Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovakei)

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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:10)

Und dennoch sind es aber Handelsketten. Das Problem, so wie ich es verstehe, ist, dass wir von einem "deutschen Autobauer" reden wenn wir ein eigentlich längst "internationales Unternehmen" meinen. Und uns damit sozusagen alte Geschichten wiedererzählen, statt zu schauen, was tatsächlich läuft. Auch wenn in vielen Fällen der Hauptstammsitz eines solchen Unternehmens sich in Deutschland befindet. "Nearshoring" heißt speziell das Konzept der Verlagerung von Dienstleistungen, Produktion, Entwicklung in den Nahbereich. Und in Europa heißt Nearshoring in aller Regel "Nach Osteuropa". Und bei den IT-Dienstlsieistungen oder SW-Entwicklung ist das ganze vielleicht noch relevanter als in der Automobilbranche. Und ein nicht unwesentlicher Punkt bei diesem Nearshoring innerhalb der EU besteht darin, dass benötigte Infrastukruktur, Verkehrsinfrastruktur insbesondere quasi frei Haus durch EU-Zahlungen getätigt wird, die der Allgemeinheit dann als aussschließliche Zuwendungen an die Staaten allein erscheint.

Ich wüsste auch keinen Grund, grundsätzlich an den im Manager-Magazin vorgelegten Zahlen zu zweifeln. Die Zeitschrift steht nicht gerade im Verdacht, ideologisch ausgerichtet zu sein. Der verwiesene Blogeintrag des französischen Ökonomen Piketty bei LeMonde weist gleich in der ersten Grafik klar das aus, was die Artikelüberschrift zusammenfasst: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind: http://piketty.blog.lemonde.fr/2018/01/ ... of-europe/

Worin ich Ihnen zustimme ist diese Anschubfrage. Nur wird die mit jedem Jahr irrelevanter.
Nein, die nackten Zahlen bezweifele ich gar nicht; nur wollte ich auf ganz andere Werte hinweisen, ohne die diese nackten Zahlen gar nicht entständen. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Eine erfolgreiche Geschäftsidee etwa erzeugt Gewinne, die Apple in 30 Jahren zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Unsere Autobauer und Betriebe der Elektrotechnik und des Maschinenbaus sind deutlich älter, ihre Technik vermutlich ausgereizt. Aber sie sind kapitalstark oder höchst kreditwürdig.

Der Anschub im Osten wäre gar nicht denkbar ohne diese Produkte und mögliche Investitionen. Auch ein frei laufender Betrieb ist kaum vorstellbar unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen. So entsteht aus bescheidenen Anfängen ein ertragreiches Tochterunternehmen, das aber kaum als selbständiges Unternehmen bestehen würde. Dann müßte eine besonders klevere Führungskraft sich aus eigenen Stücken mit einem in der Art einzigartigen Produkt hervor tun und sich damit "outsourcen". Das ist auch nicht besonders ungewöhnlich, aber doch selten. Dann müßte es schon ziemlichen Ärger mit der Unternehmensführung geben.

Sie haben natürlich Recht: Da entstehen Weltunternehmen, wahrlich weltumspannend. Und wir tun so, als ob das "deutsche" Unternehmen sind. Die Ursprünge sind deutsch, oder US-amerikanisch, oder französisch, und entsprechend sympathisch sind uns diese erfolgreichen Unternehmen. Die Unternehmen werden international an der Börse gehandelt, entsprechend gestreut ist das Eigentum an diesen Unternehmen.

Aber, um zum Thema zurück zu finden: Wenn es politisch so richtig Ärger gibt, etwa bei schwindender Rechtssicherheit (Polen, Ungarn, Rumänien), dann kann die Bundesregierung Bürgschaften zurück ziehen und diese Unternehmen die Risiken allein tragen lassen. Und dann geht das alles sehr schnell... wie man am Beispiel Türkei erkennen kann. Eben noch auf stolzen Rossen...
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:34)

Nein, die nackten Zahlen bezweifele ich gar nicht; nur wollte ich auf ganz andere Werte hinweisen, ohne die diese nackten Zahlen gar nicht entständen. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Eine erfolgreiche Geschäftsidee etwa erzeugt Gewinne, die Apple in 30 Jahren zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Unsere Autobauer und Betriebe der Elektrotechnik und des Maschinenbaus sind deutlich älter, ihre Technik vermutlich ausgereizt. Aber sie sind kapitalstark oder höchst kreditwürdig.

