Fußball als Religion(sersatz)?

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schokoschendrezki
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Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Wie stellt sich der (sogenannte) "Westen" gegen islamistischen Terror oder allgemeiner gegen religiösen Fanatismus? Für lange Zeit galt die Erzählung: Rationalismus, Aufklärung gegen Irrationalismus und vor allem Individualismus gegen Kollektivismus.

Ich habe dieser Tage den Eindruck, dass diese Erzählung, dieses Narrativ nicht mehr gilt. Man sammelt sich - ähnlich wie in großen Kirchen oder Pilgerzentren - in großen Stadien. Statt religiöser Musik werden Hymnen gespielt, aber ähnlich wie in religiösen Zeremonien ist man emotional gebannt, hält sich an den Händen, manche haben Tränen in den Augen. "Fan" kommt vom lateinischen "fanaticus = göttlich inspiriert". Sind die Organisationen, die hinter dem Fußball stehen, anders als die Organisationen und Potentaten, die hinter religiösem Fanatismus stehen, wenigstens frei von anders geleiteten Interessen? Wird Fußball nur um des Fußballs willen betrieben und organisiert? Selten war es klarer als inn letzter Zeit: Ganz bestimmt nicht!

Immer wenn eine Nachrichtensendung im Fernsehen wegen einer Fußballübertragung abgesagt oder verschoben wird, denke ich: Du lebst in einer Welt, in der Aufklärung, Rationalismus und Individualismus angeblich etwas gelten, aber es gibt zumindest eine pseudoreligiöse Instanz, die noch mehr gilt: Fußball. Mein persönliches Gefühl ist: Ich leben in einer Welt, in der Fußball etwas ähnliches ist wie Religion in einem religiösen Staat oder wie "die Partei" in der DDR-Gesellschaft.

Geht es wirklich nur mir so?
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X3Q
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von X3Q »

Ganz ehrlich? In deiner durchrationalisierten Welt möchte ich nicht leben.

--X
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schokoschendrezki
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

X3Q » Do 19. Nov 2015, 20:12 hat geschrieben:Ganz ehrlich? In deiner durchrationalisierten Welt möchte ich nicht leben.

--X
Aufklärung, Individualismus und Rationalismus bedeuten ganz sicher nicht Emotionslosigkeit oder dergleichen ... weshalb sollte man sonst einen Thread wie diesen kreieren? Es ist das ungute Gefühl, dass die Gesellschaft aus einer berechtigten Position der Abwehr kollektivistischer Ideologien abrutscht in den Kampf der einen kollektivistischen Ideologie gegen die andere. An sich wäre die westliche Gesellschaft gegen Terroranschläge auf Massenveranstaltungen von Grund auf gefeit, da sie als individualistische Gesellschaft "Massenveranstaltungen" grundsätzlich nicht benötigt. Massenveranstaltungen sind das Mittel von religiös fanatischen oder staatssozialistischen Gesellschaften wie die der Ex-DDR. Es sollte doch offensichtlich sein, warum gerade Staaten wie Russland oder die Golf-Emirate Meisterschaften und Olympiaden an sich reißen wollen. Ich als westlich-indivdualistisch geprägter Mensch brauche dergleichen nicht. Olympiaden sind für mich schon seit Hitler/Riefenstahl 1936 diskreditiert.
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nichtkorrekt
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von nichtkorrekt »

Ich denke zu einem gewissen Grad schon, ich verstehe auch nicht wirklich, wie Menschen Fan eines Vereins sein können, zu dem sie keinen regionalen Bezug haben, wie kann ein Schwabe HSV Fan sein z.B., für mich macht das keinen Sinn.

Was den Individualismus angeht, halte ich das für eine Illusion, das wäre vielleicht sogar ein eigenes Thema wert. Was soll Individualismus bedeuten? Streng genommen wäre es doch Vereinzelung, Einzelgängertum, aber haben wir nicht eine Gesellschaft von Menschen die anderen mehr denn je zu gefallen versucht, über Facebook und andere soziale Netzwerke, haben wir statt Individualismus nicht eher Gleichschaltung und Konformismus, nur dass religiöse oder nationale Werte durch Konsum und Coolness ersetzt wurden? Und jene die sich bewusst dagegen auflehnen, pflegen sie mit ihrem 'instutionalisiertem' Anti-Konformismus nicht auch wieder einen Konformismus? (Gothics, Punks, etc.)
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Liegestuhl »

Fußball ist wie jede Woche ein Kind bekommen.

Zumindest, was den emotionalen Teil anbelangt.
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schokoschendrezki
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

nichtkorrekt » Do 19. Nov 2015, 21:49 hat geschrieben: Was den Individualismus angeht, halte ich das für eine Illusion, das wäre vielleicht sogar ein eigenes Thema wert. Was soll Individualismus bedeuten? Streng genommen wäre es doch Vereinzelung, Einzelgängertum, aber haben wir nicht eine Gesellschaft von Menschen die anderen mehr denn je zu gefallen versucht, über Facebook und andere soziale Netzwerke, haben wir statt Individualismus nicht eher Gleichschaltung und Konformismus, nur dass religiöse oder nationale Werte durch Konsum und Coolness ersetzt wurden?
Das ist zwar richtig, aber Like-Buttons oder die demonstrative Benutzung bestimmter Produktmarken haben für mich (noch) nicht den Charakter pseudoreligiöser Praktiken. Das ist bei populären Sportarten, insbesondere Fußball anders. Aufgefallen ist es mir aktuell vor allem beim jüngsten Spiel Frankreich-England. Eine große zeremonielle, emotionale Veranstaltung mit Hymnengesängen und an den Händen halten (auch) als Gegenoffensive zu religiös motiviertem Fanatismus. Mir erscheint das absurd.

