Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

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schokoschendrezki
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Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Mindestens drei jüngere Ereignisse inspirierten mich zur Eröffnung eines Threads zum formulierten Thema.

Natürlich zunächst mal die Ernennung des FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache zum österreichischen Vizekanzler im Dezember 2017. Strache (Jahrgang 1969) ist zwar nicht mehr ganz so jung, aber mit seinem ostentativen Bekenntnis zu schlagenden Verbindungen, Burschenschaften etc. gehört er ziemlich genau in dieses rechts-akademische Profil.

Dann: Schweden. Der ehemalige Chef der rechtsnationalen Schwedendemokraten, Kasselstrand, hat mit der AfS, der "Alternative für Schweden" eine neue, offen rassistische Partei gegründet, die sich auf den "nordischen Menschen" als Idol zurückbesinnen will. Es werden ihr bei den Wahlen im Herbst bis zu 2 Prozent Wählerstimmen (neben den ganz sicher mehr als 10 Prozent für die SD) zugetraut.

Und schließlich: Das verstörendste Beispiel: Niederlande. Thierry Baudet und seine Partei "Forum voor Democratie". In Umfragen liegt sie nur noch knapp hinter Wilders PVV. Baudet, ein rechtsextremer Akademiker-Snob, der Parlamentsreden auf Latein hält und statt politischer Statements auch mal ein Stück Klassik auf dem Klavier vorträgt, träumt von einem Europa, das wieder von "der weißen Rasse" geprägt ist.

Schon lange in diese Richtung läuft die ungarische rechtsextreme Partei "Jobbik". Ihre Gründung verlief im und fast die gesamte Parteiführung kommt aus dem studentisch-akademischen Millieu. Allesamt sind es studierte und zum Teil promovierte Leute.

In Frankreich findet im rechten Lager nach dem Sieg von Macron eine Polarisierung statt. Marine Le Pen will sich komplett von ihrem Vater trennen, den Front National umbenennen und rein äußerlich entschärfen und "verbürgerlichen". Ihre abgetauchte Nichte Marion Maréchal Le Pen hat sich dagegen wiedergemeldet und bildet das junge Gesicht der ca. 83 Prozent FN-ler, die sich Marion in der Führung wünschen.

Die wichtigste Frage für mich: Findet hier eine Spaltung und damit Schwächung der europäischen Rechten statt? In ein sozusagen bürgerlich-akzeptables lager einerseits und in ein offen rechtsextremes Lager andererseits? Oder vielleicht nicht sogar eher eine Art Verdopplung. Indem zu solchen gemäßigt rechten und schon länger erfolgreichen Parteien wie FPÖ oder den skandinavischen Rechten nun sozusagen additiv eben noch extreme Rechte hinzukommen.

Und dann: Wie muss sich die Strategie der Entgegnung ändern. In den Köpfen vieler Linker - glaube ich zumindest - sind Rechtsextreme typischerweise angetrunkene Nazigröhler und nicht akademisch gebildete Personen. Dieses einseitige Bild wird sich nicht halten lassen.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Senexx »

Die Linke erschafft sich ihre Gegner durch ihre Maßlosigkeit und Intoleranz. Auf Dauer kann man die demokratische Meinungsbildung nicht einschränken. Diese Lektion müssen die Linken erst noch lernen.
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H2O
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von H2O »

Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren... dieser böse Spruch sagt doch schon, daß an akademischer Bildung auch in Nazikreisen kein Mangel herrschte. "Rechts" heißt meiner Beobachtung zu Folge die Herrschaft einer sich selbst ermächtigenden Elite, die auf pöbelnde Strolche herab blickt, sie aber als Werkzeuge zur Erhaltung ihrer Macht erträgt.

Mir scheint, daß eine erstarrte Demokratie mit ihren Parteien mit Politikerlaufbahnen von der Kabbelgruppe über die Jugendorganisation bis in die zu vergebenden Staatsämter über sichere Listenplätze irgendwann solche selbsternannte Eliten hervorbringt. Politik als von Anfang an geplanter Beruf, am liebsten mit akademischem Titel... von und zu Guttenberg zur Erinnerung. Für den Normalverbraucher sind die praktisch schon immer da gewesen. Stellen Sie sich den derzeitigen Jusovorsitzenden in 10 Jahren vor. Die erscheinen dann genau so "selbsternannt" wie die Kräfte, die sich in "rechten" Parteien tummeln.

Einstweilen stehen sie im Wettbewerb um die Wählergunst zur Wahl; das muß nicht so bleiben. Sichere Listenplätze auf Wahlzetteln schränken schon den Zugang zu politischen Ämtern ein... und in einer ferneren Zukunft ernennt die Parteiführung die Inhaber politischer Ämter ohne Mitwirkung des Wählers.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

sind Rechtsextreme typischerweise angetrunkene Nazigröhler und nicht akademisch gebildete Personen.
Die meisten angesoffenen Nazigröhler sind doch studiert. Wie kommst du drauf, dass das normale Leute sein sollen? Gauleiter, General, das sind keine Positionen für Maurer oder Markthändler.
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schokoschendrezki
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(26 Mar 2018, 21:49)

Die meisten angesoffenen Nazigröhler sind doch studiert. Wie kommst du drauf, dass das normale Leute sein sollen? Gauleiter, General, das sind keine Positionen für Maurer oder Markthändler.
Man kann es nicht nur bei den internationalen Parteigründungen sondern auch gewissermaßen im soziologischen Nahbereich deutlich sehen, dass es einen Wandel gibt. Die Berliner Ortslage Schöneweide und insbesondere die Brückenstraße mit der Kneipe "Zum Henker" und dem Militariageschäft "Hexogen" galt bis vor wenigen Jahren als der Hotspot Berlins der rechtsextremen Szene. Und da trieben sich, glaubs mir, keine "Studierten" herum. Davon ist (inzwischen) nix übrig geblieben. Gleichzeitig hat sich der Zulauf zu rechtsextremen Ideologien allgemein gewiss nicht verringert. Es muss also ein Wandel stattgefunden haben.

Ich wäre ja vor allem auch an näheren Informationen, Einordnung und Hintergründen zu Thierry Baudet und seinem "Forum für Demokratie" in den Niederlanden und der Neugründung der rechtsextremen "Alternative für Schweden" interessiert.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

schokoschendrezki hat geschrieben:(28 Mar 2018, 13:57)

Man kann es nicht nur bei den internationalen Parteigründungen sondern auch gewissermaßen im soziologischen Nahbereich deutlich sehen, dass es einen Wandel gibt. Die Berliner Ortslage Schöneweide und insbesondere die Brückenstraße mit der Kneipe "Zum Henker" und dem Militariageschäft "Hexogen" galt bis vor wenigen Jahren als der Hotspot Berlins der rechtsextremen Szene. Und da trieben sich, glaubs mir, keine "Studierten" herum. Davon ist (inzwischen) nix übrig geblieben. Gleichzeitig hat sich der Zulauf zu rechtsextremen Ideologien allgemein gewiss nicht verringert. Es muss also ein Wandel stattgefunden haben.

Ich wäre ja vor allem auch an näheren Informationen, Einordnung und Hintergründen zu Thierry Baudet und seinem "Forum für Demokratie" in den Niederlanden und der Neugründung der rechtsextremen "Alternative für Schweden" interessiert.
Berlin ist jetzt auch nicht so die klassische braune Stadt der Gegenwart. Da hast du eher Kandidaten in Sachsen, in Sachsen-Anhalt, Bremerhaven, bestimmte Ecken Niedersachsens. Der typische NPD-Gemeinderat ist studiert oder Handwerker, so auch ehemals bei Schill und nun eben AfD. Jan Timke kommt vom Bundeskriminalamt. Udo Voigt hat Diplom.
Udo Wilhelm Pastörs hat einen Meister gemacht. Frau vom Storch ist passenderweise Insolvenzanwältin. Gordon Richter ist Jurist. Peter Marx ist auch nicht Maurer.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von zollagent »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(28 Mar 2018, 14:22)

Berlin ist jetzt auch nicht so die klassische braune Stadt der Gegenwart. Da hast du eher Kandidaten in Sachsen, in Sachsen-Anhalt, Bremerhaven, bestimmte Ecken Niedersachsens. Der typische NPD-Gemeinderat ist studiert oder Handwerker, so auch ehemals bei Schill und nun eben AfD. Jan Timke kommt vom Bundeskriminalamt. Udo Voigt hat Diplom.
Udo Wilhelm Pastörs hat einen Meister gemacht. Frau vom Storch ist passenderweise Insolvenzanwältin. Gordon Richter ist Jurist. Peter Marx ist auch nicht Maurer.
...und die meisten sind halt gescheitert bzw. auch straffällig geworden. So what? Kommt daher die Feindseligkeit gegen unseren Staat? Nur zur Info, auch Goebbels hatte einen Doktortitel. Hat ihn das gehindert, Verbrechen zu begehen? Eher nicht.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Teeernte »

Reine Frage der Mengenlehre und des historischen Situation.

