Der Prozess gegen Liu Xiaobo

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Mithrandir
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Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Mithrandir »

Der ehemalige Literaturprofessor Liu Xiaobo wurde am 25. Dezember 2009 von einem chinesischen Gericht zu einer Hafstrafe von 11 Jahren wegen Subversion, der Anstachelung zum Umsturz verurteilt[2]. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidigung will in Berufung gehen [1].
Da das Urteil sehr intensiv kritisiert wird, soll zunächst versucht werden, eine möglichst objektive Darstellung des Sachverhalts vorzubringen:

Vorwürfe und Urteil gegen Liu Xiaobo:
Eine englische Übersetzung des Urteils von Dezember 2009 findet sich in Quelle [5].
  • Liu Xiaobo wird vorgeworfen, einer der Initiatoren der Charta 08 zu sein.
  • Darüberhinaus werden ihm weitere Schriften zur Last gelegt: Unter anderem hatte er in einem Aufsatz geschrieben:
    »Seit die Kommunistische Partei die Macht übernommen hat, sorgen sich Generationen von KP-Diktatoren am meisten um ihre eigene Macht und am wenigsten um das menschliche Leben« (Übersetzung, [2]).
    Dabei ist anzumerken, dass schon der Vorwurf sehr schlechter Führung den in der Verfassung festgeschriebenen Herrschaftsanspruch der KPCh angreift, dessen faktische Legitimitation sich sehr wesentlich aus guter Politik, insbesondere den Erfolgen beim Aufschwung der Wirtschaft speist.[3]
Öffentlichkeit des Verfahrens:
Die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua bezeichnete das Verfahren als öffentlich.[1]
Ausländische Diplomaten, die den Prozess beobachten wollten, waren allerdings abgewiesen worden.[2]

Verteidigungsrede:
Die Zeit hat Auszüge aus der Verteidigungsrede Lius übersetzt und veröffentlicht. [7]
Diese Rede durfte er bei der Verhandlung im Dezember nicht vortragen. Der Vortrag hätte vermutlich auch den ca. 10minütigen Zeitrahmen gesprengt.

Kritik im Ausland:
Das Urteil von 25.12.2009 wurde international scharf kritisiert. Sowohl Bundeskanzlerin Merkel als auch Außenminister Westerwelle äußerten deutlich ihre Missbilligung.[1]
Die USA sowie die EU hatten zuvor die Freilassung von Liu gefordert.[4] Die chinesische Führung hatte eine derartige Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen, die ausländischen Staaten hätten die Souveränität Chinas zu respektieren.[4]

Finanzierung aus dem Ausland:
Liu Xiaobo erhielt Geld aus dem Ausland. Im der englischen Übersetzung des Urteils [5] wird als evidence angeführt, dass Liu Xiaobos Frau Geld in ausländischer Währung, das von außerhalb Festland-Chinas kam, empfangen und abgehoben hat. Das Urteil bezieht sich allerdings nicht explizit auf diese Tatsache, dennoch ergeht das Urteil auch unter Berücksichtigung der (an dieser Stelle nicht näher benannten) Umstände, unter denen das mutmaßliche Verbrechen begangen wurde.[5]
Trotzdem finden sich im Web etliche wortgleiche Posts, die auf Kommentarseiten zu entsprechenden Artikeln plaziert sind und die Finanzierung von Liu Xiaobo durch das us-amerikanische »National Endowment for Democracy« thematisieren. Exemplarisch sei auf eine Behandlung auf chinais.com verwiesen [6].

Zugriff auf E-Mails:
Im Urteil [5] wird erwähnt, dass Liu Xiaobo ein E-Mail-Postfach im Ausland unterhielt. Auf dieses wurde durch die Ermittlungsbehörden mittels eines Passworts zugegriffen. Wie das Passwort erlangt wurde, wird nicht genannt.
E-Mail-Postfächer im Ausland stellen also tendenziell ein Problem für die chinesische Strafverfolgung dar.

Linksammlung zur Übersicht: Dieser Beitrag wird mit weiteren Informationen ergänzt.
Zuletzt geändert von Mithrandir am So 14. Feb 2010, 20:01, insgesamt 4-mal geändert.
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Kibuka
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Kibuka »

Gibt schon einen Strang zu dem Thema.

http://politik-forum.eu/viewtopic.php?f=6&t=14964
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Mithrandir
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Mithrandir »

Es dürfte nicht abzustreiten sein, dass Liu Xiaobo darauf hingewirkt hat die bestehende Ordnung der Volksrepublik zu beseitigen, was den Herrschaftsanspruch der KPCh betrifft.

