("Eigenzitat", um Vollzitat-Freude fernzuhalten)Wie auch immer, in der Hansestadt gab's in den letzten Jahren recht viele direktdemokratische Entscheidungen, ob zu Verfassungsänderungen, Schulreform, Transparenzgesetz, Kauf de Energienetze, Infrastrukturvorhaben, Verkauf von Krankenhäusern, Olympia-Bewerbung, Wohnungsbauprojekte oder Kleinkram wie Erweiterung von Einkaufszentren, Ansiedlung von Möbelhäusern und Seilbahnen (kein Witz). Einige Initiativen stehen auch schon in den Startlöchern, um die Einheitsgemeinde zu dezentralisieren und weitere Änderungen der Verfassung herbeizuführen. Und nun ist das Thema Flüchtlinge, das vielerorts den öffentlichen Diskurs dominiert, auch ins Visier von Initiativen geraten.
Worum geht's? Angesichts steigender Flüchtlingszahlen plant der rot-grüne Senat in Hamburg größere Wohnsiedlungen zu bauen, die überwiegend für Flüchtlinge dienen und in der Regel nach spätestens zehn Jahren in frei verfügbare Wohnungen umgewandelt werden sollen. Die Initiative stört sich aber daran, dass dort teilweise bis zu 3.600 Wohnplätze geplant sind, was aus ihrer Sicht die Integration erschwert bis unmöglich macht. Die Erinnerung an Wohnsiedlungen, die man voller Zukunftsoptimismus vor 50 Jahren einweihte und sie später für einige Sorgen sorgten, ist vielerorts noch vorhanden, auch wenn die Probleme dank (teurer) Maßnahmen und zivilgesellschaftlichem Engagement heute stark eingedämmt wurden.
Der Senat stimmt weitestgehend mit Bauexperten überein, dass angesichts des raschen Bedarfs eine andere Lösung momentan kaum möglich ist, dass frühere Siedlungen mit der fünf- bis zehnfachen Größe "heikler" waren und dass man heute besser, u.a. durch diese Erfahrungen, aufgestellt sei. CDU und Linke wollen das wiederum nicht akzeptieren und begrüßen generell die Initiative, aber wollen zunächst die Entwicklung (inkl. Gesetzestextformulierung) abwarten. Die FDP plädiert für kleinteilige Lösungen im niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Umland, wo nach Willen der Partei mit Hamburger Geld Unterkünfte auf freien Flächen mit guter ÖPNV-Anbindung nach Hamburg errichtet werden sollen. Von der zerstrittenen AfD-Fraktion ist bisher wenig zu hören.
Angesichts des direktdemokratischen Prozederes der Volksgesetzgebung ist frühstens mit einem Entscheid zur Bundestagswahl 2017 zu rechnen, da Volksentscheide bei uns (sofern möglich) an weitere Wahlen gekoppelt werden, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Das führt nun zu dem Problem, dass die Bauarbeiten schon dieses Jahr beginnen sollen. Also will die Initiative einen Abriss der, wie sie sie nennt, "Olaf-Scholz-Ghettos". Zudem will sie einen stadtinternen Verteilungsschlüssel, sodass alle Stadtteile möglichst gleichermaßen gefordert sind. Bisher hat jeder der sieben Bezirke eine Fläche für Großwohnsiedlungen ausgewiesen, unabhängig von Wirtschaftssituation, Einwohnerzahl, verfügbaren Flächen usw. der jeweiligen Bezirke.
Bevor es zu einem Referendum kommt, wird die Bürgerschaft über den Gesetzestext des Volksbegehrens abstimmen müssen. Sollte sie ihn 1:1 annehmen, hat sich das Thema erledigt und der Senat muss das neue Gesetz umsetzen. Lehnt die Bürgerschaft es ab, folgt automatisch der Volksentscheid. Möglichst ist natürlich auch, dass sich die Politik mit der Initiative vorzeitig auf eine Kompromisslösung einigt. Aufgrund der letzten Treffen, die im Eklat endeten, ist dies aber momentan unwahrscheinlich. Aber etwas Zeit bis zum Entscheid ist ja noch.