Ist die Politik "Linkslastig" gibt es später mehr Rechts. (Bei ausgeglichenem Bürgerstatus..... Arm....Mittel...reich)

"Sozial"/Links soll/will den "armen" helfen auf Kosten der anderen. "übertreibt" man - wird die Untere Mitte sich "übervorteilt"/betrogen sehen. (Es als Unrecht sehen)

Geht der Staat nun auf "kriminelle" Rechte - ist es die Staatspflicht.

Bei unkriminellen Rechten - hat der Staat jedes Machtmittel verwirkt....er währe "Partei" - was ihm nicht zusteht.

"Links" ...unten treten sich die Parteien auf die Füsse. Rechts ist viel Platz - zu gewinnen...

Die SPD hat das erkannt - und steuert GEGEN ->> mit solidarischem Grundeinkommen.
zum Beispiel.

Leistung für Leistung.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Nomen Nescio »

schokoschendrezki hat geschrieben:(28 Mar 2018, 13:57)

Ich wäre ja vor allem auch an näheren Informationen, Einordnung und Hintergründen zu Thierry Baudet und seinem "Forum für Demokratie" in den Niederlanden und der Neugründung der rechtsextremen "Alternative für Schweden" interessiert.
baudet ist jedenfalls ein demagoge, prahlhans und angeber. er kann - genau wie wilders - einzeilers lancieren. konstruktive bemerkungen habe ich noch nicht gehört.

wilder und baudet scheinen kommunizierende fässer zu sein. baudet gewann, ergo verlor wilders ungefähr die gleiche menge.
abgesehen von sehr doofe bemerkungen über Gott (Allah), religionen und gläubige menschen ist es in moment unmöglich zu zsagen was der wirklich will. na ja, bei wilder weiß man das auch nicht, außer dem thema muslim.
nathan über mich: »er ist der unlinkste Nicht-Rechte den ich je kennengelernt habe. Ein Phänomen!«
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Teeernte hat geschrieben:(28 Mar 2018, 21:44)

Reine Frage der Mengenlehre und des historischen Situation.

Ist die Politik "Linkslastig" gibt es später mehr Rechts. (Bei ausgeglichenem Bürgerstatus..... Arm....Mittel...reich)
Ich halte das für eine gefährliche Irrlehre. Dass politische Rechtstendenzen lediglich Ausgleichskräfte zur Balancehaltung seien. Das sind sie nicht.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(28 Mar 2018, 14:22)

Berlin ist jetzt auch nicht so die klassische braune Stadt der Gegenwart. Da hast du eher Kandidaten in Sachsen, in Sachsen-Anhalt, Bremerhaven, bestimmte Ecken Niedersachsens. Der typische NPD-Gemeinderat ist studiert oder Handwerker, so auch ehemals bei Schill und nun eben AfD. Jan Timke kommt vom Bundeskriminalamt. Udo Voigt hat Diplom.
Udo Wilhelm Pastörs hat einen Meister gemacht. Frau vom Storch ist passenderweise Insolvenzanwältin. Gordon Richter ist Jurist. Peter Marx ist auch nicht Maurer.
Ja. Gut. Ich nehme das zur Kenntnis. Es ist vermutlich aber so, dass ganz grundsätzlich niemand eine politische Partei oder sonst irgendeine Gruppierung aufbauen kann ohne ein Mindestmaß an Organisiertheit und Intellekt. Zu den aufgezählten Personen gehören ja auch die jeweiligen Zielgruppen, die sie ansprechen.

Es gibt ja das historische Beispiel Röhm-Putsch. Wenn ich es richtig einordne, setzte sich dort eine sich eher elitär verstehende Ideologie gegen einen gewissermaßen volkstümlichen Nationalismus durch. Sosehr sich auch die historischen Situationen unterscheiden: Erleben wir gegenwärtig so etwas in dieser Art? Dass einerseits der gemeine "Naziproll" plötzlich selbst zu den Ausgegrenzten gehört und dass selbst extremste rassistische Anschauungen verbürgerlicht und akademisiert in die Mainstream-Gesellschaft einsickern?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Teeernte »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Mar 2018, 10:39)

Ich halte das für eine gefährliche Irrlehre. Dass politische Rechtstendenzen lediglich Ausgleichskräfte zur Balancehaltung seien. Das sind sie nicht.
Für den Wähler schon.....>> für einzelne Neubildungen//Umorganisationen (Krebsgeschwür) - da hast Du Recht... >> NICHT.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Mar 2018, 10:50)

Ja. Gut. Ich nehme das zur Kenntnis. Es ist vermutlich aber so, dass ganz grundsätzlich niemand eine politische Partei oder sonst irgendeine Gruppierung aufbauen kann ohne ein Mindestmaß an Organisiertheit und Intellekt. Zu den aufgezählten Personen gehören ja auch die jeweiligen Zielgruppen, die sie ansprechen.

Es gibt ja das historische Beispiel Röhm-Putsch. Wenn ich es richtig einordne, setzte sich dort eine sich eher elitär verstehende Ideologie gegen einen gewissermaßen volkstümlichen Nationalismus durch. Sosehr sich auch die historischen Situationen unterscheiden: Erleben wir gegenwärtig so etwas in dieser Art? Dass einerseits der gemeine "Naziproll" plötzlich selbst zu den Ausgegrenzten gehört und dass selbst extremste rassistische Anschauungen verbürgerlicht und akademisiert in die Mainstream-Gesellschaft einsickern?
Es gibt in der rechtsradikalen Bewegung seit jeher zwei Gegenpole, sowohl innerhalb der NPD als auch in der weiteren Anhängerschaft und in Nebenströmungen wie DVU/REP - Die NPD hat zunächst den Wandel von einer klassischen Altnazipartei zu einer Bewegung der Straße und jüngerer radikaler Neonazis durchgemacht, dabei die Anschlußfähigkeit in das klassische REP-Klientel verloren, aber auch neue Wählerschichten erschlossen. Mit den Erfolgen um 2004 setze sich dann wieder eine jüngere Parteielite ans Werk, die weniger Radikalkitsch und mehr Anschlußfähigkeit/Akzeptanz versuchte. Krawatte statt Stiefel, wenn man es mal auf eine Formel bringen will. Die Basis dafür bildete neben der Schaffung hauptamtlicher Politjobs in Sachsen und MVP vor allem eine relative Akzeptanz auf Kommunalebene in Sachsen. Damit war sie spät dran. Die FPÖ/BZÖ unter Haider zeigt die Transformation einer eher ambivalenten Partei in eine moderne, oberflächlich saubere Version. In Front National, wir sehen derzeit den Widerstreit zwischen einer klassischen, offen antisemitischen Generation und einer modernen Generation, die lieber vom Islam redet - um die Juden trauern die aber auch nicht, das ist sicher. In Deutschland dagegen haben "freiheitliche", also nationalliberale bis nationalistische Ansätze in der Regel die Abgrenzung zur engeren NPD-Umgebung gesucht, die als verbrannt galt. Versuche der NPD, hier anzudocken, brachten sie immer in Konflikt mit ihrer teilweise eher national-sozialistischen Bewegungsbasis, dem Kameradschaftsumfeld.
Die DVU dagegen war ganz und gar ein Bauchprojekt, in ihrer Argumentation und ihrem Auftreten eher altbacken, anti-intellektuell. Die AfD kann sich noch nicht so recht entscheiden. Insgesamt ist der Trend in Europa so, dass offen nationalsozialistische oder faszistische Gruppierungen eher auf der Straße punkten, die Anzugversion eher bei Wahlen mal länger oder kürzer hochkommt. Ich denke, so werden wir das auch in Osteuropa mittelfristig sehen: Wo irgendwelche Tumulte und Bürgerkriege aufbrechen, haben die offen braunen vorübergehend große Bedeutung. Im Parlamentsalltag ist der Stiefel eher der Strickpulli der Braunen. Hoher ikonischer Wert, aber auf Dauer unerträglich im Vergleich zu glattgeschliffenen Anzugträgern, die auch mal ohne zu stottern zu Jauch und co gehen können.
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Selina
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Mar 2018, 11:38)

Mindestens drei jüngere Ereignisse inspirierten mich zur Eröffnung eines Threads zum formulierten Thema.

Natürlich zunächst mal die Ernennung des FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache zum österreichischen Vizekanzler im Dezember 2017. Strache (Jahrgang 1969) ist zwar nicht mehr ganz so jung, aber mit seinem ostentativen Bekenntnis zu schlagenden Verbindungen, Burschenschaften etc. gehört er ziemlich genau in dieses rechts-akademische Profil.

