BlueMonday hat geschrieben:(22 Jul 2018, 13:00)
"Der Entheiliger spannt seine Kraft gegen jede Gottesfurcht, denn Gottesfurcht würde ihn in allem bestimmen, was er als heilig bestehen ließe. Ob am Gottmenschen der Gott oder der Mensch die heiligende Macht übe, ob also etwas um Gottes oder um des Menschen (der Humanität) willen heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da der Mensch so gut als »höchstes Wesen« verehrt wird, als auf dem speziell religiösen Standpunkte der Gott als » höchstes Wesen« unsere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns imponieren.
Die eigentliche Gottesfurcht hat längst eine Erschütterung erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter »Atheismus«, äußerlich an einer weit verbreiteten »Unkirchlichkeit« erkennbar, ist unwillkürlich Ton geworden. Allein, was dem Gott genommen wurde, ist dem Menschen zugesetzt worden, und die Macht der Humanität vergrößerte sich in eben dem Grade, als die der Frömmigkeit an Gewicht verlor: »der Mensch« ist der heutige Gott, und Menschenfurcht an die Stelle der alten Gottesfurcht getreten.
Weil aber der Mensch nur ein anderes höchstes Wesen vorstellt, so ist in der Tat am höchsten Wesen nichts als eine Metamorphose vor sich gegangen und die Menschenfurcht bloß eine veränderte Gestalt der Gottesfurcht.
Unsere Atheisten sind fromme Leute." -- Max Stirner
"In den Begriffen von Kraft und Materie sehen wir denselben Dualismus wiederkehren, der sich in den Vorstellungen von Gott und der Welt, von Seele und Leib hervordrängt. Es ist, nur verfeinert, dasselbe Bedürfnis, welches einst die Menschen trieb, Busch und Quell, Fels, Luft und mehr mit den Geschöpfen ihrer Einbildungskraft zu bevölkern. Wir sind nicht imstande, die Atome zu begreifen, und vermögen nicht aus den Atomen und ihrer Bewegung auch nur die geringste Erscheinung des Bewußtseins zu erklären. Man mag den Begriff der Materie drehen und wenden, wie man will, immer stößt man auf ein letztes Unbegreifliches, wo nicht gar auf etwas schlechthin Widersinniges, wie bei der Annahme von Kräften, die durch den leeren Raum in die Ferne wirken. Es bleibt keine Hoffnung, dieses Problem jemals aufzulösen, das Hindernis ist ein transzendentes." 4)
F.A. LANGE, Geschichte des Materialismus Bd.2, Ffm 1974, Seite 596
So gesehen ist eine wertvolle "Religionskritik" nicht jene, die sich mit bewusst zelebrierter Religion auseinandersetzt (da ist ja nun weitgehend bekannt und durchleuchtet und eben bewusst, womit man es zu tun hat), sondern gerade den unbewussten, verborgenen, tief sitzenden Aberglauben gilt es an die Oberfläche zu bringen. Jener, der seine Religion bewusst als Religion praktiziert, ist da den unbewusst "frommen Leuten" schon einen entscheidenen Schritt voraus.