schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Oct 2018, 14:49)
Jetzt mal unabhängig von der Snnhaftigkeit und den Umweltrisiken: Ist es denn überhaupt möglich, eine solche über Jahre eingebüßte Wettberwerbsfähigleit wieder herzustellen? Es heißt, Rotterdam und Antwerpen seien längst davongezogen im Hafengeschäft. Und dann bauen die Chinesen Piräus im Rahmen ihres Seidenstraßenprojekts für Große Schiffe aus. Noch beliefere China Osteuropa vorwiegend über Hamburg. Aber wenn ich auf eine Weltkarte schaue: Ist das nicht ein Umweg im Vergleich mit einem griechischen Hafen?
Öhm, puh, also, wie man's nimmt. In der Regel vergleicht man ja Häfen mit einfachen Kennzahlen, z.B. umgeschlagene Container oder Tonnen. Für die Standorte sagte das erstmal wenig. So schlug Rotterdam aufgrund des Ölhandels schon immer mehr um als Hamburg, wo man nicht darunter leidet, dass Linien ihre Pläne auf Rotterdam oder Antwerpen umgestellt hätten. In der Regel werden alle drei Häfen auf der Relation Europa--Fernostasien angesteuert. Ist es sinnvoller, Güter bereits bei den ARA-Häfen umzuschlagen, macht man das längst.
Für Hamburg gibt's grob gesagt drei Kernziele: die eigene Metropolregion, die Ostsee und Osteuropa. Für die Blaue Banane ist Hamburg eher uninteressant, auch wenn es schon vorgekommen ist, dass ein Spediteur Waren aus China lieber in Hamburg statt Genua umschlug, um sie zuverlässig per Bahn nach Mailand zu bringen -- also vor dem Einsturz der Brücke, wohl gemerkt. Die Fahrrinnentiefe ist ja nur ein Merkmal von Häfen und keins von so hoher Bedeutung, weshalb Wilhelmshaven ja auch ein Ladenhüter ist. In der Region sind kaum Konsumenten und Industrien, Dienstleister sucht man vergebens und die Hinterlandanbindung ist prekär, ob der fehlende Ausbau der A20, die grausame Bahnanbindung (Nadelöhr Oldenburg) oder die inexistente Binnenschifffahrt. Südlich von Hamburg wiederum steht der größte Rangierbahnhof Europas und der zweitgrößte der Welt. Und ob die Chinesen bis nach Ungarn und Tschechien eine günstige und zuverlässige Bahnverbindung hinkriegen, wird sich zeigen müssen. Da die Schiffe ja nicht nur für Waren für ein Land beladen sind, wird man wohl weiterhin lieber in Richtugn Nordsee fahren und dann auf bewährtem Wege auch diese Container abladen statt einen teuren, zusätzlichen Stopp in Griechenland einzulegen. Theoretisch könnte Piräus 6,7 Mio. TEU (Standardcontainer) umschlagen, wenn die Schiffe perfekt 24/7 eintrudeln. Real waren es zuletzt ca. 3,7 Mio. Rotterdamm ist bei 12,4, Antwerpen 10, Hamburg 8,9 und Bremen 5,5 Millionen. Hamburg könnte -- ebenfalls nur theoretisch -- 16 Millionen. Was soll da großartig abgeluchst werden, wenn nur eine Minderheit der Waren Richtung Ostmitteleuropa geht? Für Verkehre von/bis nach Serbien oder Bulgarien kommt die Nordrange eh nicht in Frage. Da hat man schon Triest, Piräus, Koper usw. "Gefährlicher" wird's für Gioia Tauro oder Marsaxlokk, deren Kerngeschäft das Transshipment ist.