Dann: Schweden. Der ehemalige Chef der rechtsnationalen Schwedendemokraten, Kasselstrand, hat mit der AfS, der "Alternative für Schweden" eine neue, offen rassistische Partei gegründet, die sich auf den "nordischen Menschen" als Idol zurückbesinnen will. Es werden ihr bei den Wahlen im Herbst bis zu 2 Prozent Wählerstimmen (neben den ganz sicher mehr als 10 Prozent für die SD) zugetraut.

Und schließlich: Das verstörendste Beispiel: Niederlande. Thierry Baudet und seine Partei "Forum voor Democratie". In Umfragen liegt sie nur noch knapp hinter Wilders PVV. Baudet, ein rechtsextremer Akademiker-Snob, der Parlamentsreden auf Latein hält und statt politischer Statements auch mal ein Stück Klassik auf dem Klavier vorträgt, träumt von einem Europa, das wieder von "der weißen Rasse" geprägt ist.

Schon lange in diese Richtung läuft die ungarische rechtsextreme Partei "Jobbik". Ihre Gründung verlief im und fast die gesamte Parteiführung kommt aus dem studentisch-akademischen Millieu. Allesamt sind es studierte und zum Teil promovierte Leute.

In Frankreich findet im rechten Lager nach dem Sieg von Macron eine Polarisierung statt. Marine Le Pen will sich komplett von ihrem Vater trennen, den Front National umbenennen und rein äußerlich entschärfen und "verbürgerlichen". Ihre abgetauchte Nichte Marion Maréchal Le Pen hat sich dagegen wiedergemeldet und bildet das junge Gesicht der ca. 83 Prozent FN-ler, die sich Marion in der Führung wünschen.

Die wichtigste Frage für mich: Findet hier eine Spaltung und damit Schwächung der europäischen Rechten statt? In ein sozusagen bürgerlich-akzeptables lager einerseits und in ein offen rechtsextremes Lager andererseits? Oder vielleicht nicht sogar eher eine Art Verdopplung. Indem zu solchen gemäßigt rechten und schon länger erfolgreichen Parteien wie FPÖ oder den skandinavischen Rechten nun sozusagen additiv eben noch extreme Rechte hinzukommen.

Und dann: Wie muss sich die Strategie der Entgegnung ändern. In den Köpfen vieler Linker - glaube ich zumindest - sind Rechtsextreme typischerweise angetrunkene Nazigröhler und nicht akademisch gebildete Personen. Dieses einseitige Bild wird sich nicht halten lassen.
Spannendes Thema. Wobei die letzten Sätze natürlich so nicht zutreffen. Da würdest du die Linken ja auch pauschal für blöd erklären. Was ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, dass du das tust. Ich hatte im Übrigen im Zusammenhang mit diversen Internet-Plattformen schon mal von "Rechtsintellektuellen" gesprochen. Eigentlich ist der Begriff ja eine Art Oxymoron, also jetzt mal ironisch gemeint. Aber je länger dieser unsägliche Rechtsruck anhält und je mehr man erfährt davon, desto deutlicher wird: Nein, selbstverständlich gibt es Rechtsintellektuelle. Gerade diese Burschenschaften, unter ihnen sehr kluge stramm deutsche Bürschel, nationalistisch und fremdenfeindlich bis zur Halskrause. Oder diese "Denkfabrik" des Herrn Kubitschek. Und zur Frage von dir: Auf mich wirkt das eher wie eine Verdoppelung des rechten Potenzials und nicht als Aufspaltung.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Mar 2018, 10:50)

Ja. Gut. Ich nehme das zur Kenntnis. Es ist vermutlich aber so, dass ganz grundsätzlich niemand eine politische Partei oder sonst irgendeine Gruppierung aufbauen kann ohne ein Mindestmaß an Organisiertheit und Intellekt. Zu den aufgezählten Personen gehören ja auch die jeweiligen Zielgruppen, die sie ansprechen.

Es gibt ja das historische Beispiel Röhm-Putsch. Wenn ich es richtig einordne, setzte sich dort eine sich eher elitär verstehende Ideologie gegen einen gewissermaßen volkstümlichen Nationalismus durch. Sosehr sich auch die historischen Situationen unterscheiden: Erleben wir gegenwärtig so etwas in dieser Art? Dass einerseits der gemeine "Naziproll" plötzlich selbst zu den Ausgegrenzten gehört und dass selbst extremste rassistische Anschauungen verbürgerlicht und akademisiert in die Mainstream-Gesellschaft einsickern?
Sorry, dass ich mich einmische. Ob der "Naziproll" plötzlich selbst zu den Ausgegrenzten gehört, weiß ich nicht. Der zweite Teil des Satzes ist aber eindeutig mit ja zu beantworten: Extremste rassistische Anschauungen werden verbürgerlicht und akademisiert. Das kann man nicht besser formulieren.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Selina »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(29 Mar 2018, 16:41)

...im Vergleich zu glattgeschliffenen Anzugträgern, die auch mal ohne zu stottern zu Jauch und co gehen können.
Diese Typen sind mir fast noch unheimlicher als die direkt an Äußerlichkeiten erkennbaren. Die Glattgeschliffenen werden es auch sein, die den neuen Faschismus salonfähig machen, unterstützt von ihren künftigen konservativen Partnern und von einigen Fernsehmoderatoren.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Selina »

H2O hat geschrieben:(26 Mar 2018, 12:42)

Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren... dieser böse Spruch sagt doch schon, daß an akademischer Bildung auch in Nazikreisen kein Mangel herrschte. "Rechts" heißt meiner Beobachtung zu Folge die Herrschaft einer sich selbst ermächtigenden Elite, die auf pöbelnde Strolche herab blickt, sie aber als Werkzeuge zur Erhaltung ihrer Macht erträgt.

Mir scheint, daß eine erstarrte Demokratie mit ihren Parteien mit Politikerlaufbahnen von der Kabbelgruppe über die Jugendorganisation bis in die zu vergebenden Staatsämter über sichere Listenplätze irgendwann solche selbsternannte Eliten hervorbringt. Politik als von Anfang an geplanter Beruf, am liebsten mit akademischem Titel... von und zu Guttenberg zur Erinnerung. Für den Normalverbraucher sind die praktisch schon immer da gewesen. Stellen Sie sich den derzeitigen Jusovorsitzenden in 10 Jahren vor. Die erscheinen dann genau so "selbsternannt" wie die Kräfte, die sich in "rechten" Parteien tummeln.

Einstweilen stehen sie im Wettbewerb um die Wählergunst zur Wahl; das muß nicht so bleiben. Sichere Listenplätze auf Wahlzetteln schränken schon den Zugang zu politischen Ämtern ein... und in einer ferneren Zukunft ernennt die Parteiführung die Inhaber politischer Ämter ohne Mitwirkung des Wählers.
Du meinst also, rechte nationalistische Gruppierungen und Parteien, wie sie schokoschendrezki oben beschreibt, entstünden in erster Linie deshalb, weil die "Demokratie erstarrt" sei? Wie sieht es mit der Verantwortung eines jeden Einzelnen aus, solches Denken sehr kritisch zu bewerten und auch deutlich beim Namen zu nennen? Oder ist das quasi ein Automatismus, dass sich Rechtsintellektuelle und rechtsnationales Fußvolk in Europa immer breiter machen? Wo siehst du Ursachen? Was kann man dagegen tun?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von King Kong 2006 »

Auch, wenn sich - so der Anschein - immer mehr Frauen, wie Männer dem Thema "Rechtssein" intellektuell annähern, bleibt es auch dort letztendlich eine gefühlte Sehnsucht. Sie wird nicht so Dumpf wie mit Slogans "Ausländer raus" und "die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze" weg vom "platten Stammtisch" artikuliert, sondern mit politischen Begriffen wie "Globalisierung" u.ä. geführt, aber letztendlich sind es doch gefühlte Werte wie Sicherheit, Routine und Nostalgie. Viele Sorgen, Defizite und Gründe sind durchaus nachvollziehbar. Nicht jeder Rechte ist ein Unmensch. Die Extremisten und Radikalen sind natürlich ein Fall für sich. Und wenn Krisen und Konflikte in der Wahrnehmung ausufern. Nicht unschuldig daran ist aber auch die Parteienlandschaft und manchmal vielleicht eine Art Konsens auf anderen Ebenen, die gerade mit dem suboptimalen Umgang mit diesen Themen, die bewegen, gerade den politischen Flanken, hier den Rechten diese Bühne überlassen.
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
Wissen stellt eine Barriere dar, die einen daran hindert, etwas in Erfahrung zu bringen.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von H2O »

Selina hat geschrieben:(31 Mar 2018, 16:16)

Du meinst also, rechte nationalistische Gruppierungen und Parteien, wie sie schokoschendrezki oben beschreibt, entstünden in erster Linie deshalb, weil die "Demokratie erstarrt" sei? Wie sieht es mit der Verantwortung eines jeden Einzelnen aus, solches Denken sehr kritisch zu bewerten und auch deutlich beim Namen zu nennen? Oder ist das quasi ein Automatismus, dass sich Rechtsintellektuelle und rechtsnationales Fußvolk in Europa immer breiter machen? Wo siehst du Ursachen? Was kann man dagegen tun?
Wenn wir uns einig sind, daß selbsternannte Eliten diese "Intellektuellen" stellen, dann sind wir schon einen ganzen Schritt weiter. Die Entwicklung in Parteien sehe ich schon seit Jahrzehnten mit Sorge. Sie fördert den redegewandten Aufsteiger, dessen Fähigkeiten auf dem gewerblichen Arbeitsmarkt nicht gesucht werden. Dann bleibt nur die Politik und alles, was darum herum davon abhängig ist.

