Meistens argumentieren ja nur rechte Idioten im Kontext von "Rassen", und ich möchte hiermit mal den Teufels Anwalt spielen und eine sauberere Argumentation liefern, welche den Sinn der Kategorie "Rasse" in einem nicht-absoluten Sinne rechtfertigen könnte (die selbstverständlich keinen Rassismus rechtfertigt). Ich hätte gar nichts dagegen, wenn ich mich irre, sofern es mich überzeugt.
Auch glaube ich daran, dass Rassismus dank des Transhumanismus langfristig sowieso an Reiz verlieren wird. Trotzdem ist es ein sensibles Thema, und daher wollte ich es sorgfältig machen.
Ich hab mich in letzter Zeit viel mit dem Experimentalpsychologen Steven Pinker beschäftigt, der u.a. in der norwegischen Doku "Hjernevask" auftauche, zu der ich schon im Jahr 2013 einen Thread eröffnet hatte. Ich möchte zunächst klarstellen, dass Pinkers Sichtweisen zwar nicht unumstritten sind, ihm allerdings keine rechte Motivation unterstellt werden kann. Er beschäftigt sich generell unter anderem mit genetischen Unterschieden zwischen Gruppen - auch Geschlechtern - und hat gerade vor kurzem erst ein Buch geschrieben ("Enlightenment Now"), welches sich im Kern gegen Pessismus und Populismus ausspricht und die Vorzüge liberaler Demokratien verteidigt. Ich hab vor einiger Zeit eines seiner bekanntesten Bücher gelesen - "Das unbeschriebene Blatt". Wie der Titel sagt, führt er darin seine Sichtweise aus, warum der Mensch eben doch zu einem beträchtlichen Teil genetisch determiniert ist (und eben kein "unbeschriebenes Blatt"). Auch ist es ihm wichtig, es nicht moralisch zu bewerten, wenn zwischen Menschen oder Gruppen tendenzielle Unterschiede festgestellt werden. Er hält es im Sinne einer offenen Gesellschaft für kontraproduktiv, diese Unterschiede zu verschweigen.
Jedenfalls bin ich über Pinkers Twitter-Account auf dieses Posting hier gestoßen:
"To oppose racism, you don't have to say "races don't exist"- Bad idea to depend on this dubious empirical claim."
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Er verlinkt in seinem Tweet auf einen Artikel der australischen Zeitschrift "Quilette":
"On the reality of race and the abhorrence of racism". Quilette wird in einem Tweet von dem renommierten Genforscher Richard Dawkins als "superb online magazine, stands up for the oppressed minority who value clarity, logic and objective truth" gelobt.
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Dieser Artikel geht auf einige Gegenargumente ein, die ich auch bei nachträglicher Lektüre von Threads in diesem Forum gelesen habe.
1. Der Artikel nennt unter anderem folgende Argumente für den wissenschaftlichen Sinn einer Kategorisierung in Rassen:
a) Die Aussage, die menschliche genetische Variation sei innerhalb der menschlichen Populationen sei viel größer als zwischen den Populationen, sei zwar nicht generell falsch, aber dadurch einzuschränken, dass dies zwar in Bezug auf einzelne Gene gelte, aber nicht in Bezug auf bestimmte struktureller Kombinationen von Genen:
[P]atterns that are nearly invisible for individual genes become visible if one examines multiple genes at the same time (i.e., looks at gene 1 + gene 2 + gene 3 + gene 4…et cetera).
b) Obwohl der Begriff der "Rasse" natürlich nicht in einem strikt objektiven Sinne festgelegt werden könne, so sei sie, sofern man entsprechende allgemeine Kriterien festlege, dennoch nicht
willkürlich, sie besäße lediglich eine gewisse Unschärfe. Die Autoren sagen, der Begriff könne sinnvoll genutzt werden, wenn man ihn nicht absolut nutzt, sondern vergleichbar mit Filmgenres:
Race, then, is not a platonic essence and racial groups are not discrete categories of humans. Instead, race is a pragmatic construct that picks out real variation in the world (which corresponds to shared ancestry) and allows people and scientists to make useful inferences. In this way, racial categories are like film categories (e.g., drama, horror, comedy). Film categories are certainly real in the sense that they offer predictive power. If one knows that A Nightmare on Elm Street is a horror film, one can be reasonably certain that it will be dark, scary, and violent. But film categories are not immutable essences that perfectly sort movies into distinct types. [...] They represent traits that cluster together; they predict outcomes; and they can be quantified.
2. Der Artikel nennt unter anderem folgende moralische Argumente für die Nutzung der Kategorie "Rasse":
c) Laut der Autoren sei es keineswegs nur für Rassisten interessant, die Kategorie "Rasse" zu verwenden. So könne es die Anerkennung die Entwicklung besserer, personalisierterer medizinischer Behandlungen und Maßnahmen der öffentlichen Politik fördern sowie das öffentliche Verständnis über die Entwicklungsgeschichte unserer Spezies verbessern.
d) Es sei für das menschliche Auge ziemlich offensichtlich, dass Rassen existieren, und daher würde es zwangsläufig einen Spielraum für Rassisten lassen, die Erklärung der Bedeutung von Rassen offen zu halten. Man würde durch ein Verschweigen die Rassisten die wissenschaftliche Deutungshoheit über das Ausmaß der Interpretation des Begriffs "Rasse" geben.
Denying the reality of race leaves a vacuum for extremists to exploit. If moderates and progressives refuse to discuss human racial variation, then only the most extreme and often deplorable people will. We can assure you that if we don’t talk about it as research scientists, it will not prevent racial demagogues from using it to support ugly and intolerant social policies. And it will also cede the scientific high ground to those demagogues, compelling moderates and progressives to resort to semantic games or purposeful obfuscation and straw man arguments.
e) Die Idee, potentiell "gefährliche" Unterschiede zu ignorieren, seien generell eine Denkweise, die in eine falsche Richtung führt, da sie suggeriert, dass Unterschiede Diskriminierung rechtfertigen würden. Stattdessen sei es besser, die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Menschen zu betonen und zu zelebrieren.
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Als jemand, der nicht zuletzt aufgrund der Lektüre von "Das ungeschriebene Blatt" sehr mit dieser Denkweise vertraut ist, erscheint mir diese Argumentation in der Tat als sinnvoll und mich würde interessieren, was es eurerseits sowohl auf wissenschaftlicher als auf moralischer Ebene dagegen einzuwenden gäbe.
Und jetzt wird es noch etwas heikler:
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Steven Pinker selbst geht nämlich in mehreren Youtube-Vorträgen sogar so weit, zu behaupten, dass es tatsächlich auch tendenzielle Unterschiede im Bereich der Fähigkeiten oder der Intelligenz geben könnte. Er sagt allerdings, dass auch das Bestreiten dessen zu einer Diskriminierung führen könne. Er führt in seinem Vortrag aus, dass der Antisemitismus in Europa möglicherweise auch darin begründet worden sei, dass man den großen Erfolg jüdischen Populationen nicht anders zu erklären wusste als durch besondere Heimtücke, die man ihnen unterstellte. (Und als er das sagte, musste ich daran denken, dass auch die feministische Vorstellung der "Ausbeutung durch das Patriarchat" eine solche Konnotation hat, obwohl auch dort die Unterschiede teilweise vermutlich genetisch erklärt werden können.)
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