schokoschendrezki » Fr 17. Apr 2015, 21:41 hat geschrieben:
Das kann man so sehen. Ich sehe es ganz anders: Aus der DDR sind die russischen Panzer abgezogen und die Bürger konnten ihre demokratischen Rechte wahnehmen. Ob in einem vereinigten Deutschland oder in einem vierten vorwiegend deutschsprachigem Land - vollkommen gleichgültig. Als Individuen. Wahlfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit von politischer Indoktrination. Daurauf kommt es an! Die Überwindung der Teilung, die Formierung von Nationalstaaten gehört ideengeschichtlich ins 19. Jahrhundert.
Das geeinte Europa will in der Mehrheit seiner Befürworter, genauso wie bei einem der Urväter- de Gaulle - als Europa der Vaterländer verstanden werden.
Ich glaube, die Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger sieht es auch so.
Als Deutsche, die für Europa sind.
Auch in dieser Reihenfolge.
Und so sieht es auch im post-sowjetischen Raum aus. Als wenn das Problem des Vielvölkerstaats Sowjetunion darin bestanden hätte, dass mehrere Völker in einem staatlichen Gebilde zusammenlebten.
Ich sehe es persönlich etwas differenzierter.
Anders bei den Staaten, die durch die Sowjetunion ihre nach dem 1. WK-es erreichte staatliche Souveränität mit dem Ende des 2. WK-es erneut verloren haben und anders, als bei den Staaten ( mit und ohne Anführungszeichen...), die die zaristische Abhängigkeit nur mit der sowjetischen getauscht haben.
Das Problem bestand in der autokratischen Herrschaftsform und in der Unterdrückung des Individuums.
Wenn das wirklich so wäre, hätte es keine nationalen Widerstände gegeben.
Und diese hatten schon immer das kollektive Muster.....
Wenn heute diese Ideen des 19. Jahrhunderts wieder aufleben, wenn es primär darauf ankommt, als Gemeinschaft von Russen, Esten, Ukrainern, Litauern usw. in einem eignen russischen, estnischen usw. Nationalstaat zu haben und nur sekundär, als Individuum persönliche Freiheit zu genießen und auszuleben, dann sind dies aus meiner Sicht ebenso Symptome für die kommenden Katastrophen des 21. Jahrunderts wie es die Nationalstaatsideen Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts Symptome für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren. Die Jugoslawien-Kriege waren vermutlich nur ein erster Vorgeschmack dafür.
Bin hier anderer Meinung.
In Europa der Vaterländer hat die Stimme einer kleiner Nation oder eines kleinen Staates genauso gewichtig zu sein, wie einer oder eines größeren zu sein. Ohne, dass hier der Schlüssel dafür als 100% -ig für ewig verstanden und abgeschlossen werden muss.
Innerhalb eines Staates haben hier die all durch Dich oben erwähnten Rechte eines Individuums zu gelten, ohne dass sie zu einer nationalen Sonderstellung mutieren.
Und innerhalb der EU, im großen und ganzen ist es auch so.
Sonderausflüge müssen mit Konsequenzen rechnen.
Jugoslawien mit Tito und unmittelbar nach seinem Tod stellte immer noch ein Modell einer autokratischen Prägung dar, das mit der EU bei besten Willen nichts gemeinsames hatte.
Es war das balkanische Modell einer Autokratie, die in einer Miniausführung des zuvor gestorbenen Habsburger Reiches die Zeit zwischen den Kriegen überlebte und danach mit dem kommunistischen System immer noch das aufrechtzuerhalten versuchte, was dort (wie woanders) nach dem 1. WK nicht bewältigt worden ist.
Und dort war der nach außen so eskalierende Grund nicht die Missachtung des Individuums sondern das kollektiv verstandene Gefühl der nationalen Benachteiligung bis gar Unterdrückung.
Somit sehe ich das gegenwärtige Problem oder die Gefahr des Nationalismus in dem postsowjetischen Raum analog zur Balkan als historischer Nachlass oder eher gesagt als den archaischen Rückstand der Nichtbewältigung der politischen Autokratie, wo Putin nichts anderes als eine größere Vervielfältigung von Milošević darstellt, da er und seine Führung die Ukraine und andere nun nach Souveränität strebende Staaten der ehemaligen SU immer noch als Russlands Eigentum sieht.
Eigene Mischung des selbst aufoktroyierten Panslawismus und Faschismus.
Diese unterscheidet sich doch etwas von den nationalistischen Fratzen des nun geeinten Europas.
Diese nutzen den demokratischen Raum, um ihn abzulehnen.
Auf dem Balkan und in dem post-sowjetischen Raum, trotzt der Kinderversuche, kennt man ihn immer noch nicht.
Und vielleicht hier soll man die Ursachen der negativen Mehrheits-/ Minderheitsverhältnisse suchen.
In einem sind sich die beidenbraunen Fratzen aber immer noch einig.
Sie lehnen in ihrem Wirkungsbereich die Gleichberechtigung der Anderen ab.
Das gemeinsame Kuscheln der russischen und europäischen Braunbrüder in Putins Alt-Hauptstadt sind ein Zeichen dafür, dass sie das gleiche Ziel verfolgen.
Nur die Wege sind anders.
Russland ist 100 Jahre zurück.
Und ich meine hier nicht die Menschen sondern den gewählten Weg seiner politischen Führung.
Damit man mir hier nichts Falsches unterstellt.....
Jedesmal wenn der Begriff "Vielvölkerstaat" als solcher nachträglich diskreditiert wird, bestärkt mich das in dieser pessimistischen Sicht. Auch wenn der Begriff "Vielvölkerstaat" an sich wissenschaftlich unscharf ist: Wer diesen Begriff automatisch pejorativ einordnet ist - mal ganz direkt gesagt - ein verkappter Rassist.
Nicht aber aus der subjektiver Sicht eines Bürgers dort, der für seine Volkszugehörigkeit nicht nur in seinen Rechten beschnitten wird.....
Die Sicht eines Ausgegrenzten muss nicht mit der des Ausgrenzenden übereinstimmen.
Hier ist nicht die Bezeichnung oder die Form sondern der Inhalt maßgebend....
Das Modell der vielen Völker innerhalb der EU ist etwas anders als das Ausgrenzen bis Terror dort, wo man sich nur vereinnahmend "Vielvölkerstaat" nur schimpft.
Ich bin für Europa.