Deshalb, so meine Vermutung, waren die Neuanfänge nach dem 2. Weltkrieg und nach der Wiedervereinigung Glücksfälle, die eine ganze Reihe Seiteneinsteiger zum politischen Handeln bewegt haben.

Wir Wähler haben es oft in der Hand, aus dem Angebot der Bewerber darauf zu achten, was die Bewerber denn an ehrenwerten Tätigkeiten getan und auf ihrem Gebiet erreicht haben, bevor sie meinten, sich gemeinnützig politisch betätigen zu sollen. Wo das möglich ist, die Zustimmung so vergeben. Ganz lupenrein ist das nicht zu machen.

In Bremen hatte man das Wahlrecht nach Volksbegehren geändert, so daß der Wähler mit insgesamt 5 Stimmen spezielle Bewerber ankreuzen konnte, also an der "Parteiliste" vorbei seinen Bewerber wählen konnte... sogar quer über Parteien hinweg. Das führte zu einer hohen Zahl ungültiger Stimmen, weil etliche Wähler nicht bis 5 zählen konnten. Und das veranlaßte die Parteien, ohne Volksbegehren dieses Wahlrecht wieder zurück zu drehen. :( Ich sehe aber im Großen wie im Kleinen nur diese Möglichkeit, die Erstarrung durch sichere Listenplätze (Seilschaften, Berufspolitiker) allmählich auf zu weichen.

Wir müssen uns schon darauf verlassen, daß unsere Mitbürger vernünftig entscheiden. Gesteht man ihnen diese Möglichkeit zu, dann wird das auch.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Selina »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2018, 16:54)

Wenn wir uns einig sind, daß selbsternannte Eliten diese "Intellektuellen" stellen, dann sind wir schon einen ganzen Schritt weiter. Die Entwicklung in Parteien sehe ich schon seit Jahrzehnten mit Sorge. Sie fördert den redegewandten Aufsteiger, dessen Fähigkeiten auf dem gewerblichen Arbeitsmarkt nicht gesucht werden. Dann bleibt nur die Politik und alles, was darum herum davon abhängig ist.

Deshalb, so meine Vermutung, waren die Neuanfänge nach dem 2. Weltkrieg und nach der Wiedervereinigung Glücksfälle, die eine ganze Reihe Seiteneinsteiger zum politischen Handeln bewegt haben.

Wir Wähler haben es oft in der Hand, aus dem Angebot der Bewerber darauf zu achten, was die Bewerber denn an ehrenwerten Tätigkeiten getan und auf ihrem Gebiet erreicht haben, bevor sie meinten, sich gemeinnützig politisch betätigen zu sollen. Wo das möglich ist, die Zustimmung so vergeben. Ganz lupenrein ist das nicht zu machen.

In Bremen hatte man das Wahlrecht nach Volksbegehren geändert, so daß der Wähler mit insgesamt 5 Stimmen spezielle Bewerber ankreuzen konnte, also an der "Parteiliste" vorbei seinen Bewerber wählen konnte... sogar quer über Parteien hinweg. Das führte zu einer hohen Zahl ungültiger Stimmen, weil etliche Wähler nicht bis 5 zählen konnten. Und das veranlaßte die Parteien, ohne Volksbegehren dieses Wahlrecht wieder zurück zu drehen. :( Ich sehe aber im Großen wie im Kleinen nur diese Möglichkeit, die Erstarrung durch sichere Listenplätze (Seilschaften, Berufspolitiker) allmählich auf zu weichen.

Wir müssen uns schon darauf verlassen, daß unsere Mitbürger vernünftig entscheiden. Gesteht man ihnen diese Möglichkeit zu, dann wird das auch.
Danke für die ausführliche Antwort. Wobei ich nicht so sehr die "erstarrte Politik" meinte, sondern eher die Tatsache, dass es heute möglich ist, dass rechte Nationalisten so einen Einfluss gewinnen können. Wie konnte zum Beispiel so etwas wie die AfD bis in den Bundestag vordringen und damit in viele wichtige Gremien? Wo doch jeder weiß, dass es in dieser Partei auch Rechtsradikale gibt. Ich meine das eher politisch, nicht so sehr wahlrechtlich. Meine Frage zielt eher in die Richtung: Was tut die gesellschaftliche Mitte, damit der rechtsnationale Ungeist nicht noch mehr um sich greifen kann? Wo sind die Stimmen der Mitte?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von H2O »

Selina hat geschrieben:(31 Mar 2018, 17:17)

Danke für die ausführliche Antwort. Wobei ich nicht so sehr die "erstarrte Politik" meinte, sondern eher die Tatsache, dass es heute möglich ist, dass rechte Nationalisten so einen Einfluss gewinnen können. Wie konnte zum Beispiel so etwas wie die AfD bis in den Bundestag vordringen und damit in viele wichtige Gremien? Wo doch jeder weiß, dass es in dieser Partei auch Rechtsradikale gibt. Ich meine das eher politisch, nicht so sehr wahlrechtlich. Meine Frage zielt eher in die Richtung: Was tut die gesellschaftliche Mitte, damit der rechtsnationale Ungeist nicht noch mehr um sich greifen kann? Wo sind die Stimmen der Mitte?
Ich glaube nicht, daß die gesellschaftliche Mitte bereit ist, die Dummheiten und Fehler der dort verwurzelten Parteien weiter zu ertragen. Die Leute hören sich ganz einfach an, daß andere politische Kräfte ihr Problem aufgreifen und es abarbeiten wollen. Man kann sicher darüber streiten, ob das denn nicht eingebildete Probleme sind. Auch das haben die politischen Parteien der Mitte zu vermitteln versucht.

Ich denke zurück an die Umgangsweise mit den Ereignissen von Silvester 2015/2016, mit Falschmeldungen und Beschönigungen. Oder mit anderer Ausländerkriminalität, die aus gut nachvollziehbaren Gründen durch Nichtnennung der Herkunft der Täter verschleiert wurde. So oder so hat es eine Schere im Kopf der Leute gegeben, die den Mitbürgern gegenüber zur Wahrheit verpflichtet sind.

Die AfD hat solche Hemmungen sicher nicht, sondern nutzt diese Selbstzensur der übrigen Politik natürlich aus. Sie spricht die Dinge an, die die Mitbürger doch selbst sehen und erleben, und das gibt ihr den Vorteil, auch die verrücktesten politischen Problemlösungen glaubwürdig zu verkünden. Auf jeden Fall wirkt deren vorgeschlagene Vorgehensweise glaubwürdiger als "die volle Härte des Rechtsstaats", die eine hilflose und ideenlose Politik der Mitte von Zeit zu Zeit verkündet.

Wir Normalverbraucher spüren doch, daß unsere Gesetze und Verfahrensvorschriften inzwischen so ausgeufert sind, daß unsere Justiz sie nicht mehr abarbeiten kann, daß man als Gewerbetreibender Steuerberater braucht, um durch den Dschungel hindurch zu finden. So werden "legale" Betrügereien möglich, gehen Straftäter nach ausgiebiger Beschäftigung der Justiz ungeschoren frei. Hinzu kommt Behördenversagen von NSU bis zu "Gefährdern" und DITIB-Spitzeleien.

