Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Dec 2017, 20:27)

Sich solche Fragen überhaupt stellen zu können und zu wollen. Sich absichtlich und ganz bewusst gegen seine biologischen Prägungen stellen zu können. Zu seinem eigenen Schaden handeln zu können. Gegen alle Vernunft, Optimierung und Rationalität handeln zu können. Mit aller Kraft und auch mit Erfolg seiner Herkunft als "Rudeltier" entkommen zu können.
Abgesehen davon, dass Mensch sich NICHT gegen seine Biologie stellen kann und auch ohne Gesellschaft/Gemeinschaft nicht überlebensfähig ist, ist das immer noch keine Antwort auf meine Frage.

Sorry, aber wer vom "Kern des Menschseins" schwurbelt sollte diesen "Kern" auch benennen können und nicht irgendwelchen Unsinn daher reden.

Was den Sinn bzw Wert des Lebens anbelangt, halte ich es mit Herrn Kant.
Ansonsten: Menschsein -ein biologisches Wesen mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion und der Tendenz zur Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung und zumindest bei sehr vielen das Nichterkennen-/Nichtanerkennenwollen, dass Mensch auch nur ein völlig unbedeutendes Steinchen im großen "Mosaik der Evolution" ist.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(16 Dec 2017, 21:03)

Abgesehen davon, dass Mensch sich NICHT gegen seine Biologie stellen kann und auch ohne Gesellschaft/Gemeinschaft nicht überlebensfähig ist, ist das immer noch keine Antwort auf meine Frage.

Sorry, aber wer vom "Kern des Menschseins" schwurbelt sollte diesen "Kern" auch benennen können und nicht irgendwelchen Unsinn daher reden.

Was den Sinn bzw Wert des Lebens anbelangt, halte ich es mit Herrn Kant.
Ansonsten: Menschsein -ein biologisches Wesen mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion und der Tendenz zur Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung und zumindest bei sehr vielen das Nichterkennen-/Nichtanerkennenwollen, dass Mensch auch nur ein völlig unbedeutendes Steinchen im großen "Mosaik der Evolution" ist.
Tja ...
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Dec 2017, 20:33)

Es kann logischerweise keine "Erklärung" für etwas geben, was nicht Folge irgendeiner Naturgesetzlichkeit sondern bewusster Selbstentscheidung ist. Sonst wäre eine Selbstentscheidung nicht eine solche.
Dummerweise ist der Mensch aber das Ergbnis "irgendeiner Naturgesetzlichkeit" (was immer das in diesem Zusammenhang sein soll) und kann sich dieser eben nicht entziehen.
Mensch kann sich nicht für irgendetwas entscheiden, was nicht seiner Biologie entspricht.
Der Mensch ist ein Mensch - vorläufiges Endergebnis der Evolution - und er bleibt Mensch.
Da isse doch wieder, die anthropozentrischen Selbstüberschätzung und Selbsterhöhung - der Hang sich unbedingt als etwas ganz besonderes zu sehen. :D
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Dec 2017, 20:46)

Diese Frage des Verhältnisses von "Gehirn und Freiheit" ist in jüngerer Zeit ja häufig thematisiert worden. Es gibt zwei Pole: Entweder mein Gehirn determiniert vollständig meine Entscheidungen und ich bilde mir nur ein, einen freien Willen zu haben. Oder es gibt überhaupt keine Determiniertheit. Was dann aber heißt, dass ich
auch auf nix fokussieren kann. In beiden Fällen bin ich vollkommen unfrei und dieser logische Widerspruch lässt sich auch nicht auflösen. An dieser Stelle setzt die Notwendigkeit ein, sich eine Philosophie zu eigen zu machen. Das ist der einzige Ausweg aus dem Dilemma. Sich ein System von Anschauungen über sich selbst, die Welt und das gegenseitige Verhältnis zu schaffen. Zum Beispiel eine solche, die eine Absolute Freiheit deklariert.

Ich gebe es ganz ehrlich und offen zu: Ich habe eine Abneigung gegen die Schweiz, gegen die Schweizer. Man könnte meinen, ich könne nix dagegen machen. Das sei eben irgendwie tiefenpsychologisch oder meinetwegen auch flachpsychologisch so determiniert. Ich bin aber in der Lage, ganz bewusst darauf hinzuweisen, dass kaum jemand so klar und überzeugend über dieses Scheinproblem von Willensfreiheit und Gehirndeterminiertheit schreiben kann wie der Schweizer Philosoph Peter Bieri. Na Bitte: Ich kann mich durchaus über gehirnliche Prägungen hinwegsetzen. Nur als Beispiel von vielen vielen Äußerungen Bieris:Das Gehirn entscheidet gar nichts
Also, mein Gehirn arbeitet ganz nach meinen Vorgaben und entscheidet nichts gegen meinen Willen. Ob ich zur BTW gehe oder nicht (natürlich nicht) ist meine Entscheidung. Da hat "mein Gehirn" keine eigene Stimme. :D

Das Interview mit Bieri ist alt, das war die große Zeit von Roth und Singer, die inzwischen deutlich abgeklungen ist. Bieri hat übrigens in "Eine Art zu leben" eine schöne Definition von Philosophie gegeben: "Philosophie, wie ich sie verstehe, ist der Versuch, begriffliches Licht in wichtige Erfahrungen des menschlichen Lebens zu bringen." Das ist genau mein Programm, so nähere ich mich auch politischen Themen und Begriffen. Deshalb hätte ich zum Beispiel die Ausgangsfrage auch nie im "es gibt"-Modus gestellt, sondern etwa gefragt: Worüber sprechen wir eigentlich, wenn von einer verbindenden Kultur die Rede ist? Das ist etwas mehr Einladung zu einem Gespräch, denn es ist eine Ergänzungsfrage, fordert also keine Entscheidung.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(16 Dec 2017, 21:10)

Dummerweise ist der Mensch aber das Ergbnis "irgendeiner Naturgesetzlichkeit" (was immer das in diesem Zusammenhang sein soll) und kann sich dieser eben nicht entziehen.
Mensch kann sich nicht für irgendetwas entscheiden, was nicht seiner Biologie entspricht.
Inwieweit entspricht die Entscheidung, in einem Internetforum zu behaupten, es könne keine Entscheidungen gegen deine Biologie geben, deiner Biologie?
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Dec 2017, 20:46)

Diese Frage des Verhältnisses von "Gehirn und Freiheit" ist in jüngerer Zeit ja häufig thematisiert worden. Es gibt zwei Pole: Entweder mein Gehirn determiniert vollständig meine Entscheidungen und ich bilde mir nur ein, einen freien Willen zu haben. Oder es gibt überhaupt keine Determiniertheit. Was dann aber heißt, dass ich
auch auf nix fokussieren kann. In beiden Fällen bin ich vollkommen unfrei und dieser logische Widerspruch lässt sich auch nicht auflösen. An dieser Stelle setzt die Notwendigkeit ein, sich eine Philosophie zu eigen zu machen. Das ist der einzige Ausweg aus dem Dilemma. Sich ein System von Anschauungen über sich selbst, die Welt und das gegenseitige Verhältnis zu schaffen. Zum Beispiel eine solche, die eine Absolute Freiheit deklariert.

Ich gebe es ganz ehrlich und offen zu: Ich habe eine Abneigung gegen die Schweiz, gegen die Schweizer. Man könnte meinen, ich könne nix dagegen machen. Das sei eben irgendwie tiefenpsychologisch oder meinetwegen auch flachpsychologisch so determiniert. Ich bin aber in der Lage, ganz bewusst darauf hinzuweisen, dass kaum jemand so klar und überzeugend über dieses Scheinproblem von Willensfreiheit und Gehirndeterminiertheit schreiben kann wie der Schweizer Philosoph Peter Bieri. Na Bitte: Ich kann mich durchaus über gehirnliche Prägungen hinwegsetzen. Nur als Beispiel von vielen vielen Äußerungen Bieris:Das Gehirn entscheidet gar nichts
Tja - dumm nur, dass die Neurowissenschaften zu anderen Ergebnissen kommen als Philosophen.
Neurowissenschaftler haben nämlich nachgewiesen, dass freier Wille nur eine schöne Illusion ist, dass unser Gehirn tatsächlich die Entscheidungen trifft und zwar "lange" bevor uns diese Entscheidungen überhaupt bewusst werden.

