Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

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Platon
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Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Liebe Leserinnen und Leser, nachdem ich zuletzt wieder etwas mehr im Strang " Grundsatzdiskussion Islam" diskutiert habe, möchte ich mal ein paar grundsätzliche Gedanken zur Frage schreiben, in welchem Rahmen ich Islamkritik für richtig und wichtig halte. Um meine Ansichten wirklich verständlich zu machen, muss ich leider etwas weiter ausholen, ich entschuldige mich von vorne herein dafür. Das kommt daher, dass ich mich zuletzt etwas mit islamischen Recht beschäftigt habe, vor allem einem Kapitel über schiitisches Eherecht und dem Buch und diversen YouTube-Videos von Herrn Rohe.

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Eines meiner Hauptargumente gegen die Islamkritik, vor allem solche die sagt "Im Koran steht aber..." oder die irgendwelche Koranverse zitiert und diese dann mit dem Handeln von Muslimen in Verbindung bringt und dann glaubt, diese Koranverse würden die unmittelbare Legitimation bilden z.B. Ungläubige zu töten, wo immer man sie trifft (Schwertvers) und solche Sachen.
Mein Argument ist dabei immer, dass sie hier Koranexegese und Rechtsfindung betreiben ohne, dass das irgendwelche Relevanz hat. Denn das Ziel der Islamkritiker ist ja eine Erklärung für das zu finden, was sie glauben an realen Phänomenen zu beobachten und das dann in ein großes Feindbild Islam einzuordnen, mit der Vorstellung, dass sei dann der Islam und die Muslime haben die Möglichkeit entweder ihren Islam so lange durch Wunschdenken zu einer einigermaßen menschlichen Religion zurecht zu stutzen, oder die Aussagen, wie die Salafisten, wörtlich zu nehmen und dann halt eben auch Gewalt gegen Ungläubige auszuüben, Frauen zu unterdrücken, Apostaten und Homosexuelle zu töten usw. usf.

Aber so läuft das halt nicht.

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Weil was ist denn der Sinn der Islamkritik? Es geht doch darum sich zu fragen, inwiefern sind Muslime in der Lage sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern, oder inwiefern gibt es Probleme, welche ihre Ursache in islamisch begründeten Regelungen haben? Inwiefern widersprechen die Verhältnisse in Ländern der islamischen Welt dem Standard der Menschenrechte? Was ist an Regelungen und Lehren des Islam auszusetzen, aus dem Blickwinkel eines aufgeklärten Humanisten, welcher die Menschenrechte hochhält und welcher sich Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit für alle wünscht.

Wenn man sich nun anschaut was alles an Kritik angeführt wird, geht es im Kern eigentlich um einzelne juristische Auslegungen, die das Zusammenleben von Menschen betreffen und in den Rechtskompendien des klassischen Islams kanonisiert sind. Will heißen die Orthodoxie der vier großen sunnitischen Rechtsschulen und der schiitischen Rechtstradition. Konkret: die Ausführung der Körperstrafen, die Bestrafung von Homosexuellen Handlungen und außerehelichem Sex sowie Apostasie vom Islam, verschiedene Regelungen des Eherechts, welche vor allem Mädchen und junge Frauen benachteiligen, wie das Heiratsalter von 9 Jahren, die Möglichkeit eines Vormundes einer jungen Frau/einer Minderjährigen bzw. Jungfrau für diese eine Ehe ohne ihre Zustimmung einzugehen - das ist als Zwangsehe bekannt. Das Scheidungsrecht, welches die Frau stark benachteiligt, weil sie nur per richterlichem Beschluss sich scheiden lassen kann und unter Angabe von speziellen Gründen wie z.B. Impotenz und Wahnsinn des Ehemannes, während der Ehemann das jederzeit und sehr leicht tun kann. Das Erbrecht, wenn die Frau wenig erbt als der Mann, die Frage nach der Gültigkeit von Zeugenaussagen von Frauen, wenn die Aussage der Frau weniger bzw. die Hälfte wert ist als die eines Mannes. Die Beschneidung von Frauen. Die Stellung von religiösen Minderheiten innerhalb sich als islamisch verstehender Gesellschaften, die zwar als Schutzbefohlene einen gewissen Rechtssicheren Status haben, aber doch halt nicht 100% gleichberechtigt sind und die Herrschaft der muslimischen Mehrheit auf die ein oder andere Art anerkennen müssen. Das Verbot von Alkohol, Musik, freizügiger Kleidung und Schweinefleisch. Die Notwendigkeit der Ehefrau die Zustimmung des Ehemannes einzuholen für bestimmte Tätigkeiten, wie das Haus zu verlassen, arbeiten zu gehen, die Notwendigkeit dem Mann zu gehorchen, die Frage ob der Mann die Frau schlagen darf.
Ich weiß nicht ob ich etwas vergessen habe, das Thema Jihad ist wieder etwas Anderes, weil der Jihadismus als revolutionäre Ideologie ja Dinge macht die im Orthodoxen Islam gerade nicht vorgesehen sind, in dem politischer Pragmatismus und Gehorsam gegenüber dem Herrscher, und sei er noch so ungerecht, eine zentrale Rolle einnehmen. Ebenso ist eine revolutionäre Neudeutung der Schia von Khomeini und Anderen im Iran eine Neudeutung aus den 1960er und 1970er Jahren, ebenso wie die Sache mit dem Velayet-i Faqih, das gab es vorher alles gar nicht. Ich klammere das Thema Staatsrecht und Islam und Demokratie mal ein wenig aus, weil im klassischen Islam man diese Dinge alle viel entspannter gesehen hat, als heutzutage. Meiner Meinung nach liegt das Hauptproblem in dieser Sache beim politischen Willen und auch der Kompetenz der jeweiligen Akteure und weniger in der islamischen Dogmatik, die sich wie gesagt bisher noch mit jedem Herrscher abgefunden hat.

Ich sage man sollte sich mal fragen, wie kamen die islamischen Gelehrten zu obigen Rechtsregelungen?

Die Antwort ist durch Auslegung der religiösen Quellen, d.h. von Koran und den jeweiligen Hadith-Sammlungen mittels bestimmter Methoden, wie sie vor allem auf aš-Šāfiʿī zurückgehen. Das heißt man kann nicht einfach mal einen Koranvers lesen und wörtlich nehmen, sondern man muss den Koran als Ganzes betrachten, alle relevanten Hadithe in Erwägung ziehen, abwägen, womöglich noch alle möglichen anderen Aspekte in Betracht ziehen und kommt dann zu einer juristischen Meinung zu einer bestimmten Frage. Denn wie gesagt die Islamkritik bezieht sich ja hauptsächlich auf Rechtsauslegungen, wie ich sie oben aufgelistet habe und die in ihrer Gesamtheit dann das ergeben was man gemeinhin Scharia nennt. Diese Fiqh-Bücher bzw. Fatwa-Sammlungen werden dann in großen Kompendien gesammelt und im Laufe der Jahrhunderte weiter tradiert und kommentiert. Es gibt dann vor allem für den sunnitischen Islam, die Vorstellung, dass mit der Herausbildung und der Etablierung der vier großen Rechtsschulen die Tore der eigenständigen Rechtsfindung geschlossen habe und mit der Etablierung der sunnitischen Orthodoxie Rechtsmeinungen nur noch tradiert und es keinerlei Weiterentwicklung mehr gab in der Rechtsfindung und den Methoden der Rechtsfindung sowieso.
Nichts desto trotz werden Islamwissenschaftler nicht müde darauf hinzuweisen, dass gerade in der klassischen islamischen Zeit eine große Menge an Meinungspluralismus gegeben hat, es also je nach Rechtsschule im Detail sehr wohl eine große Breite an Meinungen gegeben hat und es eben nicht eine Meinung gab und die war für alle verbindlich sondern es gab zu fast jedem einzelnen Punkt ein Spektrum an Meinungen. Die Vorstellung es habe sich irgendwann ein islam-juristischer Konsens zu allen wichtigen Fragen herausgebildet ist einfach falsch, vielmehr wurde weitreichender Meinungsverschiedenheiten/Streit institutionalisiert und immer weiter überliefert, nur irgendwann hat die Menge an neuen Meinungen die zu diesem Streit hinzugefügt wurden wohl dann doch etwas nachgelassen. Und gerade dieser Pluralismus ist dann der eigentliche Wesenszug der islamischen Rechts- und Normenlehre. Thomas Bauer hat das in seinem Buch Kultur der Ambiguität in deutscher Sprache hingewiesen und man kann sich in einem Vortrag mal anhören wie das genau zu verstehen ist inklusive einiger Beispiele. Wenn man sich nun fragt wie weit diese Meinungsverschiedenheiten im klassischen Islam gingen, kann man natürlich aus moderner Sicht direkt sagen, nicht weit genug. Also mir wäre keine Rechtsmeinung in diesen klassischen Werken bekannt, nach der die Frau dem Mann z.B. im Eherecht auch nur annähernd gleichgestellt wäre und es wäre doch sehr überraschend, wenn man da derartiges finden würde. Warum das dennoch interessant ist, kommt weiter unten.

Was steht nun in dieser Scharia-Literatur der islamischen Gelehrten?

In diesen Rechtskompendien finden sich Anweisungen zu praktisch allen Dingen, welche im Leben der Muslime vorkommen können. Dabei gibt es für gewöhnlich zwei bzw. drei Kategorien oder Abschnitte. Am Anfang gibt es mitunter, nicht immer, einen Teil über die jeweiligen Glaubensgrundsätze einer Gruppe. ʿAqīda nennt sich das und hier gibt es gerade innerhalb der jeweiligen Strömungen für gewöhnlich wenig Diskussionsbedarf und entsprechend auch einen eher geringen Meinungspluralismus. Ansichten anderer Strömungen begegnet man dann mit apologetischen Schriften, deren Argumente sich im Laufe der Jahrhunderte bis heute auch kaum verändern. Für den Islamkritiker sind die Feinheiten der islamischen Theologie, z.B. wie man die Attribute Gottes denn nun genau zu verstehen habe, weitgehend uninteressant. Die Salafisten glänzen auf diesem Gebiet in Sachen Tauhid-Verständnis und Attributenlehre mal wieder damit, es besser zu wissen als alle Anderen. Die Glaubenslehre ist aber letztlich für die jeweiligen Muslime etwas, wo es wenig falsch zu machen gibt.

Der zweite Teil sind dann immer Regelungen zum ʿIbādāt, d.h. gottesdienstliche Handlungen, alles mögliche was den religiösen Ritus des Gläubigen betrifft. Das ist der eigentliche praktische Kern des Islam, die Regelungen zur rituellen Reinheit, das Gebet, Fasten, Pilgerfahrt(en), Almosengabe, Zakat-Pflichtabgabe usw. Das ist traditionell für den Muslim der Kern der Sache, die eigentliche Scharia, da wo sich das Individuum dem Willen Gottes unterwirft und welcher im Westen zu 99% Prozent unter Religionsfreiheit fällt und für den Islamkritiker normalerweise völlig uninteressant ist. Mit Ausnahme von den Themen Beschneidung sowie Essens- und Bekleidungsvorschriften. Aufgrund der Bedeutung dieser Regelungen wird hier jedes Detail diskutiert und je nach Rechtsschule und Strömung gibt es auch Unterschiede in den Details die für außenstehende lächerlich wirken, aber aus innerislamischer Sicht von allergrößter Brisanz sind. Wenn ein Muslim sein Leben lang aus Igoranz oder Dummheit sein Gebet falsch verrichtet hat, ist das ein ziemliches Drama. Auch sind das die Bereiche in denen sich die jeweiligen religiösen Strömung ernsthaft voneinander unterscheiden, das Gebet bei Schiiten und Sunniten ist unterschiedlich. Es gibt auch im Irak so eine Strömung, die einem zurückgekehrten 12ten Imam folgen. Eine der ersten Sachen die der gemacht hat um seinen Anhängern ein eigenes Profil und eine eigene Identität zu geben, war ihnen zu erklären wie das richtige Gebet eigentlich geht. Das die Salafisten in dem Punkt natürlich auch wieder alles besser wissen, als alle anderen versteht sich von selbst. Wie gesagt von der islamkritischen Perspektive ist das alles weitgehend unproblematisch, aber es sind vor allem diese Regelungen die ein Muslim als erstes in den Sinn kommt, wenn er von Scharia spricht.

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Der dritte Teil ist dann das worum es den Islamkritikern eigentlich geht - die Muʿāmalāt, d.h. zwischenmenschliche Verhältnisse. Angelegenheiten und Vorschriften die (primär) das diesseitige Verhältnis zwischen Menschen betreffen. Also ganz besonders Eherecht, Erbrecht, Personenstandsrecht, Vertrags- und Wirtschaftsrecht, Eigentumsrecht, Strafrecht und auch etwas Staats- und Völkerrecht. Und genau in diesen Rechtsregelungen finden sich das unter Anderem die zu beanstandenden Rechtsregelungen welche Frauen und Nicht-Muslime diskriminieren, "Unzucht" unter Strafe stellen und Körperstrafen verhängen. Das ist in seiner konkreten Auslegung nun aber natürlich zeit- und ortsabhängig und es gibt eine Fülle von Meinungen und Unterschieden, gerade auch zwischen den Rechtsschulen. Das hängt halt einfach mit kulturellen Unterschieden innerhalb der islamischen Welt zusammen, da an verschiedenen Orten ein anderes Gewohnheitsrecht herrscht. Zwischendurch gibt es dann immer wieder auch Sachen die man hierzulande vielleicht eher einem eigenständigen Werk über Ethik und rechtes Verhalten zurechnen würde, wie das richtige Verhalten der Ehefrau gegenüber dem Ehemann und ähnliches. Eine Gattung die es in der klassischen islamischen Literatur natürlich auch gibt, am Ende gibt es ja fast kein Thema über das nicht die Gelehrten nicht irgendwie geschrieben haben, bis hin zum richtigen Stuhlgang, Reinigung danach oder Verhaltensweisen beim Geschlechsverkehr - Dinge über die zu schreiben, gerade in Hinblick auf rituelle Reinheit, gar nicht so absurd ist wie man zunächst denkt. (Adab) In jedem Fall, wenn z.B. ein Islamkritiker hierzulande Scharia sagt, dann meint er meistens diese Regelungen, vor allem die, die offenkundig problematisch sind.

Aber es wird doch deutlich, dass das nur ein kleiner Teil der Regelungen sind, über welche die islamischen Juristen geschrieben haben und der Begriff Scharia meint aber all das zusammen. Er meint nicht nur ein paar problematische Regeln im zwischenmenschlichen Bereich, sondern alle Regelungen und Normen zwischen dem Gläubigen und Gott bzw. seine rituellen Verpflichtungen zu denen man sich verhalten kann wie man will oder zwischen den Menschen untereinander, Frau und Mann, Gläubiger und Gläubiger, Ungläubiger und Ungläubiger und an was man da sonst noch alles denken könnte.