Wundert Sie vor dem Hintergrund, daß eine Partei, die dazu auch Lösungsvorschläge vorträgt, viel Zustimmung erhält? Die Vorschläge nehmen vermutlich wenig Rücksicht auf die Selbstblockaden unserer Rechtsvorschriften... aber das ist vielen Mitbürgern gleichgültig. Das Problem soll gelöst werden... wie auch immer. Und das paßt dann auch wieder ideal zu pöbelnden Schreihälsen.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

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schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Mar 2018, 11:38)

Die wichtigste Frage für mich: Findet hier eine Spaltung und damit Schwächung der europäischen Rechten statt? In ein sozusagen bürgerlich-akzeptables lager einerseits und in ein offen rechtsextremes Lager andererseits? Oder vielleicht nicht sogar eher eine Art Verdopplung. Indem zu solchen gemäßigt rechten und schon länger erfolgreichen Parteien wie FPÖ oder den skandinavischen Rechten nun sozusagen additiv eben noch extreme Rechte hinzukommen.
Zunächst einmal: die Rechte spaltet sich selbst ständig. Muss sie auch, weil sie viel zu sehr im Egoismus festhängt, der bei denen quasi Programm ist. Das bürgerlich-akzeptable Lager hat es im Falle der FPÖ schon immer gegeben, und der Erfolg nicht nur der FPÖ, sondern auch von Fidesz im Vergeich zu Jobbik, zeigt den immer grösser werdenden Widerspruch im rechten Lager zwischen Akzeptanz und Provokation. Akzeptanz ist einfach erfolgreicher.

Zudem: jedes Land in Europa ausser Deutschland kann sich eine CSU-ähnliche Partei fürs ganze Land leisten. Und CSU bundesweit wäre auch das, was viele rechte Wähler hierzulande wählen würden. Weil sie von ihren rechten Parteien auch nicht so begeistert sind (verständlich).

Es findet also eine Umwandlung bei den Rechten statt. Fundamentalegoismus, das dämmert einen grossen Teil immer mehr, funktioniert auf Dauer nicht. Die Rechten werden also stärker und wählbarer, dafür weniger extrem.
Und dann: Wie muss sich die Strategie der Entgegnung ändern. In den Köpfen vieler Linker - glaube ich zumindest - sind Rechtsextreme typischerweise angetrunkene Nazigröhler und nicht akademisch gebildete Personen. Dieses einseitige Bild wird sich nicht halten lassen.
Die Linke hierzulande muss sich langsam mal wieder dem Nationalismus stellen, und sich dabei mal wieder auf die linken Wurzeln des Nationalismus besinnen. Sonst nimmt ihnen die Rechte dieses Thema komplett weg. Und das kostet nicht wenige Stimmen.
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Die Linke würde einen schweren Fehler machen, sich auf eine nationalistische Spielart von Sozialdemokratie zu kaprizieren. Damit ist schon die PCF gescheitert.
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Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 12:44)

Die Linke würde einen schweren Fehler machen, sich auf eine nationalistische Spielart von Sozialdemokratie zu kaprizieren. Damit ist schon die PCF gescheitert.
Was soll sie sonst machen? Auf Kosmopolitismus setzen? Damit wird sie langfristig noch mehr verlieren. Aber vielleicht tuts ja ein Euro-Nationalismus. Wäre ja auch was.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 20:15)

Was soll sie sonst machen? Auf Kosmopolitismus setzen? Damit wird sie langfristig noch mehr verlieren. Aber vielleicht tuts ja ein Euro-Nationalismus. Wäre ja auch was.
Damit wäre sie in Deutschland schlecht beraten. Euronationalismus in der - nach der Deklassierung Frankreichs, dem Ausscheiden der Briten und dem Verhindern der Türkei - unbestrittenen Führungsnation der EU wäre einfach nur Nationalsozialismus in "groß" während die NPD/AfD dasselbe in kleinlich-doof darstellt.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 21:10)

Damit wäre sie in Deutschland schlecht beraten. Euronationalismus in der - nach der Deklassierung Frankreichs, dem Ausscheiden der Briten und dem Verhindern der Türkei - unbestrittenen Führungsnation der EU wäre einfach nur Nationalsozialismus in "groß" während die NPD/AfD dasselbe in kleinlich-doof darstellt.
Das wäre der Fall, wenn man inklusiven und exklusiven Nationalismus nicht trennen könnte. Ich glaub aber, das kann man. In Europa noch eher als im unbeweglichen Deutschland.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:13)

Das wäre der Fall, wenn man inklusiven und exklusiven Nationalismus nicht trennen könnte. Ich glaub aber, das kann man.
Ja, inklusiver Nationalismus schließt die Minderheiten in Lager ein, exklusiver schließt sie an Grenzzäunen aus und guckt zu, wie sie zugrunde gehen. Das lässt sich gut trennen. Das Gerede ist letztlich nur eine Unterscheidung in Bekenntnis (das man im Zweifel pauschal nicht glaubt) und Biologismus. Beides ist Müll. Niemand, auch der hier geborene, ist für die Zwecke einer Abstraktion wie Nation da. Alle wollen sie vorrangig (gut) leben.
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Beitrag von Woppadaq »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:15)

Ja, inklusiver Nationalismus schließt die Minderheiten in Lager ein...
Sorry, aber das war jetzt wirklich völlig daneben. Wo schliessen die Amis denn ihre Minderheiten in Lager ?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:18)

Sorry, aber das war jetzt wirklich völlig daneben. Wo schliessen die Amis denn ihre Minderheiten in Lager ?
Ich kann dir gerade nicht folgen. Es ging um Rechte in Europa und darum, ob Europas und speziell Deutschlands Linke hier in Sachen Nationalismus anbiedern oder lieber abgrenzen soll. Was willst du da mit Amerika?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:22)

Ich kann dir gerade nicht folgen.
Ja, weil du scheinbar nicht weisst, was inklusiver Nationalismus ist. Der amerikanische Nationalismus ist aber ein gutes Beispiel für inklusiven Nationalismus. Genauso der norwegische.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:25)

Ja, weil du scheinbar nicht weisst, was inklusiver Nationalismus ist. Der amerikanische Nationalismus ist aber ein gutes Beispiel für inklusiven Nationalismus. Genauso der norwegische.
Die Norweger werfen gerade raus, was sich nicht wehren kann. In Deutschland hatten wir inklusiven Nationalismus bis 1945. War nicht so toll.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:31)
In Deutschland hatten wir inklusiven Nationalismus bis 1945.
Wie ich schon sagte: du hast keine Ahnung, was inklusiver Nationalismus ist. Zu deiner Entlastung: das geht vielen so. Damit bleibt der exklusive Nationalismus der AfD der einzige, der alle Nationalisten ohne Unterschied anzieht. Und ihr habt NICHTS, was ihr dem entgegensetzen könnt. Und das nur, weils euch nicht interessiert.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:37)

Wie ich schon sagte: du hast keine Ahnung, was inklusiver Nationalismus ist. Zu deiner Entlastung: das geht vielen so. Damit bleibt der exklusive Nationalismus der AfD der einzige, der alle Nationalisten ohne Unterschied anzieht. Und ihr habt NICHTS, was ihr dem entgegensetzen könnt. Und das nur, weils euch nicht interessiert.
Ich bin kein Marktschreier, der den wenig originellen Personen, die auf Nationalismus setzen, einen billigeren oder schöneren Nationalismus anpreist. Ich bin keine Partei. Mag die SPD in dem Versuch verrecken, da anzudocken wie ihre italienische, österreichische und französische Partnerschaft.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:41)

Ich bin kein Marktschreier, der den wenig originellen Personen, die auf Nationalismus setzen, einen billigeren oder schöneren Nationalismus anpreist.
Ja sicher, dann lieber die volle SPD-Dröhnung a la Sarrazin.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von imp »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:48)

Ja sicher, dann lieber die volle SPD-Dröhnung a la Sarrazin.
Ich bin da indifferent. Sarrazin, Spahn oder Frank Franz, das ist eine Frage der Nuancen.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(02 Apr 2018, 22:56)

Ich bin da indifferent. Sarrazin, Spahn oder Frank Franz, das ist eine Frage der Nuancen.
Ich weiss nicht, wo Spahn überhaupt nationalistisch in Erscheinung getreten ist. Und sowohl Sarrazin wie Franz betreiben exklusiven Nationalismus, auch wenn Sarrazin sich da gut rausredet.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Skeptiker »

Senexx hat geschrieben:(26 Mar 2018, 12:35)
Die Linke erschafft sich ihre Gegner durch ihre Maßlosigkeit und Intoleranz. Auf Dauer kann man die demokratische Meinungsbildung nicht einschränken. Diese Lektion müssen die Linken erst noch lernen.
Dem kann man fast nichts hinzufügen.

Auch ich sehe in erster Linie eine Linke die sich in den letzten Jahrzehnten "zu Tode siegt" wenn es um gesellschaftspolitische Themen geht. Auf der anderen Seite hat man seine klassische Klientel, die Arbeiterschicht, total im Stich gelassen und sich stattdessen mit Wirtschaftsliberalen angefreundet.