Du kannst dich eben NICHT über deine "Prägungen" hinwegsetzen, kannst neurale Prozesse NICHT bewusst "ausschalten".
Das menschliche Gehirn trifft die Entscheidungen - immer! Was denn sonst?
Da können Philosophen, da kannst DU noch so sehr eine Verweigerungshaltung einnehmen, kannst das noch so sehr leugnen.
Das ändert gaaar nichts.
Das (menschliche) Gehirn und nur das Gehirn steuert unsere Körperfunktionen, unsere Emotionen und trifft (unsere) Entscheidungen. Ohne das Gehirn geht gar nichts.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Dec 2017, 21:28)

Inwieweit entspricht die Entscheidung, in einem Internetforum zu behaupten, es könne keine Entscheidungen gegen deine Biologie geben, deiner Biologie?
Die Entscheidung, ein Internetforum zu nutzen IST eine Entscheidung meiner Biologie. Diese Entscheidung trifft mein Gehirn und sonst gar nichts. Das Gehirn ist nunmal die "Steuerzentrale" von der aus alle Körperfunktionen gesteuert werden, von der alle Befehle zu bestimmten Handlungen ausgehen und in der sämtliche Entscheidungen getroffen werden.
Ohne (das) Gehirn geht gar nix, da bist du nur eine leere Hülle. Sonst nichts!
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Dark Angel hat geschrieben:(16 Dec 2017, 21:29)

Tja - dumm nur, dass die Neurowissenschaften zu anderen Ergebnissen kommen als Philosophen.
Neurowissenschaftler haben nämlich nachgewiesen, dass freier Wille nur eine schöne Illusion ist, dass unser Gehirn tatsächlich die Entscheidungen trifft und zwar "lange" bevor uns diese Entscheidungen überhaupt bewusst werden.
Also, wenn das eine Anspielung auf die Libet-Geschichte ist: Da würde ich aussteigen, und es wurden auch von Wissenschaftlern selbst die überbordnenden Deutungen dieses Versuchs zurückgewiesen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

DarkAngel hat geschrieben: Die Entscheidung, ein Internetforum zu nutzen IST eine Entscheidung meiner Biologie. Diese Entscheidung trifft mein Gehirn und sonst gar nichts. Das Gehirn ist nunmal die "Steuerzentrale" von der aus alle Körperfunktionen gesteuert werden, von der alle Befehle zu bestimmten Handlungen ausgehen und in der sämtliche Entscheidungen getroffen werden.
Ohne (das) Gehirn geht gar nix, da bist du nur eine leere Hülle. Sonst nichts!
Wie ich schon schrieb: Die Philosophen wetteifern nicht mit den Naturwissenschaftlern um richtigere Erkenntnisse sondern stellen Wetlerklärungsmodelle im Zusammenhang mit Lebensgrundsätzlichkeiten zur Diskussion. Es gibt eigentlich auch gar keine "Philosophen" so wie "Chemiker" sondern nur "Philosophien".
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Dark Angel hat geschrieben:(16 Dec 2017, 21:03)

Abgesehen davon, dass Mensch sich NICHT gegen seine Biologie stellen kann und auch ohne Gesellschaft/Gemeinschaft nicht überlebensfähig ist, ist das immer noch keine Antwort auf meine Frage.

Sorry, aber wer vom "Kern des Menschseins" schwurbelt sollte diesen "Kern" auch benennen können und nicht irgendwelchen Unsinn daher reden.

Was den Sinn bzw Wert des Lebens anbelangt, halte ich es mit Herrn Kant.
Ansonsten: Menschsein -ein biologisches Wesen mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion und der Tendenz zur Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung und zumindest bei sehr vielen das Nichterkennen-/Nichtanerkennenwollen, dass Mensch auch nur ein völlig unbedeutendes Steinchen im großen "Mosaik der Evolution" ist.
http://www.philosophieverstaendlich.de/ ... libet.html
Nur mal als Anstoß für deine Biologie :p
Grundsätzlich würde ich auch einwenden, daß die Entscheidung aufgrund eines Reiz einen Knopf zu drücken noch keine wirkliche Aussage über die Freiheit des Willens zulässt.
Ich würde sogar soweit gehen, daß die Entscheidung zwischen Käsekuchen oder Kirschtorte zum Kaffee noch nicht wirklich eine bewußte, freie Willensentscheidung ist.
Aber ob ich mich bei einer Wahl für die eine oder andere Partei entscheide, im Rahmen meiner Überlegungen, die ja oft Wochen andauern, bis ich das Kreuzlein mache, das ist dann doch etwas anderes, als die bloße Reaktion auf einen Reiz oder auch Appetit .
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Dec 2017, 12:00)

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendunge ... nn100.html
Das ist kein Quatsch-Nachgeplappere sondern Teil eines der wichtigsten außeruniversitären Philsophie-Foren in Deutschland. Das vom WDR (auch mit einer regelmäßigen Sendung) organisierte "Philosophische Radio". Dir ist hoffentlich klar, dass man zwar, ich habe es mehrfach erwähnt, natürlich nicht eins zu eins die damaligen Aussagen zu übernehmen hat, und dass es einen kritischen Diskurs dazu zu geben hat ... dass man aber völlig außerhalb des allgemein akzeptierten Konsenses und auf Kindergarten-Niveau steht, wenn man das existenzialistische Denken und die existenzialistische Philsophie wörtlich als "Quatsch" bezeichnet.
Thematisch sinnvolle Äußerungen halte ich nicht für Quatsch. Die Verkürzung von Sartres Freiheitsbegriff auf eine falsch verstandene Parole allerdings schon.

Sartre schreibt:

"Wenn wiederum Gott nicht existiert, so finden wir uns keinen Werten, keinen Geboten gegenüber, die unser Betragen rechtfertigen. So haben wir weder hinter uns noch vor uns, im Lichtreich der Werte, Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das ist es, was ich durch die Worte ausdrücken will: Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, anderseits aber dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut."

Jean-Paul Sartre: Ist der Existenzialismus ein Humanismus?
(in: Drei Essays, Ullstein 1975, S.16)

Mit einem solchen Geschwafel

"Wenn der Mensch grundsätzlich frei ist, ist er es auch in der Todeszelle."
"Man ist selbst in der Todeszelle vollkommen frei. Vollkommen unabhängig."

hat das nichts zu tun. Sartre konstruiert die Bedingung für eine mögliche Freiheit, die ohnehin immer situationsgebunden ist, also alles andere "grundsätzlich" oder "vollkommen". Über die reale Freiheit als Handlungsfreiheit oder Willensfreiheit ist damit nichts gesagt.
schokoschendrezki hat geschrieben:(15 Dec 2017, 15:33)
Ich habe das Beispiel "Todeszelle" auch nicht willkürlich gewählt. In Sartres "Le Mer" (Die Wand) gehts genau um solche Grenzsituationen.
In der Erzählung "Le Mur" geht es um einen unbeabsichtigten Verrat, nicht um das, was du dir aus den Fingern saugst.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Zunder hat geschrieben:(17 Dec 2017, 01:16)

Thematisch sinnvolle Äußerungen halte ich nicht für Quatsch. Die Verkürzung von Sartres Freiheitsbegriff auf eine falsch verstandene Parole allerdings schon.

Sartre schreibt:

"Wenn wiederum Gott nicht existiert, so finden wir uns keinen Werten, keinen Geboten gegenüber, die unser Betragen rechtfertigen. So haben wir weder hinter uns noch vor uns, im Lichtreich der Werte, Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das ist es, was ich durch die Worte ausdrücken will: Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, anderseits aber dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut."

Jean-Paul Sartre: Ist der Existenzialismus ein Humanismus?
(in: Drei Essays, Ullstein 1975, S.16)

Mit einem solchen Geschwafel

"Wenn der Mensch grundsätzlich frei ist, ist er es auch in der Todeszelle."
"Man ist selbst in der Todeszelle vollkommen frei. Vollkommen unabhängig."

hat das nichts zu tun. Sartre konstruiert die Bedingung für eine mögliche Freiheit, die ohnehin immer situationsgebunden ist, also alles andere "grundsätzlich" oder "vollkommen". Über die reale Freiheit als Handlungsfreiheit oder Willensfreiheit ist damit nichts gesagt.


