Sextus Ironicus hat geschrieben:(17 Nov 2017, 10:47)
Zum wiederholten Male: Es geht um das, was aus diesem Urteil in seinen Folgen für die Gesellschaft über die Frage des Intersexuellen hinaus weist. Ist das irgendwie verständlich?
Vielleicht habe ich mich ungenügend ausgedrückt.
Du schriebst sinngemäß, dass die kleinste Minderheit das Individuum ist, das zuweilen exzentrisch sein kann. Die Anspruch auf Anerkennung der eigenen Exzentrizität könne kein Maßstab für das Urteil anderer sein. Der Wunsch nach Anerkennung bedingt keine tatsächliche; hier liege keine Diskriminierung vor, da Diskriminierung so entkernt würde und zu einem tatsächlichen Fühlen verkomme. Ein eigenes Fühlen könne aber keine Basis der Rechtssprechung bzw. Bewertung sein, da es irrational und nicht objektivierbar sei. Dazu brachtest du das fast klassische Beispiel von "Irren", von Menschen, die sich für historische Persönlichkeiten halten. (Bitte korrigiere mich, wenn ich dich falsch verstanden haben sollte.)
Das ist mit Verlaub kompletter Unsinn bzw. kategorienfehlerbehaftet. Erstens hat das Verfassungsgericht nicht über Psychopathologien befunden, sondern über geschlechtliche Identität, die, zweitens, naturnotwendig keine individuelle Eigenschaft sein kann. Also die Identität schon, aber nicht die körperlichen Merkmale. Du ziehst von einem ganz konkreten Punkt eine konkrete Gruppe mit konkreten Merkmalen betreffend den Schluss auf abstrakte Extreme. Da gibt es keine logische Verbindung, es ist nur scheinkausal. Und strukturell - das ist nicht als Unterstellung gemeint - die gleiche Argumentation von Gegnern der Homoehe, wonach die Möglichkeit zur Heirat von Homosexuellen die Möglichkeit zur Heirat von Menschen mit Wellensittichen nach sich ziehen müsse, wie es Gretel mal so treffend ausdrückte. So wie die Ehe zwischen zwei Erwachsenen etwas kategoriell anderes ist als das Bedürfnis nach Institutionalisierung einer engen Beziehung zu Vögeln, so betrifft die Möglichkeit zur einer dritten Geschlechtseintragung nur Intersexuelle und niemand anderen. Da gibt es keine Folgen für die Gesellschaft, es gibt Folgen für die Betroffenen, nämlich den Abbau einer Diskriminierung. Die Akzeptanz von Intersexualität betrifft nur die Akzeptanz von Intersexualität, weder die von reinkarnierten Rommels noch Gandhis.
Drittens hast du Diskriminierung anscheinend nicht verstanden. Diskriminierung betrifft immer konkrete Einzelpersonen aufgrund von (vermeintlichen) Gruppenmerkmalen. In diesem Fall war es die Nichtanerkennung des Merkmals Intersexualität. Deine Beispiele sind mangelhaft, da ihnen keine gemeinsame Verbindung (=Gruppenmerkmal) zu eigen ist. Außer eben das Wahnhafte.
Und da liegt im Grunde eine weitere Diskriminierung, die das Erleben von Diskriminierungen von Intersexuellen psychopathologisiert. Das ist unterste Schublade. Vielleicht hast du es nicht so gemeint, gesagt hast du es aber.
Ich hatte die für die Betroffenen erreichte Rechtssicherheit für gut befunden, dagegen die Implikationen, die darüber hinaus reichen für negativ.
Das kann ja wohl nicht der Maßstab für Ungleichbehandlungen sein. Negative Implikationen sind immer denkbar. Allerdings widerspricht es meinem Rechtsempfinden, einen Zustand der Diskriminierung damit zu begründen. Die Diskriminierten können weder etwas dafür, was andere so meinen, noch etwas dafür, dass wieder andere solche Meinungen als Ausdruck einer negativen Entwicklung deuten. Für sie konkret existiert eine Ungleichbehandlung.
Und diese Folgen gibt es bereits, wie man an den Statements sieht. Es gibt keine "Vielfalt der Geschlechter", sondern es gibt genau zwei Geschlechter, aus denen sich dann hin und wieder eine weder dem einen noch dem anderen zuzuordnende Mischform ergibt. Das ist eine biologische Tatsache und keine Wahnvorstellung. Deine Unterstellung bleibt also ohne Basis.
Welche Unterstellung?
Abgesehen davon hat Perdedor meiner Ansicht nach bereits deutlich dargelegt, dass wenn eine Person weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, sie also zu einer dritten Gruppe gehören muss. Das sieht das BVerfG offensichtlich genauso.
Alles, was darüber hinausgeht, ist eine Sache des Kopfes, die man wie die Reinkarnation behandeln kann. Der Napoleon ist dabei eine weitere Unterstellung, denn es ist ein Unterschied, ob jemand sagt: Ich bin Napoleon (Basis der früheren Irrenwitze) oder behauptet, er sei die Inkarnation einer mittelalterlichen Magd oder einer ehemaligen Persönlichkeit. Sollte eigentlich verständlich sein, der Unterschied.
Nein, eigentlich nicht. Wer behauptet, er sei eine Inkarnation von dem und dem, und auf dieser Basis für sich eine Behandlung einfordert, als ob er der und der wirklich sei, verwischt die Grenzen zwischen der historischen Person und der Inkarnation. In der Folge beansprucht er ein eigenes und fremdes Verhalten so, als ob er tatsächlich der und der sei. Was das mit Intersexualität zu tun haben soll, bleibt allerdings schleierhaft.