Hier mal ein paar Beispiele, wo man im Inhaltsverzeichnis mal anschauen kann, dass ich gerade keinen Unsinn erzählt habe:
Shara'l al-Islam Vol. 1: Fi Masa'il al-Halal wal-Haram; Vol 2; Vol 3 von Muhaqqig al Hilli/al Awwal Wikishia Ein 12er Schiitisches Werk.
Da'im al Islam von Qadi al Nu'man Ein 7er Schiitisches Werk.
Auf Deutsch und hauptsächlich über Ibadat gibt es das von einem deutschen Konvertiten Reidegeld, Handbuch Islam, Inhaltsverzeichnis, archive.org - über die Qualität dessen was er da gemacht hat, kann ich wenig sagen, aber es ist schön so etwas mal auf Deutsch zu haben. Er versucht halt ein wenig die alten Regelungen in die heutige Zeit zu übertragen und ich habe da beim Eherecht mal reingeschaut, er kämpft da teilweise schon ziemlich mit dem alten Verständnis von Ehe (das ist nämlich tatsächlich nichts Anderes als ein Kaufvertrag und zwar der weiblichen Sexual- bzw. Reproduktionsorgane der Frau, im Gegenzug für Geld, Schutz, Unterhalt und eventuell sozialer Status für die Inhaberin der Reproduktionsorgane) und dem was heute eigentlich weltweit so üblich ist (eine Partnerschaft von Mann und Frau).
Erlaubtes und Verbotenes im Islam von Qaradawi ist ein Fiqh-Buch aus dem 20ten Jahrhundert, nicht mehr ganz neu und in einigen Punkten auch problematisch. (pdf Qaradawi ist ja ohnehin jemand, der manchmal solche Sachen sagt, manchmal aber auch solche:
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Wie gesagt, es gibt dann zu einzelnen Regeln natürlich immer auch verschiedene Meinungen, einen großen Meinungspluralismus der sich ja gar nicht vermeiden lässt und der in höchstem Maße systemimmament ist. Natürlich hat dieser Meinungspluralismus in vielen Fällen für die moderne Zeit nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, aber angesichts der Umstände zeigt er auch, dass aus der Erfahrung islamischer Geschichte heraus eigentlich überhaupt nichts besonderes dabei ist, in der heutigen Zeit dann zu für den hiesigen Ort und Zeit angemessenen Regelungen zu kommen. Und es ist Aufgabe der heutigen Religionsgelehrten genau das zu machen und genau das machen sie ja auch und da wo sie es nicht machen, kann, muss und darf man das natürlich kritisieren. Das ist dann genau der Punkt wo die Islamkritik meines Erachtens einsetzen sollte, und auch der Kontext in denen man die "liberalen Modernisten" verstehen muss, die das ganze dann besonders schwungvoll angehen, während eher Konservative es bei Änderungen belassen, wo die Beibehaltung alter Regelungen offensichtlich Blödsinn und realitätsfremd wäre bzw. man sich nur lächerlich macht. Wie z.B. das Thema der Rechtmäßigkeit von Sklaverei. Man muss wie der Islamische Staat schon so richtig einen an der Waffel haben um das im 21ten Jahrhundert noch einführen zu wollen.
Wo auch bei Konservativen etwas Bewegung hereinkommt ist bei der Stellung der Frau, wie das Thema der weiblichen Beschneidung, z.B. beim erwähnten sunnitischen Gelehrten Qaradawi sehen, welcher zunächst weibliche Beschneidung für nicht verboten, später aber als Teufelswerk bezeichnet und es verboten hat. Auch ist z.B. im Iran die Partizipation von Frauen im öffentlichen Leben in der Arbeitswelt, bis zu einem gewissen Grad in der Politik, im kulturellen Leben usw. so groß, dass allzu konservative Vorstellungen nach der die Frau das Haus nicht verlässt, gerade in den großen Städten mit Millionen Einwohnern einfach völlig jenseits aller Realität ist. Da muss man islamisch neue Lösungen für neue Probleme finden, auch als ultra-konservativer Gelehrter - es geht gar nicht anders.

Das gilt für die islamische Welt, in der es in den letzten 100 Jahren natürlich durch die technologische Modernisierung, durch das Enstehung von großen Städten, modernen Nationalstaaten, Globalisierung und was weiß ich noch alles natürlich große soziale Umwälzungen und eine völlig neue Lebensrealität. Umso mehr natürlich für die Migranten im Westen die hier mit einer völlig neuen Situation zu tun haben, verglichen mit der Situation in der der klassische Islam entwickelt und über Jahrhunderte weiter tradiert wurde.

Es ist also alles andere als überraschend, dass wir heutzutage in der islamischen Welt und ganz besonders im Westen Versuche von islamischen Gelehrten sehen, die islamische Tradition zu aktualisieren und neue Lösungen für neue Probleme zu finden, natürlich erstmal unter Rückgriff auf die bestehende islamische Orthodoxie. Wo die dann am Ende ist oder zu offenkundig unsinnigen Ergebnissen führt muss man dann halt selbst mal schauen. Das klappt dann bei dem Einen besser als beim Anderen und am Ende werden die Lösungen ihre Leser und Anhänger finden die am besten funktionieren, jeweils den moralischen und kulturellen Präferenzen der Anhänger entsprechend. Dabei zeichnet sich ja schon der Trend ab, dass es im Westen bei uns in Richtung eines eher gemütlichen Euro-Islams geht, während man in der islamischen Welt viele Dinge nur ungern ändert, weil eine konservativ-gesinnte Mehrheit keinen Grund dafür sieht bzw. man Angst vor einer "Verwestlichung" des Morgenlandes hat. Teilweise werden Reformen auch wieder zurückgekommen, das ist aber nicht einheitlich. Auch der Einfluss der Salafisten spielt natürlich häufig eine Rolle, welche zwar alles neu interpretieren wollen und immer glauben alles besser zu wissen und ja auch nichts Anderes anstreben als eine Reform des Islam, ihr Islam aber doch ziemlich ungemütlich ist und auch ein ziemliches Problem mit Pluralismus hat. Es gibt aber natürlich auch in der islamischen Welt immer auch Bevölkerungsschichten, die liberal-islamischen Ideen sehr aufgeschlossen gegenüber stehen, die sind aber zahlenmäßig nicht unbedingt in der Mehrheit.

Darum ist auch dieses Theater mit der Islam braucht eine Reform völliger Blödsinn, weil die Reform und die Neuinterpretation der Tradition ist doch im vollen Gange, weil sich die Lebensbedingungen grundlegend geändert haben. Es ist halt nur so, dass viele die eine solche Reform verlangen nicht verstehen, auf welcher Ebene sich diese Modernisierung abspielt - nämlich auf die des islamischen Rechts, das schon immer die Haupttätigkeit der islamischen Gelehrsamkeit war. Man erwartet irgendwelche theologischen Neuerungen, die es aber natürlich so nicht gibt, weil sie am Kern der Sache vorbeigehen. Es braucht zeitgemäße Regelungen, welche die Religionspraxis und die Lebensrealitäten der Muslime heute in der islamischen Welt und im Westen wiederspiegeln. Man kann natürlich über theologische Überlegungen die Vorraussetzung schaffen, wie ich glaube Mouhanad Khorchide es macht, aber ich denke nicht, dass es sonderlich was bringt sich jetzt z.B. über das Gottesbild oder ähnliches Gedanken zu machen. Das gibt es natürlich auch, das sind aber die Salafisten mit ihrem Tauhid-Verständnis, aber ich wüsste jetzt nicht, dass liberalen Modernisierer das auch machen.

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Wenn man sich nun wieder in Erinnerung ruft was Islamkritik in Bezug auf Deutschland m.E. eigentlich machen sollte, nämlich sich zu fragen inwiefern der Islam bzw. nach den obigen Ausführungen kann man sagen die Scharia eigentlich ein Problem für die Integration in die deutsche Gesellschaft ist. Hier muss man nun erkennen, dass ein überraschend großer Teil der islamischen Normen und Rechtsregelungen völlig unproblematisch sind. Die Glaubensgrundsätze gehen den Staat nichts an, die rituellen Sachen ebenfalls nicht - mit Ausnahme der Beschneidung, bei Frauen in jedem Fall, bei Männern gab es ja letztens eine Diskussion dazu. Problematisch sind wenn dann, die verschiedenen Regelungen aus dem bereich Muʿāmalāt und ja auch da nur einige Teile, die einschlägig bekannt sind.

Der Witz an der Sache ist ja nun auch, dass selbst Teile der Regelungen zum Muʿāmalāt sofern es nicht ethische sondern tatsächlich auch in unserem Sinne juristischen Regelungen angeht, im Rahmen des deutschen Rechtssystems anwendbar sind. Natürlich nur solange sie nicht fundamentalen Grundsätzen der hiesigen Ordnung widersprechen. Entweder über Regelungen im Internationalen Privatrecht, durch Ausnutzung der Vertragsfreiheit oder eben außergerichtliche Vereinbarungen. Vorraussetzung ist natürlich, dass auf allen Seiten Freiwilligkeit besteht, nichts sittenwidriges passiert und man sich nicht strafbar macht. Wenn beispielsweise in einem Testament steht, dass gemäß islamischer Regelungen die Frau weniger vom Erbe bekommt, kann man dagegen wenig machen und man kann in einem Ehevertrag natürlich auch hineinschreiben, dass die Frau z.B. im Falle einer Scheidung Anspruch auf eine Morgengabe/Mahr/saduq hat. Ebenfalls lässt sich das Zinsverbot natürlich hierzulande völlig problemlos umsetzen, weil niemand ist gezwungen Zinsen zu nehmen, wenn er jemandem Geld leiht und das Islamische Bankenwesen ist ja bereits ein Teil der Internationalen Finanzwelt, der gerade mit Hinblick auf die Finanzkrise sehr positiv zur Kenntnis genommen wurde.

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Das gilt selbstverständlich nicht für andere Dinge die eindeutig dem deutschen Recht widersprechen, wie die Verheiratung von Minderjährigen oder so Sachen Zwangsehen und alles was in den Bereich des Strafrechts fällt sowieso nicht. Aber daran kann man erkennen, dass wenn man sich mal nicht auf irgendwelche grundsätzlichen theoretischen Debatten versteift, wie ob nun Gott oder das Volk der Gesetzgeber sind, lässt sich auf der praktischen Seite vieles was in der Scharia steht, weitgehend problemlos mit dem säkularen Recht in Deutschland vereinbaren. Natürlich unter gewissen Vorraussetzungen.

Was nun die problematischen Teil angeht sind die Damen und Herren Islaminterpreten gefragt sich mit islamischen Quellen und der islamischen Tradition auseinander zu setzen und der ohnehin auf Pluralismus und Meinungsvielfalt ausgerichteten Normen- und Rechtsfindung weitere Meinungen und Interpretationen hinzuzufügen, welche das Leben in einem säkularen Rechtsstaat z.B. in Deutschland widerspiegeln. Übrigens sollte dabei allen Beteiligten klar sein, dass wir in Deutschland nicht in einem christlichen Land leben sondern in einer säkularen Land, in dem vom Grundsatz her natürlich alle Religionen gleich behandelt werden. Auch wenn sich natürlich auch religiöse Akteure zu politischen Debatten äußern dürfen - wie man es ja bei der Sache mit der Beschneidung erleben durfte.
Für die modernen Islaminterpreten und Interpretinnen gibt es genügend Anknüpfungspunkte von modernistischen Denkern aus Syrien, Ägypten, der Türkei, Iran und Indien. Man kann versuchen neue Wege zu finden, die Quellen zu lesen, indem man sich z.B. fragt was eine bestimmte Regelung, Anweisung oder was auch immer, eigentlich für einen Sinn hatte und ob dieser Sinn durch diese Regelung heutzutage denn überhaupt noch umgesetzt wird. Dasselbe gilt natürlich für die Interpretation des Koran, welche Regelungen sind für eine bestimmten Fall, was besitzt allgemeinen Charakter. Was sind die Werte und Prinzipien des Islam bzw. der Scharia und was ist bloßer je nach Sitaution veränderlicher Wortlaut. Gerade in Deutschland wird diese Schaffung eines modernen Euro-Islams, welcher auf die Bedingungen des Lebens in Europa ausgerichtet sein soll und der sich damit lediglich in die Vielfalt des real existierenden Islams einordnen wird, ja massiv gefördert. Durch die Schaffung der Lehrstühle für Islamische Theologie, so ein bisschen hineinwirken in dieses Projekt soll ja auch die historisch-kritische Forschung der Islamwissenschaftler in Berlin. Aber auch durch die Einführung eines islamischen Religionsunterichts, wo die Leute die an den hiesigen Islaminstituten ausgebildet wurden, dann auch ein Auskommen finden können, gleichzeitig auch die Emanzipation von ausländische Organisationen wie der Ditib fördern.
Die Entwicklung eines Euro-Islam geschieht ja auch nicht, weil der Staat oder die deutsche Mehrheitsgesellschaft das so will, sondern weil der in Deutschland gelebte Islam mehrheitlich(!) ja längst sehr stark säkularisiert ist und kaum einer ernsthaft der Meinung ist man solle doch Frauen beschneiden oder sich darüber empört, dass vor Gericht die Aussage von Mann und Frau gleich viel wert ist. Es bleibt ja ohnehin jedem selbst überlassen ob er in seinem Alltag das Vollprogramm der islamischen Rechts- und Normenlehre umsetzt oder eben nur die Teile die jemand für wirklich notwendig hält. In der Realität ist für die meisten Muslime in Deutschland ja ohnehin so, dass ein Großteil dessen was unter "Mu'amalat" steht im Alltag völlig irrelevant ist. Was nun passiert ist, dass die islamische Lehre diesen Schritt den ein Großteil der Muslime längst durch das Alltagsleben gemacht haben auch theoretisch reflektieren und begründen. Die religiöse Praxis geht der religiösen Theorie also mal wieder voraus.

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Wer sich nicht voll verschleiert, wird ausgepeitscht. Wer stiehlt, wird amputiert. Wer die Religion wechselt, wird getötet. Für all das steht die Scharia, das islamische Recht.

Muslime verbinden mit dem Wort meist etwas anderes. Für sie ist „Scharia" die rechte Ordnung, der Weg zu Gott, das gute Leben. Auch für Juristen hat das Wort einen anderen Klang. „Die religiösen Vorschriften der Scharia genießen den Schutz des Grundgesetzes nach Art. 4", heißt es in einem Text des Deutschen Bundestages.

Was ist die Scharia? Bedroht sie unser Recht? Darüber spricht Wolfgang Reinbold mit Prof. Dr. Mathias Rohe, Direktor des Zentrums für Islam und Recht in Europa an der Universität Erlangen-Nürnberg, und dem Religionswissenschaftler Dr. Ibrahim Salama von der Universität Osnabrück.
Ob es dazu dann großartig theologische Neuerungen und Grundsatzdiskussionen braucht, eine komplett modernisierte Koranexegese oder ob man allein mit den traditionellen islamischen Methodenrepertoire zu einem vernünftigen Ergebnis kommt, dass müssen die islamischen Theologen und Gelehrten schauen. Das was man natürlich erwarten kann, ist dass die Regelungen zu bestimmten Aspekten die problematisch sind mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in einem säkularen Rechtsstaat in Übereinstimmung gebracht werden. Und das geht und das wird gemacht, es sind halt noch nicht alle an allen Orten auf der Welt davon überzeugt und das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern.

Worauf will ich nun hinaus?

Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass der übergroße Teil der Islamkritik - sofern sie Beachtung verdient und "den Finger in die Wunde legt" und nicht einfach irgendwelches dummes Zeug daher redet - bezieht sich praktisch ausschließlich auf eine Reihe von juristische Regelungen die im klassischen Islam von der dortigen orthodoxen islamischen Rechtswissenschaft entwickelt wurden und welche heutzutage noch nicht von allen vollständig abgeschafft sind, teilweise auch wieder eingeführt wurden und mit unseren europäischen Verständnis von Grund- und Menschenrechten und allgemeiner Moral nicht vereinbar sind. Ein großer Teil der von dieser Orthodoxie entwickelten Regeln und Normen sind unbedenklich und unproblematisch, einige Teile davon sind es aber dann halt doch.
Wenn man nun sinnvoll Islamkritik betreiben will, dann sollte man meines Erachtens nicht irgendeine infantile Koranexegese betreiben oder irgendwelche halb verstandenen Sachen oder Erfahrungen verallgemeinern, sondern man muss sich anschauen wie bestimmte Gruppen, Gelehrten und Einzelpersonen zu bestimmten, bevorzugt den potenziell problematischen, Sachverhalten stehen. Das heißt man muss sich den Islam anschauen, welcher auch tatsächlich als wahrer Islam vertreten wird und sich keinen eigenen zurecht interpretieren. In dem Bewusstsein, dass eine Pluralität von Meinungen die Norm sind und man jetzt nicht - übertrieben gesagt - anfangen muss Korane zu verbrennen weil irgendjemand eine verstörende Rechtsmeinung von sich gegeben hat. Man muss sich problematische Phänomene anschauen wie eben die Zwangsehen und man muss erkennen, dass bestimmte Rechtsmeinungen die Ursache davon sind - nämlich, dass der Vormund in der Lage ist minderjährige Kinder zu verheiraten, sogar ohne direkte Zustimmung des Mädchens und dann auch ein Vollzug der Ehe durchaus vorgesehen ist. (Ein Fall der jüngst medial wahrgenommen wurde: Rap-Video der Frau - Sonita Alizadeh, hier spielte auch das Kassieren der Mitgift für die Frau eine wichtige Rolle)
Wenn man sich dann aber halt die Rhetorik von Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Abdel Samad und anderen ansieht, welche ihre persönlichen negativen Erfahrungen zu einer Polemik gegen den Islam als Ganzes ausweiten, dann mögen sie zwar auf allgemein als problematisch bekannte Dinge hinweisen, dies aber mit einer anti-islamischen Polemik verbinden, die sehr öffentlichkeitswirksam ist, aber letztlich dann wieder selbst zu verallgemeinernd und auch an das falsche Publikum gerichtet. Nämlich nicht die Muslime sondern die Islamkritiker, vor allem die etwas depperten.