In der Erzählung "Le Mur" geht es um einen unbeabsichtigten Verrat, nicht um das, was du dir aus den Fingern saugst.
Es geht darum, dass es völlig legitim und intellektuell achtbar ist, die Positionen des Existenzialismus abzulehnen oder auch als irrelevant anzusehen. Aber eine geistig-philosophische Strömung, die derart nachhaltig die ganze zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts beeinflusste und die gerade heute wiederentdeckt wird als "Quatsch" zu bezeichnen ... das geht eben nicht. Was Du schreibst bestätigt nur noch einmal was ich schon weiter oben geschrieben habe: Dass der Freiheitsbegriff ambivalent ist. Die Unterscheidbarkeit von "Willensfreiheit" und "Handlungsfreiheit" steht zum Beispiel dafür. Die Aufklärung prägte die Vorstellung von Freiheit als "Grundrecht". Deine Formulierung "reale Freiheit" suggeriert, dass es eigentlich nur eine einzige Auslegung dafür gibt und alle anderen irreal sind. Sartre gibt zu - ich finde momentan die Quelle nicht - dass die Handlungsfreiheit, zum Beispiel in diktatorischen Sysemen extrem eingeschränkt sein kann, dass es aber praktisch keine Situation gebe, in der der Mensch von seiner Verurteilung zur Entscheidungsfreiheit befreit sei. Und das schließt selbstverständlich auch die Situation ein, in der Todeszelle zu sitzen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(16 Dec 2017, 21:37)

Also, wenn das eine Anspielung auf die Libet-Geschichte ist: Da würde ich aussteigen, und es wurden auch von Wissenschaftlern selbst die überbordnenden Deutungen dieses Versuchs zurückgewiesen.
Nöö ist keine Anspielung auf die Libet-Geschichte, sondern eine Anspielung auf die Ergebnisse des Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité Berlin. Diesen Untersuchungen zufolge gibt es einen Point of no Return, ab dem Prozesse im Gehirn, die zur Entscheidungsfindung führen, unumkehrbar sind.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

odiug hat geschrieben:(16 Dec 2017, 23:41)

http://www.philosophieverstaendlich.de/ ... libet.html
Nur mal als Anstoß für deine Biologie :p
Grundsätzlich würde ich auch einwenden, daß die Entscheidung aufgrund eines Reiz einen Knopf zu drücken noch keine wirkliche Aussage über die Freiheit des Willens zulässt.
Was ist denn unsere Willensfreiheit ohne unsere Biologie, ohne Gehirn? Gar nichts!
Freier Wille/Willensfreiheit hat etwas mit der Fähigkeit zur Selbsreflektion und zur Abstraktion zu tun.
Das was wir als freie Entscheidung bezeichnen, ist doch "nur" das Ergebnis unbewusst ablaufender Prozesse.
Ich stelle mir das wie einen Eisberg vor, bei dem nur 1/8 über die Wasseroberfläche ragt und vergleiche das mit unseren bewussten Wahrnehmungen, Denkprozessen und Entscheidungsfindungen.
Die 7/8 unter der Wasserobefläche sind die Gesamtheit der unbewusst ablaufenden Prozesse im Gehirn, welche die Entscheidungsfindung vorbereiten.
Würden bzw müssten wir die unbewusst ablaufenden Prozesse bewusst "durchkauen" wären wir wahrscheinlich gar nicht in der Lagen rechtzeitig Entscheidungen zu treffen.
Ich meine, dass man Willensfreiheit nocht unabhängig oder losgelöst von (unserer) Biologie betrachten kann, sondern dass Biologie erst die Voraussetzungen schafft.
odiug hat geschrieben:(16 Dec 2017, 23:41)
Ich würde sogar soweit gehen, daß die Entscheidung zwischen Käsekuchen oder Kirschtorte zum Kaffee noch nicht wirklich eine bewußte, freie Willensentscheidung ist.
Aber sicher ist sie das.
odiug hat geschrieben:(16 Dec 2017, 23:41)Aber ob ich mich bei einer Wahl für die eine oder andere Partei entscheide, im Rahmen meiner Überlegungen, die ja oft Wochen andauern, bis ich das Kreuzlein mache, das ist dann doch etwas anderes, als die bloße Reaktion auf einen Reiz oder auch Appetit .
Sowohl das eine wie das andere ist eine bewussten Entscheidung.
Für eine bewusste Entscheidung ist es doch irrelvant, ob die (scheinbar) spontan erfolgt - bloße Reaktion auf den Reiz, wie du das nennst - oder ob sie das Ergebnis längerer bewusster Auseinandersetzungen mit einer Sache/einem Sachverhalt ist.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(17 Dec 2017, 10:40)

Was ist denn unsere Willensfreiheit ohne unsere Biologie, ohne Gehirn? Gar nichts!
Freier Wille/Willensfreiheit hat etwas mit der Fähigkeit zur Selbsreflektion und zur Abstraktion zu tun.
Das was wir als freie Entscheidung bezeichnen, ist doch "nur" das Ergebnis unbewusst ablaufender Prozesse.
Ich stelle mir das wie einen Eisberg vor, bei dem nur 1/8 über die Wasseroberfläche ragt und vergleiche das mit unseren bewussten Wahrnehmungen, Denkprozessen und Entscheidungsfindungen.
Die 7/8 unter der Wasserobefläche sind die Gesamtheit der unbewusst ablaufenden Prozesse im Gehirn, welche die Entscheidungsfindung vorbereiten.
Würden bzw müssten wir die unbewusst ablaufenden Prozesse bewusst "durchkauen" wären wir wahrscheinlich gar nicht in der Lagen rechtzeitig Entscheidungen zu treffen.
Das betrifft Entscheidungen wie die, bei einem plötzlich auftauchenden Hindernis aufs Bremspedal zu treten. Bei der Schaffung geistig-kultureller Dinge bin ich ja nicht nur auf mein Unterbewusstsein angewiesen. Sondern zum Beispiel auf den Anfang eines Artikels, den ich gestern begonnen habe, aufzuschreiben. Ich kann an dem, was ich da aufgeschrieben habe, nicht vorbei. Und auch nicht an dem, was ich die letzte Woche so gelesen habe. Das determiniert in weit höherem Maße das, was ich nun und jetzt schreibe als meine gegenwärtige schlechte Laune.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Spannendes Thema. Vor einiger Zeit habe ich einen interessanten Pressetext über den "freien Willen" gelesen (finde ihn nur gerade nicht), aus der Sicht von Neurologen geschrieben. Da ging es ebenfalls darum, dass das, was wir scheinbar frei entscheiden, schon Sekunden (oder auch länger) vorher im Gehirn, im Unterbewussten entschieden ist. Ich kann es mir gut vorstellen, dass das so ist, denn alle Erfahrungen, Erkenntnisse und Entscheidungen, die dieser einen "neuen" Entscheidung vorausgegangen sind, haben ja Spuren im Gehirn hinterlassen. Und aus der Art der neuronalen Verknüpfungen ergibt sich dann eine "neue" Entscheidung, die irgendwo quasi abrufbereit vorhanden ist im Unterbewusstsein (nur mal als Bild formuliert). Insofern sehe ich das so ähnlich wie Dark Angel. Was mich dabei in diesem speziellen Thread hier allerdings interessieren würde, wäre folgende Frage: Welche Auswirkungen hätte dieses Wissen denn auf unser tägliches Handeln? Ist das nicht wirklich vollkommen egal für uns als Nicht-Neurologen, ob so eine scheinbar spontane oder "freie" Entscheidung doch gar nicht so spontan ist, sondern ein Ergebnis längerer komplizierter Prozesse im Unterbewussten, die sich unabhängig vom momentanen Willen des Einzelnen vollziehen?
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Dec 2017, 10:54)

Das betrifft Entscheidungen wie die, bei einem plötzlich auftauchenden Hindernis aufs Bremspedal zu treten. Bei der Schaffung geistig-kultureller Dinge bin ich ja nicht nur auf mein Unterbewusstsein angewiesen. Sondern zum Beispiel auf den Anfang eines Artikels, den ich gestern begonnen habe, aufzuschreiben. Ich kann an dem, was ich da aufgeschrieben habe, nicht vorbei. Und auch nicht an dem, was ich die letzte Woche so gelesen habe. Das determiniert in weit höherem Maße das, was ich nun und jetzt schreibe als meine gegenwärtige schlechte Laune.
Merkst du eigentlich, was du für einen Unsinn von dir gibst?
Ohne dein Gehirn - ohne deine Biologie - gibt es kein Unbewusstes, kein Bewusstsein und auch kein Selbstbewusstsein und damit auch kein - auf Selbstreflektion basierendes - "ICH".
Für alles, was du bewusst denkst, fühlst, tust ist dein Gehirn zuständig, genauso wie es für die unbewusst ablaufenden Prozesse zuständig ist, die für dein (bewusstes) Denken, Fühlen und Handeln erst die Voraussetzungen liefern.
Du kannst dich nicht gegen deine Biologie wenden, kannst nicht gegen diese entscheiden.
Ohne Dein Gehirn bist du nichts als eine leere tote Hülle.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(17 Dec 2017, 12:41)

