Zunder hat geschrieben:(02 May 2017, 17:34)
"Wir Deutschen" enthält überhaupt keine Wertigkeit, sondern einfach nur eine staatsbürgerliche oder ethnische Bestimmung. Inhaltlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Sätzen:
- "Wir Deutschen sind das beste Volk der Welt."
- "Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung gegenüber Israel."
Wie bereits gesagt, wenn "Wir Deutschen" nur den Fakt der Staatsbürgerschaft benennt, dann kann das Wir getrost als Personalpronomen verstanden werden. Diese Unterscheidung zwischen Deutschen und Nicht-deutschen ist nur numerisch, sie ist wertfrei. Alledings besteht trotz der Namensgleichheit ein erheblicher Unterschied zu "Wir Deutschen", wenn die Unterscheidung an anderen Merkmalen als der Staatsbürgerschaft festgemacht wird. Das beinhaltet eine Zuschreibung, die, auch wenn sie von mehreren geteilt wird, kein objektiver Fakt ist, sondern Ausdruck subjektiven Empfindens. Von daher ist die Wertigkeit unumgänglich; sie ist in dieser Unterscheidung angelegt. Sonst verlierte sie auch ihren Sinn.
Deine beiden Beispiele verdecken den Gedanken, da das zweite eine Umdeutung der Verantwortung Deutschlands ist, als deren Bürger ich es gewissermaßen mit der Verantwortung auch in meinem Namen beauftrage, obschon ich selbst die Verantwortung nicht besitze. Wir Deutschen meint hier zweifelsohne das Staatsvolk, ist also numerisch gemeint. Alles andere wäre auch anmaßend, ungeachtet dessen, dass ich die Aussage als treffend erachte, da es sonst eine Zuschreibung darstellt.
So wird dann doch deutlich, dass einem Wir antiindividualistische Tendenzen innewohnen; das "Wir" fordert Unterwerfung, sobald es eine vermeintliche Zugehörigkeit ausgemacht hat. Das Spannungsfeld besteht ja nicht nur zwischen Wir-Sie, sondern ebenso zwischen Wir-Ich. Es könnte unter Reichskanzler Bernd Höcke ja auch heißen: "Wir Deutschen haben die Pflicht zum positiven Bekenntnis zu Deutschlands Geschichte." Ist genau der gleiche Kram, auch wenn es inhaltlich sich unterscheidet. Eventuell reden wir auch aneinander vorbei. So wie das Wir definiert gehört, wenn es um einen konkreten Umgang damit geht, so kann die Struktur identifiziert und Konsequenzen, die sich daraus ergeben, abgeleitet werden. Und das ist eben unabweisbar der Fall: Wir trägt immer das Potential zur Politisierung.
Es ist sinnlos, Begriffe denunzieren zu wollen, ohne sie inhaltlich zu bestimmen. Und wenn das "Wir" als bloße Gemeinschaft "kritisiert" wird, kann man Kollektive auch nicht mehr auseinander halten. Dann wird der Unterschied zwischen Täter- und Opferkollektiv nivelliert.
(Das Kopftuch drückt übrigens auch die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv aus - zu dem der Rechtgläubigen.)
Es ist überaus wichtig, die Werthaftigkeit kollektiver Identitäten aufzudecken und sich darüber Gedanken über Politik und Gesellschaft zu machen. Und das geht direkt auf Carl Schmitt zurück.
Mit der Edelnutte unter den deutschen Staatsrechtlern hat das aber eher nichts zu tun.
Die Edelnutte hat immerhin das Wesen und die Konsequenz der kollektiven Volksidentität am eindrucksvollsten aufgezeigt. Die Wir/Sie-Unterscheidung als Anfang und Endpunkt aller Politik. Es ist die Einheit, die verpflichtet und Gehorsam fordert. Wer nicht Teil ist, ist potentieller Feind. Das Wir als Antagonismus zum Sie, aber auch zum Ich aufgrund der geforderten und notwendigen Einheit. Dem steht der Pluralismus gegenüber, der alleine aufgrund seiner Existenz die Daseinsberechtigung des Wir in Frage stellt. Daher auch die Notwendigkeit zur potentiellen Vernichtungsbereitschaft der Feinde. Nicht ohne Grund hat Schmitt die Volksdemokratie als Gegenentwurf zur liberalen Demokratie verstanden.
Schmitt treibt das schon auf die Spitze, aber von der lässt sich das Ganze halt gut überblicken.