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Professor Mathias Rohe referiert zur Frage "Islamisches Recht und säkulare Gesellschaft - Ist die Rennung von Staat und Kirche mit den Prinzipien des Islam vereinbar?"

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Zuletzt geändert von Platon am Do 31. Mär 2016, 00:17, insgesamt 3-mal geändert.
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schelm
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von schelm »

So viel Mühe, und doch lese ich nur eines heraus, daran knüpft sich eine Frage : 1. Der hochkomplexe Islam scheint mir ungeeignet für Muslime, denn um zu wissen, ob sie mit dem was sie tun und denken überhaupt islamisch handeln, müssen sie umfangreiche Expertisen von Gelehrten einholen. 2. Die Frage : Wie bringen wir weltweit den Muslimen bei mit ihrer Religion überfordert zu sein ?
Denk ich an D in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht, Heinrich Heine.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

schelm hat geschrieben:(30 Mar 2016, 22:46)

So viel Mühe, und doch lese ich nur eines heraus, daran knüpft sich eine Frage : 1. Der hochkomplexe Islam scheint mir ungeeignet für Muslime, denn um zu wissen, ob sie mit dem was sie tun und denken überhaupt islamisch handeln, müssen sie umfangreiche Expertisen von Gelehrten einholen. 2. Die Frage : Wie bringen wir weltweit den Muslimen bei mit ihrer Religion überfordert zu sein ?
Um Wissen über seine eigene Religion einzuholen sind Bücher sehr beliebt und verbreitet. Es gibt auch Fernsehsendungen, Youtube-Videos, es gibt Zeitschriften, natürlich kann man sich eine Predigt anhören. Vieles ist auch Teil der Erziehung innerhalb der Familie oder der Freizeitgestaltung. Das ist in der Praxis erfahrungsgemäß dann alles nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick scheint. Es muss ja nicht jeder alles wissen. :)

Aber das das alles halt nicht so einfach ist und der Endverbraucher gezwungen ist Auslegungen verschiedenster Art zu konsultieren, darauf wollte ich u.A. ja auch hinaus. :)
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ThorsHamar
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von ThorsHamar »

Platon hat geschrieben:(30 Mar 2016, 22:59)

Um Wissen über seine eigene Religion einzuholen sind Bücher sehr beliebt und verbreitet. Es gibt auch Fernsehsendungen, Youtube-Videos, es gibt Zeitschriften, natürlich kann man sich eine Predigt anhören. Vieles ist auch Teil der Erziehung innerhalb der Familie oder der Freizeitgestaltung. Das ist in der Praxis erfahrungsgemäß dann alles nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick scheint. Es muss ja nicht jeder alles wissen. :) ....
Soll das jetzt ein Witz sein, Platon?
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

ThorsHamar hat geschrieben:(30 Mar 2016, 23:41)

Soll das jetzt ein Witz sein, Platon?
Nein. Hast du meinen Text im Eingangsbeitrag gelesen?
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Billabong
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Billabong »

Das Problem ist also nicht der Islam, das Problem sind die Moslems?
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Zunder
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Zunder »

Billabong hat geschrieben:(31 Mar 2016, 00:09)

Das Problem ist also nicht der Islam, das Problem sind die Moslems?
Das Problem sind die Studenten der Islamwissenschaften.

Wahrscheinlich glauben sie wirklich, daß der jihadistische oder sonstige "Endverbraucher" von einem Imam zum nächsten Exegeten rennen muß, um sich ein für ihn gültiges Islamverständnis zusammenreimen zu können.
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Platon
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Zunder hat geschrieben:(31 Mar 2016, 00:20)

Das Problem sind die Studenten der Islamwissenschaften.

Wahrscheinlich glauben sie wirklich, daß der jihadistische oder sonstige "Endverbraucher" von einem Imam zum nächsten Exegeten rennen muß, um sich ein für ihn gültiges Islamverständnis zusammenreimen zu können.
Natürlich genau das machen sie. Zunächst einmal sind das alles Salafisten, welche sich in Sachen Aqida, Ibadat sowie einem Großteil von Mu'amalat zu 100% an einschlägigen salafistischen Autoren orientieren. Das heißt vor allem Texte von Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb, der wie gesagt gerade in sachen Theologie einige Lehren hat, die die Mehrheit der Sunniten so nicht vertreten. Dazu kommen die Vordenker der Salafisten wie al-Albānī, Ibn Baz oder al-Uthaymin. Das ist quasi die religiöse Seite.
Eine andere Sache ist nun die politische Ideologie, das heißt die Sache mit wer ist alles ungläubig, wer muss bekämpft werden, die eigentliche jihadistische Ideologie, die sich in einigen Punkten von der etablierten sunnitischen Orthodoxie und auch den restlichen Salafisten abweicht. Hier sind z.B. von Bedeutung Leute wie Sayyid Qutb, al Faraj, Abdallah Azzam oder al Maqdisi.

Deswegen, was in Mossul praktiziert wird, wird in Riad gelehrt. Es gibt lediglich in der Methode der politischen Umsetzung und dem Ausmaß wie man andere Muslime exkommuniziert und umbringen will Unterschiede. Nicht aber bei wirklich grundlegenden religiösen Dingen. Darum heißt es ja auch immer, dass man vom Salafismus recht leicht zum Jihadismus gelangen kann.

Auch Jihadisten lesen nicht den Koran und ziehen dann in den Jihad, sondern sie lesen Jihad-Literatur von den Leuten aus dem islamischen Staat - die sehr großen Wert darauf legen ihre Religionsauslegung mittels Propaganda in diversen Sprachen unters Volk zu bringen - oder anderen Ideologen und das gibt dann eine Legitimation zur Radikalisierung. Sonst wäre das ja ein totales Chaos und total unpraktisch, wenn sich jeder seine Ideologie im Alleingang zusammen zimmern muss. Da ist man den jungen Heranwachsenden mit leichtem Hang zur Gewalt gerne behilflich.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Billabong hat geschrieben:(31 Mar 2016, 00:09)

Das Problem ist also nicht der Islam, das Problem sind die Moslems?
Einige davon, welche Lehren entwickeln und verbreiten die nicht unbedingt hilfreich sind.
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Tom Bombadil
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Tom Bombadil »

Die Gretchenfrage ist doch, wie stark es die Religion ermöglicht, Extremisten hervorzubringen. Und da muss man "dem Islam" leider kein gutes Zeugnis ausstellen. Und ich sehe auch keine große Bestrebungen, sich zu reformieren oder diesen Typen das Handwerk zu legen. Es tut mit leid, ein paar Demonstrationen und Distanzierungen reichen nicht mehr, jetzt müssen gemäßigte Muslime, die ihre Religion nicht mehr missbrauchen lassen wollen, aktiv gegen Hassprediger, Radikale, Extremisten und Islamisten vorgehen. Sicherlich wird es durch die Heterogenität des Islam nicht einfacher, sie können diese Typen nicht einfach exkommunizieren, dafür fehlt die zentrale Macht, wie es der Papst ist.

Dein Text ist auch etwas dreist, ich muss nicht den Koran und den Islam jahrelang studieren, um zu sehen, dass da etwas falsch läuft. Wenn in Deutschland muslimische Bürschchen in der Schule Terroranschläge bejubeln oder offen in die Kamera sagen, dass ihre zukünftige Frau ihnen zu gehorchen hat und natürlich "rein" sein muss, wenn ich lese und höre, wie muslimische Männer ihre Frauen behandeln, wenn ich Frauen einer gewissen Sekte nichtmal die Hand schütteln darf, wenn es immer mehr Islamisten, Salafisten und was weiß ich noch für -isten, die ihren Hass auf alle Andersgläubigen rausplärren, gibt, wenn im Iran oder in Saudi-Arabien mal wieder Menschen wegen völlig irrsinniger Vorschriften hingerichtet werden und natürlich auch wenn mal wieder weltweit Bomben von Muslimen gezündet werden, dann weiß ich wirklich genug, um diese Auswüchse zu kritisieren. Denn nur darum geht es: um die Auswüchse, nicht um die Religion per se. Niemand wird Muslimen das Beten zu ihrem Gott verbieten wollen, solange es zumindest im Westen gesellschaftskonform bleibt.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von harry52 »

Im Islam ist es nicht anders wie bei Christen.
Es gibt Christen, die für die Todesstrafe sind und andere, die dagegen sind. Es gibt Christen, die die Gleichberechtigung der Frau, die Abtreibung und die Homoehe mit Hinweis auf die Bibel wieder abschaffen wollen und umgekehrt. Es gibt Total Pazifisten unter den Christen, aber auch Rambos und Waffennarren und auch alles dazwischen.

Es gibt kein einziges Thema, wo Christen einer Meinung sind.
Selbst bei den ganz großen Fragen, wo es um Leben und Tod geht, herrscht keine Einigkeit, wie bei der Todesstrafe, Kriegseinsätzen, Abtreibung, Sterbehilfe, Krankenversicherung für alle ... Und wie wir im Bible-Belt in den USA sehen, sind regelmäßige Kirchgänger insgesamt eher gegen moderne Dinge eingestellt. Aber, wie gesagt, gibt es auch abermillionen Christen, die moderne Dinge wie die Homoehe befürworten und es finden sich wie beim Koran auch alle möglichen Experten, die die Bibel jeweils anders auslegen und interpretieren.

Zurück zum Islam
Ich lebe hier in der Nähe von Köln und habe zwei noch relativ junge Töchter (14 und 21 jahre jung) und weiß von den Schulkameradinnen, Sportkameradinnen, Bekannten und Freunden, dass mittlweile viele Muslime sich kaum noch in ihren Ansichten von modernen Christen oder Atheisten unterscheiden. Sie legen den Koran ganz modern aus und nicht wie die Salafisten. Aber es gibt auch alles dazwischen von modern bis sehr konservativ. Auch da herrscht also totale Uneinigkeit. Das ist ein Fakt und wenn wir nicht AfD wählen oder andere Rechsradikale, die Muslime unfair beurteilen und feindlich gegenüberstehen, dann werden sich hier auch nur wenige radikalisieren und immer mehr werden modern.

In Frankreich síeht man wie schlecht alles wird,
wenn man eine starke rechtsradikale Partei wählt. Es bringt den Franzosen keineswegs weniger Arbeitslosigkeit, weniger schulden und weniger Gewalt und Terror.
"Gut gemeint" ist nicht das Gleiche wie "gut gemacht".
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Provokateur
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Provokateur »

Ich schätze diese Beiträge von dir wirklich sehr, Platon. Aber zwei Dinge:
1) Es gibt Leute, bei denen rennst du damit offene Türen ein
2) Es gibt Leute, die sich auch von so einem fundierten Beitrag nicht erschüttern lassen - frei nach dem Motto "Ich habe schon eine Meinung, bitte verwirren sie mich nicht mit Fakten."
Ach ja, die dritten gibt es auch noch:
3) tl;dr, lol, Mongo, oh, getz han isch mich in die Hose jemacht, *grunz*

Ich frage mich manchmal wirklich, warum du dir die Mühe noch machst.
Harry riss sich die Augen aus dem Kopf und warf sie tief in den Wald. Voldemort schaute überrascht zu Harry, der nun nichts mehr sehen konnte.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Joker »

harry52 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 09:25)



In Frankreich síeht man wie schlecht alles wird,
wenn man eine starke rechtsradikale Partei wählt. Es bringt den Franzosen keineswegs weniger Arbeitslosigkeit, weniger schulden und weniger Gewalt und Terror.
Le Pen wird gewählt weil der Islam in Frankreich sich schon seit längeren von einer Seite zeigt die eben zwangsläufig zu Protesten führt
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von ThorsHamar »

Platon hat geschrieben:(30 Mar 2016, 23:47)

Nein. Hast du meinen Text im Eingangsbeitrag gelesen?
Selbstredend, ja .... und auch Deine Antwort an Schelm.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Keoma »

harry52 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 09:25)

Im Islam ist es nicht anders wie bei Christen.
Es gibt Christen, die für die Todesstrafe sind und andere, die dagegen sind. Es gibt Christen, die die Gleichberechtigung der Frau, die Abtreibung und die Homoehe mit Hinweis auf die Bibel wieder abschaffen wollen und umgekehrt. Es gibt Total Pazifisten unter den Christen, aber auch Rambos und Waffennarren und auch alles dazwischen.

Es gibt kein einziges Thema, wo Christen einer Meinung sind.
Selbst bei den ganz großen Fragen, wo es um Leben und Tod geht, herrscht keine Einigkeit, wie bei der Todesstrafe, Kriegseinsätzen, Abtreibung, Sterbehilfe, Krankenversicherung für alle ... Und wie wir im Bible-Belt in den USA sehen, sind regelmäßige Kirchgänger insgesamt eher gegen moderne Dinge eingestellt. Aber, wie gesagt, gibt es auch abermillionen Christen, die moderne Dinge wie die Homoehe befürworten und es finden sich wie beim Koran auch alle möglichen Experten, die die Bibel jeweils anders auslegen und interpretieren.

Zurück zum Islam
Ich lebe hier in der Nähe von Köln und habe zwei noch relativ junge Töchter (14 und 21 jahre jung) und weiß von den Schulkameradinnen, Sportkameradinnen, Bekannten und Freunden, dass mittlweile viele Muslime sich kaum noch in ihren Ansichten von modernen Christen oder Atheisten unterscheiden. Sie legen den Koran ganz modern aus und nicht wie die Salafisten. Aber es gibt auch alles dazwischen von modern bis sehr konservativ. Auch da herrscht also totale Uneinigkeit. Das ist ein Fakt und wenn wir nicht AfD wählen oder andere Rechsradikale, die Muslime unfair beurteilen und feindlich gegenüberstehen, dann werden sich hier auch nur wenige radikalisieren und immer mehr werden modern.

In Frankreich síeht man wie schlecht alles wird,
wenn man eine starke rechtsradikale Partei wählt. Es bringt den Franzosen keineswegs weniger Arbeitslosigkeit, weniger schulden und weniger Gewalt und Terror.
Und genau das bezweifle ich aus eigener Erfahrung bzw. Beobachtung sowie auf Grund einschlägiger Untersuchungen.
Es werden immer mehr Muslime, die sich fast ausschließlich über ihre Religion definieren und sich damit bewusst ausgrenzen.
In Wien wurde vor kurzem erst bekannt, dass es eine große Anzahl muslimischer Kindergärten gibt, in denen man nicht genau weiß, was da alles so unterrichtet wird, außer dass z.B. eine Helferin sich dem Daesh angeschlossen hat.
Jahrelang wurde im Islamunterricht das Buch "Erlaubtes und Verbotenes im Islam" verwendet, bis es jemandem aufgefallen ist, dass darin zum Teil fundamentalistische Ansichten vertreten werden.
Bei mir ums Eck gibt es als einzigen Nahversorger einen türkischen Supermarkt, wo "selbstverständlich" kein Alkohol und kein Schweinefleisch verkauft wird.
Integration und Modernisierung sieht anders aus.
Aber man kann natürlich auch das Glas immer halbvoll sehen.
Die Vergleich mit dem Christentum ist auch für die Katz, überhaupt wo es hier um den Islam geht.
Der Gescheitere gibt nach!
Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.

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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Joker »

Wenn die Franzosen erst mal die schnauze so richtig voll haben wird es dann auch hässlich.

das zeigt die Geschichte schon.
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harry52
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von harry52 »

Keoma hat geschrieben: Und genau das bezweifle ich aus eigener Erfahrung bzw. Beobachtung sowie auf Grund einschlägiger Untersuchungen.
..In Wien
Ich sprach nicht von Österreich, Frankreich, Belgien ... sondern von Deutschland im Jahr 2012/13/14/15/16.
Vor wenigen Jahren hatten wir hier noch 6 millionen Arbeitslose und Bush Junior überzog die Welt mit seinem Kampf gegen den islamischen Terror und es gab diese ganzen Bilder von Folter, Kriegstoten... Wir schreiben jetzt das Jahr 2016 und Obama und Merkel sind im Amt und das schon länger und sowohl die Arbeitslosigkeit wie auch die PISA Tests haben sich hier in Deutschland spürbar verbessert. Und Muslime haben jetzt durch die große Hilfsbereitschaft von uns gegenüber den Flüchtlingen ein viel besseres Bild von unserem Land und den Menschen. Die meisten Muslime, die ich gesprochen habe, sind übrigens meiner Meinung, dass wir nicht jedes Jahr eine Million aufnehmen können. Es ist besser, auch da vernünftig zu bleiben.

