Hallo LiberalKonservativer.
LiberalKonservativ hat geschrieben:Sehe ich diametral anders. Das "Vereinte Europa" ... ist kein Selbstzweck und schon gar nicht das Ziel des "europäischen Projekts".
Deine Sichtweise sei Dir ungenommen! ... akzeptier ich vollkommen, aber hier irrst Du - das Ziel war nur weitgehend in Vergessenheit geraten:
- aus den Augen, aus dem Sinn!
Ich erinnere Dich nur an ein Treffen vom September 1962 zwischen dem damaligen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem damaligen französischen Staatspräsident Charles de Gaulle in Bonn anläßlich der Vertragsunterzeichnung zur Gründung der
"Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)" vom März 1957.
- "Das Wichtigste ist, nie das Vertrauen der Freunde zu verlieren."
... und Adenauer weiter:
- "Ohne diesen Vertrag gibt es keine europäische Einheit."
de Gaulle - er zitierte den Schriftsteller Carl Zuckmayer:
- "War es gestern unsere Pflicht, Feinde zu sein, ist es heute unser Recht, Brüder zu werden."
Ich habe mal einen Bericht gelesen, in dem geschrieben stand (und so deute ich auch das Adenauer-Zitat), daß Adenauer wie auch de Gaulle anstrebte, die gerade gegründete EWG zu einer politischen Union auszubauen. Helmut Kohl machte in seiner Regierungserklärung vom Mai 1983 ebenfalls deutlich, daß die Einigung Europas ursprünglich
"weit mehr als ein Angebot materieller Vorteile" gewesen sei,
"so muß es wieder werden!"
Sagen will ich damit Folgendes:
- Adenauer und de Gaulle hatten dies ebenso wie Kohl und François Mitterrand - die Vision einer politischen Gemeinschaft. Erst unter deren Nachfolger (spätestens nach der Wiedervereinigung) verschoben sich die Verhältnisse erheblich. Deutschland rückt plötzlich in die Mitte Europas - Berlin wird Deutschlands Hauptstadt. Vor allem in Paris weckt dies alte Ängste. Ängste vor deutschen Großmachts-Ansprüchen, vor einem "deutschen Europa". Mitterrand fordert deshalb exklusiv ein "europäisches Deutschland". Der Jubel über die Ver- und Aussöhnung, wie de Gaulle und Adenauer dies wahrnahmen, und anfangs auch noch Mitterrand und Kohl kannten, ist heute einer großen Skepsis gewichen.
Es steht nirgends ausdrücklich geschrieben:
"das 'Vereinte Europa' ... Selbstzweck und ... Ziel des 'europäischen Projekts' " - STIMMT! Nämlich deswegen nicht, weil diese Frage:
"Bundesstaat" oder
"(loser) Staatenbund" zumindest zwischen Frankreich und Großbritannien immer ein wichtiger Streitpunkt war. Die heutige EU war von einigen unserer großen und weitsichtigen Staatsmännern erdacht, als Montanunion gegründet und sukzessive erweitert worden. Erweitert nicht nur um Staaten, sondern auch und vor allen Dingen um Rechte. (EWG, etc.) Die
"Vereinigten Staaten von Europa" wäre der logisch nächste Schritt - es wäre somit vorerst die Vollendung der
"europäischen Idee".
LiberalKonservativ hat geschrieben:... "ever closer union" = Nationalstaaten müssen überwunden werden und in den United States of Europe aufgehen!
Zumindest Letzteres heißt doch nicht, daß diese in den
"Vereinigten Staaten von Europa" aufhören zu existieren - obwohl ich Deutscher bin, fühle ich mich immerhin als ein Bergischer Jung. Also: obwohl es die
"Vereinigten Staaten von Europa" gibt und wir in einem Bundesstaat Europa leben, bin ich immer noch Deutscher ... mit einer deutschen Regierung ... die auch noch nationale Gesetze erläßt. Deutschland, Polen oder Tschechien, erst recht nicht Luxemburg oder Malta, könnten sich gegegenüber China, Russland oder den USA behaupten ... wirtschaftlich und rechtlich. Dies könnten diese Staaten nur im Verbund eines gemeinsamen Europa. Klar, dazu bräuchte es nicht unbedingt einen Bundesstaat - ein (loser) Staatenbund täte es auch, aber Staaten innerhalb eines (losen) Staatenbundes wären doch leichter gegeneinander auszuspielen, als ein Bundesstaat, der für alle und mit einer Stimme spricht.
LiberalKonservativ hat geschrieben:In bisher allen Volksabstimmungen wurde die Integration zu einem Bundesstaat abgelehnt ...
Du weißt bestimmt selber, daß in denen, von Dir angesprochenen Volksabstimmungen, nur vordergründig um die Verträge ging. Es ging den Bürgern eher darum ihren nationalen Regierungen eines auszuwischen.
LiberalKonservativ hat geschrieben:Die demokratische Legitimationsdefizit des EP ist ja nicht primär, dass One Man - one vote nicht gilt, sondern dass in den Europäischen Völkern nie abgestimmt wurde, ob es überhaupt eine zentrale Brüssler Legislative, Exekutive und Judikative geben soll.
Wolltest Du ernsthaft von jedem Menschen, etwa nach dem Krieg, als jeder nur an's Überleben dachte, erwarten, daß dieser auch noch Visionen entwickeln soll und diese auch noch rechtfertigen soll? Wie wäre es denn heute? Kann jeder sehen wie er will, ich vertraue aber nicht auf die Schwarmintelligenz ... damit sie es schon richten möge. Denk an den Brexit! Dort hat auch das Volk entschieden - welches Volk aber? Die Zukunft der Jugend ist dort verspielt worden!
Ach, übrigens:
LiberalKonservativ hat geschrieben:... einen zusätzlichen Stimmzettel mit den fünf Szenarien des white papers? ... Mir geht es auch nicht darum, dass eine solche Abstimmung bindend ist.
Bitte? Abstimmung... nicht bindend? Was soll das sein? ... wie sollen sich die Wähler vorkommen, wenn es zwar eine Abstimmung gab, diese aber nicht bindend ist? ... verarscht? Dies würde erst recht Frust erzeugen und diese den Extremisten ... den Nationalisten in die Arme treiben.
"Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen, daß Sie Ihre Meinung frei äußern können." (Voltaire)