neoliberal oder neosozial

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lili
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neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Hallo ihr Lieben,

ich habe mal auf einer Seite gelesen, dass die Agenda 2010 eher neosozial wäre. Der Begriff neoliberal wäre somit nicht richtig. Als Begründung wurde geliefert, dass es um kollektive Interessen geht. Der Hilfesuchende muss für die Allgemeinheit etwas tun bzw. zurückgeben. Der neoliberale würde wahrscheinlich ihm ein wenig Sozialleistungen geben und ihn dann in Ruhe lassen. So nach dem Motto: Er muss zusehen wie er damit klar kommt.


Was sagt ihr dazu?
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zollagent
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 12:25)

Hallo ihr Lieben,

ich habe mal auf einer Seite gelesen, dass die Agenda 2010 eher neosozial wäre. Der Begriff neoliberal wäre somit nicht richtig. Als Begründung wurde geliefert, dass es um kollektive Interessen geht. Der Hilfesuchende muss für die Allgemeinheit etwas tun bzw. zurückgeben. Der neoliberale würde wahrscheinlich ihm ein wenig Sozialleistungen geben und ihn dann in Ruhe lassen. So nach dem Motto: Er muss zusehen wie er damit klar kommt.


Was sagt ihr dazu?
Zunächst mal stellt die Agenda 2010 auf die Bedürfnisse des Hilfebedürftigen ab, nicht auf das, was er zurückgeben könnte. Deshalb wäre wohl die von dir als neoliberal bezeichnete Definition eher zutreffend. Wobei ein echter Neoliberaler solche Hilfeleistungen gar nicht geben würde. Hier zeigt sich, wie sinnverzerrend manche Begriffe verwendet werden.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Naja doch...Er muss sich für die Jobs bewerben, die der Staat ihm vorschreibt. Die Maßnahmen zur Arbeitsgliederung müssen auch besucht werden. Dadurch gibt er ja dem Kollektiven etwas zurück.

Der neoliberale muss sich aber ans Grundgesetz halten. Deshalb würden sie eher weniger Sozialleistungen geben.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 13:16)

Naja doch...Er muss sich für die Jobs bewerben, die der Staat ihm vorschreibt. Die Maßnahmen zur Arbeitsgliederung müssen auch besucht werden. Dadurch gibt er ja dem Kollektiven etwas zurück.

Der neoliberale muss sich aber ans Grundgesetz halten. Deshalb würden sie eher weniger Sozialleistungen geben.
Der Staat schreibt nichts vor. Es gilt immer noch, daß der Vertragsabschluß zwischen Bewerber und Arbeitgeber stattfindet. Da hat der Staat wenig mitzubestimmen. Er kann darauf verweisen, daß (und das ist das Zauberwort, das gerne außen vor gelassen wird) sich auf ZUMUTBARE Stellen auch beworben wird. Da greift dann das Interesse der Gesellschaft, niemanden, der selbst zu seinem Unterhalt beitragen könnte, schrankenlos zu subventionieren.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 13:19)

Der Staat schreibt nichts vor. Es gilt immer noch, daß der Vertragsabschluß zwischen Bewerber und Arbeitgeber stattfindet. Da hat der Staat wenig mitzubestimmen. Er kann darauf verweisen, daß (und das ist das Zauberwort, das gerne außen vor gelassen wird) sich auf ZUMUTBARE Stellen auch beworben wird. Da greift dann das Interesse der Gesellschaft, niemanden, der selbst zu seinem Unterhalt beitragen könnte, schrankenlos zu subventionieren.
Wenn er aber ablehnt, dann wird er sanktioniert. Außerdem muss er an diverse Maßnahmen teilnehmen. Die liberale Position pocht auf Eigenverantwortung und da passt die erzieherische Maßnahme des Staates nicht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 13:22)

Wenn er aber ablehnt, dann wird er sanktioniert. Außerdem muss er an diverse Maßnahmen teilnehmen. Die liberale Position pocht auf Eigenverantwortung und da passt die erzieherische Maßnahme des Staates nicht.
Das ist die natürliche Folge der Weigerung. Wenn es zumutbar ist, selbst was zur Versorgung beizutragen, hat das auch wahrgenommen zu werden. Die Unterstützung der Gesellschaft gilt für diejenigen, die nicht KÖNNEN, nicht für die, die nicht WOLLEN.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Misterfritz »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 13:33)

Das ist die natürliche Folge der Weigerung. Wenn es zumutbar ist, selbst was zur Versorgung beizutragen, hat das auch wahrgenommen zu werden. Die Unterstützung der Gesellschaft gilt für diejenigen, die nicht KÖNNEN, nicht für die, die nicht WOLLEN.
Oh jeee,
muss das schon wieder durchgekaut werden?

Kann in den bestehenden Hartz-IV-Thread integriert werden!
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 13:33)

Das ist die natürliche Folge der Weigerung. Wenn es zumutbar ist, selbst was zur Versorgung beizutragen, hat das auch wahrgenommen zu werden. Die Unterstützung der Gesellschaft gilt für diejenigen, die nicht KÖNNEN, nicht für die, die nicht WOLLEN.

