Ungarn und anderen Staaten, Einfluss auf
öffentliche Sender zu bekommen, um hier "meinungsbildend" einzugreifen.
Und ein Solches darf auf gar keinen Fall zugelassen werden.
Der Vorgang in Sachsen-Anhalt hat aber z.B. gezeigt, dass selbst in
unserem "Haushaltspauschalen"-System über die Länder Einfluss möglich
ist. Aber auch über die Zusammensetzung der KEF wäre zu reden.
Was ich meine: Wenn die Pressefreiheit die vierte Säule der Demokratie
ist, dann sollten wir das auch so im Grundgesetz realisieren. D.h. der ÖRR
wird in Umfang und Budget (mit Inflationsausgleich) verfassungsrechtlich
definiert. In diesem Fall wäre ein Übergreifen der Politik - direkt oder
indirekt - kaum mehr möglich.