Ein anderes Beispiel: In populären Nachrichtensendungen wie Morgenmagazin, Tagesthemen oder heute ist den Hauptmoderatoren in der Regel ein Sportmoderator zur Seite gestellt. Darüber denkt kaum noch jemand nach. Es wird für selbstverständlich gehalten. Einen Wissenschafts- oder Kulturmoderator würde man für seltsam halten. Mich erinnert das an die Praxis des obligaotorischen Militärgeistlichen.
Und jene die sich bewusst dagegen auflehnen, pflegen sie mit ihrem 'instutionalisiertem' Anti-Konformismus nicht auch wieder einen Konformismus? (Gothics, Punks, etc.)
Ich würde bei "Nonkonformismus" wohl ziemlich zuletzt an Gothics oder Punks denken. Ich meine eher den klassischen, bürgerlichen, unabhängigen Intellektuellen.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von pikant »

schokoschendrezki » Do 19. Nov 2015, 07:37 hat geschrieben:Wie stellt sich der (sogenannte) "Westen" gegen islamistischen Terror oder allgemeiner gegen religiösen Fanatismus? Für lange Zeit galt die Erzählung: Rationalismus, Aufklärung gegen Irrationalismus und vor allem Individualismus gegen Kollektivismus.

Ich habe dieser Tage den Eindruck, dass diese Erzählung, dieses Narrativ nicht mehr gilt. Man sammelt sich - ähnlich wie in großen Kirchen oder Pilgerzentren - in großen Stadien. Statt religiöser Musik werden Hymnen gespielt, aber ähnlich wie in religiösen Zeremonien ist man emotional gebannt, hält sich an den Händen, manche haben Tränen in den Augen. "Fan" kommt vom lateinischen "fanaticus = göttlich inspiriert". Sind die Organisationen, die hinter dem Fußball stehen, anders als die Organisationen und Potentaten, die hinter religiösem Fanatismus stehen, wenigstens frei von anders geleiteten Interessen? Wird Fußball nur um des Fußballs willen betrieben und organisiert? Selten war es klarer als inn letzter Zeit: Ganz bestimmt nicht!

Immer wenn eine Nachrichtensendung im Fernsehen wegen einer Fußballübertragung abgesagt oder verschoben wird, denke ich: Du lebst in einer Welt, in der Aufklärung, Rationalismus und Individualismus angeblich etwas gelten, aber es gibt zumindest eine pseudoreligiöse Instanz, die noch mehr gilt: Fußball. Mein persönliches Gefühl ist: Ich leben in einer Welt, in der Fußball etwas ähnliches ist wie Religion in einem religiösen Staat oder wie "die Partei" in der DDR-Gesellschaft.

Geht es wirklich nur mir so?
ich kann daran nicht schlimmes finden, wenn man wegen dem Fussball die Nachrichtensendung um max. 45 Minuten verschiebt, denn in der Regel kommen zur Halbzeit Nachrichteninfos oder kurz vor dem Fussballspiel!

Fussball als Religionsersatz - nee, zumindest bei mir - Fussball ist fuer mich Unterhaltung pur, mehr nicht aber auch nicht weniger!
als Fan von einem Verein fiebert man zudem mit und sieht das Spiel etwas anders, als wenn man neutral zuschaut

Da Fussball ein Massensport mit hohem Zuschauerinteresse ist, wird es auch in den Nachriichten nach aktuelles und vor dem Wetter thematisiert und man ist dann auf dem laufenden - Nachrichten muessen ja auch den Massengeschmack treffen und das berichten was die Menschen bewegt - da faellt eben eine kulturelle Nachricht unter den Tisch, weil andere Sachen fuer die Masse wichtiger sind.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

pikant » Fr 20. Nov 2015, 10:18 hat geschrieben:
ich kann daran nicht schlimmes finden, wenn man wegen dem Fussball die Nachrichtensendung um max. 45 Minuten verschiebt, denn in der Regel kommen zur Halbzeit Nachrichteninfos oder kurz vor dem Fussballspiel!

Fussball als Religionsersatz - nee, zumindest bei mir - Fussball ist fuer mich Unterhaltung pur, mehr nicht aber auch nicht weniger!
als Fan von einem Verein fiebert man zudem mit und sieht das Spiel etwas anders, als wenn man neutral zuschaut

Da Fussball ein Massensport mit hohem Zuschauerinteresse ist, wird es auch in den Nachriichten nach aktuelles und vor dem Wetter thematisiert und man ist dann auf dem laufenden - Nachrichten muessen ja auch den Massengeschmack treffen und das berichten was die Menschen bewegt - da faellt eben eine kulturelle Nachricht unter den Tisch, weil andere Sachen fuer die Masse wichtiger sind.
Erstens: Wenn Fussball wirklich nur Unterhaltung pur ist: Weshalb fließen dann hunderte Millionen Euroa jährlich an Steuergeldern ins Fußball-Geschäft. Rock- und Popmusik ist auch nur Unterhaltung pur und ebenso populär wie Fußball. Die Branche finanziert sich aber weitgehend selbst. Und erhebt auch nicht den Anspruch, täglich in den Abendnachrichten erwähnt zu werden.

Zweitens: Genau dieses Phänomen "Masse" ist das Beunruhigende und drängt zum Vergleich mit der gegenwärtigen Renaissance der Religionen.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von pikant »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 09:30 hat geschrieben: Erstens: Wenn Fussball wirklich nur Unterhaltung pur ist: Weshalb fließen dann hunderte Millionen Euroa jährlich an Steuergeldern ins Fußball-Geschäft. Rock- und Popmusik ist auch nur Unterhaltung pur und ebenso populär wie Fußball. Die Branche finanziert sich aber weitgehend selbst. Und erhebt auch nicht den Anspruch, täglich in den Abendnachrichten erwähnt zu werden.