Spannendes Thema. Vor einiger Zeit habe ich einen interessanten Pressetext über den "freien Willen" gelesen (finde ihn nur gerade nicht), aus der Sicht von Neurologen geschrieben. Da ging es ebenfalls darum, dass das, was wir scheinbar frei entscheiden, schon Sekunden (oder auch länger) vorher im Gehirn, im Unterbewussten entschieden ist. Ich kann es mir gut vorstellen, dass das so ist, denn alle Erfahrungen, Erkenntnisse und Entscheidungen, die dieser einen "neuen" Entscheidung vorausgegangen sind, haben ja Spuren im Gehirn hinterlassen. Und aus der Art der neuronalen Verknüpfungen ergibt sich dann eine "neue" Entscheidung, die irgendwo quasi abrufbereit vorhanden ist im Unterbewusstsein (nur mal als Bild formuliert). Insofern sehe ich das so ähnlich wie Dark Angel. Was mich dabei in diesem speziellen Thread hier allerdings interessieren würde, wäre folgende Frage: Welche Auswirkungen hätte dieses Wissen denn auf unser tägliches Handeln? Ist das nicht wirklich vollkommen egal für uns als Nicht-Neurologen, ob so eine scheinbar spontane oder "freie" Entscheidung doch gar nicht so spontan ist, sondern ein Ergebnis längerer komplizierter Prozesse im Unterbewussten, die sich unabhängig vom momentanen Willen des Einzelnen vollziehen?
Jetzt haben wir beide ausnahmsweise mal einen Konsens gefunden.
Darum auch mein Vergleich mit dem Eisberg. Die unbewussten Prozesse laufen sehr viel schneller ab, als die bewussten und die ermöglichen es uns, beispielsweise in Gefahrensituationen sehr viel schneller eine Entscheidung zu treffen, als wenn wir alle Faktoren ganz bewusst gegeneinander abwägen müssten.
Natürlich ist es im Endeffekt wurscht, ob wir nun genau wissen welche neuralen Prozesse zu unseren Entscheidungen beitragen.
Die neuralen Prozesse (und damit unsere Biologie) bilden aber die Grundlage, die Voraussetzung dafür, DASS wir über uns selber nachdenken KÖNNEN, dass wir Fragen nach dem Sinn des Lebens stellen können etc.
Wir können sogar bis zu einem gewissen Punkt bestimmte Signale ignorieren - aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt - den die Neurologen als "Point of no Return" bezeichen, ab denn übernimmt ein System die "Führung", welches wir nicht beeinflussen können.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Dark Angel hat geschrieben:(17 Dec 2017, 10:40)

Was ist denn unsere Willensfreiheit ohne unsere Biologie, ohne Gehirn? Gar nichts!
Freier Wille/Willensfreiheit hat etwas mit der Fähigkeit zur Selbsreflektion und zur Abstraktion zu tun.
Das was wir als freie Entscheidung bezeichnen, ist doch "nur" das Ergebnis unbewusst ablaufender Prozesse.
Ich stelle mir das wie einen Eisberg vor, bei dem nur 1/8 über die Wasseroberfläche ragt und vergleiche das mit unseren bewussten Wahrnehmungen, Denkprozessen und Entscheidungsfindungen.
Die 7/8 unter der Wasserobefläche sind die Gesamtheit der unbewusst ablaufenden Prozesse im Gehirn, welche die Entscheidungsfindung vorbereiten.
Würden bzw müssten wir die unbewusst ablaufenden Prozesse bewusst "durchkauen" wären wir wahrscheinlich gar nicht in der Lagen rechtzeitig Entscheidungen zu treffen.
Ich meine, dass man Willensfreiheit nocht unabhängig oder losgelöst von (unserer) Biologie betrachten kann, sondern dass Biologie erst die Voraussetzungen schafft.


Aber sicher ist sie das.


Sowohl das eine wie das andere ist eine bewussten Entscheidung.
Für eine bewusste Entscheidung ist es doch irrelvant, ob die (scheinbar) spontan erfolgt - bloße Reaktion auf den Reiz, wie du das nennst - oder ob sie das Ergebnis längerer bewusster Auseinandersetzungen mit einer Sache/einem Sachverhalt ist.
Wieso ist es irrelevant, ob ich vorher abwäge, mir das lange durch den Kopf gehen lasse oder ob ich mal spontan lieber meinem Bauchgefühl nachgebe :?:
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Dec 2017, 10:54)

Das betrifft Entscheidungen wie die, bei einem plötzlich auftauchenden Hindernis aufs Bremspedal zu treten. Bei der Schaffung geistig-kultureller Dinge bin ich ja nicht nur auf mein Unterbewusstsein angewiesen. Sondern zum Beispiel auf den Anfang eines Artikels, den ich gestern begonnen habe, aufzuschreiben. Ich kann an dem, was ich da aufgeschrieben habe, nicht vorbei. Und auch nicht an dem, was ich die letzte Woche so gelesen habe. Das determiniert in weit höherem Maße das, was ich nun und jetzt schreibe als meine gegenwärtige schlechte Laune.
Ich glaube, so ein bisschen ist es jetzt ein Aneinandervorbeireden. Sartre (dessen Philosophie heute allenfalls in therapeutisch orientierten Philosophiezirkeln rezipiert wird) setzt einfach ein paar verkehrte Eckpunkte. Sätze wie "Ich existiere meinen Körper" sind einfach Glaubessätze wie Sätze aus der Bibel oder einem anderen religiösen Werk. Sein Versuch, alle Wesensbestimmung des Menschen aufzuheben, sodass Philosophen weder inhaltlich noch formal von einem Wesen des Menschen reden können, welches verbindlich und allgemeingültig dem jeweiligen konkreten Handeln vorausgeht, ist einfach gescheitert. Kein Säugling existiert seinen Körper, sondern der Säugling wird in Übereinstimmung mit seinen individuellen Möglichkeiten und der soziokulturellen Umgebung eine ganz bestimmte Entwicklung durchlaufen (Stichwort Ontogenese). Und wenn Sartre behauptet, man müsse zeigen, dass das Wesen des Menschen darin bestünde, ständig dagegen anzugehen, sich selbst durch eine bestimmte Seinsstruktur festgelegt zu betrachten, wirft (für mich jedenfalls) Ontologisches und Normatives durcheianander. Schließlich ergibt sich ja aus der einfachen und entgegen Sartres Behauptung obejektiven Tatsache, dass der Mensch ein biologisches Wesen ist, keine irgendwie geartete normative Richtung. Insofern stellt der Existenzialismus eben einerseits eine nette Kaffeehausphilosophie dar, andererseits (man denke an Améry) auch eine Weltanschauung zum Umgang mit der Erfahrung absoluter Negativität. Aber sie steht in diesem Sinne eben in einer "religiösen" Tradition, einer therapeutisch-funktionalen, und als solche wiederum ist sie eben eine Reaktion auf eine ganz bestimmte Zeit.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Sextus Ironicus
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Dark Angel hat geschrieben:(17 Dec 2017, 13:04)

Jetzt haben wir beide ausnahmsweise mal einen Konsens gefunden.
Vielleicht kann man diesen Teil des Strangs ja in diesem Sinne mal mit einem Gedanken des Primatologen und Neuowissenschaftlers Robert Sapolsky aus seinem aktuellen Werk abschließen.
Erstens, Verhaltensweisen wie Aggression, Konkurrenz, Kooperation oder Empathie lassen sich nicht ohne die Biologie verstehen; diese Aussage richtet sich an eine bestimmte Gruppe von Sozialwissenschaftlern, die die Biologie für irrrelevant und ideologisch verdächtig halten, wenn es um Fragen des menschlichen Sozialverhaltens geht. Andererseits, und das ist genauso wichtig, sind wir auch aufgeschmissen, wenn wir uns nur auf die Biologie verlassen; das sei jenen Molekularfundamentalisten ins Stammbuch geschrieben, die meinen, die Sozialwissenschaften würden über kurz oder lang von den »wirklichen« Wissenschaften, den Naturwissenschaften, geschluckt werden. Und der dritte Punkt: Am Ende dieses Buches werden Sie erkennen, dass es sinnlos ist, zwischen Aspekten zu unterscheiden, die »biologisch« sind, und solchen, die man als, sagen wir, »psychologisch« oder »kulturell« bezeichnen würde. Alle diese Dinge sind unauflöslich miteinander verknüpft.
https://www.hanser-literaturverlage.de/ ... 6-25672-9/

Das, scheint mir, sollte doch halbwegs konsensfähig sein. Denn die Biologieskeptiker hier haben ja sicher kein Problem damit, wenn uns Biologie die Bedingungen für Kooperation, Empathie und andere als positiv geltende Verhaltensweisen erklärt. So wie umgekehrt der reduktionistische Wissenschaftsfundi auch keine "Erklärung" darin findet, dass das ein biochemischer Vorgang im Gehirn dazu geführt hat, dass seine Tochter totgeschlagen im Leichenschauhaus liegt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(17 Dec 2017, 14:45)

Vielleicht kann man diesen Teil des Strangs ja in diesem Sinne mal mit einem Gedanken des Primatologen und Neuowissenschaftlers Robert Sapolsky aus seinem aktuellen Werk abschließen.



https://www.hanser-literaturverlage.de/ ... 6-25672-9/

Das, scheint mir, sollte doch halbwegs konsensfähig sein. Denn die Biologieskeptiker hier haben ja sicher kein Problem damit, wenn uns Biologie die Bedingungen für Kooperation, Empathie und andere als positiv geltende Verhaltensweisen erklärt. So wie umgekehrt der reduktionistische Wissenschaftsfundi auch keine "Erklärung" darin findet, dass das ein biochemischer Vorgang im Gehirn dazu geführt hat, dass seine Tochter totgeschlagen im Leichenschauhaus liegt.
Ja, sollte es - eigentlich - leider ist es das nicht. Das beweisst die Benutzung solcher ideologischen "Kampf"begriffe wie "Biologismus", "Kulturalismus" etc oder der erhobene Zeigefinger "wie umstritten evolutionäre Psychologie etc seien, dass die gar nichts erklären könnten.
Wie sagte Prof. Simon Baron Cohen in einer Doku "Ich behaupte nicht, dass alles Biologie ist, aber vergesst die Biologie nicht!"

