weiterlesen...Das türkische Verfassungsgericht hat ein Verbot der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) abgelehnt. Allerdings entzog es der islamisch orientierten Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die finanzielle Unterstützung des Staates – und sprach dabei eine ernste Warnung aus.
Mit einer handfesten Überraschung wartete das türkische Verfassungsgericht auf: Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Premier Recep Tayyip Erdogan wird nicht verboten. Schneller und vor allem vollkommen anders als erwartet urteilten die elf Richter und verhängten statt Parteiverbot und Untersagung parteipolitischer Tätigkeiten der AKP-Spitzenfunktionäre lediglich finanzielle Sanktionen: Die staatlichen Finanzhilfen für die seit fast sechs Jahren regierende AKP sollen um die Hälfte gekürzt werden. Zwar votierten sechs gegen fünf Richter für ein Verbot, doch das erforderliche Quorum liegt bei solch schwer wiegenden Entscheidungen bei sieben Stimmen.
Gerichtspräsident Kilic nannte das Urteil eine „ernste Warnung“ an die Adresse der Partei. „Ich hoffe, dass dieses Ergebnis sehr genau analysiert und bewertet wird. Die betroffene Partei sollte die Botschaft ernst nehmen. Am Ende bedeutet dies eine Warnung“, sagte er. Die Staatsanwaltschaft hatte der AKP in dem vor viereinhalb Monaten angestrengten Verbotsverfahren vorgeworfen, eine Islamisierung des Landes zu betreiben.
Die Staatsanwaltschaft hatte der seit 2002 regierenden und von Wahl zu Wahl stärker werdenden Partei zur Last gelegt, eine Islamisierung des Landes zu betreiben und damit gegen den Verfassungsgrundsatz und die kemalistische Tradition der Trennung von Staat und Religion zu verstoßen. Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya warf der Partei Erdogans vor, sie wolle in der Türkei das islamische Recht einführen, das sich an archaischen Rechtsgrundsätzen der Scharia orientiere. Er berief sich vor allem auf Äußerungen Erdogans, die ihn auf eine versteckte Agenda hin zu einer Islamisierung des politisch-gesellschaftlichen Systems schließen ließen.
Der Regierungschef hatte zudem gefordert, das Kopftuch als religiöses und politisches Symbol in den Hochschulen zuzulassen. Im Februar 2008 hatte das Parlament auf Initiative der AKP per Verfassungsänderung eine Freigabe des Kopftuches für Studentinnen durchgesetzt. Die Änderung wurde vier Monate später vom Verfassungsgericht kassiert. Damit sind Frauen, die Kopftücher tragen, weiterhin von einem Hochschulstudium ausgeschlossen.
Doch der Streit darüber provozierte die erbitterte Gegenwehr der bürgerlich-säkularen städtischen Eliten ebenso wie die der Hüter des kemalistischen Erbes: Militär und Justiz. Von einem „juristischen Putsch“ sprachen bereits viele, sollten die Richter das Parteiverbot bestätigen. Die türkische Zeitung „Hürriyet“ hatte allerdings bereits im Vorfeld der Entscheidung berichtet, die obersten Richter hätten einige Beweismittel der Staatsanwaltschaft als unzulässig verworfen.
Ist das das Ende des internen Machtkampfes oder wird er erst enden, wenn auch im Gericht die Mehrheit der Kemalisten gebrochen ist? Welche Möglichkeiten bleiben den AKP-Gegnern überhaupt noch?
Wie seht ihr die Chancen der AKP nach all diesem Theater nochmal ein ähnliches Ergebnis wie bei den letzten Wahlen zu erzielen?