Zweitens: Genau dieses Phänomen "Masse" ist das Beunruhigende und drängt zum Vergleich mit der gegenwärtigen Renaissance der Religionen.
weil Fussball neben Unterhaltung pur auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe erfuellt!
Jugendarbeit wir in fast jedem Fussballverein gross geschreiben und dort arbeiten ehrenamtlich sehr viele Betreueer, die sich um Jugendliche in ihrer Freizeit kuemmern.

das ist bei Rock und Pop nur sehr eingeschraenkt.

der Fussball hat zudem keinen Einfluss, ob er in den Nachrichten erwaehnt wird oder nicht - das ist Sache der Redakteure bei den einzelnen Nachrichtensendungen.
Zuletzt geändert von pikant am Fr 20. Nov 2015, 09:40, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

pikant » Fr 20. Nov 2015, 10:38 hat geschrieben: weil Fussball neben Unterhaltung pur auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe erfuellt!
Jugendarbeit wir in fast jedem Fussballverein gross geschreiben und dort arbeiten ehrenamtlich sehr viele Betreueer, die sich um Jugendliche in ihrer Freizeit kuemmern.
In einem wahrlich passenden Kommentar zur Eurovisions-Nominierung von Xavier Naidoo liest sich diese "gesellschaftspolitische Aufgabe" folgendermaßen:
Mit dem Blick von Außen kommt einen dann die Wahl von Naidoo gar nicht mehr so absurd vor. Im Gegenteil repräsentiert er doch recht gut viele der Menschen, die sich in der Republik unter Deutschlandlandfahnen versammeln, also sicher auch angesprochen werden, wenn es um Deutschland geht. Viele von ihnen haben im, wie wir mittlerweile wissen, gekauften Sommermärchen 2006, der Fußball-WM in Deutschland, erstmals mit der Deutschlandfahnen gewedelt und den angeblich ganz entspannten Patriotismus kennen- und lieben gelernt.

Xavier Naidoo hatte auf der Fanmeile von Berlin seinen Auftritt und legte im Anschluss noch mit einem Dankessong auf die deutsche Fußball-Mannschaft nach. Wie viele andere, die sich auf Deutschland berufen, hatte er also im Jahr 2006 sein patriotisches Coming Out, und wie so viele andere von den damals Feiernden hat er es nicht mehr abgelegt. Seitdem treibt Naidoo die Sorge um Deutschland, oder was er dafür hält, um. Deshalb tummelt er sich überall dort, wo sich Menschen ähnliche Sorgen machen.
(http://www.heise.de/tp/news/Xavier-Naid ... 08721.html)
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Milady de Winter »

Wenn ich Beiträge wie den im Heise-Zitat lese, dann denke ich immer für einen kurzen Augenblick: wie gut, dass wir keine wirklichen Probleme haben. Bis der kurze Augenblick dann vorbei ist.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von NMA »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 09:30 hat geschrieben: Zweitens: Genau dieses Phänomen "Masse" ist das Beunruhigende (...)

Warum? Was spricht dagegen?

Sollte Fußball tatsächlich als Religionsersatz taugen, wäre das wunderbar. Nichts auf der Welt wirkt so integrativ wie der internationale Fußball als der König der Sportereignisse.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von yogi61 »

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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Milady de Winter » Fr 20. Nov 2015, 11:12 hat geschrieben:Wenn ich Beiträge wie den im Heise-Zitat lese, dann denke ich immer für einen kurzen Augenblick: wie gut, dass wir keine wirklichen Probleme haben. Bis der kurze Augenblick dann vorbei ist.
Die Nominierung von Xavier Naidoo zum Songcontest ist wirklich kein Problem. Der (u.a. auch) vom "Sommermärchen" 2006 in Deutschland inspirierte patriotische Aufbruch, der in dem Artikel beschrieben wird, sehr wohl!
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von NMA »

"Sommermärchen" 2006 in Deutschland inspirierte patriotische Aufbruch
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von pikant »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 16:31 hat geschrieben: Die Nominierung von Xavier Naidoo zum Songcontest ist wirklich kein Problem. Der (u.a. auch) vom "Sommermärchen" 2006 in Deutschland inspirierte patriotische Aufbruch, der in dem Artikel beschrieben wird, sehr wohl!
dieser Naidoo interessiert mich als Fussballfan nicht - dieser Songwettbewerb ist nett, aber mehr auch nicht!

heute ist wieder Bundesligatime
Hamburg - Dortmund - da spielt die Musik, da geht die Post ab.
Bier kaltstellen und schon mal sky checken :)
Zuletzt geändert von pikant am Fr 20. Nov 2015, 16:38, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Teeernte »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 10:30 hat geschrieben: Erstens: Wenn Fussball wirklich nur Unterhaltung pur ist: Weshalb fließen dann hunderte Millionen Euroa jährlich an Steuergeldern ins Fußball-Geschäft. Rock- und Popmusik ist auch nur Unterhaltung pur und ebenso populär wie Fußball. Die Branche finanziert sich aber weitgehend selbst. Und erhebt auch nicht den Anspruch, täglich in den Abendnachrichten erwähnt zu werden.

Zweitens: Genau dieses Phänomen "Masse" ist das Beunruhigende und drängt zum Vergleich mit der gegenwärtigen Renaissance der Religionen.
Brot (Hartz4) und Spiele..... wie im alten Rom... bei einigen DIE (vergebene) Chance selbst zu den Fußball-Millionären zu gehören.

....abzuschauen - wie man einen Lederbeutel richtig tritt - damit das Ding durch ein Scheunentor passt.
Der Ausdruck bezeichnet auch heute noch die Strategie politischer (oder industrieller) Machthaber, das Volk mit Wahlgeschenken und eindrucksvoll inszenierten Großereignissen von wirtschaftlichen oder politischen Problemen abzulenken.Dies kritisiert aber gleichzeitig auch eine abgestumpfte Gesellschaft, deren Interesse über elementare Bedürfnisse und „niedere Gelüste“ nicht hinausgeht. Die massive Ausweitung der Sportberichterstattung führt z.B. dazu, dass wichtige politische oder gesellschaftliche Fragen in den Massenmedien in den Hintergrund gedrängt werden.
wiki.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

pikant » Fr 20. Nov 2015, 17:37 hat geschrieben:
dieser Naidoo interessiert mich als Fussballfan nicht - dieser Songwettbewerb ist nett, aber mehr auch nicht!

heute ist wieder Bundesligatime
Hamburg - Dortmund - da spielt die Musik, da geht die Post ab.
Bier kaltstellen und schon mal sky checken :)
In einem ZEIT-Artikel von 2007 zum Thema (Zwischen Abseits und Jenseits) wird genau das betont: Die Hinwendung zum jeweiligen Glauben (Fußball bzw. Religion) durch ritualisierte Abläufe.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

NMA » Fr 20. Nov 2015, 11:43 hat geschrieben:

Warum? Was spricht dagegen?