Der Anschub im Osten wäre gar nicht denkbar ohne diese Produkte und mögliche Investitionen. Auch ein frei laufender Betrieb ist kaum vorstellbar unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen. So entsteht aus bescheidenen Anfängen ein ertragreiches Tochterunternehmen, das aber kaum als selbständiges Unternehmen bestehen würde. Dann müßte eine besonders klevere Führungskraft sich aus eigenen Stücken mit einem in der Art einzigartigen Produkt hervor tun und sich damit "outsourcen". Das ist auch nicht besonders ungewöhnlich, aber doch selten. Dann müßte es schon ziemlichen Ärger mit der Unternehmensführung geben.

Sie haben natürlich Recht: Da entstehen Weltunternehmen, wahrlich weltumspannend. Und wir tun so, als ob das "deutsche" Unternehmen sind. Die Ursprünge sind deutsch, oder US-amerikanisch, oder französisch, und entsprechend sympathisch sind uns diese erfolgreichen Unternehmen. Die Unternehmen werden international an der Börse gehandelt, entsprechend gestreut ist das Eigentum an diesen Unternehmen.

Aber, um zum Thema zurück zu finden: Wenn es politisch so richtig Ärger gibt, etwa bei schwindender Rechtssicherheit (Polen, Ungarn, Rumänien), dann kann die Bundesregierung Bürgschaften zurück ziehen und diese Unternehmen die Risiken allein tragen lassen. Und dann geht das alles sehr schnell... wie man am Beispiel Türkei erkennen kann. Eben noch auf stolzen Rossen...
Es hängt wie gesagt davon ab, ob man - wie in den polnischen SWZs einfach Produktionsstätten samt Personal vermietet, mal vereinfacht gesagt, oder ob man wirtschaftlich mehr oder weniger eigenständige Unternehmen wie VW/Skoda, Renault/Dacia oder auch Audi/Hungaria mitsamt Entwicklungsabteilungen betreibt. Sollten tatsächlich neue Produktionslinien wie etwa Elektromobilität bei Audi Hungaria von Anfang an in Ungarn beginnen - und so scheint es auszusehen - kann man nicht mehr so einfach einen "Hahn abdrehen." Noch einmal anders sieht es bei IT-DIenstleistungen aus. Wer den Schaden hat, wenn ein großes IT-Support-Zentrum, das in Rumänien für Deutsche Kunden arbeitet, zugemacht, abgschnitten wird ... dürfte klar sein.

Der Widerspruch und das Problem liegt genau in den von Piketty vorgelegten Zahlen. Auf die eine oder andere Art und Weise ist die Diskrepanz für einen osteuropäischen SW-Entwickler oder Ingenieur zu spüren. Er weiß und merkt es nämlich persönlich ganz genau, dass aus seinem Land mehr Geld in die EU fließt als umgekehrt. Weil es heutzutage überhaupt kein Problem ist, herauszubekommen, was er mit seiner Qualifikation woanders bekäme.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Und die politische Entwicklung: Also Einschränkung von Rechtsfreieheit, Pressefreieheit und dergleichen: Die ist unter anderem deshalb so fatal, weil sie - wenn auch in anderer Form und Stärke - ja auch bei uns stattfindet. Ich sehe die Reihen derer bei uns, die sich für den Erhalt einer freien Presse und freier Medien einsetzen mehr und mehr schwinden und die Reihen derer, die "Lügenpresse" schreien mehr und mehr wachsen. Und diejenigen, die - ähnlich wie UNgarn in der neuen Verfassung - aus einer "Republik" eine expliiziit christlich-abendländische Nation machen wollen, sehe ich auch nicht gerade auf dem Rückzug. Von denen, die wie Orbán die Grenzen für Flüchtlinge zumachen wollen mal ganz zu schweigen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:56)
...

...Auf die eine oder andere Art und Weise ist die Diskrepanz für einen osteuropäischen SW-Entwickler oder Ingenieur zu spüren. Er weiß und merkt es nämlich persönlich ganz genau, dass aus seinem Land mehr Geld in die EU fließt als umgekehrt. Weil es heutzutage überhaupt kein Problem ist, herauszubekommen, was er mit seiner Qualifikation woanders bekäme.
Ja, das Gefühl kenne ich aus den 1960er Jahren. Damals suchten die USA weltweit Ingenieure, um das Rennen zum Mond zu gewinnen. Es gab Gehälter um 80.000 $, was damals etwa dem 4-fachen in Deutschland erzielbaren Gehalt entsprach. Dennoch sind keine Heerscharen in die USA aufgebrochen.