Ein paar weitere Links/Artikel:
http://www.abendblatt.de/hamburg/articl ... kommt.htmlVolksentscheid zu Unterkünften für Flüchtlinge kommt
Vertreter des Dachverbands der Bürgerinitiativen gegen Großunterkünfte informierten sich am Montag bei Hamburgs Landeswahlleiter.
Ein Volksentscheid über den Bau von Großunterkünfte für Flüchtlinge rückt näher. Vertreter des Dachverbands von sieben Bürgerinitiativen haben sich am Montag mit dem Landeswahlleiter Oliver Rudolf getroffen, um sich über das Verfahren zu informieren. "Die Formulierung eines Abstimmungstextes wird nicht einfach, aber wir werden eine Lösung finden", sagte Klaus Schomacker, Sprecher des Dachverbands, nach dem Treffen.
Hintergrund ist die Absicht des rot-grünen Senats, Flüchtlinge dauerhaft auch in Großunterkünften unterzubringen. Dazu sollen in einem Schnellverfahren 5600 Wohnungen errichtet werden. Dagegen haben sich in verschiedenen Stadtteilen Bürgerinitiativen gebildet und den Dachverband gegründet. Dieser bereitet derzeit eine Volksinitiative gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge als ersten Schritt zu einem Volksentscheid vor.
http://www.mopo.de/hamburg/politik/flue ... z-23419826Der frühere Neuköllner Bürgermeister und beliebte Talkshow-Gast Heinz Buschkowsky (67, SPD) nimmt auf Einladung der FDP-Bürgerschaftsfraktion als Sachverständiger an der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses teil - und es kommen so viele Zuhörer, dass der große Festsaal des Rathauses reicht nicht ausreicht, um alle aufzunehmen. Thema: Flüchtlingsunterkünfte. Rund 500 Bürger hatten zuvor vor dem Rathaus gegen „Ghettos“ demonstriert.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/ ... e5744.htmlBei der anschließenden Sitzung des Bürgerschaftsausschusses für Stadtentwicklung im Kongresszentrum CCH kritisierten Vertreter der Initiativen den Senat. Der Saal 2 war mit 800 Besuchern gut zur Hälfte gefüllt, wie NDR 90,3 berichtete. Die Stimmung wurde hitzig, als Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) betonte, die Hälfte der Flüchtlingsunterkünfte seien im vergangenen Jahr kleiner als 250 Plätze gewesen. Ein Teil der Besucher verließ den Saal. Am Ende quittierte das Publikum die Rede mit Buh-Rufen. Die Initiativen hielten entgegen, der Senat plane jetzt Wohnsiedlungen für bis zu 3.600 Flüchtlinge. [...]
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hält derweil die Idee eines festen Schlüssels zur gleichmäßigen Verteilung von Flüchtlingen auf alle Stadtteile für kaum umsetzbar. "Wenn ich nach diesem Schlüssel in einem Stadtteil Flüchtlinge unterbringen soll, dort aber weder ein Grundstück frei noch zu verkaufen noch neu zu entwickeln ist, kann ich dort auch nichts machen", sagte Scholz dem "Hamburger Abendblatt" (Freitagsausgabe). Die Stadt müsse sich auf das Machbare konzentrieren. Nach Einschätzung des Bürgermeisters werden in diesem Jahr noch mehr Schutzsuchende nach Hamburg kommen als 2015.
http://www.zeit.de/2016/06/volksentsche ... ettansichtEs ist ein Votum, das die Regierung nicht gewinnen kann.
Nicht gegen ein politisches Bündnis, hinter dem fast 50 Prozent der Wähler stehen, das von der CDU bis zur Linkspartei reicht und das von der AfD unterstützt wird. Nicht gegen schlagkräftige Initiativen, die ihre Arbeit als Akt der Notwehr sehen, weil sie den Frieden in ihren Nachbarschaften zu verteidigen glauben oder schlicht ihr Eigentum, den Wert ihrer Häuser. Und nicht gegen einen rechten Mob, dessen Unterstützung die Initiativen nicht wollen, der aber dennoch die Gelegenheit nutzen wird, gegen Ausländer, "Gutmenschen" und "die da oben" zu hetzen.