Dennoch geht es um die kollektive Befriedigung der Gesellschaft (Staat) und nicht der individuellen Entwicklung.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 13:43)

Dennoch geht es um die kollektive Befriedigung der Gesellschaft (Staat) und nicht der individuellen Entwicklung.
Ersteres ist durchaus mit Zweiterem vereinbar.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:13)

Ersteres ist durchaus mit Zweiterem vereinbar.
Ne die individuellen Bedürfnisse werden dort für die Allgemeinheit unterdrückt.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:19)

Ne die individuellen Bedürfnisse werden dort für die Allgemeinheit unterdrückt.
Tja, Unterdrückung sieht denn doch ein bißchen anders aus. Du solltest dich mal vom Diktaturvokabular lösen.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:22)

Tja, Unterdrückung sieht denn doch ein bißchen anders aus. Du solltest dich mal vom Diktaturvokabular lösen.

Na finde ich nicht wenn man mit der Sanktionskeule droht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 12:25)

Hallo ihr Lieben,

ich habe mal auf einer Seite gelesen, dass die Agenda 2010 eher neosozial wäre. Der Begriff neoliberal wäre somit nicht richtig. Als Begründung wurde geliefert, dass es um kollektive Interessen geht. Der Hilfesuchende muss für die Allgemeinheit etwas tun bzw. zurückgeben. Der neoliberale würde wahrscheinlich ihm ein wenig Sozialleistungen geben und ihn dann in Ruhe lassen. So nach dem Motto: Er muss zusehen wie er damit klar kommt.


Was sagt ihr dazu?
Die Agenda 2010 war und ist unsozial und neoliberal. Mit ihr hat Schröder auf den Spuren von Blair und Thatcher quasi den Sozialstaat dezimiert und verunstaltet, so dass er kaum noch erkennbar ist. Mit Hartz vier wurde ein unsoziales demütigendes System eingeführt, das den Arbeitslosen zum Bittsteller beim Staat macht, der sich seine Mini-"Stütze" erst noch "verdienen" muss. Außerdem wurde damit absichtlich ein Riesensektor an prekärer Arbeit (Minijobs, Leiharbeit, ungewollte Teilzeit, massenhaft schlecht bezahlte befristete Jobs) geschaffen, so dass es auch in Deutschland zum - in anderen Teilen der Welt schon lange bekannten - "working poor" kam: Sehr viele Menschen sind arm trotz Arbeit. Tausende müssen deshalb aufstocken und sind trotz Arbeit gezwungen, sich den entwürdigenden Maßnahmen und Kontrollmechanismen der Jobcenter zu unterwerfen. Damit hat der Sozialdemokrat Schröder mit seinen Leuten dafür gesorgt, dass sich die neoliberale Politik in Europa weiter durchsetzen konnte und sich die SPD "entsozialdemokratisiert" hat. Die Folge: Tausende und Abertausende enttäuschte SPD-Mitglieder traten aus der Partei aus. Der Zerfall der deutschen Sozialdemokratie begann. Von diesem Tiefpunkt hat sich die Partei bis heute nicht erholt.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:34)

Die Agenda 2010 war und ist unsozial und neoliberal. Mit ihr hat Schröder auf den Spuren von Blair und Thatcher quasi den Sozialstaat dezimiert und verunstaltet, so dass er kaum noch erkennbar ist. Mit Hartz vier wurde ein unsoziales demütigendes System eingeführt, das den Arbeitslosen zum Bittsteller beim Staat macht, der sich seine Mini-"Stütze" erst noch "verdienen" muss. Außerdem wurde damit absichtlich ein Riesensektor an prekärer Arbeit (Minijobs, Leiharbeit, ungewollte Teilzeit, massenhaft schlecht bezahlte befristete Jobs) geschaffen, so dass es auch in Deutschland zum - in anderen Teilen der Welt schon lange bekannten - "working poor" kam: Die Menschen sind arm trotz Arbeit. Tausende müssen deshalb aufstocken und sind trotz Arbeit gezwungen, sich den entwürdigenden Maßnahmen und Kontrollmechanismen der Jobcenter zu unterwerfen. Damit hat der Sozialdemokrat Schröder mit seinen Leuten dafür gesorgt, dass sich die neoliberale Politik in Europa weiter durchsetzen konnte und sich die SPD "entsozialdemokratisiert" hat. Die Folge: Tausende und Abertausende enttäuschte SPD-Mitglieder traten aus der Partei aus. Der Zerfall der deutschen Sozialdemokratie begann. Von diesem Tiefpunkt hat sich die Partei bis heute nicht erholt.