Das Problem ist, dass Biologieskeptiker nicht zwischen "determiniert" und "bedingt" unterscheiden können oder wollen.
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Ich habe schon lange vor dieser Debatte, vor etlichen Monaten, dafür plädiert (und natürlich nicht nur ich), beide Seiten des Menschseins zu berücksichtigen, die biologische und die soziale. Es sind meines Erachtens immer äußere und innere Faktoren, die den Menschen ausmachen. Keine Seite hat da den Vorrang. Mit "innere Faktoren" meine ich die genetischen, anlagebedingten, biologischen. Und mit "äußeren Faktoren" die Faktoren, die außerdem noch auf den Menschen außerhalb seiner Biologie und seiner genetischen Beschaffenheit einwirken. Das, was man unter "soziale Faktoren" zusammenfassen könnte, zum Beispiel familiäre und schulische Einflüsse, Freundeskreis, Hobbies, Beruf/Arbeitsleben/Kollegenkreis, Interessen. Beides, Biologisches und Soziales, ist natürlich eng miteinander verwoben. So beeinflussen durchaus bestimmte Veranlagungen auch die Berufswahl und die Wahl eines Hobbies, aber eben nicht ausschließlich. Es spielt dabei immer auch eine Rolle, wie diese Anlagen gefördert werden, ob sie unterdrückt oder ausgelebt werden können. Dazu bedarf es zahlreicher Außenreize, Anregungen, sozialer Kontakte... Deshalb halte ich es für einseitig, nur immer einzig und alleine auf die Biologie als das alles Bestimmende zu verweisen. Das tägliche Leben beweist, dass den Menschen immer biologische und soziale Faktoren ausmachen und beeinflussen. Sein Verhalten, sein Denken und seine Entwicklung wird durch beide Seiten bestimmt und geprägt. Für "biologistisch" halte ich bestimmte Äußerungen nur dann, wenn sie das Wirken der oben genannten Außenfaktoren (zu denen unter anderem auch die jeweilige politische Entwicklung und seine Auswirkungen auf den Einzelnen gehören) völlig außer Acht lassen, wenn einzig und alleine die Biologie zur Erklärung des menschlichen Wesens herangezogen wird. All das - über die Biologie hinaus Gehende - gehört aber zu einem komplexen Menschenbild dazu.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(17 Dec 2017, 12:54)

Merkst du eigentlich, was du für einen Unsinn von dir gibst?
Ohne dein Gehirn - ohne deine Biologie - gibt es kein Unbewusstes, kein Bewusstsein und auch kein Selbstbewusstsein und damit auch kein - auf Selbstreflektion basierendes - "ICH".
Für alles, was du bewusst denkst, fühlst, tust ist dein Gehirn zuständig, genauso wie es für die unbewusst ablaufenden Prozesse zuständig ist, die für dein (bewusstes) Denken, Fühlen und Handeln erst die Voraussetzungen liefern.
Du kannst dich nicht gegen deine Biologie wenden, kannst nicht gegen diese entscheiden.
Ohne Dein Gehirn bist du nichts als eine leere tote Hülle.
:p Jetzt musste ich wirklich ein wenig lachen angesichts dieser Besessenheit vom Gehirnlichen. Beziehungsweise angesichts dieser naiven Annahme, jemand könnte glauben, ohne Gehirn gehts auch ... Der Mensch hat Kulturtechniken entwickelt, mit denen er dauernd Bewusstseinsinhalte externalisiert. Von der Papyrusrolle bis zum Internet. Und sie damit biologischen Gegegebenheiten entzieht. Was einmal als Text festgehalten ist, hat nichts, aber auch gar nichts mehr mit biologischen Gegebenheiten zu tun. Und auch die Weiterführung von Diskursen kommt - wenn sie nicht einfach spontane Spinnereien sind - an dem Bezug auf gegebene Texte nicht vorbei.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

odiug hat geschrieben:(17 Dec 2017, 13:18)

Wieso ist es irrelevant, ob ich vorher abwäge, mir das lange durch den Kopf gehen lasse oder ob ich mal spontan lieber meinem Bauchgefühl nachgebe :?:
Da steht scheinbar spontan. Kommt auf die Situation an, ob und wie lange du bewusst nachdenkst.
Verschiedene Möglichkeiten und die sich ergebenden Konsequenzen abwägen, Risiken einschätzen, macht das Gehirn immer - nur unterschiedlich schnell, weil bestimmte Routinen abgerufen werden, die dir gar nicht bewusst werden. Gerade bei dem, was du "Bauchgefühl" nennst.
Wenn du einen Ertrinkenden siehst und ganz spontan - "aus dem Bauch raus" - entscheidest, ihm zu helfen, hat dein Gehirn im unbewussten bereits alle Faktoren und Risiken gegeneinander abgewogen, während du nur bewusst die Entscheidung triffst, ins Wasser zu springen und zu helfen.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(17 Dec 2017, 13:23)

Ich glaube, so ein bisschen ist es jetzt ein Aneinandervorbeireden. Sartre (dessen Philosophie heute allenfalls in therapeutisch orientierten Philosophiezirkeln rezipiert wird) setzt einfach ein paar verkehrte Eckpunkte. Sätze wie "Ich existiere meinen Körper" sind einfach Glaubessätze wie Sätze aus der Bibel oder einem anderen religiösen Werk. Sein Versuch, alle Wesensbestimmung des Menschen aufzuheben, sodass Philosophen weder inhaltlich noch formal von einem Wesen des Menschen reden können, welches verbindlich und allgemeingültig dem jeweiligen konkreten Handeln vorausgeht, ist einfach gescheitert. Kein Säugling existiert seinen Körper, sondern der Säugling wird in Übereinstimmung mit seinen individuellen Möglichkeiten und der soziokulturellen Umgebung eine ganz bestimmte Entwicklung durchlaufen (Stichwort Ontogenese). Und wenn Sartre behauptet, man müsse zeigen, dass das Wesen des Menschen darin bestünde, ständig dagegen anzugehen, sich selbst durch eine bestimmte Seinsstruktur festgelegt zu betrachten, wirft (für mich jedenfalls) Ontologisches und Normatives durcheianander. Schließlich ergibt sich ja aus der einfachen und entgegen Sartres Behauptung obejektiven Tatsache, dass der Mensch ein biologisches Wesen ist, keine irgendwie geartete normative Richtung. Insofern stellt der Existenzialismus eben einerseits eine nette Kaffeehausphilosophie dar, andererseits (man denke an Améry) auch eine Weltanschauung zum Umgang mit der Erfahrung absoluter Negativität. Aber sie steht in diesem Sinne eben in einer "religiösen" Tradition, einer therapeutisch-funktionalen, und als solche wiederum ist sie eben eine Reaktion auf eine ganz bestimmte Zeit.
Alle Achtung. Das ist ja immerhin eine kultivierte, weil nicht persönlich diffamierende Argumentation. Aber das mit den "therapeutisch orientierten Philosophiezirkeln" .. ob das wirklich stimmt? Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir dieses Sonderheft der Zeitschrift "Philosophie" zum Thema Existenzialismus zu Gemüte zu führen. Aber ich habe stark den Verdacht, dass dieses existenzialistische Denken grad' eine Renaissance erfährt. Mal sehen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(17 Dec 2017, 16:45)