Es hängt eben, wie ich sagte, alles auch davon ab,
wie die Wirtschaft läuft und ob man im Krieg ist, Grenzen, öffnet oder schließt, oder Rechtsradikale wählt... Wenn wir durch eine starke rechte Partei wie die AfD, den Muslimen zu verstehen geben, dass wir sie als Feinde betrachten, oder dumme Hinterwäldler, die sich nie ändern werden ... dann wird es wie in Frankreich und Belgien zu wachsender Gewalt, Terror und Parallelgesellschaften kommen.

Und das Ganze ist auch noch von den Kommunen und Ländern abhängig.
Wenn man jahrelang wie im Ruhrgebiet wegen der SPD sich nicht modernisiert, sondern milliraden in Kohle und Stahl pumpt, statt in moderne Geschäftsmodelle, dann gehen Städte wie Duisburg pleite und die jungen Deutschen und Türken finden keine Arbeit und radikalisieren sich. Werden linksextrem, rechtsextrem oder religiös extrem. Das ist auch ein Fakt.
Keoma hat geschrieben:Die Vergleich mit dem Christentum ist auch für die Katz, überhaupt wo es hier um den Islam geht.
Nein, der ist wichtig und das ist alles ganz korrekt wiedergegeben und auch Christen können sich radikalisieren, oder modernisieren und neigen dazu, die Bibel je nachdem wie es ihnen passt, auszulegen.
Zuletzt geändert von harry52 am Do 31. Mär 2016, 11:39, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von aleph »

Provokateur hat geschrieben:(31 Mar 2016, 09:38)

Ich schätze diese Beiträge von dir wirklich sehr, Platon. Aber zwei Dinge:
1) Es gibt Leute, bei denen rennst du damit offene Türen ein
2) Es gibt Leute, die sich auch von so einem fundierten Beitrag nicht erschüttern lassen - frei nach dem Motto "Ich habe schon eine Meinung, bitte verwirren sie mich nicht mit Fakten."
Ach ja, die dritten gibt es auch noch:
3) tl;dr, lol, Mongo, oh, getz han isch mich in die Hose jemacht, *grunz*

Ich frage mich manchmal wirklich, warum du dir die Mühe noch machst.
Das sind Textbausteine, die er immer wieder verwenden kann. Er befasst sich ja beruflich damit und bekommt später Geld dafür ;)
Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein. Walter Jens
Besser schweigen und als Narr zu scheinen, als sprechen und jeden Zweifel zu beseitigen. Abraham Lincoln
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von aleph »

Beim Christentum gibt es mehr Splittergruppen/Sekten/Konfessionen, als bei jeder anderer Religion. Selbst Sekten splitten auseinander, weil sie sich über irgendein für uns belangloses Thema nicht einigen können.

Man sieht daran, weie wenig Religionen als Verhaltensratgeber geeignet sind.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Provokateur hat geschrieben:(31 Mar 2016, 09:38)
[...]Ich frage mich manchmal wirklich, warum du dir die Mühe noch machst.
Nun, das Thema interessiert mich ja und ich habe bezüglich Themen die mich interessieren ein hohes Mitteilungsbedürfnis. Hier im Forum kann ich das sehr gut ausleben, weil es viele Leute gibt die mir widersprechen und dann Antworten provozieren. In diesem Strang z.B. habe ich ja mehr oder weniger die Argumente von Bleibtreu übernommen und aus einer anderen etwas besser informierten Perspektive entfaltet. Der größte Denkfehler bleibt bei ihr, dass sie den Salafismus weitgehend als Vertreter der Orthodoxie versteht und nicht als Reformbewegung, die er eigentlich ist. Eine solche Sichtweise ist verständlich, weil Salafismus und Orthodoxie von liberalen Reformideen zumeist nicht viel halten, aber es bleibt dennoch sachlich falsch.

Nichts desto trotz geht es mir auch ein wenig darum, aus eben dieser Frontstellung in der Diskussion heraus zu kommen. So ein bisschen nur Islamhasser auf der einen Seite und nur Islamapologeten auf der anderen Seite. Es gibt da diese Polarisierung in der Diskussion, die sehr weit reichend ist, gerade auch in Bezug auf AfD und Flüchtlinge und diese Sachen. Und einerseits muss man halt sagen, dass die Argumente vieler Islamkritiker Schwachsinn sind und primär einem Feindbild entspringen, andererseits gibt es ja problematische Stellen in islamischen Texten und man muss das ja irgendwie zur Kenntnis nehmen und kritisieren. Hier im Strang habe ich auch mal versucht ein wenig aus dieser Polarität herauszukommen. Denn man kann sich mit Islamkritik ja auch konstruktiv auseinander setzen. Indem man z.B. eben die etwas depperten Formen der Islamkritik abkanzelt und bei denen die sich etwas mehr bemühen mal erklärt, dass man inhaltlich eigentlich ganz nah beieinander ist.
Bleibtreu hat geschrieben:(24 Mar 2016, 14:05)

Doch töten sie - sie töten den Geist und den Verstand, die Empathie, die DenkWilligkeit, die Freiheit - alles, wofür die MenschenRechte stehen, die alle aufgerufen sind zu verteidigen - sie vertreten Menschen verachtende Ansichten. Das fängt schon beim orthodoxen Islam an, der die Grundlage für Salafisten und Islamisten bildet, der die DeutungsHoheit inne hat und den Mainstream im Islam stellt:

Beschneidung der Frau [von empfohlen bis geboten - Menschen verachtend, abartig]
Die Frau hat weniger Rechte als der Mann [Menschen verachtend, gegen das Gleichheitsprinzip]
Steinigung bei EheBruch [Menschen verachtend, Folter, gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit]
Auspeitschen bei Sex vor der Ehe [Menschen verachtend, Folter, gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit]
Todesstrafe bei Abfall vom Glauben
Harte KörperStrafen oder TodesStrafe bei Ausübung der Homosexualität etc pp.

Wer für solche Werte steht, der gehört verbal geächtet, wie alle perversen, abartigen, Menschen verachtenden Ansichten.
Ob diese von einer politischen Ideologie oder von einer Religion vertreten werden sollte dabei keinen Unterschied machen.
Wer sowas noch verteidigt, unter dem Deckmantel von ReligionsFreiheit und MenschenRechten, pervertiert diese auf perfide Art. :|

Nein, ich bashe damit nicht alle Muslime oder den gesamten Islam, sondern die innerhalb dieses vorkommenden, abartigen, Menschen verachtenden Ansichten. Ich klage an, dass sich nicht mal geschämt wird, nicht dagegen die Stimme zu erheben. Und dazu ist lauf FDGO jeder Bürger aufgerufen. Bei perversen, Menschen verachtenden politischen Ansichten funktioniert das, bei eben solchen aus dem Schoß der Religion gekrochenen offensichtlich nicht - da wird sogar verteidigt was die Seele nur so hergibt. :| :dead:
Angefangen hatte die Diskussion an Weihnachten als ich etwas über Reformbewegungen im Islam geschrieben habe und sie dann mit ihrer Orthodoxie ankam. Ich habe mich dann in den letzten Wochen ein wenig mit Fiqh-Literatur beschäftigt und mir ist aufgefallen, dass sie ja eigentlich recht hat, aber halt nicht ganz so wie sie sich das denkt, sondern halt schon wenig anders. Und wie es m.E. wirklich ist, das habe ich in diesem Strang mal ausführlich dargelegt.
Bleibtreu hat geschrieben:(23 Dec 2015, 15:35)[...]
Bei mir kommen deine Statements immer so rüber, als sei der orthodoxe Islam und seine Deutungshoheit zu vernachlässigen und nicht gerade der Kern des Problems. Du bist extrem anfällig für ermüdende, zähe und langatmige SchönSchwatzerei. Wenn wir die Problematik nicht immer wieder ansprechen und implizieren, als sei doch alles gut und chic und die Ummah fidel und eifrig am reformen, dann werden diese zarten Blüte schneller verwelken, als wem lieb sein kann. Und das will ich auf keinen Fall! :|

[...]

oder wie mein Diskurs mit palulu so schrecklich aufzeigen, wird ja geleugnet, als gäbe es ein Problem im Islam resp. mit der Deutungshoheit der Orthodoxie überhaupt nicht. :| Deshalb bin ich Herrn Khorchide auch so überaus dankbar, dass er immer wieder korrigierend eingegriffen hat, bei diesem SchönGeblubber von ihr. Vielleicht reagiere ich in diesem Punkt auch sehr empfindlich. Zu Recht, wie sich doch leider immer wieder zeigt. Denn ja, für 100 Gläubige zu reformieren, das würde die Ummah sicherlich nicht weit bringen.
Bleibtreu hat geschrieben:(23 Dec 2015, 18:11)

Einen Punkt möchte ich noch gerne aufgreifen, weil er mir wichtig ist. :D

Die so oft gemachte Behauptung, orthodoxe Muslime, Salafisten und Co hätten vom Islam keine Ahnung, kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil erlebe ich, dass diese sehr akribisch und penibel und theologisch erstklassig fundiert argumentieren. Sie untermauern ihre Argumente mit Koranstellen, Hadithen, GelehrtenMeinungen und Fatwas - Die können dir den Koran fast rückwärts aufsagen und verstehen ihn fast ausnahmslos auch auf Arabisch - Note 1A. Da bleibt kein Auge trocken, so perfekt haben die das drauf. Selbst mir ist da nicht selten erst mal die Luft weg geblieben und dann hies es aus denselben Rohren zurück schießen.

Ebenso habe ich die Erfahrung gemacht, dass der normale Muslim OttoNormalVerbraucher, relativ wenig Wissen über seine Religion besitzt. Ist bei Christen übrigens dasselbe Phänomen. Wenn dieser Muslim nun beginnt sich genauer mit seiner Religion zu beschäftigen, aus EigenInteresse oder weil er neugierig gemacht, angefixt wurde - stößt er unweigerlich auf diese perfekt durchgestylten Argumente der Vertreter der DeutungsHoheit im Islam. Und wie soll der, wo es mir Anfangs schon nicht leicht fiel, dagegen argumentieren? Der ist doch hoffnungslos verloren. Das ist mit einer der Gründe, warum der orthodoxe Islam, wie es Buschkowsky für NeuKölln so schaurig aufgezeigt hat, auch in Europa immer stärker wird und immer mehr normale Muslime, die vorher nicht viel mit ihrer Religion am Hut hatten, infiziert. :dead:
Bleibtreu hat geschrieben:(23 Dec 2015, 23:13)

Nein, es ist der Mainstream, den ich hier als Orthodoxie bezeichne, deswegen verwenden einige diesen Begriff so ungerne, weil er irritieren kann.
Und damit ist das gemeint, was die RechtsSchulen lehren. Und genau darauf bauen die Salafs auf, ich habe mit genug von denen gesprochen und
damit haben sie eine starke theologische Grundlage.

[...]

Und welche Stellung haben diese Gelehrten, wie anerkannt sind die innerhalb der Ummah? Da geht es doch schon los. Erzählen kann wer viel, wenn der Tag lang ist. Ich kann dir auch welche anschleppen, die praktizierte Homosexualität akzeptieren. Nur, welchen Stellenwerte haben sie und damit ihre Aussagen?


Die RechtsSchulen stehen klar dahinter - das ist leider so. Und genau da sitzt doch das Problem. Wenn das, was die RechtsSchulen lehren und die al-Azhar, nun mal der Mainstream ist, der die DeutungsHoheit hat, dann ist das... Bullshit! :dead:
aleph hat geschrieben:(31 Mar 2016, 11:38)Das sind Textbausteine, die er immer wieder verwenden kann. Er befasst sich ja beruflich damit und bekommt später Geld dafür ;)
:x Das sind keine Textbausteine, sondern es ist die Wahrheit. :x

Aber natürlich ist dieser Beitrag jetzt ein Referenztext für mich und solche die die Wahrheit hören möchten. Ebenso wie es andere Erfolgsstränge sind wie:
Der ismailitische Islam, die 7er Schiiten
Der Koran aus historisch-kritischer Sicht
messianische Gruppen oder wie Religionen entstehen
Deutsche Salafisten und was man gegen sie tut.
Will der Iran Israel auslöschen?
Warum der Islamische Staat gewinnt.

Es ist halt schon praktisch, wenn man Sachen verlinken kann und nicht ständig alles neu schreiben muss. Dazu gibt es ja schon Leute die sich diese Sachen durchlesen, aber nicht darauf antworten. Manchmal erreicht mich sogar eine PN mit lobenden Worten, so etwas freut mich natürlich. :)
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Joker »

Platon hat geschrieben:(31 Mar 2016, 12:28)
Der größte Denkfehler bleibt bei ihr, dass sie den Salafismus weitgehend als Vertreter der Orthodoxie versteht und nicht als Reformbewegung, die er eigentlich ist. Eine solche Sichtweise ist verständlich, weil Salafismus und Orthodoxie von liberalen Reformideen zumeist nicht viel halten, aber es bleibt dennoch sachlich falsch.
Ich habe noch nie eine quelle gesehen welche den Salafismus als "Islamische Reformbewegung" bezeichnet.

Das kommt ausschließlich von dir .

Das du mit der Theorie irgendwann mal Geld verdienen wirst bezweifle ich auch.
Die Wahrscheinlichkeit das du mal einen Gürtel zündest halte ich um einiges höher.

Und komm jetzt bloß nicht mehr mit irgendwelchen Salafisten Youtube Filmchen als Beweis bei denen jedes 2. Wort Allah ist
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Wasteland »

Joker hat geschrieben:(31 Mar 2016, 12:54)

Ich habe noch nie eine quelle gesehen welche den Salafismus als "Islamische Reformbewegung" bezeichnet.
Da kann dir geholfen werden:
Die ideologische und damit politische Komponente bekam der Salafismus erst in seiner Ausprägung
als islamische Reformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts und seiner weiteren Entwicklung.
http://www.mik.nrw.de/fileadmin/_migrat ... ktuell.pdf

Reformbewegungen müssen nicht immer "modern" sein oder liberal. Es gibt auch rückwärtsgewandte, so wie die Salafisten. Reform ist nicht gleich "gut" oder "fortschrittlich".
Das sie eine Reformbewegung sind ist unumstritten. Nicht nur die Salafisten, sondern eigentlich alle Islamisten heute.
Anhand zweier Zitate veranschaulicht:

Der Vorgänger von Khomeini über die Pläne einen islamischen Staat zu gründen:

„Wir, die Geistlichkeit, sollen einen islamischen Staat gründen ? … Wir wären hundertmal größere Verbrecher als die, die jetzt an der Macht sind.“
– Husain Borudscherdi.

Khomeini über seine Vorgänger:

„Denn sie bilden ein Hindernis auf dem Wege unserer Reformen und unserer Bewegung. Sie haben uns die Hände gebunden. Im Namen des Islam fügen sie dem Islam Schaden zu.“
- Khomeini

Weil sie den Islam aus der Politik heraushielten.
Politischer Quietismus oder quietistischer Islam (von lat. quietus, „ruhig“, „schweigsam“) beschreibt jene Strömung des islamischen Klerus, insbesondere der Schia, die eine aktive Beteiligung der Geistlichkeit in der Politik ablehnt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Politischer_Quietismus

Das wurde im negativen Sinne reformiert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Bleibtreu »

Platon hat geschrieben:(31 Mar 2016, 12:28)
In diesem Strang z.B. habe ich ja mehr oder weniger die Argumente von Bleibtreu übernommen und aus einer anderen etwas besser informierten Perspektive entfaltet. Der größte Denkfehler bleibt bei ihr, dass sie den Salafismus weitgehend als Vertreter der Orthodoxie versteht und nicht als Reformbewegung, die er eigentlich ist. Eine solche Sichtweise ist verständlich, weil Salafismus und Orthodoxie von liberalen Reformideen zumeist nicht viel halten, aber es bleibt dennoch sachlich falsch.
1. Ich habe nie bestritten, dass ich die Salafis als Reformer sehe, aber als negative.
2. Ist es eine Tatsache, dass Wahabis, Salafis und Islamisten auf der Orthodoxie fußen. Sie bedienen sich an dem, was als Mainstream bereits vorhanden ist und was man als Praxis in islamischen Ländern bewundern kann.
Genau diese in der Ummah so tief verankerte Basis ist es, die es den Salafs so leicht macht. Weil ihnen eben inhaltlich schwer bei zukommen ist, ohne die Orthodoxie mit zu köpfen. ^^
Und mit der Meinung stehe ich nicht alleine.