Ich gebe dir vollkommen recht. Die Frage die ich mir nur gestellt habe ob der Begriff dazu passt. Gerade die entwürdigenden Maßnahmen haben mit dem Liberalismus nichts zu tun. Selbst wenn jemand nur die negativen Freiheitsbegriffe befürwortet muss einsehen dass sie nicht verteidigt werden.
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Selina
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:40)

Ich gebe dir vollkommen recht. Die Frage die ich mir nur gestellt habe ob der Begriff dazu passt. Gerade die entwürdigenden Maßnahmen haben mit dem Liberalismus nichts zu tun. Selbst wenn jemand nur die negativen Freiheitsbegriffe befürwortet muss einsehen dass sie nicht verteidigt werden.
Stimmt, der Begriff "neoliberal" ist etwas verwaschen, weil "liberal" ja erst mal nix Schlechtes ist. Aber "neosozial" finde ich genauso merkwürdig, weil der Begriff verwischt, dass es eigentlich nichts Soziales ist, was da geschaffen wurde mit der Agenda 2010, weder alt noch "neo" ;)
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:44)

Stimmt, der Begriff "neoliberal" ist etwas verwaschen, weil "liberal" ja erst mal nix Schlechtes ist. Aber "neosozial" finde ich genauso merkwürdig, weil der Begriff verwischt, dass es eigentlich nichts Soziales ist, was da geschaffen wurde mit der Agenda 2010, weder alt noch "neo" ;)
Ja jetzt wo du das sagst. Obwohl ich dieses neosozial auch nicht als sozial betrachtet habe. Die Agenda 2010 ist extrem unsozial.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von BlueMonday »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:34)

Die Agenda 2010 war und ist unsozial und neoliberal. Mit ihr hat Schröder auf den Spuren von Blair und Thatcher quasi den Sozialstaat dezimiert und verunstaltet, so dass er kaum noch erkennbar ist. Mit Hartz vier wurde ein unsoziales demütigendes System eingeführt, das den Arbeitslosen zum Bittsteller beim Staat macht, der sich seine Mini-"Stütze" erst noch "verdienen" muss. Außerdem wurde damit absichtlich ein Riesensektor an prekärer Arbeit (Minijobs, Leiharbeit, ungewollte Teilzeit, massenhaft schlecht bezahlte befristete Jobs) geschaffen, so dass es auch in Deutschland zum - in anderen Teilen der Welt schon lange bekannten - "working poor" kam: Sehr viele Menschen sind arm trotz Arbeit. Tausende müssen deshalb aufstocken und sind trotz Arbeit gezwungen, sich den entwürdigenden Maßnahmen und Kontrollmechanismen der Jobcenter zu unterwerfen. Damit hat der Sozialdemokrat Schröder mit seinen Leuten dafür gesorgt, dass sich die neoliberale Politik in Europa weiter durchsetzen konnte und sich die SPD "entsozialdemokratisiert" hat. Die Folge: Tausende und Abertausende enttäuschte SPD-Mitglieder traten aus der Partei aus. Der Zerfall der deutschen Sozialdemokratie begann. Von diesem Tiefpunkt hat sich die Partei bis heute nicht erholt.
Damals vor "Hartz IV" mal auf einem "Sozialamt" gewesen? Offenbar nicht. Die Dinger waren direkt der Kommune untergeordnet, die den "Spaß" finazieren durfte, aber wenig Lust dazu hatten, da damals schon meist klamm. Da saßen dann irgendwelche arbeitsmarktfernen Tanten drin, die selber noch nie richtig gearbeitet haben. Die haben aber freichlich auch gefordert. Vermögen/Einkommen wurde genauso durchleuchtet für die Bedürftigkeitsprüfung. Und es gab auch Sanktionen bzw. gar keine "Stütze", wenn man sich nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat. Das ging schneller als man gucken konnte.

Wo kommt diese Verklärung der Situation vor "Hartz 4" her?
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

BlueMonday hat geschrieben:(01 Jul 2018, 15:00)

Damals vor "Hartz IV" mal auf einem "Sozialamt" gewesen? Offenbar nicht. Die Dinger waren direkt der Kommune untergeordnet, die den "Spaß" finazieren durfte, aber wenig Lust dazu hatten, da damals schon meist klamm. Da saßen dann irgendwelche arbeitsmarktfernen Tanten drin, die selber noch nie richtig gearbeitet haben. Die haben aber freichlich auch gefordert. Vermögen/Einkommen wurde genauso durchleuchtet für die Bedürftigkeitsprüfung. Und es gab auch Sanktionen bzw. gar keine "Stütze", wenn man sich nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat. Das ging schneller als man gucken konnte.

Wo kommt diese Verklärung der Situation vor "Hartz 4" her?
Wer sagt dass es davor liberal war? Es ist mit Hartz 4 nur noch schlimmer. Gerade mit dem Umgang der Daten ist es aktuell auch ziemlich schlimm.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

BlueMonday hat geschrieben:(01 Jul 2018, 15:00)

Damals vor "Hartz IV" mal auf einem "Sozialamt" gewesen? Offenbar nicht. Die Dinger waren direkt der Kommune untergeordnet, die den "Spaß" finazieren durfte, aber wenig Lust dazu hatten, da damals schon meist klamm. Da saßen dann irgendwelche arbeitsmarktfernen Tanten drin, die selber noch nie richtig gearbeitet haben. Die haben aber freichlich auch gefordert. Vermögen/Einkommen wurde genauso durchleuchtet für die Bedürftigkeitsprüfung. Und es gab auch Sanktionen bzw. gar keine "Stütze", wenn man sich nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat. Das ging schneller als man gucken konnte.