Ich habe schon lange vor dieser Debatte, vor etlichen Monaten, dafür plädiert (und natürlich nicht nur ich), beide Seiten des Menschseins zu berücksichtigen, die biologische und die soziale. Es sind meines Erachtens immer äußere und innere Faktoren, die den Menschen ausmachen. Keine Seite hat da den Vorrang. Mit "innere Faktoren" meine ich die genetischen, anlagebedingten, biologischen. Und mit "äußeren Faktoren" die Faktoren, die außerdem noch auf den Menschen außerhalb seiner Biologie und seiner genetischen Beschaffenheit einwirken. Das, was man unter "soziale Faktoren" zusammenfassen könnte, zum Beispiel familiäre und schulische Einflüsse, Freundeskreis, Hobbies, Beruf/Arbeitsleben/Kollegenkreis, Interessen. Beides, Biologisches und Soziales, ist natürlich eng miteinander verwoben. So beeinflussen durchaus bestimmte Veranlagungen auch die Berufswahl und die Wahl eines Hobbies, aber eben nicht ausschließlich. Es spielt dabei immer auch eine Rolle, wie diese Anlagen gefördert werden, ob sie unterdrückt oder ausgelebt werden können. Dazu bedarf es zahlreicher Außenreize, Anregungen, sozialer Kontakte... Deshalb halte ich es für einseitig, nur immer einzig und alleine auf die Biologie als das alles Bestimmende zu verweisen. Das tägliche Leben beweist, dass den Menschen immer biologische und soziale Faktoren ausmachen und beeinflussen. Sein Verhalten, sein Denken und seine Entwicklung wird durch beide Seiten bestimmt und geprägt. Für "biologistisch" halte ich bestimmte Äußerungen nur dann, wenn sie das Wirken der oben genannten Außenfaktoren (zu denen unter anderem auch die jeweilige politische Entwicklung und seine Auswirkungen auf den Einzelnen gehören) völlig außer Acht lassen, wenn einzig und alleine die Biologie zur Erklärung des menschlichen Wesens herangezogen wird. All das - über die Biologie hinaus Gehende - gehört aber zu einem komplexen Menschenbild dazu.
So kompliziert und komplex ist es vielleicht gar nicht. Jede einigermaßen verifizierbare externe Nachricht, worüber auch immer, ǘber Klimaentwicklung, Arbeitslosenquote, Bildungsvergleiche ... egal ... setzt Nebenbedingungen, an denen ich nicht vorbeikomme. Ganz egal, was mein Gehirn mir auch immer vorzuschreiben versucht. Das ist eine Tatsache, die auf den Kern und das Wesen von menschlicher Kultur überhaupt referiert. Während Tiere nach Momentreflexionen handeln, hat der Mensch verschiedene Bezugnahmesysteme entwickelt. Die neben seine gehirnlich produzierten Reaktionsmuster treten.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(17 Dec 2017, 16:45)

Ich habe schon lange vor dieser Debatte, vor etlichen Monaten, dafür plädiert (und natürlich nicht nur ich), beide Seiten des Menschseins zu berücksichtigen, die biologische und die soziale. Es sind meines Erachtens immer äußere und innere Faktoren, die den Menschen ausmachen. Keine Seite hat da den Vorrang. Mit "innere Faktoren" meine ich die genetischen, anlagebedingten, biologischen. Und mit "äußeren Faktoren" die Faktoren, die außerdem noch auf den Menschen außerhalb seiner Biologie und seiner genetischen Beschaffenheit einwirken. Das, was man unter "soziale Faktoren" zusammenfassen könnte, zum Beispiel familiäre und schulische Einflüsse, Freundeskreis, Hobbies, Beruf/Arbeitsleben/Kollegenkreis, Interessen. Beides, Biologisches und Soziales, ist natürlich eng miteinander verwoben. So beeinflussen durchaus bestimmte Veranlagungen auch die Berufswahl und die Wahl eines Hobbies, aber eben nicht ausschließlich. Es spielt dabei immer auch eine Rolle, wie diese Anlagen gefördert werden, ob sie unterdrückt oder ausgelebt werden können. Dazu bedarf es zahlreicher Außenreize, Anregungen, sozialer Kontakte... Deshalb halte ich es für einseitig, nur immer einzig und alleine auf die Biologie als das alles Bestimmende zu verweisen. Das tägliche Leben beweist, dass den Menschen immer biologische und soziale Faktoren ausmachen und beeinflussen. Sein Verhalten, sein Denken und seine Entwicklung wird durch beide Seiten bestimmt und geprägt. Für "biologistisch" halte ich bestimmte Äußerungen nur dann, wenn sie das Wirken der oben genannten Außenfaktoren (zu denen unter anderem auch die jeweilige politische Entwicklung und seine Auswirkungen auf den Einzelnen gehören) völlig außer Acht lassen, wenn einzig und alleine die Biologie zur Erklärung des menschlichen Wesens herangezogen wird. All das - über die Biologie hinaus Gehende - gehört aber zu einem komplexen Menschenbild dazu.
Da hast du was ganz entscheidendes gesagt: "Anlagen fördern". Anlagen sind aber Biologie, weil angeboren. Du kannst also nur etwas fördern oder unterdrücken, was bereits vorhanden ist.
Man wird aus jemandem, der nichtmal ein vernünftiges Strichmännecken zustande bringt, weil ihm die kreativen Anlagen fehlen, keinen Da Vinci machen können - auch mit noch so viel Förderung nicht.
Insofern gibt die Biologie vor, worauf "das Soziale" aufbauen kann, bildet sozusagen das Fundament.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Dec 2017, 18:22)

So kompliziert und komplex ist es vielleicht gar nicht. Jede einigermaßen verifizierbare externe Nachricht, worüber auch immer, ǘber Klimaentwicklung, Arbeitslosenquote, Bildungsvergleiche ... egal ... setzt Nebenbedingungen, an denen ich nicht vorbeikomme. Ganz egal, was mein Gehirn mir auch immer vorzuschreiben versucht. Das ist eine Tatsache, die auf den Kern und das Wesen von menschlicher Kultur überhaupt referiert. Während Tiere nach Momentreflexionen handeln, hat der Mensch verschiedene Bezugnahmesysteme entwickelt. Die neben seine gehirnlich produzierten Reaktionsmuster treten.
Ja klar. "Nebenbedingungen" und "Bezugnahmesysteme" sind nur andere Begriffe für meine altmodischen "äußeren Faktoren". Mir ging es vor allem darum zu erklären, warum ich manches als "biologistisch" bezeichne.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Dark Angel hat geschrieben:(17 Dec 2017, 18:29)

Da hast du was ganz entscheidendes gesagt: "Anlagen fördern". Anlagen sind aber Biologie, weil angeboren. Du kannst also nur etwas fördern oder unterdrücken, was bereits vorhanden ist.
Man wird aus jemandem, der nichtmal ein vernünftiges Strichmännecken zustande bringt, weil ihm die kreativen Anlagen fehlen, keinen Da Vinci machen können - auch mit noch so viel Förderung nicht.
Insofern gibt die Biologie vor, worauf "das Soziale" aufbauen kann, bildet sozusagen das Fundament.
Damit kann ich leben. Ich würde nur nicht von der Biologie als "Fundament" reden, sondern eher die Wechselwirkung (um nicht Dialektik sagen zu müssen, hehehe) zwischen Sozialem und Biologischem betonen wollen. Jedes für sich alleine genommen könnte den Menschen nicht hinreichend genug beschreiben.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Dec 2017, 17:55)

:p Jetzt musste ich wirklich ein wenig lachen angesichts dieser Besessenheit vom Gehirnlichen. Beziehungsweise angesichts dieser naiven Annahme, jemand könnte glauben, ohne Gehirn gehts auch ... Der Mensch hat Kulturtechniken entwickelt, mit denen er dauernd Bewusstseinsinhalte externalisiert. Von der Papyrusrolle bis zum Internet. Und sie damit biologischen Gegegebenheiten entzieht. Was einmal als Text festgehalten ist, hat nichts, aber auch gar nichts mehr mit biologischen Gegebenheiten zu tun. Und auch die Weiterführung von Diskursen kommt - wenn sie nicht einfach spontane Spinnereien sind - an dem Bezug auf gegebene Texte nicht vorbei.
Um eine Papyrusrolle zu lesen, muss ich sehen, ebenso, wenn ich ins Internet gehe - oder ich muss mir den Inhalt vorlesen lassen. Um nur bei den einfachsten biologischen Voraussetzungen zu bleiben. Und da beim Lesen wiederum das Verstehen von Zeichen eine Rolle spielt, ist auch da die Biologie wieder ganz dick dabei. Was externalisiert wird, endet im Nirwana, wenn nicht einer da ist, der versucht, die Botschaft zu entschlüsseln. Ohne Biologie ginge das nur, wenn man von einem von jeder Substanz unabhängigen Geist ausginge.
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Re:

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Dec 2017, 18:04)