Sollte Fußball tatsächlich als Religionsersatz taugen, wäre das wunderbar. Nichts auf der Welt wirkt so integrativ wie der internationale Fußball als der König der Sportereignisse.
Vielleicht muss man längere Zeit in der DDR gelebt haben, um inszenierte Massenveranstaltungen zu verachten und sie auch politisch-soziologisch anders einzuordnen. Westliche Kultur, positiv gedeutet, stellt das Individuum ins Zentrum. Ich kann nur nochmal sagen: Ich persönlich sehe Länderspiele wie das zwischen Frankreich und England als "Antwort" auf den islamistischen Terror zwar als einen überwiegend friedlichen Kult gegen einen gewalttätigen. Aber eben doch als "der eine Kult gegen den anderen". Wie Schiiten gegen Sunniten. Reformierte gegen Katholiken.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Teeernte »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 17:46 hat geschrieben:
In einem ZEIT-Artikel von 2007 zum Thema (Zwischen Abseits und Jenseits) wird genau das betont: Die Hinwendung zum jeweiligen Glauben (Fußball bzw. Religion) durch ritualisierte Abläufe.
Wie eine japanische Tee-Zeremonie...
Für eine Teezeremonie gibt es zwar feststehende Regeln, doch kann der Ablauf je nach den verschiedenen Schulen variieren. Eine gewisse Grundform ist jedoch allen gemein.

Die zum Tee Geladenen wandeln auf einem Gartenpfad (路地, Roji) – er symbolisiert die erste Stufe der Erleuchtung (Abstreifen des Alltags) – und bereiten sich so auf die nun folgende Teezeremonie vor.

Auf Einladung des Gastgebers finden sich die Gäste im Garten des Teehauses ein. Dort nehmen sie im Warteraum Platz und werden vom Gastgeber oder seinem Helfer mit heißem Wasser, das später zur Bereitung des Tee verwendet wird, begrüßt.

Anschließend gehen die Gäste zurück auf den Gartenpfad, wo eine Wartebank, das 待合い (Machiai), oft ein offener Pavillon, steht.

Während die Gäste im Machiai sitzen, füllt der Hausherr frisches Wasser in ein steinernes Wasserbassin und legt eine Schöpfkelle bereit. Wortlos verschwindet er dann im Teeraum. Die Gäste reinigen sich nun mit dem frischen Wasser Mund und Hände. Symbolisch waschen sie damit alles Üble, was sie getan oder gesagt haben, ab.

Im Anschluss betreten sie nacheinander das Teehaus. In den Teeraum (茶室, Chashitsu) gelangt man häufig durch den knapp einen Meter hohen Eingang (躙り口, Nijiriguchi, Kriecheingang). Auch wenn kein Kriecheingang vorhanden ist, lassen sich die Gäste zum Betreten des Raumes auf die Knie nieder. Dadurch betreten sie den Raum voller Demut und Respekt. Alle gesellschaftlichen Unterschiede werden an der Schwelle abgelegt.
Statt Kriechgang hier der Fanschal.....
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von pikant »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 16:46 hat geschrieben:
In einem ZEIT-Artikel von 2007 zum Thema (Zwischen Abseits und Jenseits) wird genau das betont: Die Hinwendung zum jeweiligen Glauben (Fußball bzw. Religion) durch ritualisierte Abläufe.
von sowas halte ich nicht viel!

Fussball ist Sport und auf der hoechsten Ebene sind Artisten am Werk - die verzaubern die Menge mit ihrer Spielkunst - das sind eher Zauberer wenn man schon Vergleiche ziehen will!
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von pikant »

yogi61 » Fr 20. Nov 2015, 10:50 hat geschrieben:Fußball ist unser Leben. :thumbup:
ein Teil des Lebens - ja!

wir wollen jetzt den Fussball aber nicht zu hoch haengen - Sahnefussball der Artisten sieht man ja auch nicht jeden Tag und ja wir muessen auch mit viel Durchschnitt vorlieb nehmen, wo man oft vor dem Fernseher fast einschlaeft und nur das kuehle Bier einen wachhaelt!

ueber den Kampf zum Spiel nehmen immer noch sehr viele Kicker woertlich, anstatt die Trickkiste auszupacken und zu zaubern auf dem Spielfeld mit Toren en masse :thumbup:
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Milady de Winter »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 16:31 hat geschrieben: Die Nominierung von Xavier Naidoo zum Songcontest ist wirklich kein Problem. Der (u.a. auch) vom "Sommermärchen" 2006 in Deutschland inspirierte patriotische Aufbruch, der in dem Artikel beschrieben wird, sehr wohl!
Ich würde ja jetzt - wie Du vorhin - schreiben "vielleicht muss man einige Zeit in der DDR gelebt haben...", aber damit täte ich sehr vielen sehr geschätzten Freunden und Bekannten aus ser ehemaligen DDR unrecht...
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Ultra-tifosi »

ich finde schon...

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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Welfenprinz »

Das ist zu banal um da jetzt irgendwie näher drauf einzugehen, der Strangersteller offenbart auch hautpsächlich ein massives Unwissen über Religion.

Es sei jedoch der Hinweis erlaubt, dass gerade der -äusserst rationale- separierte Umgang des Freizeiterlebnisses Fussball vom Rest des lebens (ich bin durchaus in der lage mit einem Bewohner der Zonenrandsiedlung von der Oker ausserhalb der 90 min normal zu reden) ein so gravierender Unterschied zu religiösem Leben ist, dass sich jede weitere Diskussion erübrigt.
Zuletzt geändert von Welfenprinz am Fr 20. Nov 2015, 19:19, insgesamt 1-mal geändert.
Sterben kann nicht so schlimm sein,sonst würden es nicht so viele tun.
Lt. griinpissstudien stirbt eine Ratte, wenn ihr ein 200l-Fass Glyphosat auf den Kopf fällt.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Fuerst_48 »