HK: Welche Aspekte kommen aus den weiteren Traditionen islamischer Überlieferung, etwa der Sunna, hinzu, aus denen sich offensichtlich Vorstellungen mit dem Hang zur Gewaltausübung speisen?

Ourghi: Tatsächlich gibt es neben der kanonischen Quelle des Koran auch die Tradition des Propheten mit Aufrufen zum Heiligen Krieg. „Mir wurde befohlen, die Menschen zu bekämpfen, solange sie sich nicht zum Islam bekehren“, soll der Prophet Mohammed gesagt haben. Die dritte Quelle für Gewalttaten ist schließlich die klassische islamische Theologie. Der militante Islamismus beruft sich auf eine theologisch fundierte Theologie, die vor allem bis zum 14. Jahrhundert entstand, es handelt sich dabei allerdings um vormoderne Gesellschaften mit gänzlich anderen Loyalitäten.

HK: Was bedeutet das für Muslime heute in der Auseinandersetzung mit dem Thema Religion und Gewalt innerhalb ihrer Religion? Wie sollten sie dieses Thema angehen?

Ourghi: Das Problem des Extremismus wird jedenfalls nicht gelöst, wenn man behauptet, dass es nicht zum Islam gehört. Muslime, gerade auch hier bei uns in Europa und in den anderen westlichen Kulturen weichen diesen Problemen zu schnell aus. Sie wollen nur ungern darüber sprechen und betonen stattdessen nur den ethischen Aspekt des Islam. Das ist im Prinzip natürlich richtig. Mit Blick auf den Koran reicht es aber nicht aus, über Toleranz, Barmherzigkeit und Liebe im Koran zu sprechen, auch wenn sie dort ganz wichtig und fundamental sind. Wir müssen auch die unangenehmen Aspekte in den kanonischen Quellen kritisieren, um das Klima für eine angemessene Interpretation des Islam zu schaffen. Es geht darum, den Koran als Text zu historisieren, ihn in der damaligen Situation zu verstehen, dann aber auch mit Blick auf heute mit diesem Wissen kritisch umzugehen. Man muss die Koranpassagen, die zur Gewalt aufrufen, erst einmal geschichtlich verorten, sie reflektieren und sich mit der Frage beschäftigen, wie man die daraus erwachsenden Schwierigkeiten lösen kann. Es ist eine zentrale Aufgabe, in einer Kultur des Dialoges auch über sich selbst und seine eigene Geschichte nachzudenken. Das ist dann gerade nicht gegen den Islam gerichtet, sondern eine unabdingbare Vorrausetzung für eine zeitgenössische Reformlektüre jenseits politischer Interessen.


Abdel-Hakim Ourghi, leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg :)


Hier noch 2 Beiträge zur Ergänzung, die in diesem Strang zu finden sind:
Bleibtreu hat geschrieben:(16 Jan 2016, 05:09)

Für die, die es nicht wissen und immer noch nicht glauben wollen, lassen sich bitte von diesem klugen Mann belehren, der kennt seine Religion, ihre Schwächen und wo es hakt:

Mouhanad Khorchide im Gespräch - „Mit Mahnwachen bekämpft man den Islamismus nicht“
Er ist liberal, er ist Islamwissenschaftler und er steht unter Polizeischutz. Mouhanad Khorchide kritisiert die Haltung vieler Muslime nach den Anschlägen von Paris. Wer sage, Salafismus habe nichts mit dem Islam zu tun, der verdränge das Problem.

PROF. DR. MOUHANAD KHORCHIDE ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Professor für Islamische Religionspädagogik und Stellv. Direktor des Centrums für religionsbezogene Studien an der Uni Münster

Und hier, ab 9:25 GENAU zuhören, was Marwan Abou Taam, SicherheitsExperten vom LKA und Islamwissenschaftler von der al-Azhar sagt, die für die Orthodoxie steht, die die DeutungsHoheit im Islam hat, die RechtsSchulen:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnav ... erroristen?

Genau in dem, was er aufzeigt, liegt das eigentliche Problem: DAS worauf sich DAESH stützt, das lehrt die Orthodoxie! :|
Bleibtreu hat geschrieben:(16 Jan 2016, 17:22)

Hast du dir das Beispiel, das gebracht wurde nicht angehört oder verstanden? Die al-Azhar ist der Meinung, man hätte sie kreuzigen, Hände und Kopf abschlagen sollen. Gestritten haben sie darüber, ob DAESH die Verbrennung erlaubt gewesen wäre oder nicht! Und das ist der Punkt, den auch Khorchide immer wieder anführt, warum ER für eine kritisch-historische KoranExegese ist. Weil sein liberaler Islam, für den er vehement auch von den deutschen IslamVerbänden angegangen wird die seine Absetzung forderten, nicht gelehrt wird/anerkannt ist. Weil der Mainstream im Islam DAS ist, was DAESH "nur" konsequent umsetzt. DAESH praktiziert das, was als Mainstream durch die RechtsSchulen und die al-Azhar gelehrt wird. Die haben da nix falsch interpretiert. Und genau diese konsequente Umsetzung findest du überall in den Ländern, wo auch die Sharia gilt. Oder was denkst du, warum Schwule, vergewaltigte Frauen, wer vom Islam abfällt oder ihn modernisieren will usw. in diesen Ländern zum Tode verurteilt werden? :|
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harry52
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von harry52 »

Platon hat geschrieben: So ein bisschen nur Islamhasser auf der einen Seite und nur Islamapologeten auf der anderen Seite. Es gibt da diese Polarisierung in der Diskussion, die sehr weit reichend ist, gerade auch in Bezug auf AfD und Flüchtlinge und diese Sachen. Und einerseits muss man halt sagen, dass die Argumente vieler Islamkritiker Schwachsinn sind und primär einem Feindbild entspringen, andererseits gibt es ja problematische Stellen in islamischen Texten und man muss das ja irgendwie zur Kenntnis nehmen und kritisieren. Hier im Strang habe ich auch mal versucht ein wenig aus dieser Polarität herauszukommen.
Ich bin da ganz deiner Meinung.
Ich selber bin Atheist und kenne mich in der jüngeren und älteren Geschichte ganz gut aus. Ich kann nur wiederholen, was ich sagte, dass Muslime ihren Koran oft genauso bunt auslegen wie Christen ihre Bibel. Man ist da ganz flexibel. Die einen lesen da raus, dass man Ehebrecher steinigen soll und andere lesen da unser ganz modernes Schweidúngsrecht heraus, wo der Ehebrecher keine Bestrafung erhält und sogar Unterhalt vom Treuen bekommen kann, wenn der Letztere mehr Geld verdient.

Das ist erstmal Fakt
und jetzt kommen wir mal zu unterschiedlichen Ländern. Nimm mal die christlichen aber relativ armen Länder in Mittelamerika. Meint irgendeiner, dass die viel moderner sind als die Türken. Meint irgendeiner, dass es dort keine Bürgekriege, Terror und ähnliches gegeben hat? Der irrt. Auch in armen christlichen Ländern gibt und gab es Terror, Bürgerkriege und wie wir wissen gab es sogar noch Schlimmeres in christlichen Ländern. (Hexenwahn, Jagd auf Ungläubige sogenannte Ketzer ...)

Und nicht vergessen:
Wir Deutsche (meine Großelterngeneration) waren in der Weimarer Republik nicht einmal so arm wie heute manches dritte Welt Land. Unsere Großeltern konnten auch fast alle lesen und schreiben und waren nicht alle ungebildet. Trotzdem reichte eine Wirtschaftskrise und viele unserer Großeltern wurden zu Massenmördern ohne die geringsten Skrupel. Und noch verwirrender ist, dass es einen Weltkrieg vorher beim ersten noch nicht einmal eine Wirtschaftskrise gab.

Also:
Es ist viel komplizierter mit der Gewalt. Es ist nicht nur die Religion, oder die Armut, oder der Analphabetismus, der uns zu grausamen Mördern machen kann. Und man sollte auch nicht übersehen, dass die Home Grown Terroristen gar nicht in der islamischen Welt erzogen wurden. Sie kommen aus Brüssel, Paris und Berlin... Viele sind auch nicht religiös erzogen. Viele waren Kleinkriminelle, die sich bis zu ihrer plötzlichen Verwandlung zum IS Kämpfer Null für Religion und Koran interessiert haben.
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Tom Bombadil
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Tom Bombadil »

Ich frage mich nur immer wieder, warum vermeintlich weltoffene Menschen dieser rückständigen Religion inklusive der innewohnenden Ideologie, die ihre Anhänger mit massenhaft Vorschriften gängelt, Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht, Homo- und Transsexuelle sowie Andersgläubige und Apostasie mit dem Tod bedroht, mit soviel Verständnis und Toleranz begegnen und auch immer wieder die banale "tu quoque" Argumentation anbringen, wie schlimm das Christentum oder der Westen doch auch sind (was so ja auch nicht stimmt). Das ist mir ein vollkommenes Rätsel, widerspricht "der Islam" doch grundsätzlich allen liberalen und linken Idealen. Woher kommt das?
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Bleibtreu hat geschrieben:(31 Mar 2016, 14:06)
[...]
2. Ist es eine Tatsache, dass Wahabis, Salafis und Islamisten auf der Orthodoxie fußen. Sie bedienen sich an dem, was als Mainstream bereits vorhanden ist und was man als Praxis in islamischen Ländern bewundern kann.
Genau diese in der Ummah so tief verankerte Basis ist es, die es den Salafs so leicht macht. Weil ihnen eben inhaltlich schwer bei zukommen ist, ohne die Orthodoxie mit zu köpfen. ^^
Und mit der Meinung stehe ich nicht alleine.
Das ist wie gesagt ein falsches Bild. Der Salafismus bezieht sich auf Teile(!) der klassischen Islamischen Gelehrtenliteratur, einige findet man gut wie Ibn Taymiya, Ahmad ibn Hanbal und andere. Wieder andere Teile sieht man skeptisch oder lehnt sie ab, d.h. alles was irgendwie nach Sufismus - und der ist Teil der Orthodoxie - oder Philosophie riecht. Ein Beispiel: Im sunnitischen Islam ist die Person al Ghazali die Personifikation der Orthodoxie, er gilt für viele als der größte Islamische Gelehrte der je gelebt hat und er hat auch einen interessanten Lebenslauf. Er ist die sunnitische Orthodoxie und steht in der Bedeutung für den sunnitischen Islam neben Leuten wie ash-shafii in der zweiten Reihe lediglich hinter Mohammed, eigentlich. (Abdul Adhim über ihn) Die Salafisten lehnen ihn ab, er ist ein Sufi, bzw. sie behaupten - und das zeigt seine Bedeutung für den sunnitischen Islam nur noch mehr - er habe kurz vor seinem Tod "bereut" und den Salafi-Weg eingeschlagen. Eine Meinung die sie exklusiv für sich haben. Seine Autobiographie und wichtige Teile seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt. Er ist aus moderner Sicht natürlich auch nicht nur schön, sondern gerade beim Thema Frauen hat er einige Ansichten, die heutzutage nicht mehr zeitgemäß sind. Kann man im Wiki-Artikel oder auch hier nachlesen.

Worauf ich dabei hinaus will, auch die Salafisten fußen nicht einfach auf der Orthodoxie, sie beziehen sich auf die Teile der klassischen islamischen Literatur die ihnen am besten in den Kram passen. Solche die ihnen nicht in den Kram passen, lehnen sie ab und sagen die haben halt Mist erzählt.

Das ist aber auch völlig selbstverständlich. Denn jeder der im Islam irgendeine Lehre entwickeln will, wird sich auf die Texte des klassischen Islams beziehen. Man kann ja nicht einfach irgendwas erzählen, jeder der eine Reform einer intellektuellen Tradition anstrebt muss diese auch rezipieren und sich konstruktiv darauf beziehen, irgendwo Anknüpfungspunkte finden. Die Liberalen müssen ja genau das Gleiche machen. Die können ja auch nicht einfach ihren Wunschislam aufschreiben und dabei 1300 Jahre islamische Gelehrsamkeit ignorieren. Teilweise können sich Liberale und Salafisten sogar auf genau das gleiche beziehen, wenn es z.B. um ablehnende Ansichten über den Konsens der Gelehrten geht. Ibn Taymiya hat lt. seiner Wiki-Seite die Ansicht vertreten, dass der Konsens nur dann gültig kein kann, wenn die Prophetengelehrten einen solchen hatten - das erlaubt einen recht freien Umgang mit Fiqh-Literatur weil man jeden angeblichen Konsens der Gelehrten darin mit Ibn Taymiya getrost ignorieren kann - entsprechend bleibt viel Raum für die eigene Rechtsfindung, das gefällt Salafisten ebenso wie den Liberalen.

Die Orthodoxie d.h. die klassische islamische Literatur köpfen oder nicht köpfen zu wollen ist albern, weil dabei handelt es sich um 1300 Jahre islamische Tradition und die kann man nicht abschaffen, mit der muss man sich auseinander setzen. Die Salafisten haben das gemacht und machen das, die Liberalen machen das gleiche, haben aber wohl schon noch einige Hausaufgaben in dieser Hinsicht zu erledigen.

Wenn also Ourghi sagt:
Ourghi: Tatsächlich gibt es neben der kanonischen Quelle des Koran auch die Tradition des Propheten mit Aufrufen zum Heiligen Krieg. „Mir wurde befohlen, die Menschen zu bekämpfen, solange sie sich nicht zum Islam bekehren“, soll der Prophet Mohammed gesagt haben. Die dritte Quelle für Gewalttaten ist schließlich die klassische islamische Theologie. Der militante Islamismus beruft sich auf eine theologisch fundierte Theologie, die vor allem bis zum 14. Jahrhundert entstand, es handelt sich dabei allerdings um vormoderne Gesellschaften mit gänzlich anderen Loyalitäten.
dann ist das eine Binsenweiseheit. Ja natürlich beziehen sich Salafisten auf Koran, Sunna und die klassische islamische Gelehrtenliteratur. Der Wahabismus/Salafismus ist schließlich eine sunnitische Strömung, dessen wichtigste theologische und rechtswissenschaftliche Schriften von islamischen Gelehrten geschrieben wurden, welche an den jeweiligen islamischen Bildungseinrichtungen studiert haben. Wie soll es also auch anders sein?

Es ist jetzt halt Aufgabe der islamischen Theologen und Rechtsgelehrten hierzulande bzw. sofern sie entsprechende Ansichten haben auch in der islamischen Welt, sich mit Koran, Sunna und der klassisch islamischen Literatur so auseinander zu setzen, dass sie zu einem Islam kommen, wie er hierzulande von Muslimen praktisch gelebt werden kann und wird.