So wächst die Wirtschaft, die unteren Lohngruppen verlieren den Anschluss, aber wenn man die Klappe aufmacht wird man nasal zurechtgewiesen. Aus jeder Kleinigkeit wird eine Moralfrage konstruiert und in für sie so wahrgenommenen Gerechtigkeitsthemen geht jede Scheu verloren mit unlauteren Mitteln zu kämpfen (z.B. permanenter Einsatz des Absoluten Gender Pay Gaps anstatt des bereinigten -> pure Propaganda -> das Ziel bestimmt die Mittel)

Das ist eben für viele Menschen nicht mehr die Idealvorstellung einer Gesellschaft. Man hat sich so an die Vorstellung von Meinungsfreiheit (kulturell, nicht nur legal) gewöhnt, dann möchte man sie auch wahrnehmen. Instrumentalisierung von Medien und Brandmarkung von Demonstranten als Pöbel tun dann ihr übriges um eine auch intellektuell fundierte Gegenbewegung ans Laufen zu bekommen.

Ja, das ist eine neue Qualität - weil nun einer langanhaltende Linksbewegung etwas entgegengesetzt wird. Anders als reflexhaft dargestellt ist die aber nicht im Kern undemokratisch, sondern im Kern das demokratische Korrektiv einer linken Bewegung, die an gesellschaftlichen Rückhalt verliert, weil sie den Realitäten entschwebt.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Excellero »

Villeicht haben einfach immer mehr Leute von Linken die Nase voll. Und machen wir uns nichts vor... in jedem europäischen Land sind die "Konservativen" doch auch schon über die Linie nach links gerutscht. Die Leute sehen wohin das führt und wenden sich ab. Und je größer die Abneigung um so härter wird der Gegenkurs eingeschlagen. Und das ist auch völlig richtig!
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Skeptiker hat geschrieben:(03 Apr 2018, 00:19)

Dem kann man fast nichts hinzufügen.

Auch ich sehe in erster Linie eine Linke die sich in den letzten Jahrzehnten "zu Tode siegt" wenn es um gesellschaftspolitische Themen geht. Auf der anderen Seite hat man seine klassische Klientel, die Arbeiterschicht, total im Stich gelassen und sich stattdessen mit Wirtschaftsliberalen angefreundet.

So wächst die Wirtschaft, die unteren Lohngruppen verlieren den Anschluss, aber wenn man die Klappe aufmacht wird man nasal zurechtgewiesen.
Das ist mir ja mal was ganz neues, das sich die Rechten zum Sprachrohr der Armen und Entrechteten machen, geschweige denn ihnen Lösungen anbieten, ja überhaupt nur den Anschein wahren, so etwas wie Hartz4 zurückzunehmen.

Aber bei der Wahrheit zu bleiben war für die Rechten schon immer ein Problem.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

Excellero hat geschrieben:(03 Apr 2018, 00:29)

Villeicht haben einfach immer mehr Leute von Linken die Nase voll. Und machen wir uns nichts vor... in jedem europäischen Land sind die "Konservativen" doch auch schon über die Linie nach links gerutscht. Die Leute sehen wohin das führt ...!
Ja, Es führt dazu, dass die Leute egoistischer werden und rechts wählen. Das Original quasi...
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Woppadaq hat geschrieben:(02 Apr 2018, 00:18)
Die Linke hierzulande muss sich langsam mal wieder dem Nationalismus stellen, und sich dabei mal wieder auf die linken Wurzeln des Nationalismus besinnen. Sonst nimmt ihnen die Rechte dieses Thema komplett weg. Und das kostet nicht wenige Stimmen.
Die "Wurzeln des (europäischen) Nationalismus" liegen in den Bewegungen der Epoche von der französischen Revolution 1789 und dem Jakobinismus über den Vormärz bis hin und vor allem zu den Ereignissen 1848/49. Das was man allgemein so als "Völkerfrühling" bezeichnet. Als Beispiel dafür, dass diese Wurzeln des Nationalismus sich weder eindeutig links noch eindeutig rechts verorten lassen, nenne ich nur mal den Namen Ernst-Moritz Arndt. Ganz klar ein Völkerfrühlings-Patriot und Kämpfer gegen Napoleons Vorherrschaft und auf der anderen Seite ein extremer Reaktionär, Antisemit und völkisch gesinnter Franzosenhasser. So einfach geht das nicht. In der Marxschen Auffassung wird der Begriff der "Nation" weitgehend aus der ökonomischen Perspektive heraus gefasst. Und da vor allem aus der Perspektive sozialer Klassen. Der Arbeiter "habe kein Vaterland" ist eine der bekanntesten Thesen diesbzüglich aus dem Kommunistischen Manifest. "Linksnationalismen" sind nach meinem Verständnis sehr viel später entstanden. DIe Regimes in Venezuela der letzten Jahrzehnte würde ich als "linksnationalistisch" sehen. In der Beurteilung solcher Phänomene, da stimme ich zu, müssen sich die als "links" sehenden Kräfte in Deutschland tatsächlich eine realistischere Weltsicht erarbeiten.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Excellero hat geschrieben:(03 Apr 2018, 00:29)

Villeicht haben einfach immer mehr Leute von Linken die Nase voll. Und machen wir uns nichts vor... in jedem europäischen Land sind die "Konservativen" doch auch schon über die Linie nach links gerutscht. Die Leute sehen wohin das führt und wenden sich ab. Und je größer die Abneigung um so härter wird der Gegenkurs eingeschlagen. Und das ist auch völlig richtig!
Das ist wieder eine dieser Gegenbalance-Argumente. Das halte ich für falsch. Dass rechte Bewegungen entstehen, weil klassisch-konservative Parteien angeblich immer mehr nach links driften. In Ungarn driftet die Fidesz-Partei (als EVP-Mitglied noch immer klassisch, bürgerlich, konservativ) immer weiter nach rechts, ohne dass das eine nennenswerte Auswirkung auf die Popularität der eindeutig rechtsextremen Partei Jobbik hätte. Jobbik ist auch tatsächlich das Musterbeispiel für die Art von politischen Tendenzen, um die es mir hier geht. Sie ist ganz klar im akademischen, und zwar vorwiegend geisteswissenschaftlichen, studentischen Millieu entstanden. Sie geht nach Untersuchungen weit effektiver mit neuen Medien, Internet usw. um als alle anderen ungarischen Parteien. Also: jünger, gebildeter, smarter, offen rassistischer, extremer.

Weiter oben wurde in einem Beitrag die AfD als eine Partei geschildert, die sich zwischen bürgerlich-sehr-rechts und offen rassistisch noch nicht entschieden hat. Ja. Das sehe ich ganz genauso.

Was mir ein ziemliches Rätsel ist und bleibt, ist der (eigentlich schon sehr lange dauernde) Aufstieg der Rechtsextremen in Skandinavien.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von BlueMonday »

Ein Problem dabei ist m.E. die völlige Verwässerung von Begriffen im Politischen.

Was ist denn radikal rechts? Personalismus statt Kollektivismus bspw. "Rassismus" ist dabei ein durch und durch kollektivtistisches Konzept, das individuelle Unterschiede negiert und praktisch eine riesige plumpe Schublade aufschiebt.
Rechts sieht und betont hingegen die Differenz. Links droht der Egalitarismus, die Nivellierung, das Hinwegsehen und Verleugnen von Unterschieden. Auf radikal rechter Seite gibt es nichts Identisches und keine Identität abgesehen von einzelnen Personen. Kollektive Identität ist ein linkes Konzept. Rechts schaut immer vom Einzelnen her. Natürlich kann sich ein Einzelnes auch mit anderen vereinen, oder überhaupt einen Bezug zu anderen Einzelnen und Teilen herstellen. Das ist sogar wahrscheinlich. Man schöpft aber eben nicht aus einem Kollektivmythos (Volk, Gesellschaft, Klasse, Rasse etc.) wie die Linken. Die Quelle ist der einzigartige Einzelne, man selbst.
So gesehen gibt es sehr wenige Rechte. Kuehnelt-Leddihn war vielleicht in diesem Sinne ein Rechter. Oder jemand wie Ernst Jünger.

Mal ein weiteres Beispiel zu Illustration: in seinem Roman "Eumeswil" unterscheidet Jünger zwischen Autoritätsgläubigkeit und Autoritätsbedürftigkeit. Also man kann durchaus bedürftig sein, sich nach einer Autorität sehnen, Führung bedürfen. Aber als Bedürftiger erzeugt man die Autorität durch die bezweckte, selbstgewählte und beendbare Unterordnung. Man kann jederzeit aus diesem Bezug aussteigen. Man ist die Quelle der Autorität. Der Linke/Gläubige hingegen glaubt an eine Macht über ihn, er ist ein Getriebener, Abhängiger, allenfalls rebelliert er gegen die Autorität, will sie entmachten, ersetzen, zerschlagen, alles einebnen und versteht dabei die eigentliche Quelle der Autorität nicht.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(03 Apr 2018, 13:27)

Ein Problem dabei ist m.E. die völlige Verwässerung von Begriffen im Politischen.