Milady de Winter » Fr 20. Nov 2015, 18:24 hat geschrieben: Ich würde ja jetzt - wie Du vorhin - schreiben "vielleicht muss man einige Zeit in der DDR gelebt haben...", aber damit täte ich sehr vielen sehr geschätzten Freunden und Bekannten aus ser ehemaligen DDR unrecht...
Vielleicht genügt bei diesem Strangthema einfach das HIRN einschalten...!?!?!?!
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von frems »

Die Frage ist, was man mit Religion meint. Mit Fußball kann man sich nicht die Welt erklären. Geht's aber nur neurotheologisch um das übliche Klimbim, gibt es zwischen den Ohren schon diverse Ähnlichkeiten. Fangesänge lösen ähnliche Hormone bzw. Gefühle aus wie ein Kirchenchor, selbiges für das Gefühl in einer Gemeinschaft zu sein, die sich von anderen abgrenzt, und man sich regelmäßig trifft und gemeinsam hofft.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von frems »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 16:31 hat geschrieben: Die Nominierung von Xavier Naidoo zum Songcontest ist wirklich kein Problem. Der (u.a. auch) vom "Sommermärchen" 2006 in Deutschland inspirierte patriotische Aufbruch, der in dem Artikel beschrieben wird, sehr wohl!
Wenn man schaut, was Naidoo so in den letzten zwölf Monaten von sich gab, dann ist er einfach als Vertreter Deutschlands untragbar, selbst wenn man nicht viel von dieser Veranstaltung hält. Ein Reichsbürger, der mit der NPD kein Problem hält, die Bundesrepublik für besetzt hält und meint, den Staat würde es gar nicht geben, kann man nicht auf Europa loslassen.
Labskaus!

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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Teeernte »

Welfenprinz » Fr 20. Nov 2015, 20:19 hat geschrieben:Das ist zu banal um da jetzt irgendwie näher drauf einzugehen, der Strangersteller offenbart auch hautpsächlich ein massives Unwissen über Religion.

Es sei jedoch der Hinweis erlaubt, dass gerade der -äusserst rationale- separierte Umgang des Freizeiterlebnisses Fussball vom Rest des lebens (ich bin durchaus in der lage mit einem Bewohner der Zonenrandsiedlung von der Oker ausserhalb der 90 min normal zu reden) ein so gravierender Unterschied zu religiösem Leben ist, dass sich jede weitere Diskussion erübrigt.
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Da es so scheint, daß die Siege von einer geheimnisvollen Macht geschenkt werden - manche vermuten sogar einen Fußballgott – ist die Theologie gefragt. Denn die Theologie erklärt das Handeln Gottes.

Der 7. Tag gehört der Religion. Nicht ohne Sinn finden die Fußballspiele am Wochenende statt.

Wie jede ordentliche Liturgie beginnt das Fußballspiel mit Gesängen. Die Stadtmannschaften haben ihre Lieder, die Nationalmannschaften ihre Hymnen. Dann erfolgt der feierliche Einzug der handelnden Personen.

Wenn die christliche Religion auch gefühlsmäßig so von den Frauen bestimmt wird, brauchen die Männer in den christlichen Ländern eine Alternative. Es verwundert nicht, daß Männer, eingeschlossen die Pfarrer, Anhänger des Fußballgottes sind, zu dessen Ritus sie wöchentlich ins Stadion strömen, bzw. in eine fremde Stadt fahren.

Wie die Gläubigen, ob Moslems, Christen oder Hindus, kennen die Anhänger des Fußballs ein ausgeprägtes Wallfahrtswesen. Steht an den Wallfahrtsorten ein Tempel oder eine Kirche, ist das Ziel der Fußballwallfahrt ein Stadion. Dort gibt es wie in einem abgegrenzten Tempelbezirk den heiligen Rasen. Daß die Stadien Wallfahrtsorte sind, kann jeder sofort daran erkennen, daß es die für Wallfahrtsorte typischen Andenkenshops gibt.

Wie alle richtigen Götter bleibt der Fußballgott unsichtbar. Anders als die germanischen Gottheiten gibt er sich noch nicht einmal durch Blitz und Donner zu erkennen. Er lenkt das Spiel aus dem Geheimnisvollen heraus, indem er Torchancen eröffnet, die die Spieler dann „verwandeln“ können. (Wandlung ist in der christlichen Liturgie ein wichtiger Vorgang.)

In Kirchen sind wir es gewohnt, daß sich die Liturgie, die heilige Handlung, in einem bestimmten, abgegrenzten Raum vollzieht. Das ist der Chorraum. Wie beim Gottesdienst kann man die Akteure an ihrer Kleidung erkennen, die sie außerhalb der Kirche nicht tragen. Der Priester, der Diakon, die Messdiener haben eine bestimmte Robe an, die sonst niemand im Kirchenraum trägt. Manchmal kommen allerdings einige aus dem Zuschauerraum in den Bereich des Altares.

Es ist jedoch auch noch anzumerken: auch das Ei symbolisiert die Welt, deshalb hat es bis heute seine Bedeutung als Symbol für Ostern erhalten. Denn wie das Küken aus dem Ei schlüpft, kommt Christus aus dem verschlossenen Grab.

Sündenbock – Trainer

Wie die Religion kennt auch der Fußball den Sündenbock. Einen solchen braucht man, damit das Ungute, die schlechten Gefühle, die Enttäuschungen aus dem Zusammenleben heraus getragen werden.