Alle Achtung. Das ist ja immerhin eine kultivierte, weil nicht persönlich diffamierende Argumentation. Aber das mit den "therapeutisch orientierten Philosophiezirkeln" .. ob das wirklich stimmt? Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir dieses Sonderheft der Zeitschrift "Philosophie" zum Thema Existenzialismus zu Gemüte zu führen. Aber ich habe stark den Verdacht, dass dieses existenzialistische Denken grad' eine Renaissance erfährt. Mal sehen.
Das "Therapeutische" ist natürlich eine kleine aber durchaus freundschaftliche rhetorische Spitze. Man kann es auch ein bisschen theoretischer sagen: Michael Hampe unterscheidet in seinem "Die Lehren der Philosophie" zwischen maieutischer und akademischer Philosophie. In letzterer spielt der Existenzialismus keine Rolle mehr, im anderen Bereich mag im Zeitalter der Gesellschaft der Singularitäten der als Sinnverlust empfundene Überdruss am Werten und/oder an der aufs rein Narzisstische reduzierten Existenz zu einem Versuch der Revitalisierung des Existenzialismus führen. Aber ich würde dann darauf wetten, dass der mit allen ontologischen Aussagen sparsamere und in seiner gesellschaftlichen Ausrichtung humanere Camus Sartre anders als in den ideologischen Fünfzigern und Sechzigern ausstechen wird. Denn Sartres Engagementforderung führt den Einzelnen letztlich doch wieder auf Umwegen ins Ideologisch-Kollektive, während Camus da keine Ambitionen hatte. Insofern sind Camus Bücher heute durchaus noch lesbar, während Sartre den Dogmatikern zuzurechnen ist (aus meiner Sicht jedenfalls).
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Dec 2017, 09:59)

Es geht darum, dass es völlig legitim und intellektuell achtbar ist, die Positionen des Existenzialismus abzulehnen oder auch als irrelevant anzusehen. Aber eine geistig-philosophische Strömung, die derart nachhaltig die ganze zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts beeinflusste und die gerade heute wiederentdeckt wird als "Quatsch" zu bezeichnen ... das geht eben nicht. Was Du schreibst bestätigt nur noch einmal was ich schon weiter oben geschrieben habe: Dass der Freiheitsbegriff ambivalent ist. Die Unterscheidbarkeit von "Willensfreiheit" und "Handlungsfreiheit" steht zum Beispiel dafür. Die Aufklärung prägte die Vorstellung von Freiheit als "Grundrecht". Deine Formulierung "reale Freiheit" suggeriert, dass es eigentlich nur eine einzige Auslegung dafür gibt und alle anderen irreal sind. Sartre gibt zu - ich finde momentan die Quelle nicht - dass die Handlungsfreiheit, zum Beispiel in diktatorischen Sysemen extrem eingeschränkt sein kann, dass es aber praktisch keine Situation gebe, in der der Mensch von seiner Verurteilung zur Entscheidungsfreiheit befreit sei. Und das schließt selbstverständlich auch die Situation ein, in der Todeszelle zu sitzen.
Mir geht es nicht um die Diskussion über den Existentialismus, sondern um die Phrasendrescherei. Einen Satz herauszugreifen und zu einer pseudo-philosophischen Parole zu verhunzen, hat nichts mit dem Existentialismus Sartres zu tun. Deswegen habe ich den Satz im Zusammenhang zitiert. Die Mühe des Abtippens hätte ich mir offensichtlich auch sparen können.

In der zitierten Stelle geht es nicht um einen bestimmten oder einen ambivalenten Freiheitsbegriff, sondern um gar keinen Freiheitsbegriff. Es geht um die Bedingung für die Freiheit - nach Sartre. Wenn es, wie Sartre behauptet, keine außerpersönliche Legitimation gibt, kann der Mensch sein Handeln eben nur durch sich selbst begründen und rechtfertigen. Das ist alles. Über die konkrete, praktische, angewandte, reale Freiheit ist damit nichts gesagt. Darauf hinzuweisen suggeriert nichts, sondern weist auf den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit hin. Mir zu unterstellen, ich würde damit eine "einzige Auslegung" suggerieren wollen, ist entweder eine vorsätzlich falsche Darstellung oder einfach nur Dummheit.

In der Todeszelle gibt es nichts zu entscheiden. Dein Verweis auf die Erzählung "Die Mauer" war einfach nur Käse. Einfach mal lesen.

Interessanter ist allerdings die Schrift "Ist der Existentialismus ein Humanismus?", aus der der zitierte Satz stammt.

Sartre behauptet, daß ein Arbeiter, der in eine christliche Gewerkschaft eintritt, nicht nur sich selbst bescheidet, sonder anzeigt: "ich will für alle Selbstbescheidung üben, folglich hat mein Schritt die ganze Menschheit gebunden."

Gleich anschließend verpflichtet, wer heiratet, "die ganze Menschheit auf den Weg der Monogamie".

Ich finde das sehr beeindruckend, wie ohne jegliche Begründung die individuelle Entscheidung eines einzelnen Menschen zur Menschheitsfrage aufgeblasen wird. Das ist Religion und sonst gar nichts. Sartre rekurriert damit ja nicht auf den kategorischen Imperativ, wie einige Interpreten behaupten, weil er nicht eine verbindende Idee aufgreift wie Kant, sondern mit der Identität von Mensch und Menschheit ganz tief in die Traditionskiste greift.

"Whoever destroys a soul, it is considered as if he destroyed an entire world. And whoever saves a life, it is considered as if he saved an entire world."
Jerusalem Talmud, Sanhedrin 4:1 (22a)
http://talmud.faithweb.com/articles/schindler.html

Diese Identität findet sich auch im Koran, bezeichnenderweise in Bezug auf die Juden:

Sure 5 : 32
“Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Isrāʾīls vorgeschrieben : Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (daß es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält."


Ob im mutmaßlichen Neo-Existentialismus diese Gleichsetzung vollzogen wird, wage ich zu bezweifeln.
Vermutlich wird es sich um einen "Existentialismus" für Leute handeln, die die Hülle für ihr iPhone so auswählen, daß das Apple-Logo sichtbar bleibt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

Hatice Akyün, deren "Herz deutsch" und deren "Seele türkisch" ist:

"Warum gehen diese Leute nie nach einem Anschlag gegen islamistischen Terror auf die Straße? Es ist nicht nur menschenverachtend, wie sie mitten in Deutschland Juden den Tod wünschen und Israel von der Karte löschen wollen. Es ist hoffentlich auch strafrechtlich relevant. Ich finde es unerträglich, wie sie unsere demokratischen Grundwerte, also Versammlungs- und Meinungsfreiheit missbrauchen, um ihre perfiden Überzeugungen zu verbreiten.
Für uns in Deutschland ist die Schule umso wichtiger als Ort der Aufklärung und Demokratievermittlung.
Denn nur, wenn man die Geschichte seines Landes kennt, kann eine neue Generation von Staatsbürgern heranwachsen, die sich ihrer Verantwortung für die Erinnerungskultur bewusst ist und ihr Handeln zum Besseren ableitet.
Ja, Demokratie muss Widerspruch, sogar Protest aushalten. Wer aber toleriert, was in Berlin passiert ist, macht sich mitschuldig an der Etablierung von Hass als Form der Auseinandersetzung."

https://www.facebook.com/BamS/https://w ... .com/BamS/

Es gibt keine Pflicht, an der deutschen Erinnerungskultur teilzuhaben. Man muß sie nicht einmal respektieren, wie öfter als genug gezeigt wird.
Aber man kann es. Auch mit Migrationshintergrund.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Zunder hat geschrieben:(18 Dec 2017, 13:48)

Es gibt keine Pflicht, an der deutschen Erinnerungskultur teilzuhaben. Man muß sie nicht einmal respektieren, wie öfter als genug gezeigt wird.
Aber man kann es. Auch mit Migrationshintergrund.
Man kann eben nicht befehlen "Erinnere dich!"

Und so wie ein Mensch, der vielleicht seine Kindheit in England oder in der Türkei verbracht hat, bevor er hierher kam und Deutscher wurde, bei Günter Jauch in "Wer wird Millionär" sitzt und an der 200-Euro-Frage scheitert, weil er irgendeinen Kinderreim nicht kann oder versteht, so werden eben immer mehr Menschen mit anderen Erinnerungsmustern- und präferenzen hier aufwachsen und eine neue verbindende Kultur prägen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(18 Dec 2017, 14:31)

Man kann eben nicht befehlen "Erinnere dich!"
V.a. dann nicht, wenn es nichts zu erinnern gibt aufgrund später Geburt. :p

Sich an Narrative anderer zu erinnern und sich einzureden, man wär dabei gewesen und könnte sich erinnern, ist bloße Selbsttäuschung.

Deutschtümelei ist es, nichts anderes. Bloß negativ emotional unterlegt.

Deshalb ist es a priori auch nicht verbindend, denn man muss sich erst mental konditionieren, um auf solche Art deutsch zu tümeln.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Uffzach hat geschrieben:(18 Dec 2017, 14:40)

V.a. dann nicht, wenn es nichts zu erinnern gibt aufgrund später Geburt. :p
Ein kollektives Gedächtnis umfasst immer alle, dafür ist niemand zu spät geboren, höchstens anderswo sozialisiert worden oder ideologisch verstockt.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Hier mal eine Doku zum Thema biologischer Determinismus am Beispiel des Rassenbegriffs.