Als dann das Ziel erreicht war, klappten die USA dieses Buch zu, und hochqualifizierte Ingenieure fanden sich als Taxifahrer wieder, weil der Markt für diese teuren Leute zusammen gebrochen war. Das hat einige Jahre gedauert, bis die Dinge sich zurecht gerüttelt hatten. Damals habe ich das in EDN (Electronic Design News) einigermaßen aufmerksam verfolgt.

Niemand wird Ungarn und Rumänen daran hindern, in Deutschland ihren Traumberuf aus zu üben. Die EU macht's möglich.

Vermutlich haben viele verstanden, daß man in Deutschland deutsche Preise für Wohnung und allgemeinen Lebensunterhalt zu bezahlen hat. Dann sind die Vorteile schnell dahin, weit weg von Freunden und Familie.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Ich kann Orbiter1 nur beipflichten - das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier werden Privateinkünfte staatlichen Mittelflüssen gegenübergestellt. Kann man natürlich machen, um zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik anzusetzen. Dann müsste man aber auch in Deutschland und anderswo das Verhältnis zwischen Privat- und Staatsvermögen bzw. -einnahmen und -gewinnen betrachten und kritisieren (wird ja auch gern getan). Das hat mit der Frage, wer einen EU-Austritt mehr zu fürchten habe, eher wenig zu tun.

Was würde denn passieren, wenn die EU ihre Zuwendungen stoppen würde und wenn Konzerne wie VW weniger in Ungarn oder Polen investieren würden. Dann gäbe es in diesen Ländern, über die entfallenden Zuwendungen hinaus, weniger Arbeitsplätze, Lohnzahlungen und Steuereinnahmen. Ein klarer Nachteil.

Was hat Deutschland weniger? Weniger Privateinkünfte, ok. Aber nicht notwendigerweise weniger Steuereinnahmen. Die Versteuerung der Umsätze und Gewinne findet ja zu wesentlichen Teilen in den Ländern statt, über die wir hier reden (was übrigens, neben den bereits angesprochenen Investitionen, bei dem zitierten Vergleich völlig unter den Tisch fällt). Auch nicht weniger Arbeitsplätze - vielleicht sogar mehr, da eine Rückverlagerung stattfinden könnte. Deutschland <> VW, wie ich schon mal schrieb. Im Übrigen ist ja nicht gesagt, dass das dortige Engagement der genannten Großkonzerne mit einem EU-Austritt dieser Länder enden würde.

Dieselbe Diskussion gibt es übrigens ja auch regelmäßig, wenn es um Entwicklungsländer in Afrika oder anderswo geht. Dann wird immer gern kritisiert, dass ausländische Konzerne dort Geld verdienen. Aber warum zum Teufel denn nicht, wenn es der dortigen Bevölkerung unterm Strich ebenfalls nützt?

Der einzige Punkt, wo ich dir Recht gebe: Wenn man das alles als einen großen politischen Deal betrachtet, ist es sicher so, dass in einem solchen Szenario die genannten Großkonzerne Druck auf die Bundesregierung und die EU auszuüben versuchen würden, und ggfs den hiesigen Regierungen andere Vorteile anbieten würden im Gegenzug dafür, dass sie weiter so günstig wie bisher in den östlichen EU-Staaten investieren und produzieren können. Aber diese Informationen dürften nicht so einfach zu recherchieren sein.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(11 Oct 2018, 18:48)

Ich kann Orbiter1 nur beipflichten - das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier werden Privateinkünfte staatlichen Mittelflüssen gegenübergestellt. Kann man natürlich machen, um zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik anzusetzen. Dann müsste man aber auch in Deutschland und anderswo das Verhältnis zwischen Privat- und Staatsvermögen bzw. -einnahmen und -gewinnen betrachten und kritisieren (wird ja auch gern getan). Das hat mit der Frage, wer einen EU-Austritt mehr zu fürchten habe, eher wenig zu tun.