Inder Bibel wird der Ritus so beschrieben: Der Priester hat durch Los einen Ziegenbock herausgefunden, mit dem so zu verfahren ist: „Aaron (der Priester) soll seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihm alle Sünden der Israeliten, all ihre Frevel und all ihre Fehler bekennen. Nachdem er sie so auf den Kopf des Bockes geladen hat, soll er ihn durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste treiben lassen, und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen.“ Levitikus 16,21-22

Abstieg als Buße

Wenn etwas mißlingen ist, muß es wieder in Ordnung gebracht werden. Wenn man etwas falsch gemacht, ein Ziel verfehlt, sich vergangen hat, erfordert das Wiedergutmachung. Die Religionen kennen Bußriten, die in eine Vergebung münden.
weiterlesen ?? http://www.kath.de/religionundfussball/ ... ligion.htm
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Milady de Winter » Fr 20. Nov 2015, 18:24 hat geschrieben: Ich würde ja jetzt - wie Du vorhin - schreiben "vielleicht muss man einige Zeit in der DDR gelebt haben...", aber damit täte ich sehr vielen sehr geschätzten Freunden und Bekannten aus ser ehemaligen DDR unrecht...
Man tut grundsätzlich den Ex-DDR-Bürgern, die sich einen kritischen Blick auf die politischen Entwicklungen bewahrt haben unrecht, wenn man sie mit den neupatriotischen Pegida- und "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-leitkulturell-geprägten in einen Topf wirft. Aber dass es - sagen wir mal - eine gewisse Affinität zwischen dem "Sommermärchen" und diesem (scheinbar) light Patriotismus gibt , lässt sich wohl kaum leugnen. Und vor allem lässt sich eine Parallelität nicht leugnen: Die zwischen der Verdorbenheit der Oberen der Massenmanipulation DDR-Gesellschaft und der Verdorbenheit der Oberen der Masseninszenierung Welt- und Landesfußball.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Welfenprinz » Fr 20. Nov 2015, 20:19 hat geschrieben:Das ist zu banal um da jetzt irgendwie näher drauf einzugehen, der Strangersteller offenbart auch hautpsächlich ein massives Unwissen über Religion.

Es sei jedoch der Hinweis erlaubt, dass gerade der -äusserst rationale- separierte Umgang des Freizeiterlebnisses Fussball vom Rest des lebens (ich bin durchaus in der lage mit einem Bewohner der Zonenrandsiedlung von der Oker ausserhalb der 90 min normal zu reden) ein so gravierender Unterschied zu religiösem Leben ist, dass sich jede weitere Diskussion erübrigt.
Allein die Verwendung des Begriffs "Freizeiterlebnis" für das Phänomen Fußball zeigt eine völlig infantile Sicht auf das Problem. Nur allein die nüchterne Nennung der Geldsummen, die dabei im Spiel sind, müsste einen kritischen Beobachter zur Erkenntnis führen, dass hier von allem möglichen, aber nicht von "Freizeiterlebnissen" die Rede ist.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Fuerst_48 »

Welfenprinz » Fr 20. Nov 2015, 20:19 hat geschrieben:Das ist zu banal um da jetzt irgendwie näher drauf einzugehen, der Strangersteller offenbart auch hautpsächlich ein massives Unwissen über Religion.

Es sei jedoch der Hinweis erlaubt, dass gerade der -äusserst rationale- separierte Umgang des Freizeiterlebnisses Fussball vom Rest des lebens (ich bin durchaus in der lage mit einem Bewohner der Zonenrandsiedlung von der Oker ausserhalb der 90 min normal zu reden) ein so gravierender Unterschied zu religiösem Leben ist, dass sich jede weitere Diskussion erübrigt.
Zustimmung!
Die Relation Religion : Fußball ist nicht seriös.
Nichtmal, wenn man auf auf das antike Rom mit dem "panem&circenses" zurückgreift.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Fuerst_48 » Fr 20. Nov 2015, 21:37 hat geschrieben: Zustimmung!
Die Relation Religion : Fußball ist nicht seriös.
Nichtmal, wenn man auf auf das antike Rom mit dem "panem&circenses" zurückgreift.
Leseempfehlung:
http://www.zeit.de/online/2007/08/fussb ... ettansicht
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Unité 1 »

schokoschendrezki » Fr 20. Nov 2015, 20:36 hat geschrieben:
Allein die Verwendung des Begriffs "Freizeiterlebnis" für das Phänomen Fußball zeigt eine völlig infantile Sicht auf das Problem. Nur allein die nüchterne Nennung der Geldsummen, die dabei im Spiel sind, müsste einen kritischen Beobachter zur Erkenntnis führen, dass hier von allem möglichen, aber nicht von "Freizeiterlebnissen" die Rede ist.
Dieser Schuss lässt den Ball aber nicht über die Torlinie rollen. Milliardengeschäft Fussball und "Freizeiterlebnis" schließen sich ja nicht aus. Und umgedreht, wo Freizeit zum Erlebnis wird, rollt in der Regel der Rubel.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Welfenprinz »

panem et circenses , also die gesellschaftliche Instrumentalisierung sprich für Macht und Herrschaft ist natürlich ein ernst zu nehmender Aspekt für Massenerscheinungen wie Fussball .

frems, die Ähnlichkeit bei Massenveranstaltungen ist offensichtlich. Stellt aber keine Beziehung zur Religion her. Das ist Psychologie der Massen. parteiaufmärsche, Ikonen, Weihrauch, Tempelsängerin........... es sind soviele, die sich der Rituale bedienen, dass man diese nicht gleichsetzen kann.

@schoko: sag ich ja, dass du keine Ahnung hast. Was haben die Geldsummen damit zu tun, dass nach dem Abpfiff der Braunschweiger kein "Heide" mehr ist, den es zu bekehren gilt(was sowohl für den hochdierten Balltreter als auch für mich den Zuschauer gilt).
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Lt. griinpissstudien stirbt eine Ratte, wenn ihr ein 200l-Fass Glyphosat auf den Kopf fällt.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von frems »

Welfenprinz » Fr 20. Nov 2015, 20:44 hat geschrieben: frems, die Ähnlichkeit bei Massenveranstaltungen ist offensichtlich. Stellt aber keine Beziehung zur Religion her. Das ist Psychologie der Massen. parteiaufmärsche, Ikonen, Weihrauch, Tempelsängerin........... es sind soviele, die sich der Rituale bedienen, dass man diese nicht gleichsetzen kann.
Natürlich. Menschen haben, unterschiedlich stark ausgeprägt, ein solches Grundbedürfnis, das sie befriedigen möchten. Und das treibt einige in die Kirche und andere ins Stadion. Oder halt zum Konzert ihrer Lieblingsband, wo manch Deern schon mal ihren inneren Reichsparteitag erlebt und in Ohnmacht fällt. Da läuft im Kopf das selbe Spiel ab. Vielleicht trifft Spiritualität es besser als der Begriff der (Ersatz-)Religion.
Labskaus!