Wo kommt diese Verklärung der Situation vor "Hartz 4" her?
Die Sozialhilfeempfänger von damals sind aber eine Minderheit, die mit Hartz vier plötzlich in ein und demselben System zusammen mit den Arbeitslosen mit abgespeist worden sind. Mir geht es um die übergroße Mehrheit der schuldlos arbeitslos gewordenen Leute. Für die war das alte System unter Kohl weitaus sozialer. Da musste sich niemand finanziell bis aufs Hemd ausziehen, bevor er "Stütze" erhalten konnte. Hartz vier war ein enormer Rückfall ... in die Steinzeit. Heute hat sich die Gesellschaft weitestgehend dran gewöhnt. Hängt auch mit der Ideologie und Doppelmoral zusammen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich irgendwie normal und gottgewollt sei und dass jeder angeblich selbst "seines Glückes Schmied" sei. Mit den Verhältnissen habe das nix zu tun, sagen diesen Leute. Neoliberaler Zeitgeist halt.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Alter Stubentiger »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 15:11)

Die Sozialhilfeempfänger von damals sind aber eine Minderheit, die mit Hartz vier plötzlich in ein und demselben System zusammen mit den Arbeitslosen mit abgespeist worden sind. Mir geht es um die übergroße Mehrheit der schuldlos arbeitslos gewordenen Leute. Für die war das alte System unter Kohl weitaus sozialer. Da musste sich niemand finanziell bis aufs Hemd ausziehen, bevor er "Stütze" erhalten konnte. Hartz vier war ein enormer Rückfall ... in die Steinzeit. Heute hat sich die Gesellschaft weitestgehend dran gewöhnt. Hängt auch mit der Ideologie und Doppelmoral zusammen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich irgendwie normal und gottgewollt sei und dass jeder angeblich selbst "seines Glückes Schmied" sei. Mit den Verhältnissen habe das nix zu tun, sagen diesen Leute. Neoliberaler Zeitgeist halt.
Unfug. Sozialhilfe gab es "einfach so". Du mußtest die Bedürftigkeit immer nachweisen. Und Arbeitslosengeld war immer getrennt von der Arbeitslosengeld II. Damals wie heute 2 Töpfe. Nur gab es damals das Arbeitslosengeld viel länger. Aber nicht weil Kohl so sozial war sondern weil das Arbeitslosengeld von den Sozialpartnern aufgebracht werden mußte. Also hat er die Sozialpartner so lange wie möglich zahlen lassen um Steuergeld zu sparen. Die Folge waren aber im Vergleich zum Ausland zu hohe Lohnnebenkosten und damit eine Rekordarbeitslosigkeit. Überhaupt hat die Regierung Kohl alle gesellschaftlichen Aufgaben z.B. auch den Frühruhestand oder die Ostrenten auf die Arbeitskosten abgewälzt.

Also gab es 2 Alternativen. Es bleibt alles so wie es ist wie in Frankreich. Oder man macht mal eine echte Reform wie die Hartz Gesetze um das soziale Sicherungssystem langfristig zu sichern. Das ist natürlich unpopulär. Aber der Vergleich mit Ländern die lieber nix getan haben und immer nur alles haben weiterlaufen lassen spricht für sich. Schau nach Frankreich!
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:27)

Na finde ich nicht wenn man mit der Sanktionskeule droht.
Einfach an die Regeln halten und vom Pampersstaat Abstand nehmen.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 14:40)

Ich gebe dir vollkommen recht. Die Frage die ich mir nur gestellt habe ob der Begriff dazu passt. Gerade die entwürdigenden Maßnahmen haben mit dem Liberalismus nichts zu tun. Selbst wenn jemand nur die negativen Freiheitsbegriffe befürwortet muss einsehen dass sie nicht verteidigt werden.
Wenn man seine Bedürftigkeit nachweisen muß, ist das nicht "entwürdigend". Es dient dem Zweck, Trittbrettfahrer auszusortieren. Daß die Umsetzung dieser Prüfung verbessert werden kann, habe ich an anderer Stelle bereits bekräftigt, aber verzichtbar ist das nicht. Das würde auf ein BGE hinauslaufen und das ist - zumindest jetzt - dem arbeitenden Teil der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Da wäre mir persönlich das Konzept der negativen Einkommenssteuer durchaus sympathischer. Da entfiele der Nachweisapparat und man könnte mit großzügiger Handhabung der eigenen Einkommen auch hier eine Leistung belohnen.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 15:09)

Wer sagt dass es davor liberal war? Es ist mit Hartz 4 nur noch schlimmer. Gerade mit dem Umgang der Daten ist es aktuell auch ziemlich schlimm.
Ich sehe nicht, wo dieses "schlimmer" zu suchen sein sollte.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 15:11)