Und ich habe ja versucht im Eingangsbeitrag mal ganz konkret aufzuzeigen wo da die Probleme liegen und auch wo sie nicht liegen, de facto ist ein Großteil des klassischen Islams unproblematisch, es geht um ganz spezielle Fälle und da muss man dann auch schauen, ob sie sozusagen einfach nur ein moralisches Bauchschmerzen verursachen (wie ungleiche Erbteile von Mann und Frau) oder tatsächlich mit der hier herrschenden Rechtsordnung in keinster Weise in Übereinstimmung zu bringen sind (Körperstrafen, Kinderheirat, Frauenbeschneidung etc.).
Zuletzt geändert von Platon am Do 31. Mär 2016, 16:54, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Tom Bombadil hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:37)

Ich frage mich nur immer wieder, warum vermeintlich weltoffene Menschen dieser rückständigen Religion inklusive der innewohnenden Ideologie, die ihre Anhänger mit massenhaft Vorschriften gängelt, Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht, Homo- und Transsexuelle sowie Andersgläubige und Apostasie mit dem Tod bedroht, mit soviel Verständnis und Toleranz begegnen und auch immer wieder die banale "tu quoque" Argumentation anbringen, wie schlimm das Christentum oder der Westen doch auch sind (was so ja auch nicht stimmt). Das ist mir ein vollkommenes Rätsel, widerspricht "der Islam" doch grundsätzlich allen liberalen und linken Idealen. Woher kommt das?
Also ich habe meine Ansichten im EIngangsbeitrag ausführlich beschrieben. Dort kann man nachlesen was ich denke und warum ich etwas denke.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Tom Bombadil »

Das war jetzt eher auf Harry bezogen, weil er ja noch extra betonte, Atheist zu sein.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

Tom Bombadil hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:37)

Ich frage mich nur immer wieder, warum vermeintlich weltoffene Menschen dieser rückständigen Religion inklusive der innewohnenden Ideologie, die ihre Anhänger mit massenhaft Vorschriften gängelt, Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht, Homo- und Transsexuelle sowie Andersgläubige und Apostasie mit dem Tod bedroht, mit soviel Verständnis und Toleranz begegnen und auch immer wieder die banale "tu quoque" Argumentation anbringen, wie schlimm das Christentum oder der Westen doch auch sind (was so ja auch nicht stimmt). Das ist mir ein vollkommenes Rätsel, widerspricht "der Islam" doch grundsätzlich allen liberalen und linken Idealen. Woher kommt das?
Der Islam ist einfach in seinem Werdegang um die paar Jahrhunderte hinterher, die er jünger als das Christentum ist. Christen haben seinerzeit Hexenprozesse geführt, Ketzer (nach Ansicht fanatischer Eiferer) auf den Scheiterhaufen gebracht, Weltbilder diskreditiert, etc. etc. ...
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von H2O »

Fuerst_48 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:58)

Der Islam ist einfach in seinem Werdegang um die paar Jahrhunderte hinterher, die er jünger als das Christentum ist. Christen haben seinerzeit Hexenprozesse geführt, Ketzer (nach Ansicht fanatischer Eiferer) auf den Scheiterhaufen gebracht, Weltbilder diskreditiert, etc. etc. ...
Diese Theorie habe ich inzwischen mehrfach
an unterschiedlichen Stellen gelesen. Ist es denn
nicht aber so, daß im Hauptverbreitungsgebiet
der Islams nur wenig neuzeitliches Schöpfungs-
vermögen zu beobachten ist. Natürlich weiß man
nicht so genau, ob nun der Islam dafür verant-
wortlich zu machen ist, oder ob der Islam an sich
zu geringem Veränderungsdruck ausgesetzt war,
den die christlichen Kirchen zu ertragen hatten.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:20)

Diese Theorie habe ich inzwischen mehrfach
an unterschiedlichen Stellen gelesen. Ist es denn
nicht aber so, daß im Hauptverbreitungsgebiet
der Islams nur wenig neuzeitliches Schöpfungs-
vermögen zu beobachten ist. Natürlich weiß man
nicht so genau, ob nun der Islam dafür verant-
wortlich zu machen ist, oder ob der Islam an sich
zu geringem Veränderungsdruck ausgesetzt war,
den die christlichen Kirchen zu ertragen hatten.
Der Islam ist einfach nicht unter den Glassturz irgendwelcher Mullahs zu stellen. Und die Unantastbarkeit des Koran ist unhaltbar.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von H2O »

Fuerst_48 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:32)

Der Islam ist einfach nicht unter den Glassturz irgendwelcher Mullahs zu stellen. Und die Unantastbarkeit des Koran ist unhaltbar.
Das kann ich alles sofort einsehen. Dazu hatte ich
mir vor langer Zeit angelesen, daß der Koran un-
mittelbar Gottes Wort gewesen sei, das Gott an
seinen Propheten gerichtet habe.

So gesehen darf man Gottes Wort nicht ändern;
der Koran ist das letzte Wort für die Gläubigen.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:40)

Das kann ich alles sofort einsehen. Dazu hatte ich
mir vor langer Zeit angelesen, daß der Koran un-
mittelbar Gottes Wort gewesen sei, das Gott an
seinen Propheten gerichtet habe.

So gesehen darf man Gottes Wort nicht ändern;
der Koran ist das letzte Wort für die Gläubigen.
Pass bloß auf, dass du nicht unversehens zum Islam konvertierst!! :mad2: :mad2: :D :D
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von H2O »

Fuerst_48 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:43)

Pass bloß auf, dass du nicht unversehens zum Islam konvertierst!! :mad2: :mad2: :D :D
Das ist mir zu gefährlich; einmal Islam, immer Islam;
oder Tod wegen Ausstiegs aus dem Islam... :eek:
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:54)

Das ist mir zu gefährlich; einmal Islam, immer Islam;
oder Tod wegen Ausstiegs aus dem Islam... :eek:
Da bin ich ja nun echt beruhigt. :cool: :cool:
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Bleibtreu »

Platon hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:37)

Das ist wie gesagt ein falsches Bild. Der Salafismus bezieht sich auf Teile(!) der klassischen Islamischen Gelehrtenliteratur, einige findet man gut wie Ibn Taymiya, Ahmad ibn Hanbal und andere. Wieder andere Teile sieht man skeptisch oder lehnt sie ab, d.h. alles was irgendwie nach Sufismus - und der ist Teil der Orthodoxie - oder Philosophie riecht. Ein Beispiel: Im sunnitischen Islam ist die Person https://de.wikipedia.org/wiki/Al-Ghaz%C4%81l%C4%AB die Personifikation der Orthodoxie, er gilt für viele als der größte Islamische Gelehrte der je gelebt hat und er hat auch einen interessanten Lebenslauf. Er ist die sunnitische Orthodoxie und steht in der Bedeutung für den sunnitischen Islam neben Leuten wie ash-shafii in der zweiten Reihe lediglich hinter Mohammed, eigentlich. (Abdul Adhim über ihn)
Auch wieder nicht korrekt. Auch die 4 sunnitischen Madhabs sind ja nicht 1:1 identisch, sonst wären es nicht 4. Salafisten, Wahabis, Islamisten haben ihre Basis in den RechtsSchulen, im orthodoxen, im klassischen Islam. Sie weigern sich lediglich, sich explizit einer bestimmten Madhab anzuschließen, wie es im sunnitischen Glauben üblich ist. Lehnen sich allerdings sehr stark an die strengste RechtsSchule der Hanbaliten an. Diese ist auch die in Saudi-Arabien staatlich befolgte Rechtsschule.

Die Hanbaliten sind die kleinste Rechtsschule des sunnitischen Islam, der etwa fünf Prozent der Sunniten anhängen. In Saudi-Arabien ist es die staatlich befolgte Rechtsschule. Obwohl es in den Rechtsquellen nicht immer explizit erwähnt wird, ist der Hanbalismus im Rechtssystem Saudi-Arabiens stark vertreten. Die Hanbaliten üben aufgrund des Einflusses in Saudi-Arabien, in dem die heiligen Stätten Mekka und Medina liegen, die jedes Jahr Ziel der Haddsch sind, einen starken Einfluss auf die gesamte sunnitische Gemeinschaft aus. So befolgen die salafitischen Strömungen, die explizit keiner Rechtsschule anhängen, in den meisten Fällen die Ansichten, die mit der hanbalitischen Meinung übereinstimmen

Auf dieser Basis der Regeln der Orthodoxie propfen sie dann ihre SuperGelehrten Ibn Taimīya und Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb auf. Deswegen nennen wir sie Salafisten, Wahabis usw. Also extrem radikale SpielArten der Orthodoxie [wobei die gemäßigste und größte schon für unsere Maßstäbe zum Kotzen ist], die ihre eigenen Bezeichnungen bekommen haben. Die übrigens von den meisten Salafis und Wahabis empört zurück gewiesen werden. ;)

Die Salafisten lehnen ihn ab, er ist ein Sufi, bzw. sie behaupten - und das zeigt seine Bedeutung für den sunnitischen Islam nur noch mehr - er habe kurz vor seinem Tod "bereut" und den Salafi-Weg eingeschlagen. Eine Meinung die sie exklusiv für sich haben. Seine Autobiographie und wichtige Teile seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt.
Salafisten, Wahabis & Co lehnen Mystiker, Sufis per se ab - da machen die auch bei einem großen keine Ausnahme. Auch wenn sie ihn dann durch die Hintertür wieder vereinnahmen wollen.
Für mich weder was Neues, noch ändert es etwas daran, dass die Orthodoxie die Basis der Radikalen ist.
Im Übrigen hat die Orthodoxie noch nie ein großes Liebesverhältnis zu den Sufis per se gehabt. Sufitische Strömungen wurden schon immer in der Orthodoxie scharf kritisiert.

Solche ketzerischen Äußerungen ließ sich der orthodoxe Islam nicht gefallen. Ende des 11. Jahrhunderts schaffte es der berühmte Theologe Al-Ghazzali durch eine Abmilderung der radikalen Askese der frühen Sufis und einer Systematisierung des sufischen Gedankenguts, dem Sufismus einen Platz im orthodoxen Islam einzuräumen. Er trug maßgeblich dazu bei, dass die Dogmatik einem Gottesbewusstsein wich, das dem Herzen entspringt. Die Liebe zu Gott war jetzt legitim, aber sie tat der Transzendenz Gottes keinen Abbruch. Doch blieb das Verhältnis zur Orthodoxie gespannt und immer mehr sahen sich die Mystiker gezwungen, ihre Lehre zu einem esoterischen System zu entwickeln und dadurch der strengen Kontrolle der Orthodoxie zu entgehen.


Umgekehrt ist es allerdings so, dass in der Regel jeder Sufi einer Madhab angehört und damit auch die orthodoxen Regeln anerkennt, wie Verschleierung und Steinigung.
Sufis sind eben nicht per se mystische Hippies, wie es sich romantische Orientalisten gerne erträumen. ;)
Worauf ich dabei hinaus will, auch die Salafisten fußen nicht einfach auf der Orthodoxie, sie beziehen sich auf die Teile der klassischen islamischen Literatur die ihnen am besten in den Kram passen. Solche die ihnen nicht in den Kram passen, lehnen sie ab und sagen die haben halt Mist erzählt.
Dann solltest du mal aus deinem Schia verbrämten und mit SufiHippies überzogenem Elfenbeinturm steigen und dich wie ich beruflich mit diesen Idioten auseinandersetzen.
Wenn du mit ihnen auf theologischer Ebene diskutierst, wirst du sehr schnell feststellen, dass sie mit dem orthodoxen Islam argumentieren, mit den Fatwas der Orthodoxie, usw.
Siehe Ourghi, siehe Oben. Nicht nur mit kleinen Bruchstücken oder ausgepickten Rosinen. Wofür diese Irren stehen, dass findest du genau so in islamischen Staaten umgesetzt.

Die Orthodoxie d.h. die klassische islamische Literatur köpfen oder nicht köpfen zu wollen ist albern, weil dabei handelt es sich um 1300 Jahre islamische Tradition und die kann man nicht abschaffen, mit der muss man sich auseinander setzen. Die Salafisten haben das gemacht und machen das, die Liberalen machen das gleiche, haben aber wohl schon noch einige Hausaufgaben in dieser Hinsicht zu erledigen
.
Das ist wieder nur sinnlose Rabulistik. Selbstverständlich geht es der Orthodoxie an den Kragen, wenn klar ist, dass diese eben die Basis für Salafisten, Wahabis & Co. ist.
Denn dadurch wird sie, wie es auch Ourghi sehr ausführlich in seinem Interview macht, auf den Seziertisch gepackt und auseinander genommen. Es wird und muss genau
das getan werden, wogegen die Ummah sich seit der Schließung der Tore des Idschtihād wehrt. Vor allem will man sich mit dieser kindischen Nummer wieder davor drücken,
dass Islamismus eben eine SpielArt des Islam ist, der eine sehr tiefgreifende Basis im Mainstream des Islam hat.
Wenn also Ourghi sagt:

dann ist das eine Binsenweiseheit. Ja natürlich beziehen sich Salafisten auf Koran, Sunna und die klassische islamische Gelehrtenliteratur. Der Wahabismus/Salafismus ist schließlich eine sunnitische Strömung, dessen wichtigste theologische und rechtswissenschaftliche Schriften von islamischen Gelehrten geschrieben wurden, welche an den jeweiligen islamischen Bildungseinrichtungen studiert haben. Wie soll es also auch anders sein?
Deswegen wird es für mich auch immer lächerlicher, wenn du offensichtlich nicht begreifen willst, wovon ist schon ewig schreibe, mir aber dann doch zustimmen musst.
Denn einem Ourghi zu widersprechen, das wäre dann die endgültige BankrottErklärung. :)
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

Bleibtreu hat geschrieben:(31 Mar 2016, 18:05)

Auch wieder nicht korrekt. Auch die 4 sunnitischen Madhabs sind ja nicht 1:1 identisch, sonst wären es nicht 4. Salafisten, Wahabis, Islamisten haben ihre Basis in den RechtsSchulen, im orthodoxen, im klassischen Islam. Sie weigern sich lediglich, sich explizit einer bestimmten Madhab anzuschließen, wie es im sunnitischen Glauben üblich ist. Lehnen sich allerdings sehr stark an die strengste RechtsSchule der Hanbaliten an. Diese ist auch die in Saudi-Arabien staatlich befolgte Rechtsschule.

Die Hanbaliten sind die kleinste Rechtsschule des sunnitischen Islam, der etwa fünf Prozent der Sunniten anhängen. In Saudi-Arabien ist es die staatlich befolgte Rechtsschule. Obwohl es in den Rechtsquellen nicht immer explizit erwähnt wird, ist der Hanbalismus im Rechtssystem Saudi-Arabiens stark vertreten. Die Hanbaliten üben aufgrund des Einflusses in Saudi-Arabien, in dem die heiligen Stätten Mekka und Medina liegen, die jedes Jahr Ziel der Haddsch sind, einen starken Einfluss auf die gesamte sunnitische Gemeinschaft aus. So befolgen die salafitischen Strömungen, die explizit keiner Rechtsschule anhängen, in den meisten Fällen die Ansichten, die mit der hanbalitischen Meinung übereinstimmen

Auf dieser Basis der Regeln der Orthodoxie propfen sie dann ihre SuperGelehrten Ibn Taimīya und Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb auf. Deswegen nennen wir sie Salafisten, Wahabis usw. Also extrem radikale SpielArten der Orthodoxie [wobei die gemäßigste und größte schon für unsere Maßstäbe zum Kotzen ist], die ihre eigenen Bezeichnungen bekommen haben. Die übrigens von den meisten Salafis und Wahabis empört zurück gewiesen werden. ;)



Salafisten, Wahabis & Co lehnen Mystiker, Sufis per se ab - da machen die auch bei einem großen keine Ausnahme. Auch wenn sie ihn dann durch die Hintertür wieder vereinnahmen wollen.
Für mich weder was Neues, noch ändert es etwas daran, dass die Orthodoxie die Basis der Radikalen ist.
Im Übrigen hat die Orthodoxie noch nie ein großes Liebesverhältnis zu den Sufis per se gehabt. Sufitische Strömungen wurden schon immer in der Orthodoxie scharf kritisiert.

Solche ketzerischen Äußerungen ließ sich der orthodoxe Islam nicht gefallen. Ende des 11. Jahrhunderts schaffte es der berühmte Theologe Al-Ghazzali durch eine Abmilderung der radikalen Askese der frühen Sufis und einer Systematisierung des sufischen Gedankenguts, dem Sufismus einen Platz im orthodoxen Islam einzuräumen. Er trug maßgeblich dazu bei, dass die Dogmatik einem Gottesbewusstsein wich, das dem Herzen entspringt. Die Liebe zu Gott war jetzt legitim, aber sie tat der Transzendenz Gottes keinen Abbruch. Doch blieb das Verhältnis zur Orthodoxie gespannt und immer mehr sahen sich die Mystiker gezwungen, ihre Lehre zu einem esoterischen System zu entwickeln und dadurch der strengen Kontrolle der Orthodoxie zu entgehen.