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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Welfenprinz » Fr 20. Nov 2015, 21:44 hat geschrieben:
@schoko: sag ich ja, dass du keine Ahnung hast. Was haben die Geldsummen damit zu tun, dass nach dem Abpfiff der Braunschweiger kein "Heide" mehr ist, den es zu bekehren gilt(was sowohl für den hochdierten Balltreter als auch für mich den Zuschauer gilt).
Religion ist was ganz anderes.
Ich hatte mich auch nicht zu dem Verhältnis Bekehrungsdruck/Geldsummen geäußert, sondern dazu, dass der Begriff "Freizeiterlebnis" suggeriert, es handele sich bei Fußball um ein gänzlich neutrales, vollkommen unpolitisches Phänomen wie "Klettern mit Kindern" oder Rentnersport. Ehrlich: Wie kann man eine solche These, Fußball sei einfach Freizeiterlebnis ohne politische Implikation, in einem politischen Forum ernstlich erwägen? Wer soll jemanden, der das äußert, noch irgendwie ernst nehmen?
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Welfenprinz »

Gegen die Verzahnung mit gesellschafltichen/politischen Aspekten ahb ich ja nix einzuwenden, wie schon gesagt.

Hat aber nix mit Religion zu tun.
Sterben kann nicht so schlimm sein,sonst würden es nicht so viele tun.
Lt. griinpissstudien stirbt eine Ratte, wenn ihr ein 200l-Fass Glyphosat auf den Kopf fällt.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Welfenprinz » Fr 20. Nov 2015, 22:36 hat geschrieben:Gegen die Verzahnung mit gesellschafltichen/politischen Aspekten ahb ich ja nix einzuwenden, wie schon gesagt.

Hat aber nix mit Religion zu tun.
Die Parallelen sind völlig unabweisbar. Der verwiesene ZEIT-Artikel (http://www.zeit.de/online/2007/08/fussb ... ettansicht) ist nur einer unter sehr vielen (seriösen) Reflektionen mit exakt dieser Assoziaton: Fußball als Religion. Auch wenn er die Unterschiede analysiert.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Brainiac »

Schauen wir bei dieser Betrachtung von Parallelen doch mal auf die Extremauswüchse.

Wieviele Morde, Terroranschläge und Kriege wurden bislang im Namen des Fußballs durchgeführt?

Dazu fällt mir der "Fußballkrieg" Honduras vs. El Salvador Ende der 60er ein. Und sonst?
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac » Sa 21. Nov 2015, 14:53 hat geschrieben:Schauen wir bei dieser Betrachtung von Parallelen doch mal auf die Extremauswüchse.

Wieviele Morde, Terroranschläge und Kriege wurden bislang im Namen des Fußballs durchgeführt?

Dazu fällt mir der "Fußballkrieg" Honduras vs. El Salvador Ende der 60er ein. Und sonst?
Nun ja. Man könnte auf verschiedene Auswüchse von Hooligans und Ultras verweisen ... aber darum geht es mir gar nicht. Ich habe schon weiter oben geschrieben, dass Fußball als pseudoreligiöse Kulthandlung im Gegensatz zum Islamismus weitgehend friedlich und sogar größtenteils offensiv auf Toleranz und Offenheit setzend abläuft. Auch der naheliegende Einwand, dass im Fußball im Gegensatz zu den Religionen reales Können zählt, gilt nicht, wenn man sich vor Augen hält, was Religionen (einschließlich Islam) in Hinsicht auf Malerei, Archtektur und vor allem Musik mit hervorgebracht haben.

Es geht schlicht und einfach darum, dass die Realität des Fußballs heute und in der westlichen Welt das Märchen von dem angeblichen Primat des Individuums, vom Individualismus gegenüber Kollektivismus ad absurdum führt. Fußball bietet neben Unterhaltung und Freude am Spiel heute vor allem eines: Identität.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Umetarek »

Das trifft auf so ziemlich jedes Fansein zu, ob das eine Band, ein Fußballverein, ein Staat oder eine Religion ist. Läßt sich mißbrauchen, ist aber erstmal friedlich.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Jekyll »

schokoschendrezki » Do 19. Nov 2015, 07:37 hat geschrieben:Wie stellt sich der (sogenannte) "Westen" gegen islamistischen Terror oder allgemeiner gegen religiösen Fanatismus? Für lange Zeit galt die Erzählung: Rationalismus, Aufklärung gegen Irrationalismus und vor allem Individualismus gegen Kollektivismus.

Ich habe dieser Tage den Eindruck, dass diese Erzählung, dieses Narrativ nicht mehr gilt. Man sammelt sich - ähnlich wie in großen Kirchen oder Pilgerzentren - in großen Stadien. Statt religiöser Musik werden Hymnen gespielt, aber ähnlich wie in religiösen Zeremonien ist man emotional gebannt, hält sich an den Händen, manche haben Tränen in den Augen. "Fan" kommt vom lateinischen "fanaticus = göttlich inspiriert". Sind die Organisationen, die hinter dem Fußball stehen, anders als die Organisationen und Potentaten, die hinter religiösem Fanatismus stehen, wenigstens frei von anders geleiteten Interessen? Wird Fußball nur um des Fußballs willen betrieben und organisiert? Selten war es klarer als inn letzter Zeit: Ganz bestimmt nicht!

Immer wenn eine Nachrichtensendung im Fernsehen wegen einer Fußballübertragung abgesagt oder verschoben wird, denke ich: Du lebst in einer Welt, in der Aufklärung, Rationalismus und Individualismus angeblich etwas gelten, aber es gibt zumindest eine pseudoreligiöse Instanz, die noch mehr gilt: Fußball. Mein persönliches Gefühl ist: Ich leben in einer Welt, in der Fußball etwas ähnliches ist wie Religion in einem religiösen Staat oder wie "die Partei" in der DDR-Gesellschaft.

