Seeheimer » Di 18. Sep 2012, 16:55 hat geschrieben:
@d'Artagan
Sagt dir "Eurozentrismus" etwas? Wenn ja, dann frag mal, wieso dieser überhaupt möglich war und ist. Es ist natürlich so, dass Europa den Rest der Welt kolonisiert hat und ein erheblicher Anteil davon entspricht der "islamischen Welt".
Dreht man den Spieß einmal um, landet man auf dem Balkan, bis an die Tore vor Wien. Und schon sind wir im europäischen Problemeck.
Ja, sagt mir was.
Genau deshalb hab ich auch gefragt.
Ein Großteil der arabischen Welt und Nordafrika wurde kolonisiert - völlig richtig, Und zwar z.B. von den
Fatamiden (nach der Islamisierung) und dann über weitere Jahrhunderte hinweg vom
Osmanischen Reich, das übrigens auch viele europäische Länder kolonisiert hat oder dies zumindest versuchte. Und schwupps-
jetzt sind wir bei den Osmanen, die vor Wien stehen!
Die gern geäußerte These der Kulturrelativisten besagt ja: Europa (= wir, also "weiß, schuldig und böse") habe durch seinen Kolonialismus das Übel in den Rest der Welt (=nicht wir, also "nicht-weiß, gut und unschuldig") und insbesondere nach Arabien gebracht, weshalb wir die Leute dort nicht mit unseren heutigen zivilisatorischen Standards messen dürfen.
Die Arroganz hinter der "Schlussfolgerung" ist ja augenscheinlich.
Aber auch der erste Teil ist ziemlich unsinnig.
Wer so denkt, meint wohl die Osmanen fühlten sich im 15. Jahrhundert so bedrängt von -ja von wem denn?- naja, halt vom bösen weißen europäischen Mann, und deshalb eroberten die Türken präventiv Griechenland, Bulgarien, Moldawien, Rumänien, Serbien, Bosnien, Montenegro, Albanien, Mazedonien, Sizilien, Ungarn, Slowenien und griffen zuletzt das Habsburger Reich an. Dazu kamen noch Ägypten, Mesopotamien, Palästina, Syrien die gesamte arabische Halbinsel, Teile Persiens und Nordafrika.
Alles nur wegen der Kolonisierungspläne der bösen Europäer, die dann allerdings erst Jahrzente später zur Ausführung kamen. (Naja, die allerchristliche Ausrottung der Indianer brauchte halt eine gewisse Vorbereitung.)
Die Schuld zwanghaft in Europa zu suchen ist halt auch eine Art "Europazentrismus".
Es ist keineswegs so, als ob die Europäer die einzigen gewesen wären und der Rest der Welt wäre nie auf die Idee gekommen andere Länder zu erobern und zu kolonisieren.
Ägypten, Perser, Inkas, Azteken, Mazedonier/Hellenen (pardon, das sind ja Europäer), Mongolen, Hunnen, Osmanen- Du siehst, worauf ich hinauswill.
Greif Dir irgendein Land dieser Erde heraus, und Du wirst fast jedes Mal erkennen, dass es in seiner Geschichte von einer anderen Macht/ einem anderen Volk erobert und kolonisiert wurde.
Es gab viele Länder und Völker, deren Vorfahren
viel stärker unter Kolonialmächten gelitten haben. (Und nicht immer waren diese Mächte in Europa beheimatet.)
Was gar nichts beschönigen soll, nur halte ich den
Umstand der kolonialen Vergangenheit nicht für einen ausschlaggebenden Faktor für die (in besagter These diagnostizierten) Probleme arabischer Gesellschaften*).
Die spezifischen Probleme im arabischen Raum müssen andere Ursachen haben, und mit Sicherheit spielt die "ressourcenorientierte" Außenpolitik des Westens (v.a. der USA, die in der Kolonialismus-These gar nicht vorkommt!!) eine nicht geringe Rolle dabei.
--
*)
Die "islamische Welt" ist mir zu heterogen für generelle Aussagen, die Indonesier, Perser, Araber, Türken und Bosnier bspw. kann man kaum miteinander vergleichen.
Wer sich zwischen Kulturrelativismus und Universalismus objektiv und exakt zu positionieren vermag, der verkürzt die Realitäten, aus der einen wie auch aus der anderen Sichtweise. Es handelt sich um Theorien, mit ihren Stärken und Schwächen.
Ja. Dem stimme ich zu.
Die oben von mir als "kulturrelativistisch" gebrandmarkte These halte ich -wie geschrieben - aber für sehr schwach.