Die Sozialhilfeempfänger von damals sind aber eine Minderheit, die mit Hartz vier plötzlich in ein und demselben System zusammen mit den Arbeitslosen mit abgespeist worden sind. Mir geht es um die übergroße Mehrheit der schuldlos arbeitslos gewordenen Leute. Für die war das alte System unter Kohl weitaus sozialer. Da musste sich niemand finanziell bis aufs Hemd ausziehen, bevor er "Stütze" erhalten konnte. Hartz vier war ein enormer Rückfall ... in die Steinzeit. Heute hat sich die Gesellschaft weitestgehend dran gewöhnt. Hängt auch mit der Ideologie und Doppelmoral zusammen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich irgendwie normal und gottgewollt sei und dass jeder angeblich selbst "seines Glückes Schmied" sei. Mit den Verhältnissen habe das nix zu tun, sagen diesen Leute. Neoliberaler Zeitgeist halt.
"Schuldlos arbeitslos geworden". Irgendwie ist es in Deutschland offenbar eine Straftat, die Arbeit zu verlieren. Und von dieser Pseudoargumentation kannst offenbar auch du dich nicht lösen. Wie willst du es denn haben? Für jeden arbeitslos Gewordenen eine Verhandlung durchführen, um eine "Schuld" festzustellen? Und beim "alten System" war es durchaus genau so mit der Bedürftigkeitsprüfung. Deine Sozialromantik hat keine Grundlage.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:01)

"Schuldlos arbeitslos geworden". Irgendwie ist es in Deutschland offenbar eine Straftat, die Arbeit zu verlieren. Und von dieser Pseudoargumentation kannst offenbar auch du dich nicht lösen. Wie willst du es denn haben? Für jeden arbeitslos Gewordenen eine Verhandlung durchführen, um eine "Schuld" festzustellen? Und beim "alten System" war es durchaus genau so mit der Bedürftigkeitsprüfung. Deine Sozialromantik hat keine Grundlage.
Nein. Ich bin für Abschaffung von Hartz vier, für die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes für die schwer Vermittelbaren, aber eines Arbeitsmarktes, der auch wirklich funktioniert. Ähnlich, wie es der Berliner OB mal vor hatte, was aber auch schon wieder zerbröselt und nicht umgesetzt wird. Zumindest nicht so, wie er es vor hatte. Nicht diesen Pseudo-"Maßnahmen"-Quatsch. Und später einmal für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und was es dazu zu sagen gibt, habe ich im entsprechenden Strang schon ausführlich getan. Leute, die arbeitslos sind, dürfen niemals in eine Lage kommen, wo man sie bestraft dafür, dass sie arbeitslos sind. Hier im Osten ist es ein immer wieder erzähltes Märchen, die Leute seien faul und strengten sich nicht an, eine ordentliche Arbeit zu finden. Das ist eine Diffamierung dieser Menschen. Denen gehts sowieso schon nicht gut, und dann müssen sie noch dieses Schlechtmachen ertragen. Zusätzlich. Es gibt freie Stellen, ja, aber die sind so unterbezahlt (befristet und nicht sozialversicherungspflichtig), dass die Leute immer wieder aufstocken müssen beim Amt. Schlimmer Kreislauf.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:11)

Nein. Ich bin für Abschaffung von Hartz vier, für die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes für die schwer Vermittelbaren, aber eines Arbeitsmarktes, der auch wirklich funktioniert. Ähnlich, wie es der Berliner OB mal vor hatte, was aber auch schon wieder zerbröselt und nicht umgesetzt wird. Zumindest nicht so, wie er es vor hatte. Nicht diesen Pseudo-"Maßnahmen"-Quatsch. Und später einmal für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und was es dazu zu sagen gibt, habe ich im entsprechenden Strang schon ausführlich getan. Leute, die arbeitslos sind, dürfen niemals in eine Lage kommen, wo man sie bestraft dafür, dass sie arbeitslos sind. Hier im Osten ist es ein immer wieder erzähltes Märchen, die Leute seien faul und strengten sich nicht an, eine ordentliche Arbeit zu finden. Das ist eine Diffamierung dieser Menschen. Denen gehts sowieso schon nicht gut, und dann müssen sie noch dieses Schlechtmachen ertragen. Zusätzlich. Es gibt freie Stellen, ja, aber die sind so unterbezahlt (befristet und nicht sozialversicherungspflichtig), dass die Leute immer wieder aufstocken müssen beim Amt. Schlimmer Kreislauf.
Ein zweiter Arbeitsmarkt ist nichts weiter als Beschäftigungstherapie. Da "funktioniert" nichts, sondern es werden Menschen "geparkt" in einer Pseudobeschäftigung, für die kein Bedarf besteht, die aber jede Menge Geld kostet und die Beschäftigungen für den ersten Arbeitsmarkt wegnimmt.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:11)