Umgekehrt ist es allerdings so, dass in der Regel jeder Sufi einer Madhab angehört und damit auch die orthodoxen Regeln anerkennt, wie Verschleierung und Steinigung.
Sufis sind eben nicht per se mystische Hippies, wie es sich romantische Orientalisten gerne erträumen. ;)


Dann solltest du mal aus deinem Schia verbrämten und mit SufiHippies überzogenem Elfenbeinturm steigen und dich wie ich beruflich mit diesen Idioten auseinandersetzen.
Wenn du mit ihnen auf theologischer Ebene diskutierst, wirst du sehr schnell feststellen, dass sie mit dem orthodoxen Islam argumentieren, mit den Fatwas der Orthodoxie, usw.
Siehe Ourghi, siehe Oben. Nicht nur mit kleinen Bruchstücken oder ausgepickten Rosinen. Wofür diese Irren stehen, dass findest du genau so in islamischen Staaten umgesetzt.


.
Das ist wieder nur sinnlose Rabulistik. Selbstverständlich geht es der Orthodoxie an den Kragen, wenn klar ist, dass diese eben die Basis für Salafisten, Wahabis & Co. ist.
Denn dadurch wird sie, wie es auch Ourghi sehr ausführlich in seinem Interview macht, auf den Seziertisch gepackt und auseinander genommen. Es wird und muss genau
das getan werden, wogegen die Ummah sich seit der Schließung der Tore des Idschtihād wehrt. Vor allem will man sich mit dieser kindischen Nummer wieder davor drücken,
dass Islamismus eben eine SpielArt des Islam ist, der eine sehr tiefgreifende Basis im Mainstream des Islam hat.


Deswegen wird es für mich auch immer lächerlicher, wenn du offensichtlich nicht begreifen willst, wovon ist schon ewig schreibe, mir aber dann doch zustimmen musst.
Denn einem Ourghi zu widersprechen, das wäre dann die endgültige BankrottErklärung. :)
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

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Bleibtreu hat geschrieben:(31 Mar 2016, 18:05)
[...]Dann solltest du mal aus deinem Schia verbrämten und mit SufiHippies überzogenem Elfenbeinturm steigen und dich wie ich beruflich mit diesen Idioten auseinandersetzen.
Wenn du mit ihnen auf theologischer Ebene diskutierst, wirst du sehr schnell feststellen, dass sie mit dem orthodoxen Islam argumentieren, mit den Fatwas der Orthodoxie, usw.
Siehe Ourghi, siehe Oben. Nicht nur mit kleinen Bruchstücken oder ausgepickten Rosinen. Wofür diese Irren stehen, dass findest du genau so in islamischen Staaten umgesetzt.
Zumindest in 2 davon - Saudi Arabien und dem Islamischen Staat.
Das ist wieder nur sinnlose Rabulistik. Selbstverständlich geht es der Orthodoxie an den Kragen, wenn klar ist, dass diese eben die Basis für Salafisten, Wahabis & Co. ist.
Wie gesagt. Die Orthodoxie, d.h. die klassischen Islamischen Texte sind die Basis bzw. der Ausgangspunkt von allem was irgendwie mit Islam zu tun hat.
Denn dadurch wird sie, wie es auch Ourghi sehr ausführlich in seinem Interview macht, auf den Seziertisch gepackt und auseinander genommen. Es wird und muss genau das getan werden, wogegen die Ummah sich seit der Schließung der Tore des Idschtihād wehrt.
Natürlich. In Deutschland muss das getan werden und welche Teile problematisch sind, habe ich im Eingangsbeitrag erläutert.
Vor allem will man sich mit dieser kindischen Nummer wieder davor drücken, dass Islamismus eben eine SpielArt des Islam ist, der eine sehr tiefgreifende Basis im Mainstream des Islam hat.
Es kommt halt darauf an. Islamisten sind natürlich immer Muslime. Der politische Islam bringt auch keine Neuerungen im kultischen Bereich und ähnlichen, da wo der politische Islam neue Gedanken entwickelt ist im politischen Denken und im Verhältnis Mensch und Staat/Herrscher. Auf die Idee die islamische Welt reislamisieren zu wollen war vor 1870 keiner gekommen.
Deswegen wird es für mich auch immer lächerlicher, wenn du offensichtlich nicht begreifen willst, wovon ist schon ewig schreibe, mir aber dann doch zustimmen musst.
Der Unterschied zwischen uns beiden ist nach wie vor das Verständnis von Orthodoxie. Zunächst einmal verwendest du (und teilweise auch ich) den Begriff sowohl auf die Rechtstexte und auf real existierende Rechtssprechung in der arabischen Welt. Für dich werden diese Texte heutzutage einfach 1:1 angewendet, sowohl von Orthodoxen, als auch von Salafisten, mit nur minimalen Unterschieden - was für dich ein Skandal ist, aber nicht von Liberalen, weil die sich vom vormodernen klassischen Islam abgewendet haben, haben mussten. Aus diesem Grunde muss für dich die Orthodoxie/der klassische Islam und die Salafisten gleichermaßen dämonisiert werden.
Ich hingegen sehe den klassischen Islam vor allem als Text, welcher heutzutage von allen nicht 1:1 angewendet sondern ausgelegt wird. Indem man sich die Dinge herausgreift, welche einem gerade in den Kram passen um dann zu dem passenden Ergebnis zu kommen. Ich sehe also Salafisten, Orthodoxen und Liberalen allesamt gleichermaßen als Ausleger des klassischen Islam und daher muss man sich anschauen a) welche Teile am klassischen Islam wirklich schlimm sind und b) sich konkret anschauen wie die jeweiligen Ausleger sich dazu verhalten. Das ist ja mein Argument aus dem Eingangsbeitrag.
Denn einem Ourghi zu widersprechen, das wäre dann die endgültige BankrottErklärung. :)
Ich kenne den gar nicht so richtig. Ich glaube hier nur mal gelesen zu haben er hätte Khorchide kritisiert oder so.
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aleph
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von aleph »

schelm hat geschrieben:(30 Mar 2016, 22:46)

So viel Mühe, und doch lese ich nur eines heraus, daran knüpft sich eine Frage : 1. Der hochkomplexe Islam scheint mir ungeeignet für Muslime, denn um zu wissen, ob sie mit dem was sie tun und denken überhaupt islamisch handeln, müssen sie umfangreiche Expertisen von Gelehrten einholen. 2. Die Frage : Wie bringen wir weltweit den Muslimen bei mit ihrer Religion überfordert zu sein ?
So funktioniert Religion und deren Aneignung ja gerade nicht. Ich möchte da auf ein kleines Problemchen aufmerksam machen: das, was Platon sagt, ist wohl alles richtig (er ist hier der Experte), aber er beschreibt die Religion des Islams aus der Sicht eines Islamwissenschaftlers, der sich wissenschaftlich mit dem dem Islam befasst. Ein Kind aber, das im Islam aufwächst, wird ja gar nicht mit diesen ganzen Dingen konfrontiert. Das ist doch beim Christentum genauso. Selbst ein erwachsener Christ, der konfirmiert wurde und im Religionsunterricht gut aufgepasst hat, bekommt doch nichts mit z.B. von der Problematik des Wesens Jesu. Er weiß zwar um die Dreieinigkeit, aber was das genau heißt und wie man darauf kommt, darüber denkt er nicht großartig nach. Er geht in die Kirche (wenn er besonders fromm ist), singt die Lieder mit, vielleicht sogar im Chor und spricht das Glaubensbekenntnis, das wars dann aber auch. Ähnlich tut das ein durchschnittliche Moslem auch, der hat halt seine moslemischen Gewohnheiten. Er denkt nicht über den Schwertvers im Koran nach, das überlässt er den Gelehrten und den Islamwissenschaftlern.
Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein. Walter Jens
Besser schweigen und als Narr zu scheinen, als sprechen und jeden Zweifel zu beseitigen. Abraham Lincoln
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von scriptor »

aleph hat geschrieben:(01 Apr 2016, 07:20)

So funktioniert Religion und deren Aneignung ja gerade nicht. Ich möchte da auf ein kleines Problemchen aufmerksam machen: das, was Platon sagt, ist wohl alles richtig (er ist hier der Experte), aber er beschreibt die Religion des Islams aus der Sicht eines Islamwissenschaftlers, der sich wissenschaftlich mit dem dem Islam befasst. Ein Kind aber, das im Islam aufwächst, wird ja gar nicht mit diesen ganzen Dingen konfrontiert. Das ist doch beim Christentum genauso. Selbst ein erwachsener Christ, der konfirmiert wurde und im Religionsunterricht gut aufgepasst hat, bekommt doch nichts mit z.B. von der Problematik des Wesens Jesu. Er weiß zwar um die Dreieinigkeit, aber was das genau heißt und wie man darauf kommt, darüber denkt er nicht großartig nach. Er geht in die Kirche (wenn er besonders fromm ist), singt die Lieder mit, vielleicht sogar im Chor und spricht das Glaubensbekenntnis, das wars dann aber auch. Ähnlich tut das ein durchschnittliche Moslem auch, der hat halt seine moslemischen Gewohnheiten. Er denkt nicht über den Schwertvers im Koran nach, das überlässt er den Gelehrten und den Islamwissenschaftlern.
Religion funktioniert aber auch nicht nur so, dass völlig Unkritische ihre Kinderkampflos jedem Scharlatan der extremistischen Interpretation überlassen.
So viele übertriebene Glaubenseifer gibt es auch unter den Muslimen nicht.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Forum am Freitag (allerdings vom letzten Freitag)

Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad zum Thema "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanalueb ... ngversion)

Dort wird alles gesagt, was man über den Islam wissen muss. Mehr muss nicht gesagt werden.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Antonius »

Liegestuhl hat geschrieben:(01 Apr 2016, 11:01)
Forum am Freitag (allerdings vom letzten Freitag)

Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad zum Thema "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanalueb ... ngversion)

Dort wird alles gesagt, was man über den Islam wissen muss. Mehr muss nicht gesagt werden.
Danke, Liegestuhl, für diesen Hinweis.

Zweifellos führen hier Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad ein substanzielles Gespräch zum genannten Thema.
Überhaupt, wir sollten uns vielmehr an die kritischen Geister halten, denn diese dringen am ehesten zum Kern des Problems vor.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Liegestuhl hat geschrieben:(01 Apr 2016, 11:01)

Forum am Freitag (allerdings vom letzten Freitag)

Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad zum Thema "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanalueb ... ngversion)

Dort wird alles gesagt, was man über den Islam wissen muss. Mehr muss nicht gesagt werden.
Die Barmherzigkeit des Herrn Khorchide und des Herrn Abdel-Samad füreinander. :)

Ich nehme das ein bisschen so wahr, als wenn Abdel Samad nach seinem publizistischem "Durchbruch" zunächst einmal intellektuell Amok gelaufen ist - als er den Monotheismus komplett für Faschistisch erklärt hat. Durch das Gespräch mit Khorchide wird er nun von ihm auf sehr pädagogische Weise ein wenig zur verbalen Mäßigung gebracht, weil er ihn respektiert und auch ernst nimmt was er sagt - was im Gespräch mit Islamkritikern ja nicht immer der Fall ist. Dazu hat Abdel Samad die religiösen Quellentexte tatsächlich in größerem Umfang selber gelesen, wohl auch auf Arabisch, was ihn ebenfalls in den Reihen der Islamkritiker hervorhebt und auch zum geeigneten Sparringspartner für Khorchide macht, wenn der sich wiederum als liberaler Islamgelehrter profilieren kann. Man merkt das ja auch im Gespräch immer mal wieder. Gibt die Sache ja auch in Buchform. Ich bin wie man weiß der Ansicht, dass das Vorhaben als Kritiker den Islam selber interpretieren zu wollen und weniger die Interpretationen der Muslime ins Zentrum der Kritik zu stellen für völlig witzlos und an dem vorbei worum es in der Islamkritik eigentlich gehen sollte, weswegen ich Abdel-Samads Ideen ebenso für zumeist nicht hilfreich halte. Aber es ist schön, dass in diesem Fall miteinander geredet wird und nicht nur übereinander.

Welches sind denn die Themen und Ideen, welche für dich interessant waren am Austausch dieser beiden. Was ist da besonders bei dir hängen geblieben?
Zuletzt geändert von Platon am Fr 1. Apr 2016, 16:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Platon hat geschrieben: Welches sind denn die Themen und Ideen, welche für dich interessant waren am Austausch dieser beiden. Was ist da besonders bei dir hängen geblieben?
Schöne Frage. Ich antworte heute Abend. Muss jetzt erstmal Feierabend machen.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Antonius »

Platon hat geschrieben:(30 Mar 2016, 22:34)
Liebe Leserinnen und Leser, nachdem ich zuletzt wieder etwas mehr im Strang " Grundsatzdiskussion Islam" diskutiert habe, möchte ich mal ein paar grundsätzliche Gedanken zur Frage schreiben, in welchem Rahmen ich Islamkritik für richtig und wichtig halte. Um meine Ansichten wirklich verständlich zu machen, muss ich leider etwas weiter ausholen, ich entschuldige mich von vorne herein dafür.

(...) Volltext

Worauf will ich nun hinaus?

Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass der übergroße Teil der Islamkritik - sofern sie Beachtung verdient und "den Finger in die Wunde legt" und nicht einfach irgendwelches dummes Zeug daher redet - bezieht sich praktisch ausschließlich auf eine Reihe von juristische Regelungen die im klassischen Islam von der dortigen orthodoxen islamischen Rechtswissenschaft entwickelt wurden und welche heutzutage noch nicht von allen vollständig abgeschafft sind, teilweise auch wieder eingeführt wurden und mit unseren europäischen Verständnis von Grund- und Menschenrechten und allgemeiner Moral nicht vereinbar sind. Ein großer Teil der von dieser Orthodoxie entwickelten Regeln und Normen sind unbedenklich und unproblematisch, einige Teile davon sind es aber dann halt doch.
Wenn man nun sinnvoll Islamkritik betreiben will, dann sollte man meines Erachtens nicht irgendeine infantile Koranexegese betreiben oder irgendwelche halb verstandenen Sachen oder Erfahrungen verallgemeinern, sondern man muss sich anschauen wie bestimmte Gruppen, Gelehrten und Einzelpersonen zu bestimmten, bevorzugt den potenziell problematischen, Sachverhalten stehen. Das heißt man muss sich den Islam anschauen, welcher auch tatsächlich als wahrer Islam vertreten wird und sich keinen eigenen zurecht interpretieren.
(...)
Wenn man sich dann aber halt die Rhetorik von Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Abdel Samad und anderen ansieht, welche ihre persönlichen negativen Erfahrungen zu einer Polemik gegen den Islam als Ganzes ausweiten, dann mögen sie zwar auf allgemein als problematisch bekannte Dinge hinweisen, dies aber mit einer anti-islamischen Polemik verbinden, die sehr öffentlichkeitswirksam ist, aber letztlich dann wieder selbst zu verallgemeinernd und auch an das falsche Publikum gerichtet. Nämlich nicht die Muslime sondern die Islamkritiker, vor allem die etwas depperten.
(...)
Ich habe mir den Tort angetan und den gesamten Text gelesen.
Texte diesen Umfanges sind eigentlich für ein Diskussionsforum ziemlich ungeeignet.... :)
Das vorweg !

Trotz des sehr umfangreichen Textes fehlen aus meiner Sicht wichtige Sachverhalte, vor allem die Betrachtungen der Islam-Dissidenten.
Diese kommen aus dem Islam, wurden dort sozialisiert, haben bestimmte Erfahrungen mit der (Religions-)Ideologie gemacht und stellen diese dar.
Das ist ihr Verdienst, diese sollten wir in unserer westlichen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen.
Die Stimmen der Islam-Dissidenten sind für die hiesige Gesellschaft eine wichtige Informationsquelle, sicherlich viel wichtiger als die Stimmen der Islamwissenschaftler und der Islamapologeten.
Natürlich gibt es auch unter den Islamwissenschaftlern einige berühmte Namen, die sich mit dem Thema kritisch auseinandersetzen.
Hier wären vor allem Dr. Christine Schirrmacher und Dr. Ursula Spuler-Stegemann zu nennen, die sich mit dem Thema "sharia" befaßt haben.
Für den "Normalverbraucher" hierzulande sind jedoch Namen wie Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Serap Cileli, Hamed Abdel-Samad, Afshin Ellian, etc., für die sachliche Information unverzichtbar.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Brainiac »

Antonius hat geschrieben:(02 Apr 2016, 13:52)
Die Stimmen der Islam-Dissidenten sind für die hiesige Gesellschaft eine wichtige Informationsquelle, sicherlich viel wichtiger als die Stimmen der Islamwissenschaftler und der Islamapologeten.
Fändest du es eigentlich gleichermaßen auch sinnvoll, sich über das Christentum und die Kirchen vor allem durch die Dissidenten und Kritiker zu informieren, sagen wir, Uta Ranke-Heinemann und Adolf Holl?
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Liegestuhl
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Platon hat geschrieben:(01 Apr 2016, 16:25)
Welches sind denn die Themen und Ideen, welche für dich interessant waren am Austausch dieser beiden. Was ist da besonders bei dir hängen geblieben?
So!