Was ist denn radikal rechts? Personalismus statt Kollektivismus bspw. "Rassismus" ist dabei ein durch und durch kollektivtistisches Konzept, das individuelle Unterschiede negiert und praktisch eine riesige plumpe Schublade aufschiebt.
Rechts sieht und betont hingegen die Differenz. Links droht der Egalitarismus, die Nivellierung, das Hinwegsehen und Verleugnen von Unterschieden. Auf radikal rechter Seite gibt es nichts Identisches und keine Identität abgesehen von einzelnen Personen. Kollektive Identität ist ein linkes Konzept. Rechts schaut immer vom Einzelnen her. Natürlich kann sich ein Einzelnes auch mit anderen vereinen, oder überhaupt einen Bezug zu anderen Einzelnen und Teilen herstellen. Das ist sogar wahrscheinlich. Man schöpft aber eben nicht aus einem Kollektivmythos (Volk, Gesellschaft, Klasse, Rasse etc.) wie die Linken. Die Quelle ist der einzigartige Einzelne, man selbst.
So gesehen gibt es sehr wenige Rechte. Kuehnelt-Leddihn war vielleicht in diesem Sinne ein Rechter. Oder jemand wie Ernst Jünger.
Irgendwie hab' ich schon nach einigen Zeilen dieses Beitrags geahnt, dass der Name Ernst Jünger fallen wird ...
Ich habe aber einen Einwand: "Rechts" steht nicht einfach irgendwie für "Unterschiede" sondern für gesellschaftlich vertikale Unterschiede. Für ein hier oben und ein dort unten. Ein politisches Konzept, dass sozusagen horizontale Unterschiede nicht negieren sondern sogar betonen will, würde ich eher als Liberalismus ansehen. (Wie im entsprechenden Wikipedia-Eintrag vermerkt) "neben Konservatismus" (eher rechts) und Sozialismus (eher links) die dritte der drei großen politischen Strömungen, die im 17. und 18. Jahrhundert entstanden sind. Und so gesehen eigentlich nicht direkt ins links-rechts-Schema einzuordnen. Rechts schaut nicht nur "vom einzelnen" sondern vor allem auch "von oben" her. Jüngers wohl bekanntestes Buch "In Stahlgewittern" trägt nicht umsonst den Nebentitel "Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers". Botho Strauß könnte man ja auch als herausragendes Beispiel für einen rechtskonservativen Intellektuellen nennen. Und seine Ansichten sind ebenfalls nicht einfach von einem Pro für geistige Vielfalt und Kontra Kollektivismus sondern einem ausgesprochenen geistigen Elitarismus geprägt. Er spricht ganz explizit von der Notwendigkeit der Heausbiildung "einer nationalen Elite".
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Und damit noch einmal zurück zum Kernthema und auch hier möchte ich einen Schriftsteller zitieren (György Konrád im Interview mit der SZ):
Konrád: Die stärkste Kraft der Jobbik besteht in den Studenten. Natürlich gibt es bei der Jobbik viele Wirrköpfe. Aber mir erzählen Professoren von Studenten, die so artikuliert sprachen, dass man sie der Mitte oder der Linken hätte zuordnen können. Aber nein, es waren Jobbik-Sympathisanten. Hier beginnt etwas Neues. Kann sein, dass diese extreme Rechte eine intellektuelle Elite haben wird - anders als damals die Pfeilkreuzler. Diese jungen Leute sind informiert und mit Computern vertraut, im Gegensatz zu den Fidesz-Leuten. Viktor Orbán kann nicht mal mit dem PC umgehen.
http://www.sueddeutsche.de/politik/unga ... en-1.24896
(Die "Pfeilkreuzler" waren eine Mischung aus faschistischer Kampfgruppe und Partei in Ungarn).

Anders als in den Beiträgen zur Frage rechts/links gehts hier gar nicht so sehr um politische Philosophie sondern offenbar eher um einen soziologischen Millieuwandel. Um die Frage: Woher kommen eigentlich die Sympathisanten der neuen rechten Parteien in Europa?
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Woppadaq
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Apr 2018, 10:47)

Die "Wurzeln des (europäischen) Nationalismus" liegen in den Bewegungen der Epoche von der französischen Revolution 1789 und dem Jakobinismus über den Vormärz bis hin und vor allem zu den Ereignissen 1848/49. Das was man allgemein so als "Völkerfrühling" bezeichnet. Als Beispiel dafür, dass diese Wurzeln des Nationalismus sich weder eindeutig links noch eindeutig rechts verorten lassen, nenne ich nur mal den Namen Ernst-Moritz Arndt. Ganz klar ein Völkerfrühlings-Patriot und Kämpfer gegen Napoleons Vorherrschaft und auf der anderen Seite ein extremer Reaktionär, Antisemit und völkisch gesinnter Franzosenhasser. So einfach geht das nicht.
Ach Mensch, Schoko, wenn ich dir eins zugute halten muss, dann dass ich bei deinen Beiträgen richtig zu tun habe und immer erst mal nachdenken muss, bevor ich was schreibe. Ich bin zwar nicht immer deiner Meinung, aber ich nehm dir als so ziemlich einzigen hier ab, dass du keine Agenda hast.

Zur-Rechts-Links-Verortung des Nationalismus: den Begriff Links und Rechts gab es lange vor Marx, es gab ihn im Prinzip sogar schon vor 1789, die französische Generalversammlung hatte sich ja ihr Sitzschema vom britischen Unterhaus abgeguckt, wo die Regierungspartei rechts und die Opposition links vom Sprecher sass. Aber diese Generalversammlung hat diese Sitzordnungen erst zu Richtungen gemacht, denn rechts sassen die Befürworter eines absoluten Vetorechts für den französischen König, die Aristokraten, während die linke Seite für eine zeitlich begrenzte Monarchie (also quasi ein Präsidentschaftssystem) eintrat. Diese Linken, die für sich in Anspruch nahm, den Volkswillen zu stärken, nannten sich selbst "Patrioten". Der von ihnen propagierte Nationalismus war also ein Kontrapunkt gegen die absolute Monarchie. Diese damalige Aufteilung - links die eher kollektivistische, progressive, antielitäre, demokratische Strömung, rechts die eher konservative, um nicht zu sagen retroaktive, elitäre, zu Authoritäten neigende, in ihren Extremen im Grunde egoistische Strömung - hat sich in ihrer Bedeutung im Grunde bis heute gehalten.

Der Nationalismus selbst ist in meinen Augen, genau so wie der Fundamentalismus, ein eher administrativer Faktor, also etwas, was erst durch die Ideologie die ihm entsprechende, spezielle Form annimmt. Der Nationalismus eines Napoleon, der überall in Europa die bestehenden aristokratischen Strukturen abschaffen und durch seinen code civil ersetzen wollte, war ein anderer (eher linker) Nationalismus als der von Ernst-Moritz Arndt, der zwar viel weiter rechts steht, aber nicht eindeutig rechts ist. Beide Nationalismen spiegeln die Gedanken und Haltungen ihrer Nation wieder, und da eine Nation nie eindeutig links oder rechts ist, ist auch der Nationalismus selbst nie eine eindeutige Angelegenheit. Es sei denn, er wird explizit einer Ideologie unterworfen, so wie das beim Nationalsozialismus der Fall war.
In der Marxschen Auffassung wird der Begriff der "Nation" weitgehend aus der ökonomischen Perspektive heraus gefasst. Und da vor allem aus der Perspektive sozialer Klassen. Der Arbeiter "habe kein Vaterland" ist eine der bekanntesten Thesen diesbzüglich aus dem Kommunistischen Manifest.
Der Kosmopolitanismus der Kommunisten war zur damaligen Zeit vollkommen richtig, schliesslich ging es darum, dass sich Nationen zur Stärkung ihrer Wirtschaft nicht gegenseitig einen Wettlauf in Billiglöhnen und sozialen Einschnitten liefern. In diesem Sinne war Marx anti-nationalistisch, und die marxistische Linke ( da zähl ich die SPD auch dazu ) wird wohl auch immer eher zum Kosmopolitanismus tendieren. Bliebe halt die Frage, inwiefern andere linke Strömungen das genauso tun. Wie links ist zum Beispiel China, die einen sehr starken Nationalismus haben?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

BlueMonday hat geschrieben:(03 Apr 2018, 13:27)

Was ist denn radikal rechts? Personalismus statt Kollektivismus bspw. "Rassismus" ist dabei ein durch und durch kollektivtistisches Konzept, das individuelle Unterschiede negiert und praktisch eine riesige plumpe Schublade aufschiebt.
Rechts sieht und betont hingegen die Differenz. Links droht der Egalitarismus, die Nivellierung, das Hinwegsehen und Verleugnen von Unterschieden. Auf radikal rechter Seite gibt es nichts Identisches und keine Identität abgesehen von einzelnen Personen. Kollektive Identität ist ein linkes Konzept. Rechts schaut immer vom Einzelnen her. Natürlich kann sich ein Einzelnes auch mit anderen vereinen, oder überhaupt einen Bezug zu anderen Einzelnen und Teilen herstellen. Das ist sogar wahrscheinlich. Man schöpft aber eben nicht aus einem Kollektivmythos (Volk, Gesellschaft, Klasse, Rasse etc.) wie die Linken. Die Quelle ist der einzigartige Einzelne, man selbst.
So gesehen gibt es sehr wenige Rechte. Kuehnelt-Leddihn war vielleicht in diesem Sinne ein Rechter. Oder jemand wie Ernst Jünger.
Ich glaube, du machst dir da was vor.