Nein. Ich bin für Abschaffung von Hartz vier, für die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes für die schwer Vermittelbaren, aber eines Arbeitsmarktes, der auch wirklich funktioniert. Ähnlich, wie es der Berliner OB mal vor hatte, was aber auch schon wieder zerbröselt und nicht umgesetzt wird. Zumindest nicht so, wie er es vor hatte. Nicht diesen Pseudo-"Maßnahmen"-Quatsch. Und später einmal für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und was es dazu zu sagen gibt, habe ich im entsprechenden Strang schon ausführlich getan. Leute, die arbeitslos sind, dürfen niemals in eine Lage kommen, wo man sie bestraft dafür, dass sie arbeitslos sind. Hier im Osten ist es ein immer wieder erzähltes Märchen, die Leute seien faul und strengten sich nicht an, eine ordentliche Arbeit zu finden. Das ist eine Diffamierung dieser Menschen. Denen gehts sowieso schon nicht gut, und dann müssen sie noch dieses Schlechtmachen ertragen. Zusätzlich. Es gibt freie Stellen, ja, aber die sind so unterbezahlt (befristet und nicht sozialversicherungspflichtig), dass die Leute immer wieder aufstocken müssen beim Amt. Schlimmer Kreislauf.
Die Idee finde ich ziemlich schlecht. Ein BGE wäre besser.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:15)

Ein zweiter Arbeitsmarkt ist nichts weiter als Beschäftigungstherapie. Da "funktioniert" nichts, sondern es werden Menschen "geparkt" in einer Pseudobeschäftigung, für die kein Bedarf besteht, die aber jede Menge Geld kostet und die Beschäftigungen für den ersten Arbeitsmarkt wegnimmt.
So war er mal dieser zweite Arbeitsmarkt. Stimmt. Der, über den heute diskutiert wird, soll besser funktionieren, mit echten sozialversicherungspflichtigen Jobs, wo nicht mehr aufgestockt werden muss... Na gut, so wurde es jedenfalls von SPD-Leuten diskutiert. Obs kommt, ist ungewiss. Trauen kann man denen ja nicht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:16)

Die Idee finde ich ziemlich schlecht. Ein BGE wäre besser.
Schrieb ich ja. Ich zitiere mich mal selbst: "Und später einmal für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und was es dazu zu sagen gibt, habe ich im entsprechenden Strang schon ausführlich getan." Für dieses BGE gibt es etliche Finanzierungs-Modelle, aber keine Mehrheiten. Daher schrieb ich, dass es später vielleicht einmal eine Option sein könnte... Heute noch nicht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:16)

Die Idee finde ich ziemlich schlecht. Ein BGE wäre besser.
Zumindest derzeit noch ist ein BGE völlig illusorisch. Jedes Land, das so was national umsetzen würde, würde für sich eine Rezession programmieren. Denn die dafür aufzubringenden Gelder fallen ja nicht vom Himmel, sondern müssen erarbeitet werden.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

zollagent hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:23)

Zumindest derzeit noch ist ein BGE völlig illusorisch. Jedes Land, das so was national umsetzen würde, würde für sich eine Rezession programmieren. Denn die dafür aufzubringenden Gelder fallen ja nicht vom Himmel, sondern müssen erarbeitet werden.
Dafür entfallen die gesamten jetzigen Sozialkosten ja. Sie gehen dann im BGE auf. Und die Leute, die es beziehen, gehen dennoch weiter arbeiten und zahlen Steuern. Nur: Sie tun es dann freiwillig. Und sie tun es im eigenen und im mit dem AG vereinbarten Rhythmus (Auszeiten für Fortbildung, Kinder, Kuren etc. inklusive). Das wäre arbeitsethisch ein enormer Fortschritt. Die Arbeit würde wieder als "Sinn gebend" empfunden und nicht mehr nur als reiner Existenzsicherer. Aber wie gesagt: Keine Sorge, kommt vorerst sowieso nicht, da keine Mehrheiten in Sicht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:22)

Schrieb ich ja. Ich zitiere mich mal selbst: "Und später einmal für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und was es dazu zu sagen gibt, habe ich im entsprechenden Strang schon ausführlich getan." Für dieses BGE gibt es etliche Finanzierungs-Modelle, aber keine Mehrheiten. Daher schrieb ich, dass es später vielleicht einmal eine Option sein könnte... Heute noch nicht.

Ich finde einen zweiten Arbeitsmarkt dennoch sehr schlecht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:29)

Dafür entfallen die gesamten jetzigen Sozialkosten ja. Sie gehen dann im BGE auf. Und die Leute, die es beziehen, gehen dennoch weiter arbeiten und zahlen Steuern. Nur: Sie tun es dann freiwillig. Und sie tun es im eigenen und im mit dem AG vereinbarten Rhythmus (Auszeiten für Fortbildung, Kinder, Kuren etc. inklusive). Das wäre arbeitsethisch ein enormer Fortschritt. Die Arbeit würde wieder als "Sinn gebend" empfunden und nicht mehr nur als reiner Existenzsicherer. Aber wie gesagt: Keine Sorge, kommt vorerst sowieso nicht, da keine Mehrheiten in Sicht.
Weißt du, für ein BGE müßte auch ein Apparat aufgebaut werden, der seinerseits an seiner eigenen Existenz arbeitet. All die schönen Selbstversprechungen drohen halt, an der schnöden Realität zu scheitern. Arbeit ist nun mal die Voraussetzung für die Existenzsicherung. Traumtänzereien können wir uns erlauben, wenn wir eine automatisierte Wirtschaft haben, die keiner menschlichen Tätigkeit mehr bedarf.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:42)