Und Hamburg fällt ja nicht zurück, sondern konnte, wenn man so will, die Umschlagzahlen zuletzt leicht (0,x%) steigern und die anderen beiden stärker. Aufgrund der besagten Bedeutung zur Ostsee ist der Handel mit Russland eben stark eingeschränkt und dies war nie für Rotterdam und Antwerpen ein wichtiger Markt. Hamburg konnte diesen sanktionsbedingten Verlust durch die Stärkung anderer Märkte, insb. Südamerika, wieder kompensieren. An der fehlenden Schiffbarkeit der Fahrrinne lag es nicht, da es derzeit nicht viele Schiffe gibt, die nur tideabhängig die Containerterminals erreichen können, u.a. weil es an der gesamten nord- und südamerikanischen Atlantikküste nicht einen einzigen Hafen gibt, der mehr Tiefgang als Hamburg erlaubt, weshalb es für Reeder keinen Sinn ergibt, dort größere Pötte fahren zu lassen. Und mit der Flut kommen ja die derzeit größten Schiffe rein. Wichtiger ist die Begegnungsbox Richtung Nordsee, damit zwei dieser Schiffe auch problemlos aneinander vorbeifahren können. Schwierigkeiten hätten wir, wenn die großen Schiffe vollbeladen nach Hamburg kämen, aber das passiert ja aus logistischen Gründen nicht, da es keine Direktverkehre von Hamburg mit Großer Fahrt gibt.
Was für Häfen und Standorte viel wichtiger ist, aber sich nicht einfach monetarisieren lässt, ist die Wertschöpfungskette. Ein Container voller Bananen für den Endverbraucher ist halt das eine. Hochwerte Materialien oder Hardware-Komponenten, die in der Region von Spitzenkräften und Weltmarktführern weiterverarbeitet werden, das andere. Da gibt's Betriebe im Hafen, die aus 70 Dollar für eine Tonne Erz am Ende 10.000 Euro machen. Da ist die Musik drin. Aber die Effekte, insb. von wirtschaftlichen Clustern, die sich gezielt in Häfen ansiedeln, obwohl sie nicht zum klassisch-traditionellen Hafengeschäft gehören, kann man eben nicht so schön zählen und aufschreiben wie bewegte Container... und da ist es den Betreibern tatsächlich egal, welchen Wert der Inhalt eines Containers hat.
Ich denke schon, dass das Signal der Fahrrinnenanpassung für den Standort wichtig ist, aber dass die zweistelligen Wachstumszahlen der 90er und frühen 2000er nicht mehr da sind, hat andere Gründe. Damals bekam man halt sein historisches Hinterland zurück, aber irgendwann war es auch weitestgehend gesättigt. Solange der Umschlag nicht fällt und der Wert der Waren zurückgeht, braucht man nicht das Handtuch zu werfen. Nebenbei wurde ja auch die Hafenqualität erhöht, ob bei der Hafenbahn oder bei der digitalen Infrastruktur, wo Hamburg in vielen Bereichen seinen Mitbewerbern voraus ist -- und es auch sein muss.
Man sollte den Wettkampf aber auch nicht so eng sehen. Metropolen streiten so oder so miteinander, egal ob es Hafenstädte sind oder nicht. Man denke nur an das ewige Start-Up-Thema, ob in Berlin, NRW, London oder Paris. Zudem verstehen sich nur die wenigsten Akteure im Hafen als Konkurrent. Die Spediteure und Reeder sind selten regional verwurzelt (auch wenn man es mit Folklore in dieser durchglobalisierten Branche gerne anders darstellt). Für die Port Authorities gibt's zahlreiche Netzwerke und man steht im engen Austausch. Als ich mal auf einer Konferenz kürzlich war, fragte ein Ingenieur aus Antwerpens Verwaltung einen Hamburger, wie es mit der Elbvertiefung stünde, da man von dem ewigen Hin und Her hörte. Als der Hamburger mitteilte, dass es derzeit ganz gut aussieht und die Arbeiten wohl bald beginnen können, sagte der belgische Verwaltungsmensch nur sinngemäß "das hört sich gut an. Wir hatten ähnliche Probleme in Belgien". Da sind dei "gemeinsamen" Gegner eher Stadtentwicklungspolitiker, die Hafenflächen zu attraktiven Wohngebieten umwidmen wollen. Umweltschützer, die für giftiges Unkraut und dessen Zukunft ein Heer an Juristen aus allen Ecken Deutschlands losjagen. Oder Hafenbetriebe, die auf die Barrikaden gehen und gleich zu Presse sowie Politik rennen, wenn sich der Quadratmeterpreis von 3,50 Euro im Jahr (!) auf 3,55 Euro nach fast zehn Jahren ohne Anpassung erhöht. Und wenn die Verwaltung dann noch Radfahrwege baut, wo doch die Industrie am liebsten einen Zaun ums ganze Areale bauen und sich abschotten würde, dann ist das eine ideologische linksgrüne Kriegserklärung.