Ein interessanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist, während in den 70gern bis zu den 2000ern Basketball von Afro Amerikanern dominiert wurde, so war dies in den 30gern des 20sten Jahrhunderts ein jüdischer Sport.
Was die kulturelle Prägung für Talent aufzeigt.
Diskriminierte Minoritäten benutzen Sport als soziales Sprungbrett.
Ein Interview mit einem Genetiker macht auch klar, daß die Idee, Gene seien für etwas, also es gäbe ein Gen für diese oder jene Fähigkeit eines Menschen, ist nicht nur falsch, sondern in seiner Simplifizierung wissenschaftlicher Forschung auf diesem Gebiet sogar gefährlich falsch.



Wer die ganze Serie sehen möchte, kann das am unten angeführten Link tun, aber als Warnung möchte ich anfügen: nur öffnen mit gutem Antivierenschutz:
Solarmovie hat seine Tücken mit Popups und manche sind elend lästig und auch gefährlich.

http://solarmovie.net/watch/x0oe7YVv-ra ... ode-1.html
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Selina
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Ich hatte immer gehofft, dass dieses so genannte "kollektive Gedächtnis" auch wirklich funktioniert und den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Nationalisten verhindern kann. Das war offenbar ein Trugschluss.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Uffzach
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(18 Dec 2017, 14:46)

Ein kollektives Gedächtnis umfasst immer alle, dafür ist niemand zu spät geboren, höchstens anderswo sozialisiert worden oder ideologisch verstockt.
Aha ... das kollektive Gedächtnis läuf auf einem kollektiven Gehirn, wa? :D
Uffzach
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

Selina hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:02)

Ich hatte immer gehofft, dass dieses so genannte "kollektive Gedächtnis" auch wirklich funktioniert und den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Nationalisten verhindern kann. Das war offenbar ein Trugschluss.
Es gibt halt kein kollektives Gehirn, welches deine individuelle Deutschtümelei zu einer kollektiven machen würde. :p
odiug

Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(17 Dec 2017, 19:11)

Um eine Papyrusrolle zu lesen, muss ich sehen, ebenso, wenn ich ins Internet gehe - oder ich muss mir den Inhalt vorlesen lassen. Um nur bei den einfachsten biologischen Voraussetzungen zu bleiben. Und da beim Lesen wiederum das Verstehen von Zeichen eine Rolle spielt, ist auch da die Biologie wieder ganz dick dabei. Was externalisiert wird, endet im Nirwana, wenn nicht einer da ist, der versucht, die Botschaft zu entschlüsseln. Ohne Biologie ginge das nur, wenn man von einem von jeder Substanz unabhängigen Geist ausginge.
Also manchmal muß ich mich wirklich über dich wundern :s
Da schreibst du Beiträge, die einem zum denken anregen und dann haust du so einen Kalauer raus, der mich an der Menschheit verzweifeln lässt :eek:
Daß der Mensch ein biologisches Wesen ist, ein Tier wenn man will, ist als Erkenntnis ebenso banal wie langweilig.
Ebenso wie die Feststellung, daß seine biologische Existenz Bedingung für sein Menschsein ist.
Aber seine Biologie erklärt nicht seine Menschlichkeit, sie ist nur die Voraussetzung dafür.
Wie Steine die Bedingung dafürsind, daß man eine Pyramide bauen kann.
Aber der Stein alleine erklärt die Pyramide nicht und die Biologie auch nicht den Menschen.
Zuletzt geändert von odiug am Mo 18. Dez 2017, 15:39, insgesamt 2-mal geändert.
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Sextus Ironicus
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

odiug hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:11)

Also manchmal muß ich mich wirklich über dich wundern :s
Da schreibst du Beiträge, die einem zum denken anregen und dann haust du so einen Kalauer raus, der mich an der Menschheit verzweifeln lässt :eek:
Daß der Mensch ein biologisches Wesen ist, ein Tier wenn man will, ist als Erkenntnis ebenso banal wie langweilig.
Ebenso wie die Feststellung, daß seine biologische Existenz Bedingung für sein Menschsein ist.
Naja, du hättest ja auch was schreiben können zur Idee, dass ein externalisierter Inhalt des Bewusstseins Gehirn und Biologie entzogen werde. Was soll man denn darauf anders antworten?
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Sextus Ironicus
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Uffzach hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:04)

Aha ... das kollektive Gedächtnis läuf auf einem kollektiven Gehirn, wa? :D
Metaphern übernehmen eine wichtige Funktion in unserer Sprache. Manchmal etablieren sie sich sogar dauerhaft.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
odiug

Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von odiug »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:16)

Naja, du hättest ja auch was schreiben können zur Idee, dass ein externalisierter Inhalt des Bewusstseins Gehirn und Biologie entzogen werde. Was soll man denn darauf anders antworten?
Ich will das nicht externalisieren ... ich glaube weder an eine Seele noch daran, daß wir von einem Geist beseelt wären, der sich in einem göttlichen verortet.
Nur die Erforschung der biologischen Funktionen eines Gehirns wird dir nicht offenbaren, woher dieser Drang nach der Erforschung des Gehirns kommt und was er überhaupt bezwecken soll.
Die neuralen Muster, die der Gedanke an den Begriff Freiheit auf deinem Gehirnscaner auslösen sagen nichts über den Begriff Freiheit aus, weder was er bedeutet, noch woher er kommt, noch wohin er führt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

Uffzach hat geschrieben:(18 Dec 2017, 14:40)

V.a. dann nicht, wenn es nichts zu erinnern gibt aufgrund später Geburt. :p

Sich an Narrative anderer zu erinnern und sich einzureden, man wär dabei gewesen und könnte sich erinnern, ist bloße Selbsttäuschung.
Erinnerungskultur bedeutet nicht, daß du dich an etwas erinnern sollst, sondern daß an etwas erinnert wird.
Wenn du glaubst, dich aus der Verantwortung stehlen zu können, weil du nicht dabei warst, dich folglich nicht daran erinnern kannst und somit nichts damit zu tun hast, stellst du dich auf eine Stufe mit Erdogans Handlangern.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Zunder »

Selina hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:02)

Ich hatte immer gehofft, dass dieses so genannte "kollektive Gedächtnis" auch wirklich funktioniert und den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Nationalisten verhindern kann. Das war offenbar ein Trugschluss.
Vielleicht haben die Nationalisten soviel Erfolg, weil das kollektive Gedächtnis funktioniert.

Hatice Akyün hat übrigens gar nichts über Nazis geschrieben.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von BlueMonday »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(17 Dec 2017, 19:11)
Ohne Biologie ginge das nur, wenn man von einem von jeder Substanz unabhängigen Geist ausginge.
Wobei das Wort ja schon darauf hindeutet, dass es dabei um eine "Logie", also letztlich ein begriffliches System geht. Und da wären nun andere Begriffsysteme ja noch weitaus näher am Gegenstand als die Biologie, also namentlich die Chemie oder gar die Physik... und als Seitschritt die Epistemologie, Wissenschaftstheorie... Insofern sind dann Physiker wie Heisenberg bspw. näher am Rande und Ende der Sprache und damit auch näher an der Sprachkritik: http://www.quantum-cognition.de/texts/heis2.html

Und allesamt sind sie als Begriffssystem - gemacht. Im Nachhinein. Das ist es ja nun, was die Existentialisten u.a. - wenn vielleicht auch viel zu umständlich - sagen wollen, dass all dem die noch begrifflose und damit unbegriffene Existenz vorausgeht, das bloße, noch unbetrachtete, unsagbare Dasein.
Also das Dasein hängt nicht von der Biologie ab. "Da" war schon etwas lange lange vor der Biologie, sondern umgekehrt, die Biologie hängt davon ab, dass etwas Existierendes sich entsprechende biologische Begriffe macht.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:18)

Metaphern übernehmen eine wichtige Funktion in unserer Sprache. Manchmal etablieren sie sich sogar dauerhaft.
Wer Macht über die Sprache hat, der hat die Macht. Ich lehne deine Metapher als Unsinn ab. Es gibt kein kollektives Gedächtnis. Solche Metaphern sind sprachliche Werkzeuge der psychologischen Kollektivierung.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

Zunder hat geschrieben:(18 Dec 2017, 15:46)

Erinnerungskultur bedeutet nicht, daß du dich an etwas erinnern sollst, sondern daß an etwas erinnert wird.
Solche Ermahnungen von selbsternannten Mahnern brauche ich nicht.
Zunder hat geschrieben: Wenn du glaubst, dich aus der Verantwortung stehlen zu können, weil du nicht dabei warst, dich folglich nicht daran erinnern kannst und somit nichts damit zu tun hast, stellst du dich auf eine Stufe mit Erdogans Handlangern.
Ich habe deiner Deutschtümelei nichts zu tun.
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