Was würde denn passieren, wenn die EU ihre Zuwendungen stoppen würde und wenn Konzerne wie VW weniger in Ungarn oder Polen investieren würden.
Sie investieren aber eben nicht mehr sondern transferieren Gewinne. Der wesentliche Punkt ist, dass diese internationalen Unternehmen zwar einvernehmlich und nach wie vor "Investoren" genannt werden ... Eine Firma wie Audi Hungaria ist aber einfach ein Unternehmen, das in UNgarn Motoren und Automobile unter dem Namen "Audi" entwickelt, Gewinne abwirft, ab 2019 das neue Modell Audi Q4 vollständig in Ungarn produziert und weiterentwickelt und natürlich selbst, aus den eigenen durch Produktion und Entwicklung in UNgarn erzielten Umsätzen investiert. Es gibt keinen Kassenwart in Ingolstadt, der irgendwleche Transfers genehmigt. Diese grundlegenden Umwälzungen in der globalisierten Wirtschaft sind irgendwie immer noch nicht angekommen, "Deutscher Autoibauer" ... das ist einfach ein Marketing-Konzept, eine PR-Geschichte. Die Unternehmen intern sind da längst weiter.

Und politisch gesehen und da ich von ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung ein Gegner der Orbán-Politik bin, will ich in der Diskussion so effektiv wie als Einzelperson irgendwie möglich dazu beitragen, dass es mobilisierbare Gegenkräfte gibt, Und aus dieser Verantwortlichkeit heraus sage ich: Es nützt nix, zu denken, man könnte irgendeinen finanziellen Hebel ansetzen. Länder wie Ungarn irgendwie auf die Art in die Zange zu nehmen. Weil wir, die Westmitteleuropäer die tatsächlichen Profiteure der EU-Osterweiterung sind.

Ich hatte die Parallele Westeuropa/Osteuropa und USA/Mexiko genannt. Mexiko ist inzwischen der 7-größte Automobilbauer der Welt und dreiviertel der Produktion geht in die USA. Und auch in Mexiko spielt VW die Hauptgeige. Diese Verhältnisse sollen jetzt von der Trump-Regierung vollständig revidiert werden. Und Ökonomen sind sich sicher: Verlierer werden am Ende die USA selbst sein.

Die Grundidee grundsätzlich offener Gesellschaften. Dass dies denMenschen nützt und nicht schadet. WIrtschaftlich, kulturell, politisch muss befördert werden. IN westeuropa wie auch in Osteuropa.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(11 Oct 2018, 18:48)
Dieselbe Diskussion gibt es übrigens ja auch regelmäßig, wenn es um Entwicklungsländer in Afrika oder anderswo geht. Dann wird immer gern kritisiert, dass ausländische Konzerne dort Geld verdienen. Aber warum zum Teufel denn nicht, wenn es der dortigen Bevölkerung unterm Strich ebenfalls nützt?
Da bin ich völlig bei dir. Ich weiß ganz genau, dass ein generelles Kaufboykott von Textilien aus Bangla Desh vor allem eines zu Folge haben wird: Dass die, die jetzt in den Textilienfabriken für KiK & Co für einen beschämend niedrigen Lohn arbeiten, wieder in das Hungerelend der 60-er bis 80-er zurückfallen werden, Heißt ja nicht, dass man die dortigen Praktiken nicht dennoch kritisieren sollte.

Der Fall Osteuropa sieht jedoch grundsätzlich anders aus. Hier "lässt man" nicht einfach produzieren und entwickeln sond hier "wird" produziert und entwickelt.

Als politisch denkender Mensch hat man doch irgendwann das Bedürfnis, sich einen Reim darauf zu machen, dass ein Viktor Orbán in der EU nicht einen Zentimeter zurückweicht, absolut selbstbewusst und mit diesem typischen arroganten Grinsen von Leuten auftritt, die ganz genau wissen, dass sie vielleicht nicht am längeren aber jedenfalls ganz gewiss nicht am kürzeren Hebel sitzen. Einer der Gründe sind diese wirtschaftlichen Gegebenheiten und Zahlenverhältnisse wie sie oben angebeben wurden.

