http://www.fr-online.de/kultur/intervie ... 85260.htmlHerr Welzer, können Sie den Begriff „Angst“ überhaupt noch hören?
Schlecht. Dieses ständige Gerede von einer „verängstigten Gesellschaft“ macht mich inzwischen regelrecht wütend, weil es die Angst selbst erst hervorruft, die es behauptet. „Hysterische Gesellschaft“ wäre deshalb der passendere Begriff. Der Eindruck einer um sich greifenden Angst ist ein extrem gelungenes Marketing der Rechtspopulisten. Das Verhängnisvolle ist, dass Politik und Medien diesen Quatsch auch noch für bare Münze nehmen.
Terror, sozialer Abstieg, Altersarmut – das sollen alles bloß Chimären sein?
Letztlich ja. Und jetzt mal im Ernst: Die Deutschen laufen doch nicht von Panikattacken geschüttelt durch die Gegend. Abstiegssorgen, ja, die gibt es, zweifellos. Sie sind aber ein konstitutives Element moderner Gesellschaften. Weil die Kehrseite Aufstiegschancen sind, die statische Gesellschaftsformen den Menschen nicht bieten. Und auch der Terror ist natürlich eine Bedrohung. Statistisch aber liegt sie, wie wir wissen, weit unterhalb eines simplen Haushaltsunfalls. Der eigentliche Erfolg des Terrors bemisst sich doch daran, in welchem Maß sich die Leute davon verrückt machen lassen.
Dem schliesse ich mich absolut an. Man merkt im Alltag auch keine wirkliche besondere Bedrohung, wir leben in einem der sichersten Länder, geniessen eine recht gute Gesundheitsversorgung und für den größten Teil der Gesellschaft lebt in Wohlstand. Wenn überhaupt müssten wir uns mal vor dem Strassenverkehr oder unserer eigenen Dusseligkeit fürchten, die uns am ehesten Bedrohen.
Gelingt es gerade deshalb vielleicht den Demagogen mit hysterischem Geschrei uns zusätzlich eine Angst einzureden?