Ich finde einen zweiten Arbeitsmarkt dennoch sehr schlecht.
Er ist ja auch nur ne Art Notlösung. Aber besser so, als ewig auf dem Abstellgleis. Besser wären natürlich ausreichend Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt, die unbefristet und sozialversichert sind, von denen man ohne Aufstockerei leben kann. Die gibts aber im Osten so gut wie gar nicht. Die paar vorhandenen sind natürlich alle längst vergeben. Und nicht jedermann kann zwei oder gar drei Jobs annehmen. Kräftemäßig.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 19:42)

Er ist ja auch nur ne Art Notlösung. Aber besser so, als ewig auf dem Abstellgleis. Besser wären natürlich Jobs, die unbefristet und sozialversichert sind, von denen man ohne Aufstockerei leben kann. Die gibts aber im Osten so gut wie gar nicht. Die paar vorhandenen sind natürlich alle längst vergeben. Und nicht jedermann kann zwei oder gar drei Jobs annehmen. Kräftemäßig.
Solche Jobs müssen sich aber auch selber tragen. Man muß sich ansehen, wer da eingestellt werden soll und was er denn auch produzieren kann. Vom Drauflegen kann niemand leben.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 19:42)

Er ist ja auch nur ne Art Notlösung. Aber besser so, als ewig auf dem Abstellgleis. Besser wären natürlich ausreichend Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt, die unbefristet und sozialversichert sind, von denen man ohne Aufstockerei leben kann. Die gibts aber im Osten so gut wie gar nicht. Die paar vorhandenen sind natürlich alle längst vergeben. Und nicht jedermann kann zwei oder gar drei Jobs annehmen. Kräftemäßig.

Ich finde das nicht besser. Ich hätte den Langzeitarbeitslosen besser in Ruhe gelassen. Das wäre eine 2. Klassen Gesellschaft und ich halte die Ideologie für gefährlich.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Misterfritz »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 20:39)

Ich finde das nicht besser. Ich hätte den Langzeitarbeitslosen besser in Ruhe gelassen. Das wäre eine 2. Klassen Gesellschaft und ich halte die Ideologie für gefährlich.
Und Du kannst mir sicherlich, abseits von Ideologie, erzählen, warum?
Menschen mussten von je her arbeiten, um zu überleben, auch die Jäger und Sammler früherer Zeiten sind nicht just for fun losgezogen.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Misterfritz hat geschrieben:(01 Jul 2018, 20:42)

Und Du kannst mir sicherlich, abseits von Ideologie, erzählen, warum?
Menschen mussten von je her arbeiten, um zu überleben, auch die Jäger und Sammler früherer Zeiten sind nicht just for fun losgezogen.

Sie haben sicherlich viel schlimmes erlebt und extreme Lücken in ihrem Lebenslauf. Dann kommen sie sowieso im Niedriglohnsektor und sie müssen wieder aufstocken. Wozu das ganze?
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Misterfritz »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 20:44)

Sie haben sicherlich viel schlimmes erlebt und extreme Lücken in ihrem Lebenslauf. Dann kommen sie sowieso im Niedriglohnsektor und sie müssen wieder aufstocken. Wozu das ganze?
Man kann aber von der arbeitenden Bevölkerung keine Solidarität erwarten, wenn man die Leute sich einfach einen schönen Lenz auf Kosten der Gesellschaft machen lässt.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von lili »

Misterfritz hat geschrieben:(01 Jul 2018, 20:47)

Man kann aber von der arbeitenden Bevölkerung keine Solidarität erwarten, wenn man die Leute sich einfach einen schönen Lenz auf Kosten der Gesellschaft machen lässt.
Diese Leute sollen lieber in die seelische Stabilität kommen. Das wäre viel wichtiger. Das hat mit ausruhen nichts zu tun. Sie leben von der Grundsicherung nicht mehr und nicht mehr. Was hast du als Steuerzahler davon, wenn derjenige im Niedriglohnsektor wieder aufstockt?
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Misterfritz »

lili hat geschrieben:(01 Jul 2018, 20:50)

Diese Leute sollen lieber in die seelische Stabilität kommen.
Und dann?
Und noch mal: Wir reden über Leute, die arbeiten KÖNNEN, aber nicht WOLLEN. Diejenigen, die nicht arbeiten können, aus welchen Gründen auch immer, um die geht es doch gar nicht.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(01 Jul 2018, 16:18)

So war er mal dieser zweite Arbeitsmarkt. Stimmt. Der, über den heute diskutiert wird, soll besser funktionieren, mit echten sozialversicherungspflichtigen Jobs, wo nicht mehr aufgestockt werden muss... Na gut, so wurde es jedenfalls von SPD-Leuten diskutiert. Obs kommt, ist ungewiss. Trauen kann man denen ja nicht.
Für mich klingt das wie die Quadratur des Kreises. Wenn es auf diesem Arbeitsmarkt nämlich Jobs, die deinen Vorstellungen genügen, geben sollte, wären das Kandidaten für den ersten Arbeitsmarkt.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