Journalisten, Künstler und Intellektuelle in Ungarn regen sich zurecht darüber auf, dass da jemand mit dem geistig-kulturellen Horizont eines 10jährigen Buben das Land regiert. Aber sie verstehen einfach nicht, dass dieser Bub, der vormittags künstlerisch wertvolle Gemälde im Budapester Parlament entfernen und durch grauenhaftes nationalistisches Zeug ersetzen lässt, sich am nachmittag mit Industrievertretern aus Westeuropa trifft und per Du und souverän die Ansiedlung eines weiteren großen Forschungs- und Entwicklungszentrums einfädelt. Und am nächsten Tag mit Putin per Telefon die Modernisierung des einen ungarischen Atomkraftwerks. Vielleicht liegts ja daran, dass aktuell mit Putin, Orbán, Trump, Erdogan oder Söder überall in der internationalen Politik kluge, kommunikative, geschickte Leute mit dem geistig-kulturellen Horizont 10-jähriger Buben das Sagen haben. Wo man hinschaut gemeine, egoistische kleine Jungs und Massen von Leuten, die ihnen begeistert zujubeln.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Oct 2018, 09:58)

Sie investieren aber eben nicht mehr sondern transferieren Gewinne.
Woraus soll hervorgehen, dass sie nicht mehr investieren? Investitionsgüter, gerade Anlagen zum Automobilbau, sind nicht, einmal gebaut, für alle Zeiten fertig und können sich 30 Jahre amortisieren. Da gibt es ständigen Reinvestitionsbedarf. Gerade in der heutigen Zeit vor dem Hintergund immer weiter fortschreitender Automatisierung.
Der wesentliche Punkt ist, dass diese internationalen Unternehmen zwar einvernehmlich und nach wie vor "Investoren" genannt werden ... Eine Firma wie Audi Hungaria ist aber einfach ein Unternehmen, das in UNgarn Motoren und Automobile unter dem Namen "Audi" entwickelt, Gewinne abwirft, ab 2019 das neue Modell Audi Q4 vollständig in Ungarn produziert und weiterentwickelt und natürlich selbst, aus den eigenen durch Produktion und Entwicklung in UNgarn erzielten Umsätzen investiert. Es gibt keinen Kassenwart in Ingolstadt, der irgendwleche Transfers genehmigt. Diese grundlegenden Umwälzungen in der globalisierten Wirtschaft sind irgendwie immer noch nicht angekommen, "Deutscher Autoibauer" ... das ist einfach ein Marketing-Konzept, eine PR-Geschichte. Die Unternehmen intern sind da längst weiter.
Da sind wir uns dann ja einig. VW <> Deutschland. Und Audi Hungaria, oder die Mercedes-Benz Polen GmbH, schon gar nicht.
Und politisch gesehen und da ich von ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung ein Gegner der Orbán-Politik bin, will ich in der Diskussion so effektiv wie als Einzelperson irgendwie möglich dazu beitragen, dass es mobilisierbare Gegenkräfte gibt, Und aus dieser Verantwortlichkeit heraus sage ich: Es nützt nix, zu denken, man könnte irgendeinen finanziellen Hebel ansetzen. Länder wie Ungarn irgendwie auf die Art in die Zange zu nehmen. Weil wir, die Westmitteleuropäer die tatsächlichen Profiteure der EU-Osterweiterung sind.
Dieses "wir" ist in dieser Allgemeinheit immer noch nicht plausibel belegt. Vielleicht gilt die Aussage für einige Eigentümer / Aktionäre der genannten, global tätigen Konzerne. Aber damit noch nicht für dich und mich und die westmitteleuropäischen Staaten und Gesellschaften insgesamt. Diesen Effekt sehe ich einfach nicht.

Orbán könnte ja deutlich machen, dass ihm die EU-Zuwendungen relativ egal seien - würde doch gut zu seinem sonstigen Auftreten passen. Das tut er aber mitnichten, im Gegenteil.
Die EU-Kommission will den Haushalt deutlich aufstocken und Förderungen kürzen. Ungarn und Polen kündigen daraufhin massiven Widerstand an.[...]„Dieser Haushalt muss einstimmig beschlossen werden“[...]„so lange die Ungarn nicht sagen: "Geht in Ordnung", gibt es keinen Haushalt“[...]
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Oct 2018, 10:22)
Back to topic heißt für mich vor allem back to the Frage, warum es vor der unrealisierbaren Atombombe EU-Rauswurf des Landes definitv keinen realisierbaren EVP-Rauswurf der Orbán-Partei gibt.
... letzteres wurde unlängst von Juncker gefordert. Und wer sprach dagegen?

http://m.spiegel.de/politik/ausland/seb ... 33134.html

Das ist eben Orbans wahres Pfund: Der Rechtsruck in fast allen mittel- und westeuropäischen Parlamenten. Seine Kritiker sind mittlerweile politisch viel zu schwach auf der Brust.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Brainiac hat geschrieben:(14 Oct 2018, 10:27)

