jack000 » Fr 24. Jul 2015, 21:56 hat geschrieben:
Nun, einen "neuen Menschen" zu schaffe ist ja erst kurz davor gewaltig schief gegangen, man hätte berücksichtigen müssen das solche Experimente schiefgehen.
Waren halt andere Zeiten. In Paris hat man die halbe Altstadt abgerissen, damit Feuerwagen dort besser durchkommen und Aufständische weniger Rückzugsmöglichkeiten haben. Heute bewundert man die brutalen Bauten. Wer weiß schon, wie Leute in 50 oder 500 Jahren zurückblicken? Hab das besagte Interview (von 2010) übrigens wiedergefunden:
SPIEGEL ONLINE: Warum haben die Architekten solchen Auftraggebern nicht trotzdem ein wenig mehr Widerstand geleistet?
Speer: Weil sie auch selbst von der Idee, ganz neu anzufangen, fasziniert waren. Das ist doch verständlich nach dem Nazi-Debakel.
SPIEGEL ONLINE: Kein bisschen berufsständische Selbstkritik?
Speer: Doch, die Idee der modernen Architektur war mit der Vorstellung verbunden, durch besseres Bauen einen besseren Menschen schaffen zu können, einen aufgeklärten, mündigen Bürger mit sozialem Gewissen, mit einem neuen Bewusstsein. Aber wir haben gelernt: Der Architekt ist kein Sozial-Ingenieur. Überhaupt dieser Anspruch: Was wir heute denken, ist das einzig Richtige, was die Altvorderen gedacht haben, ist bedeutungslos - der war anmaßend. Das neue Bewusstsein, das man erzeugen wollte, war ja total geschichtslos. Diese Leute haben Geschichte geradezu verabscheut. Die wahre Ursache der baulichen Nachkriegsmisere ist diese fundamentale Geschichtslosigkeit des Zeitgeists. Schuld daran war aber kein einzelner Architekt.
http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 95219.html
Vieles (geschichtlich) war damals ja noch nicht so aufgearbeitet wie heute, während man gleichzeitig im Zugzwang war. Da das Alte (auf den ersten Blick) gescheitert war, kam halt das Neue. Raumplanung als wissenschaftliche Disziplin existierte damals noch nicht einmal und setzte sich erst dann durch, als man bemerkte, daß da so einige Griffe ins Klo realisiert wurden. Nur hat man nun auch nicht die Möglichkeit wieder die halbe Stadt abzureißen, aber Schritt für Schritt Fehler zu beheben.
Man mußte aber die Wohnungen komplett neu aufteilen, sanitäre Einrichtungen hinzufügen, ein neues Strom- und Energiesystem installieren etc. Da war ein Neubau günstiger als alles bis auf die brökelnde Fassade abzureißen. Es mußte ja schnell gehen. Aus ähnlichen Gründen scheitern in China viele Wohn- und Infrastrukturprojekte. Man hat einen extrem hohen Druck und riskiert lieber das eine oder andere Scheitern als jahrelang gar nichts zu machen und die Situation somit zu verschärfen. Der Artikel ist schon interessant, aber vergißt, daß der Abriß in der Nachkriegszeit auch der Beseitigung von Angsträumen diente. Die Innenstädte waren oft verwinkelte, vergammelte Gassen mit einer hohen Kriminalität und sehr viel Armut. Die Großwohnsiedlung am Stadtrand war damals quasi die Flucht der (neuen) Mittelschicht vor solchen Lebensbedingungen.