Volksabstimmungen sind emotional, Wut ist die wichtigste Waffe. Wer abwägt, zweifelt oder Unpopuläres verkündet, hat schon verloren. [...]
Die Flüchtlingspolitik ist das Thema dieser Legislatur, eine Niederlage könnte die Regierung ins Schwanken bringen. Bei SPD und Grünen denken sie noch nicht so weit, zumindest nicht öffentlich. In der Opposition offenbar schon.
85 Prozent Zustimmung, damit rechnet Klaus Schomacker, der in der Öffentlichkeit für den Dachverband der Initiativen gegen Großunterkünfte spricht. "Wenn wir 85 Prozent bekommen, kann man davon die 15 Prozent AfD-Stimmen abziehen, und wir haben immer noch 70 Prozent", sagt er.
Das klingt siegesgewiss, das Seltsame ist nur: Die Bürgeriniativen können diese Abstimmung so wenig gewinnen wie die Landesregierung – und Schomacker weiß das. [...]
Egal, wer recht hat, fast sicher ist: Wenn die Hamburger abstimmen, werden die ersten Häuser wohl längst stehen, sämtliche Siedlungen baurechtlich genehmigt sein. Und vor allem wird es Verträge mit Bauträgern geben, die diese Siedlungen errichten werden. Und das Land wird diese Verträge beachten müssen, was immer das Volk im Herbst 2017 entscheidet.
Wozu dann abstimmen?
Man werde den "Rückbau der Siedlungen" verlangen, sagt Klaus Schomacker. Der Sprecher des Initiativbündnisses ist ein konzilianter Mann, medienerprobt, talkshowerfahren. Er ist Ingenieur, er mag Widerspruch, weil er ihm hilft, seine Argumente zu schärfen. Für die Rolle des rechten Hetzers taugt er nicht, und ein rechter Hetzer könnte im liberalen Hamburg auch keine Mehrheit gegen eine rot-grüne Regierung organisieren. Einer wie Schomacker schon.
Können Sie sich das wirklich vorstellen, Herr Schomacker: eine Volksabstimmung über den Abriss bereits bewohnter Flüchtlingssiedlungen? Polizisten, die sie räumen, Bagger, die sie abreißen, AfD-Anhänger, die am Straßenrand johlen, während Busse die Bewohner in den nächsten freien Baumarkt verfrachten? "Na ja, so wird es ja nicht sein", entgegnet Schomacker. "Abreißen und die Bewohner in die nächsten Baumärkte verfrachten, das ist ja nicht die Alternative. Neue, dezentrale Unterkünfte und gute Integration ist die Alternative. Erst danach Abriss der Ghettos!"
http://www.taz.de/!5273472/Am Donnerstag haben mehrere hundert Menschen in Hamburg gegen den Bau von Großunterkünften für Flüchtlinge protestiert. Aufgerufen hatte der Dachverband „Ifi“, „Initiativen für erfolgreiche Integration“, der neun Bürgerinitiativen umfasst. Ihr Motto: „Integration Ja, Olaf Scholz-Ghettos nein“.
Ein Slogan, der vor allem eines deutlich machen soll: Nicht aus fremdenfeindlichen Motiven gingen die Menschen auf die Straße, sondern aus „Sorge um die Bildung von Ghettos“ im eigenen Stadtteil, wie Dachverbandssprecher Klaus Schomacker in einer Eingangsrede betonte.
„Im Mittelpunkt aller Bemühungen muss die Integration der Menschen stehen, nicht nur deren Unterbringung“, sagte er. Der Verband wirft dem Senat vor, nach „bequemen Lösungen“ zu suchen, ohne die „Integrationsfähigkeit der Stadtteile“ zu berücksichtigen. In Großsiedlungen mit bis zu 4.000 Flüchtlingen könne Integration nicht gelingen, sinnvoller sei die „maximale Dezentralisierung“.