... letzteres wurde unlängst von Juncker gefordert. Und wer sprach dagegen?

http://m.spiegel.de/politik/ausland/seb ... 33134.html

Das ist eben Orbans wahres Pfund: Der Rechtsruck in fast allen mittel- und westeuropäischen Parlamenten. Seine Kritiker sind mittlerweile politisch viel zu schwach auf der Brust.
Vor dem Rausschmiß (Entzug des Stimmrechts) kommen sicher noch viele Schritte in Betracht. Der erste davon wäre das Drehen an den Zuwendungen an unliebsame Partner nach einem entsprechenden Urteil des EuGH.

Das nächste Mittel wäre ein Schneiden bei EU-Zusammenkünften, oder sogar das Treffen im "kleinen Kreis", wo gemeinsame Lösungen besprochen werden, an denen diese Kameraden ohnehin nur empfangend beteiligt sind.

Wenn die EU der Willigen selbst das nicht auf die Reihe bringt, dann kann sie sich beerdigen lassen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(12 Oct 2018, 16:43)
Dieses "wir" ist in dieser Allgemeinheit immer noch nicht plausibel belegt. Vielleicht gilt die Aussage für einige Eigentümer / Aktionäre der genannten, global tätigen Konzerne. Aber damit noch nicht für dich und mich und die westmitteleuropäischen Staaten und Gesellschaften insgesamt. Diesen Effekt sehe ich einfach nicht.

Orbán könnte ja deutlich machen, dass ihm die EU-Zuwendungen relativ egal seien - würde doch gut zu seinem sonstigen Auftreten passen. Das tut er aber mitnichten, im Gegenteil.
Er hat kein "Bild" von sich sondern ist ein hochgebildeter raffinierter gemeiner kleiner Junge, der Oppositionelle verfolgt, den Rechtstaat schreddert, die Pressefreiheit einschränkt und in perfektem Englisch mit westlichen Industrievertretern Ansiedlungsdeals aushandelt. "Passen" würde irgendeine Art von Authentizität voraussetzen. Davon kann aber überhaupt keine Rede sein. Jüngst in "Europa heute" wurde ein oppositioneller ungarischer EU-Parlamentarier sinngemäß zitiert: "Die Flüchtlings- und Migrationspolitik ist Orbán an sich völlig gleichgültig. Er nutzt sie als Machterhaltungsinstrument".

(Und, auch wenn das nicht hierher gehört: Nun scheint sich mit Jair Bolsonaro ein noch viel gemeinerer großer kleiner Junge in einem noch viel viel viel größerem Staat durchzusetzen, der noch nicht mal das, formal gebildet, ist. Da kann man wirklich zum Misanthropen werden, wenn einem am Menschen irgendwas liegt...)

Diskussionsmäßig scheint mir das Problem klar zu sein: Die Erzählung von der vermuteten ökonomisch-finanziellen Profitierung Ostmitteleuropas von einer EU-Mitgliedschaft passt einfach zu der völlig zutreffenden Feststellung eines Demokratieabbaus. Und dann befördert sie auch noch das positive Selbstbild vom "Zahlmeister". Es ist anstrengend, hier eine differenzierte Sicht einzunehmen. Und es erfordert Distanz und nicht Zugehörigkeitsreflex.

Natürlich auch Objektivität und nüchterne Rechnerei. Grad' hörte ich einen zusammenfassenden Bericht über die extremen Auswüchse von Steuervermeidungsmodellen großer Unternehmen und die Rolle der EU und der EU-Länder dabei. Es ist ein scheinbar aussichtsloser Kampf von David gegen Goliath. Apple oder Facebook oder IKEA zahlen effektiv Steuern im Promillebereich mit einem Firmensitz in Irland oder der Niederlande. Das ist auch kein Kavaliersdelikt sondern Schwarzfahren. Sie nutzen durchaus staatlich oder gruppenstaatlich bereitgestellte Leistungen: Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen. Die andere, kleinere Bezahlen. Aber Apple, ist das nicht die Firma, die jährlich coole neue Produkte herausbringt. Oder IKEA nicht die Firma, zu derenNiederlassungen man Samstag vormittags mit den Kindern zum Vergnügen hinfährt? Das sollen Verbrecherclans sein? Das wollen wir nicht hören! iDie parasitären Osteuropäer, die auch noch Demokratieabbau betreiben sinds und nicht solche angesagten coolen Unternehmen. Und so schraubt sich eine Erzählungsspirale hoch, die alles unabhängig von den tatsächlichen Realitäten in sich verfestigende Schemas einordnet.