Was ich auch sehe, ist dass Rechts das Gegenteil von Kollektivismus ist, dass es die Differenz betont, und dass eine der radikalsten rechten Seiten nur die Identität von einzelnen Personen kennt. Du nennst das Personalismus, man kann es auch Ich-Ismus nennen. Bekannter ist aber das Wort Egoismus.

Die Sache mit dem Egoismus ist die, dass da am radikalsten Ende die einzelne Person steht, die alle anderen als Feind oder minderwertig betrachtet und bekämpft und nur sich selbst bevorzugt. Am radikalen linken, kollektivistischen Ende stehen Alle für Alle. Dazwischen schwankt die Grösse der Gruppierung, die das tut, sich danach ausrichtet, was der Egoist sonst für sich selbst tut. Und von der Mitte der Gesellschaft aus betrachtet, was entweder für Nation oder Mehrheit der Bevölkerung steht, da ist der Rassismus WEITAUS egoistischer als alles, was sich im linken Sprektrum befindet.

Ein Egoismus, der Eliten schaffen und das Individuelle betonen möchte, ist ein Egoismus, der von vielen durchaus oft positiv gesehen wird. Rassismus ist hingegen die Sorte Egoismus, die selbst der Mitte der Gesellschaft oft zu weit geht.
Der Linke/Gläubige hingegen glaubt an eine Macht über ihn, er ist ein Getriebener, Abhängiger, allenfalls rebelliert er gegen die Autorität, will sie entmachten, ersetzen, zerschlagen, alles einebnen und versteht dabei die eigentliche Quelle der Autorität nicht.
Das ist eine Art, den Linken (den es ebensowenig gibt wie den Rechten) zu sehen. Eine andere Art wäre die Erkenntnis, dass man nichts auf dieser Welt ganz allein schafft, dass man die Gesellschaft braucht - und die Gesellschaft einen braucht. Und dass irgendeiner führen muss. Der Egoist widerspricht dem allem nicht - es ist ihm bloss egal, weil er nur an sich denkt.
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von Woppadaq »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Apr 2018, 11:10)

Was mir ein ziemliches Rätsel ist und bleibt, ist der (eigentlich schon sehr lange dauernde) Aufstieg der Rechtsextremen in Skandinavien.
Inwiefern steigen die denn auf?
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Woppadaq hat geschrieben:(03 Apr 2018, 23:26)

Inwiefern steigen die denn auf?
Na. Nur mal drei Beispiele: Norwegen. Fremskrittspartiet. 2009 22,9 Prozent Stimmen bei Parlamentswahl. Das ist europaweit (!) der absolute Spitzenwert für Rechtspopulisten in jüngerer Zeit. Dänemark. Europaweit längste Tradition der Mitgliedschaft einer rechtspopulistischen Partei im Parlament. Erst Fremskridtspartiet (Frp) seit 1973, dann ab 95 Dansk Folkeparti (DF) sogar mit Regierungsbeteiligung. Finnland: Bekanntermaßen die "Wahren Finnen". Das sind natürlich alles Beispiele für eher sich "bürgerlich" gebende Rechtsaußenparteien.

Bei den Schwedendemokraten sieht das schon anders aus. Die stellen mit Björn Söder einen der Parlamentsvizepräsidenten und in dieser Rolle äußerte er kürzlich ebendort im Parlament Samen, Kurden und Juden könnten niemals "richtige Schweden" werden. Das geht sehr deutlich in Richtung Rassismus. Und die neue Ausgründung aus den ohnehin schon sehr rechten "Schwedendemokraten", die "Alternative für Schweden" sieht sich selbst nochmals einen Zacken rassistischer. Also ich weiß nicht ...
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Re: Die neue Rechte in Europa: Jünger, gebildeter, smarter, rassistischer, extremer.

Beitrag von schokoschendrezki »

Woppadaq hat geschrieben:(03 Apr 2018, 22:55)
Zur-Rechts-Links-Verortung des Nationalismus: den Begriff Links und Rechts gab es lange vor Marx, es gab ihn im Prinzip sogar schon vor 1789, die französische Generalversammlung hatte sich ja ihr Sitzschema vom britischen Unterhaus abgeguckt, wo die Regierungspartei rechts und die Opposition links vom Sprecher sass. Aber diese Generalversammlung hat diese Sitzordnungen erst zu Richtungen gemacht, denn rechts sassen die Befürworter eines absoluten Vetorechts für den französischen König, die Aristokraten, während die linke Seite für eine zeitlich begrenzte Monarchie (also quasi ein Präsidentschaftssystem) eintrat. Diese Linken, die für sich in Anspruch nahm, den Volkswillen zu stärken, nannten sich selbst "Patrioten". Der von ihnen propagierte Nationalismus war also ein Kontrapunkt gegen die absolute Monarchie. Diese damalige Aufteilung - links die eher kollektivistische, progressive, antielitäre, demokratische Strömung, rechts die eher konservative, um nicht zu sagen retroaktive, elitäre, zu Authoritäten neigende, in ihren Extremen im Grunde egoistische Strömung - hat sich in ihrer Bedeutung im Grunde bis heute gehalten.

Der Nationalismus selbst ist in meinen Augen, genau so wie der Fundamentalismus, ein eher administrativer Faktor, also etwas, was erst durch die Ideologie die ihm entsprechende, spezielle Form annimmt. Der Nationalismus eines Napoleon, der überall in Europa die bestehenden aristokratischen Strukturen abschaffen und durch seinen code civil ersetzen wollte, war ein anderer (eher linker) Nationalismus als der von Ernst-Moritz Arndt, der zwar viel weiter rechts steht, aber nicht eindeutig rechts ist. Beide Nationalismen spiegeln die Gedanken und Haltungen ihrer Nation wieder, und da eine Nation nie eindeutig links oder rechts ist, ist auch der Nationalismus selbst nie eine eindeutige Angelegenheit. Es sei denn, er wird explizit einer Ideologie unterworfen, so wie das beim Nationalsozialismus der Fall war.
Gut. Es bleibt aber dennoch als Quintessenz, dass diese Fokussierung auf die Nation (egal ob von rechts oder links) ihren Höhepunkt Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatte. Und erst dann diese Zusammenfügung von Staat und Nation sich als politische Richtung etablierte. Auch wenn der Begriff selbst viel älter ist.
Der Kosmopolitanismus der Kommunisten war zur damaligen Zeit vollkommen richtig, schliesslich ging es darum, dass sich Nationen zur Stärkung ihrer Wirtschaft nicht gegenseitig einen Wettlauf in Billiglöhnen und sozialen Einschnitten liefern. In diesem Sinne war Marx anti-nationalistisch, und die marxistische Linke ( da zähl ich die SPD auch dazu ) wird wohl auch immer eher zum Kosmopolitanismus tendieren. Bliebe halt die Frage, inwiefern andere linke Strömungen das genauso tun. Wie links ist zum Beispiel China, die einen sehr starken Nationalismus haben?
Der chinesische Nationalismus der dortigen KP wäre sicher einen eigenen Thread wert.

Wenn ich es hier nochmal auf den Kern bringen darf (also "neue Rechte in Europa", aktuelle Entwicklungen). Offener Rassismus wird eher durch verschiedene Auslegungen des "Kultur"-Begriffs ersetzt. Es findet allgemein eine Art von Kulturalisierung, Kulturalismus statt. Begleitet häufig von einem starken Geschichtsbezug. Für die Neuen Rechten in Ungarn ist der aus ihrer Sicht verheerende Vertrag von Trianon 1920 absolut essenziell. Für die serbischen Neuen Rechten die Schlacht af dem Amselfeld vor zig hundert Jahren. Nur als Beispiele. Solche Standpunkte sind ohne einen gewissen formalen Bildungsgrad gar nicht zu haben. Mir gehts wirklich um das Verstehen der Veränderungen der sozialen Milleus, in denen rechtes Gedankengut heute entsteht und gepflegt wird. Weniger um Ideologie oder Rechts-Links-Einordnung.

Ich würd'in dem Zusammenhang auch gern mal wissen, ob und wenn ja in welchem Maße es einen neuen Zulauf bei studentischen Verbindungen gibt.
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