Richtige Konkurrenten sind "nur" die Betreiber der Umschlagsterminals. Und dort nicht einmal alle, da viele den Eigenbedarf umschlagen. Wenn irgendwer Aluminium herstellt oder einen Getreidespeicher betreibt, dann ist es ihm ziemlich egal, ob es sowas in einem anderen Hafen auch gibt... solange er auf dem Weltmarktpreis keine Konkurrenten, die sonstwo sitzen können, mit günstigeren Preisen antrifft.
Und zu guter Letzt: in Hamburg boomt seit Jahren die Kreuzschifffahrt und die großen Varianten kommen heute schon nicht in Teile des Hafens rein. Das ist auch einer der Gründe, weshalb die Stadt voraussichtlich die Köhlbrandbrücke durch einen Tunnel ersetzen wird. Vorher wollte man "nur" eine 73,5 Meter hohe Brücke (derzeit: 53 Meter lichte Höhe), die für die Containerschiffe und ihrer Größenentwicklung ausreichend wäre. Mit einem Tunnel wäre im Süden Hamburgs Potential für neue Kreuzfahrtterminals. Und hier hat Hamburg einen Vorteil, den die wenigsten Häfen haben: die Touren beginnen und enden dort. Sprich, die Millionen Gäste kommen im Schnitt zwei Tage vorher (bzw. bleiben nach der Fahrt), nächtigen in Hotels, gehen in Restaurants, fahren Taxi, nutzen den Flughafen etc., während die Beladung mit Lebensmitteln, Betriebsmitteln, Kraftstoff sowie die Endladung von Müll und Schrott dort ebenfalls viel Geld in die Stadt bringt. In Venedig oder Barcelona, wo man mehr Kreuzfahrtgäste verzeichnet, sieht es eher so aus: man frühstückt morgens an Bord, kommt dann am Hafen an, geht zu den Tauben am Markusplatz, trinkt für 8 Euro einen Espresso, schickt eine Postkarte ab und sieht zu, dass man wieder pünktlich an Bord kommt, da ja wieder Essen ansteht, für das man schon bezahlt hat. Und dann legt das Schiff auch wieder ab, das Abendprogramm an Bord startet und man nimmt Kurs auf die nächste Stadt.
Und wer sagt uns, wie der Handel in 20 oder 50 Jahren aussieht? Vielleicht kommt überwiegend Granulat für 3D-Drucker an den Häfen an, die Boxen zerlegen sich in 1000 Mini-Boxen und werden von Drohnen zu den Betrieben, Konsumenten usw. geflogen. Und wie bewerten wir dies, um die performance von Häfen bzw. Hafenstädten zu vergleichen? Schiffsbewegungen und -größen? Anzahl der Boxen? Tonnen? Hochwertigkeit des Granulats? Wert des hergestellten Endprodukts? Wer weiß das schon? Nur weil der jetzige Standardcontainer vor wenigen Jahrzehnten die Schifffahrt revolutionierte, heißt es ja nicht, dass wir am Ende der Entwicklung seien. Vielleicht hat Hamburg hierbei auch wieder eine mutige Vorreiterstellung und erhöht seine Produktivität... oder man schaut eben doch, welche Hafenflächen man für Nichthafengewerbe oder auch attraktive Wohnnutzungen umwidmen kann. Es gilt ja nur: wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.