Nun nur mal noch zu den Zahlendimensionen. Eine der Topmeldungen heute lautete, dass Audi grad zu ca. 800 000 Millionen Euro Strafzahlungen verpflichtet wurde, Dies wird im allgemeinen als Portokassenbeitrag (im Vergleich) gewertet. Von 1998 bis 2013 investierte Audi in den Standort Györ/UNgarn ca. 5,7 Milliarden Euro. Also das ca. 7-fache eines aktuellen "Bußgelds". 2016 wiederum wurden so gut wie alle Motoren von audi-Fahrzeugen in Györ hergestellt. (und zunehmend auch entwickelt). Kannst du aus diesen drei Angaben rekonstruieren, wie das Verhältnis zwischen Investitionen und Gewinntransfers eigentlich ist?

Die Quelle für solche Angaben ist wikipedia und wie sonst auch gibts an der Seriösität bei solchen nüchternen unbewerteten Zahlenangaben auch kaum Zweifel. https://de.wikipedia.org/wiki/Audi_Hungaria
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Wenn der ungarische Ausflug in die Unbotmäßigkeit gegenüber dem Regelwerk der EU eine reine Angelegenheit Orbans sein sollte, dann muß die EU ein Vorgehen erfinden, das Orban von seinen Mitbürgern trennt.

Er benutzt doch aber die Grundstimmung, einem uralten Volk an zu gehören, das sich immer schon gegen mächtige Nachbarn wehren mußte. Die EU als bedrohlicher Nachbar also. Dann sollte die EU dieses Volk frei lassen.

Gleiches sehe ich auch in Polen in Vorbereitung. Zum allgemeinen Spott in Rzeczpospolita wollte da ein Minister darauf hin arbeiten, Supermarktketten wie LIDL oder INTERMARCHÉ zu nationalisieren.

Ein Krakauer Professor hat in einem recht länglichen Pressegespräch mit Rzeczpospolita fest gestellt, daß die Osterweiterung der EU in den Visegradstaaten die Erwartung geweckt hätte, gesichert in die Freiheit von Nationalstaaten hinüber zu wechseln... und daß diese Gesellschaften nun baß überrascht sind, daß der Westen sich in der Zeit der sozialistischen Gefangenschaft weiter entwickelt hat... wo also der christliche Nationalstaat gar keine Rolle mehr spielt, wo sich eine offene und an wirtschaftlich-politische Internationalität mit immer mehr Europa arbeitende Gemeinschaft gebildet hat. Ohne Häme: Unter maßgeblicher Führung Deutschlands, das sich genau diesem westlichen Stil erfolgreich angepaßt hatte.

Leuchtet irgendwie ein: Unsere Wirtschaft schlägt schon in der EU den Takt, ohne deshalb als nationale Wirtschaft gleichgerichtet auf zu trumpfen. Tja, wo andere noch von Nationalisierung träumen...

Der Osten wird sich in diese neue Gesellschaft einfügen müssen oder er muß seinen eigenen Weg außerhalb der Gemeinschaft gehen... war die Schlußbemerkung des Professors. Aus meiner Sicht hat er das Problem seines Landes mit der EU hellsichtig erkannt!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:18)

Wenn der ungarische Ausflug in die Unbotmäßigkeit gegenüber dem Regelwerk der EU eine reine Angelegenheit Orbans sein sollte, dann muß die EU ein Vorgehen erfinden, das Orban von seinen Mitbürgern trennt.
Er benutzt doch aber die Grundstimmung, einem uralten Volk an zu gehören, das sich immer schon gegen mächtige Nachbarn wehren mußte. Die EU als bedrohlicher Nachbar also. Dann sollte die EU dieses Volk frei lassen.
Das ist ein ganz grundsätzlicher Irrtum und ein fundamentales MIssverständnis. Die Eu muss ein Vorgehen finden, das die ungarischen Bürger vor den Unbotmäßigkeiten der eigenen ungarischen Regierung schützt. Selbst die Bürger, die diese Regierung selbst gewählt haben. Wenn die EU nicht nur einem "Regelwerk" sondern einem demokratischen, aufklärerischem, humanitärem Geist entsprechen will. Und nicht nur einfach den Interessen einer Staatengruppe, die sich als irgendwie "zentrale Achse" sieht.