Doch ist das harte Urteil ein Zeichen für die Schwäche der KPCh? Mit dem harten Urteil verliert die chinesische Führung vermutlich an Rückhalt bei manchen kritischen Chinesen und Intellektuellen. Die abschreckende Wirkung mag das System stabilisieren, doch der Preis dafür ist vielleicht hoch.
Ist möglicherweise der Druck auf die KPCh so stark geworden, dass ein solches Zeichen für nützlich erachtet wurde?
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Mithrandir
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Mithrandir »

Kibuka hat geschrieben:Gibt schon einen Strang zu dem Thema.

http://politik-forum.eu/viewtopic.php?f=6&t=14964
Oh. Dein Strang ist allerdings deutlich anders gelagert: Er enthält lediglich einen kurzen, stark meinungslastigen Kommentar und so gut wie keine wesentlichen Fakten; auch eine ernsthafte Diskussion um das Thema kam kaum zustande. Dagegen bemühe ich mich zunächst um eine möglichst objektive und umfassende Darstellung, die die Grundlage für eine Diskussion bilden soll. Daher sehe ich durchaus eine Berechtigung für diesen Strang.
Zuletzt geändert von Mithrandir am Di 29. Dez 2009, 00:37, insgesamt 1-mal geändert.
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Kibuka
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Kibuka »

Mithrandir hat geschrieben: Oh. Dein Strang ist allerdings deutlich anders gelagert: Er enthält lediglich einen kurzen, stark meinungslastigen Kommentar und so gut wie keine wesentlichen Fakten; auch eine ernsthafte Diskussion um das Thema kam kaum zustande. Dagegen bemühe ich mich zunächst um eine möglichst objektive und umfassende Darstellung, die die Grundlage für eine Diskussion bilden soll. Daher sehe ich durchaus eine Berechtigung für diesen Strang.
Und welche "wesentlichen Fakten" kann der Leser hier lesen? Ich sehe hier im Eingangsthread nichts relevantes, was ich nicht auch schon in dem ersten Thread zu diesem Thema lesen kann.

Eine "ernsthafte" Diskussion hängt stets von den beteiligten Diskutanten ab.
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von adal »

Mithrandir hat geschrieben:Dagegen bemühe ich mich zunächst um eine möglichst objektive und umfassende Darstellung
:lol: Da bemüht sich einer in der fluffigen Dialektik übriggebliebener Maoisten einen besonders plumpen Akt der Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen:
Mithrandir hat geschrieben:...Dabei ist anzumerken, dass schon der Vorwurf sehr schlechter Führung den in der Verfassung festgeschriebenen Herrschaftsanspruch der KPCh angreift...

...Es dürfte nicht abzustreiten sein, dass Liu Xiaobo darauf hingewirkt hat die bestehende Ordnung der Volksrepublik zu beseitigen, was den Herrschaftsanspruch der KPCh betrifft.
Womit wir wieder mal beim Thema wären. Einparteienherrschaft plus Meinungsfreiheit (und andere Menschenrechte) ist wie Baden ohne sich naßzumachen.

Interessanterweise wird das absolute Primat der Ordnung vor der Freiheit ausgerechnet von denen gerühmt, die sich zuhause über jeden Furz aufregen, den ein deutscher Innenminister fahren lässt.
Zuletzt geändert von adal am Di 29. Dez 2009, 01:36, insgesamt 7-mal geändert.
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Mithrandir
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Mithrandir »

adal hat geschrieben:Da bemüht sich einer in der fluffigen Dialektik übriggebliebener Maoisten einen besonders plumpen Akt der Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen:
Mithrandir hat geschrieben:...Dabei ist anzumerken, dass schon der Vorwurf sehr schlechter Führung den in der Verfassung festgeschriebenen Herrschaftsanspruch der KPCh angreift...
Nein adal, das ist kein Versuch zu rechtfertigen. Es ist lediglich eine Erläuterung, warum ein Angriff auf den Regierungsstil der Führung anders als bei uns auch auf ein Angriff auf ihre Legitimität ist. Bei uns kann sich jede Regierung, und ist sie noch so schlecht, darauf berufen, doch vom Volk gewählt und damit legitimiert zu sein. Das ist in China nicht genauso möglich wie bei uns. Das ist ein Unterschied, den ich lediglich festgestellt habe, um zu erklären, warum die chinesische Führung anders auf Kritik reagiert als es unsere Regierung tut – ohne Wertung.
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Mithrandir
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Re: Der Prozess gegen Liu Xiaobo

Beitrag von Mithrandir »

Ich habe im Eingangsbeitrag eine englische Übersetzung des Urteils ergänzt (Quelle 5) sowie die Themenpunkte »Finanzierung durch die USA« und »Zugriff auf E-Mails in ausländischem Postfach« mit aufgenommen.
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