Misterfritz hat geschrieben:(01 Jul 2018, 20:47)

Man kann aber von der arbeitenden Bevölkerung keine Solidarität erwarten, wenn man die Leute sich einfach einen schönen Lenz auf Kosten der Gesellschaft machen lässt.
Keiner, der von Hartz vier lebt, kann sich davon einen "schönen Lenz" machen. Und auch die Aufstocker und Niedriglöhner machen sich keinen Bunten. Deren Leben dreht sich immer nur darum, jeden einzelnen Cent dreimal herumzudrehen. Wie viele Hartz-vier-Bezieher kennst du persönlich?
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von zollagent »

Selina hat geschrieben:(02 Jul 2018, 10:36)

Keiner, der von Hartz vier lebt, kann sich davon einen "schönen Lenz" machen. Und auch die Aufstocker und Niedriglöhner machen sich keinen Bunten. Deren Leben dreht sich immer nur darum, jeden einzelnen Cent dreimal herumzudrehen. Wie viele Hartz-vier-Bezieher kennst du persönlich?
Tja, das ist aber das Bild, das die Menschen so haben. Gerade in kleinen Orten, wie unsere Kreisstadt, wo praktisch jeder jeden kennt, da sehen die, die morgens zur Arbeit fahren, Transferleistungsbezieher von den Parties nach Hause wanken. Die, die zuhause bleiben, sieht man ja nicht, daher ist dieses einseitige Bild das, das bestimmend ist.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Rote_Galaxie »

Misterfritz hat geschrieben:(01 Jul 2018, 21:09)

Und dann?
Und noch mal: Wir reden über Leute, die arbeiten KÖNNEN, aber nicht WOLLEN. Diejenigen, die nicht arbeiten können, aus welchen Gründen auch immer, um die geht es doch gar nicht.
Es gab mal jemanden der hat über das "Recht auf Faulheit" geschrieben...
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Gruwe »

Rote_Galaxie hat geschrieben:(02 Jul 2018, 15:17)

Es gab mal jemanden der hat über das "Recht auf Faulheit" geschrieben...
...das es nicht gibt, solange man von anderen etwas haben möchte!
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Selina »

Rote_Galaxie hat geschrieben:(02 Jul 2018, 15:17)

Es gab mal jemanden der hat über das "Recht auf Faulheit" geschrieben...
Ja, das war der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafargue.

Zitat:

Das Recht auf Faulheit (Im Original: Le droit à la paresse) ist ein literarisches Werk von Paul Lafargue aus dem Jahre 1880 zur Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“ von 1848. Es handelt sich um die bekannteste Schrift Lafargues. Sie erschien zuerst in der Zeitschrift L’Égalité und drei Jahre später als Broschur. Eduard Bernstein übersetzte die Schrift ins Deutsche für die Zeitschrift Sozialdemokrat.

Lafargue kritisiert in seiner Schrift die ideologischen (moralischen), bürgerlichen („Bourgeoisie“) und kapitalistischen Grundlagen des Arbeitsbegriffs seiner Zeit. Dabei kritisiert er auch die Arbeiterbewegung, die von der „seltsamen Sucht“, der „Arbeitssucht“ beherrscht sei. Bei ihm ist die Rede von der „Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht“. Ziel seiner Kritik ist nicht die Forderung eines Grundrechts auf Faulheit, sondern die Abschaffung kapitalistischer Produktionsweisen. Die „kapitalistische Moral“ sei „eine jämmerliche Kopie der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Fluch; ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten auf das geringste Minimum zu drücken, seine Freude und seine Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man pausenlos und gnadenlos Arbeit herausschindet.“


https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Recht_auf_Faulheit
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von sünnerklaas »

Gruwe hat geschrieben:(02 Jul 2018, 16:15)

...das es nicht gibt, solange man von anderen etwas haben möchte!
Nicht falsch verstehen!
Das Recht auf Faulheit bedeutet nicht, dass man nicht arbeiten soll. Es bedeutet viel mehr, dass man seinen Fokus auch auf andere Dinge im Leben richten soll.
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Re: neoliberal oder neosozial

Beitrag von Alter Stubentiger »

Selina hat geschrieben:(02 Jul 2018, 10:36)

Keiner, der von Hartz vier lebt, kann sich davon einen "schönen Lenz" machen. Und auch die Aufstocker und Niedriglöhner machen sich keinen Bunten. Deren Leben dreht sich immer nur darum, jeden einzelnen Cent dreimal herumzudrehen. Wie viele Hartz-vier-Bezieher kennst du persönlich?
Hab einige kennengelernt. Und deren Tricks sich einen schönen Lenz zu machen. Mal durc hSchwarzarbeit, mal auf Kosten der Kinder, mal durch die Hilfe der Tafel oder alles zusammen. Für Smartphone , Bier und Zigaretten war auch irgendwie immer Geld da. Keine Ahnung wie die dass machen.
Niemand hat vor eine Mauer zu errichten (Walter Ulbricht)
...und die Mauer wird noch in 50 oder 100 Jahren stehen (Erich Honecker)
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