Was beiden wichtig war und worüber sich beide einig waren, ist die Tatsache, dass es im Koran friedliche, barmherzige, sowie auch kriegerische, aufhetzende Abschnitte (Suren, Ayat) gibt. Entsprechend wäre der Koran ein Baukasten, aus dem sich jeder für sein Verständnis von Religion bedienen kann. Dem kann ich zunächst einmal zustimmen, jedoch weitergedacht bedeutet dies, dass niemand behaupten kann, seine Auslegung von Koran wäre die Richtige. Es würde auch die Aussage, islamistische Terroristen und Fanatiker würden den Koran für ihre Zwecke missbrauchen, widerlegen, denn diese Fanatiker missbrauchen ihn nicht, sondern sie gebrauchen ihn lediglich. Ein Missbrauch würde vom Sprachverständnis ein "falsches" Gebrauchen voraussetzen. Dieses kann es aber nicht geben. Diese Inanspruchnahme des "einzig wahren Islam" wird ja nicht nur von den Extremisten, sondern auch von den "friedlichen" Muslimen gemacht, die mit dem Finger auf die Extremisten zeigen und behaupten, das wäre nicht der richtige Islam.

Jetzt kommt aber der sensationelle Begriff "Volksislam" in die Diskussion, der postuliert, dass der überwiegende Teil der Muslime den Koran nie gelesen hätte und auch keine theologischen Gespräche darüber führt. Es sucht sich also nicht selbständig die Sachen aus dem Koran heraus, sondern bekommt sie soziokulturell übergestülpt. Das gibt es im Christentum ja auch massenhaft. Der muslimische Plebs weiß von den 5 Säulen des Islams, isst kein Schweinefleisch, kennt einige islamische Riten und Gebräuche und das wars dann auch schon. Das konterkariert natürlich völlig die Theorie vom Islam als Baukasten.

Der Koran hat, wie oben bereits erwähnt, diese unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Gesichter (oder "Formen" wie Khorchide meint). Es gibt mekkanische und medinensische Suren und deren Abbild von Barmherzigkeit gegenüber Juden, Christen und Polytheisten korreliert doch stark mit der jeweiligen Lebenssituation in der sich Mohammed gerade befindet. Diese Widersprüchlichkeit oder mindestens Ambivalenz spricht nicht gerade für eine göttliche Herkunft des Koran.

Laut Khorchide hat Gott so viel Vertrauen in die Menschen, dass er sie wählen lässt, wie sie den Koran bzw. Religiösität auszuleben haben. Wenn man sich dann die Kriege und Verbrechen anschaut, die im Namen des Islams gemacht wurden und werden, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass der Islam (analog zum Kommunismus) eventuell eine dufte Sache ist, aber die menschliche Natur einfach nicht für ihn gemacht ist. Auf der einen (wirklich wichtigen) Seite diese Wahlfreiheit und auf anderen Seite schreibt Gott den Menschen haarklein vor, was sie zu tun und wie sie zu leben haben. Das passt nicht zusammen.

Khorchide meint, der Koran müsse im historischen Kontext gelesen werden. Im Koran steht, dass Frauen die Hälfte von dem erben, was Männer erben. Khorchide antwortet darauf, dass es eine Verbesserung gegenüber vorislamischen Zeiten ist, in denen Frauen nichts erben konnten. Die Verbesserung in Richtung Gleichberechtigung würde hier im Vordergrund als göttliche Maxime stehen. Das ist für mich wirklich absurd, denn letztlich wird Gott damit eine gewisse Kurzsichtigkeit unterstellt. Der Koran hat den Anspruch, die letzte Offenbarung Gottes an die Menschen zu sein und in dieser meißelt Gott ein konkretes und unmissverständliches Erbrecht in Stein, von dem er dann ausgeht, dass Menschen es nicht mehr befolgen, wenn der Kontext sich geändert hat. Für mich nicht nachvollziehbar, aber nur mal nebenbei würde ich gerne mal in diesem Zusammenhang von ihm wissen, wie er zum Verzehr von Schweinefleisch steht, das zweifelsfrei auch ein Kind seiner Zeit ist.

Khorchide hat eine schöne Position eingenommen. Jedoch ist sie sehr schwach und angreifbar. Ich mag ihn wirklich und denke, er ist ein guter Kerl. Manchmal tut er mir bei seinem Kampf gegen Windmühlen leid.

Was mir bisher zwar bekannt war, aber ich noch nie bewusst miteinander in Verbindung gebracht habe, ist die Aussage, dass ein Muslim sich nie sicher sein kann, nach dem Tode ins Paradies zu kommen. Die einzige Möglichkeit sich sicher zu sein, ist der Tod als Mehrtürer im Dschihad. Das habe ich bisher noch nicht zu Ende gedacht und ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Prädestinationslehre überhaupt Bestandteil des Volksislams ist. :)
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Liegestuhl hat geschrieben:(02 Apr 2016, 15:55)

So!

Was beiden wichtig war und worüber sich beide einig waren, ist die Tatsache, dass es im Koran friedliche, barmherzige, sowie auch kriegerische, aufhetzende Abschnitte (Suren, Ayat) gibt. Entsprechend wäre der Koran ein Baukasten, aus dem sich jeder für sein Verständnis von Religion bedienen kann. Dem kann ich zunächst einmal zustimmen, jedoch weitergedacht bedeutet dies, dass niemand behaupten kann, seine Auslegung von Koran wäre die Richtige.
Zumindest ist es problematisch zu sagen, es wäre die einzig Richtige.
Es würde auch die Aussage, islamistische Terroristen und Fanatiker würden den Koran für ihre Zwecke missbrauchen, widerlegen, denn diese Fanatiker missbrauchen ihn nicht, sondern sie gebrauchen ihn lediglich.
So ist es.
Ein Missbrauch würde vom Sprachverständnis ein "falsches" Gebrauchen voraussetzen. Dieses kann es aber nicht geben. Diese Inanspruchnahme des "einzig wahren Islam" wird ja nicht nur von den Extremisten, sondern auch von den "friedlichen" Muslimen gemacht, die mit dem Finger auf die Extremisten zeigen und behaupten, das wäre nicht der richtige Islam.
Die gängigste Formulierung ist eigentlich, dass es nicht "der Islam ist, wie ich ihn verstehe". Aber es ist prinzipiell so eine Sache takfir gegenüber dem IS zu machen.
Jetzt kommt aber der sensationelle Begriff "Volksislam" in die Diskussion, der postuliert, dass der überwiegende Teil der Muslime den Koran nie gelesen hätte und auch keine theologischen Gespräche darüber führt. Es sucht sich also nicht selbständig die Sachen aus dem Koran heraus, sondern bekommt sie soziokulturell übergestülpt. Das gibt es im Christentum ja auch massenhaft. Der muslimische Plebs weiß von den 5 Säulen des Islams, isst kein Schweinefleisch, kennt einige islamische Riten und Gebräuche und das wars dann auch schon. Das konterkariert natürlich völlig die Theorie vom Islam als Baukasten.
Volksislam ist halt der gelebte populäre Islam, wie man ihn vor allem auf den ländlichen Gebieten antrifft. Ist in der Islamwissenschaft/Kulturwissenschaft ein gängiger Begriff. Da spielen dann Heiligenverehrung, Amulette, Gebete und vieles mehr eine Rolle. Auch stark lokal bedingt als Synkretismus von islamischen und regional verbreiteten Vorstellungen. Man vergleicht es gerne z.B. mit dem (bayrischen) Volkskatholizismus.
Der Koran hat, wie oben bereits erwähnt, diese unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Gesichter (oder "Formen" wie Khorchide meint). Es gibt mekkanische und medinensische Suren und deren Abbild von Barmherzigkeit gegenüber Juden, Christen und Polytheisten korreliert doch stark mit der jeweiligen Lebenssituation in der sich Mohammed gerade befindet. Diese Widersprüchlichkeit oder mindestens Ambivalenz spricht nicht gerade für eine göttliche Herkunft des Koran.
Ja. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, als Gott per Koranoffenbarung in laufende Diskussionen eingegriffen hat. Und darum spielt ja auch die historische Situation eines Koranvers eine so große Rolle, nicht nur bei den Liberalen sondern bei allen die Koranexegese betreiben.
Laut Khorchide hat Gott so viel Vertrauen in die Menschen, dass er sie wählen lässt, wie sie den Koran bzw. Religiösität auszuleben haben. Wenn man sich dann die Kriege und Verbrechen anschaut, die im Namen des Islams gemacht wurden und werden, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass der Islam (analog zum Kommunismus) eventuell eine dufte Sache ist, aber die menschliche Natur einfach nicht für ihn gemacht ist. Auf der einen (wirklich wichtigen) Seite diese Wahlfreiheit und auf anderen Seite schreibt Gott den Menschen haarklein vor, was sie zu tun und wie sie zu leben haben. Das passt nicht zusammen.
Das ist einfach das Denken Khorchides. Er versteht den Islam als Angebot von Gott, welches der Mensch in Freiheit annehmen kann oder nicht. Aus seiner Perspektive hat der IS ihn nicht oder nur teilweise angenommen.
Khorchide meint, der Koran müsse im historischen Kontext gelesen werden. Im Koran steht, dass Frauen die Hälfte von dem erben, was Männer erben. Khorchide antwortet darauf, dass es eine Verbesserung gegenüber vorislamischen Zeiten ist, in denen Frauen nichts erben konnten. Die Verbesserung in Richtung Gleichberechtigung würde hier im Vordergrund als göttliche Maxime stehen. Das ist für mich wirklich absurd, denn letztlich wird Gott damit eine gewisse Kurzsichtigkeit unterstellt.
Nein. Er erklärt es in dem VIdeo ja so, dass Gott zu den Menschen in ihrer spezifischen Situation geredet hat. Nun will Khorchide verstehen was hat er in dieser spezifischen Situation gemeint und was würde er mit derselben Intention heute sagen. Das ist dann die historische Exegese, bei der er sich ja ich glaube im Video sogar mit Namen auf Nasr Hamid Abu Zaid bezieht, inklusive dem Schlagwort der Koran als Gottes Menschenwort. Das heißt der Koran ist als Rede Gottes für Menschen, in menschlicher Sprache verfasst und darum ist es möglich sich zu fragen, was hat Gott denn nun wirklich gemeint. Und dann im nächsten Schritt, was bedeutet das heute.
Der Koran hat den Anspruch, die letzte Offenbarung Gottes an die Menschen zu sein und in dieser meißelt Gott ein konkretes und unmissverständliches Erbrecht in Stein, von dem er dann ausgeht, dass Menschen es nicht mehr befolgen, wenn der Kontext sich geändert hat. Für mich nicht nachvollziehbar, aber nur mal nebenbei würde ich gerne mal in diesem Zusammenhang von ihm wissen, wie er zum Verzehr von Schweinefleisch steht, das zweifelsfrei auch ein Kind seiner Zeit ist.

Ich würde mich wundern, wenn er nicht für ein Verbot ist. Er wird sich sicher aber irgendwie eine Rechtfertigung dafür einfallen lassen, warum es ganz toll ist kein Schweinefleisch zu essen. Weiß es aber nicht.
Khorchide hat eine schöne Position eingenommen. Jedoch ist sie sehr schwach und angreifbar. Ich mag ihn wirklich und denke, er ist ein guter Kerl. Manchmal tut er mir bei seinem Kampf gegen Windmühlen leid.
Naja, er ist Professor an einem Institut für Islamische Theologie und er bildet Imame aus. Er verfasst Bücher und kann seine Ideen hier entwickeln und erhält entsprechende Förderung. Also er ist schon wer. Ob seine Positionen nun theologisch schwach begründet sind, das würde ich gar nicht mal sagen. Ich habe mir gestern mal in der Bibliothek Scharia - der missverstandene Gott: Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik geholt und heute war Islam ist Barmherzigkeit in der Post. Er schließt in seinem Verständnis von Koranhermeneutik stark an Abu Zaid und wohl auch bei Shahrur an, dazu sind viele Sachen über den Islam als Ethik, das es im Islam auch ganz stark auf die richtige inneren ethische Einstellung geht ist nichts Neues, nennt sich Niya, auch wenn er möglicherweise mit seinem Verständnis davon etwas weiter geht als normalerweise und dies dann auch in das Zentrum seiner islamischen Ethik setzt. (Er redet darüber auch 45 Minuten lang in einem YouTube-Video, habe es mir aber noch nicht angesehen) Auch kommt in seinen Texten häufig die Läuterung der Seele vor, dass diese möglichst rein (und gottähnlich) werden soll - das ist ein Kerngedanke des Sufismus und auch außerhalb eigentlich ein Standartkonzept im Islam.
Von daher bezieht sich Khorchide schon sehr stark auf Konzepte die man auch anderswo im Islam finden kann. Man merkt ihm aber ständig an, dass er kein klassischer Rechtsgelehrte sondern Religionspädagoge ist. Bei ihm spielt auch immer eine wichtige Rolle, welchen "lebensweltlichen Nutzen" eine bestimmte im Islam vorgeschriebene Handlung hat. Im Eingangsbeitrag habe ich ein Video verlinkt, wo er es über das Gebet erläutert, das es einen bereichert, näher zu Gott bringt und solche Sachen. Das habe ich so in einem islamischen Text noch nie gehört, was aber nichts heißen muss.

Von daher sollte man seine Fähigkeiten als islamischer Theologe jetzt auch nicht unterschätzen.

Die Details dieses liberalen Islamverständnisses sind eigentlich auch einen eigenen Strang wert.
Was mir bisher zwar bekannt war, aber ich noch nie bewusst miteinander in Verbindung gebracht habe, ist die Aussage, dass ein Muslim sich nie sicher sein kann, nach dem Tode ins Paradies zu kommen. Die einzige Möglichkeit sich sicher zu sein, ist der Tod als Mehrtürer im Dschihad. Das habe ich bisher noch nicht zu Ende gedacht und ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Prädestinationslehre überhaupt Bestandteil des Volksislams ist. :)
Wobei der Märtyrertod auch nur gestorben wird, wenn der Jihad auf dem Weg Gottes ist. Das heißt man muss erstmal überzeugt sein, dass ein bestimmter Kampf gerecht ist, das ihn zu kämpfen im Gottes Sinne ist. Und wenn man das glaubt, dann kommt das Jihad-Verständnis ins Spiel. Deswegen finde ich es auch immer schwierig auf einer dogmatischen Ebene Politik, Gewalt und Islam zu diskutieren, weil das nie auch nur annähernd nur dogmatisch ist sondern die Dogmatik der politischen Meinung und Notwendigkeiten folgt und gar nicht so sehr umgekehrt.
Wenn es diese Selbstmordargumentationen nicht gäbe, würden die Leute meines Erachtens genauso kämpfen, nur möglicherweise wären nicht so viele scharf darauf Märtyrer zu werden, sondern würden lieber normale Soldaten sein ohne Spezialauftrag.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Antonius »

Brainiac hat geschrieben:(02 Apr 2016, 15:03)
Fändest du es eigentlich gleichermaßen auch sinnvoll, sich über das Christentum und die Kirchen vor allem durch die Dissidenten und Kritiker zu informieren, sagen wir, Uta Ranke-Heinemann und Adolf Holl?
Im Christentum gibt es keine Denkverbote.
Der Christ ist frei in seiner Entscheidung, wie und wo er sich informiert. :cool:
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Brainiac »

Antonius hat geschrieben:(02 Apr 2016, 18:30)

Im Christentum gibt es keine Denkverbote.
Der Christ ist frei in seiner Entscheidung, wie und wo er sich informiert. :cool:
Das ist keine Antwort auf meine Frage.
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