Geht es wirklich nur mir so?
Der Unterschied liegt meines Erachtens in der Qualität; Religion und Ideologien im Allgemeinen erheben den Anspruch, die Menschen zu etwas zu "erheben" (Tugendhaftigkeit, Moralität, einem Ideal). In Fußball frönt man letztlich seinen niederen Instinkten (Adrenalinstöße, Glückshormone), nicht (hohen) Idealen. Fußball ist eindeutig demokratischer.
Zuletzt geändert von Jekyll am Sa 21. Nov 2015, 16:02, insgesamt 1-mal geändert.
Sie schufen eine Wüste und nannten es...Frieden.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Jekyll » Sa 21. Nov 2015, 17:00 hat geschrieben:Der Unterschied liegt meines Erachtens in der Qualität; Religion und Ideologien im Allgemeinen erheben den Anspruch, die Menschen zu etwas zu "erheben" (Tugendhaftigkeit, Moralität, einem Ideal). In Fußball frönt man letztlich seinen niederen Instinkten (Adrenalinstöße, Glückshormone), nicht (hohen) Idealen. Fußball ist eindeutig demokratischer.
Wenn bei einem Länderspiel die Spieler mit kleinen Kindern ins Stadion einziehen (die nicht nur mich an die Rolle von Ministranten oder Messknaben in der Kirche erinnern), habe ich nicht den Eindruck, dass das an "niedere Instinkte" appelliert. Ganz im Gegenteil.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki » Sa 21. Nov 2015, 15:47 hat geschrieben:
Nun ja. Man könnte auf verschiedene Auswüchse von Hooligans und Ultras verweisen ... aber darum geht es mir gar nicht.
In Südamerika, insb Brasilien, lassen sich auch diverse mit Fußball zusammenhängende Gewaltverbrechen erurieren.
Ich habe schon weiter oben geschrieben, dass Fußball als pseudoreligiöse Kulthandlung im Gegensatz zum Islamismus weitgehend friedlich und sogar größtenteils offensiv auf Toleranz und Offenheit setzend abläuft.
Ok, das habe ich wohl überlesen, sehe ich aber auch so. Und ich halte das schon für einen gravierenden Unterschied.

Die Auswirkungen auf den Alltag (also nicht nur den Samstagnachmittag sondern rund um die Uhr), im Sinne der Einflußnahme auf die Menschen und ihre moralischen Grundsätze - bis hin zur Instrumentalisierung als "Werkzeuge" für Gewaltverbrechen im Islamismus -, sind m.E. zwischen Fußball und Religionen nicht vergleichbar.

Klar befriedigt der Fußball menschliche Grundbedürfnisse an emotionalen Bindungen und Gruppenidentität.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac » Sa 21. Nov 2015, 20:00 hat geschrieben: In Südamerika, insb Brasilien, lassen sich auch diverse mit Fußball zusammenhängende Gewaltverbrechen erurieren.


Ok, das habe ich wohl überlesen, sehe ich aber auch so. Und ich halte das schon für einen gravierenden Unterschied.

Die Auswirkungen auf den Alltag (also nicht nur den Samstagnachmittag sondern rund um die Uhr), im Sinne der Einflußnahme auf die Menschen und ihre moralischen Grundsätze - bis hin zur Instrumentalisierung als "Werkzeuge" für Gewaltverbrechen im Islamismus -, sind m.E. zwischen Fußball und Religionen nicht vergleichbar.

Klar befriedigt der Fußball menschliche Grundbedürfnisse an emotionalen Bindungen und Gruppenidentität.
Soziale Bindungen im Nahbereich, das Gefühl in einem Freundes- und Verwandschaftskreis geborgen zu sein ... das ist aber was ganz anderes als die Identität, die Fußball anbietet. Ich behaupte einfach mal, die Dinge nüchtern zu sehen. Die Tatsache, dass ganz offensichtlich keinerlei Aufdeckungen über die moralische Verderbtheit des nationalen und internationalen Fußballgeschäfts die Beliebtheit von Profifußball einzudämmen scheint, sie erinnert mich doch sehr an die durch kaum etwas zu erschütternde Ostalgie unkritischer Ex-DDR-Bürger. Es ist bestürzend, in welchem Maße die Attitüde, neben der Gesellschaft stehen zu wollen, nicht irgendwo dazugehören zu wollen, die politische Realität aus kritischer Distanz zu betrachten, aus der Mode gekommen ist.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki » Sa 21. Nov 2015, 19:59 hat geschrieben:Die Tatsache, dass ganz offensichtlich keinerlei Aufdeckungen über die moralische Verderbtheit des nationalen und internationalen Fußballgeschäfts die Beliebtheit von Profifußball einzudämmen scheint, sie erinnert mich doch sehr an die durch kaum etwas zu erschütternde Ostalgie unkritischer Ex-DDR-Bürger.
Da würde ich kein vorschnelles Urteil treffen. Die großen Enthüllungen waren ja jetzt gerade erst.
Radsport war auch schon mal beliebter als heute. ;)
Es ist bestürzend, in welchem Maße die Attitüde, neben der Gesellschaft stehen zu wollen, nicht irgendwo dazugehören zu wollen, die politische Realität aus kritischer Distanz zu betrachten, aus der Mode gekommen ist.
War sie denn wirklich schon jemals mehr in Mode?
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von Cat with a whip »

Fußball ist kultivierter Krieg der Affenmänner.
http://www.fr-online.de/frankfurt/schie ... 72042.html
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von schokoschendrezki »

Cat with a whip » Di 1. Dez 2015, 20:29 hat geschrieben:Fußball ist kultivierter Krieg der Affenmänner.
http://www.fr-online.de/frankfurt/schie ... 72042.html
Ja ... so unangenehm wie das ganze Beschriebene ist ... es beschreibt ganz allgemein die gestiegene Agressionsbereitschaft der Weltgesellschaft speziell angewandt auf den Problemfall Fußball. Das Phänomen "Fußball als Religionsersatz" schließt für mich im Grunde genommen den Widerstand gegen solche den Fußball diskreditierende Phänomene mit ein. Fußball soll das Gute für alle und das alle beglückende sein.
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Re: Fußball als Religion(sersatz)?

Beitrag von becksham »

Wenn Fußball Religion wäre, dann wäre der Samstag kein Werktag. Thema erledigt. ;)
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