Die Annahme einer solchen "Grundstimmung" ist die Stigmatisierung und engültige Entsolidarisierung mit denen, die eigentlich von dieser Entdemokratisierung betroffen sind. Oppositionelle, Künstler, Literaten, einfach libereale Bürger, offene pluarlistische Menschen ... was sollen die nun sagen: Herzlichen Dank für die völkische Subsummierung?
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schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:39)

Das ist ein ganz grundsätzlicher Irrtum und ein fundamentales MIssverständnis. Die Eu muss ein Vorgehen finden, das die ungarischen Bürger vor den Unbotmäßigkeiten der eigenen ungarischen Regierung schützt. Selbst die Bürger, die diese Regierung selbst gewählt haben. Wenn die EU nicht nur einem "Regelwerk" sondern einem demokratischen, aufklärerischem, humanitärem Geist entsprechen will. Und nicht nur einfach den Interessen einer Staatengruppe, die sich als irgendwie "zentrale Achse" sieht.
Das ist doch aber kein Fall für Politik, sondern ein Fall für die Ärzte. Ihre Appelle an "einen demokratischen, aufklärerischen, humanitären Geist" gehen völlig ins Leere, wenn Menschen diesen Geist nicht bitter vermissen. Ein Umerziehungslager ist die EU nun sicher nicht. Loslassen!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:49)

Das ist doch aber kein Fall für Politik, sondern ein Fall für die Ärzte. Ihre Appelle an "einen demokratischen, aufklärerischen, humanitären Geist" gehen völlig ins Leere, wenn Menschen diesen Geist nicht bitter vermissen. Ein Umerziehungslager ist die EU nun sicher nicht. Loslassen!
Was veranlasst Sie, zu glauben, dass die Ungarn, die einen grandiosen gesellschaftskritiischen Film drehten, der einen Preis bei der Berlinale gewann, oder die mit Publikationen wie "Magyar Narancs" die besten Traditionen europäischer liberaler Publizistik fortsetzen, die forcierte nationalistische Gleichschaltungspolitik der Regierung gutheißen?

Der Rauswurf der Fidesz aus der EVp ist alles andere als eine "Umerziehung". Er ist ein machbarer aber offesichtlich nicht gewollter Schritt der eigentlich umzuerziehenden westeuropäischen rechtskonservativen politischen Eliten.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:18)
Ein Krakauer Professor hat in einem recht länglichen Pressegespräch mit Rzeczpospolita fest gestellt, daß die Osterweiterung der EU in den Visegradstaaten die Erwartung geweckt hätte, gesichert in die Freiheit von Nationalstaaten hinüber zu wechseln... und daß diese Gesellschaften nun baß überrascht sind, daß der Westen sich in der Zeit der sozialistischen Gefangenschaft weiter entwickelt hat... wo also der christliche Nationalstaat gar keine Rolle mehr spielt, wo sich eine offene und an wirtschaftlich-politische Internationalität mit immer mehr Europa arbeitende Gemeinschaft gebildet hat. Ohne Häme: Unter maßgeblicher Führung Deutschlands, das sich genau diesem westlichen Stil erfolgreich angepaßt hatte.
Das ist im Asnatz schon richtig. Nur: Gerade die Neunziger Jahre waren von ausgesprochen wirtschaftsliberalen Regierungen in Ostmitteleuropa geprägt. Da war der Lehrling gewissermaßen eifriger als der Meister. Die Wendung hin zu einem einem eher rechtskonservativ-nationalistischem, traditionalistischem, identitären Weltbild bei großen Mehrheiten ist aber ein weltweites Phänomen mit nur sehr verschiedenen Erscheinungsformen. Und selbstverständlich sind auch Länder wie Frankreich oder Deutschland davon nicht ausgenommen. Da neigte sich die Waage nur etwas mehr in Richtung Liberalismus. In einem Land wie Österreich liegts wohl ziemlich fifty fifty. In Italien neigt sich die Waage inzwischen mindestens so deutlich wie in Ostmitteleuropa in Richtung Rechtskonservativismus unter Inkaufnahme auch von Demokratieabbau. WIr verstehen die politischen Vorgänge in ganz Europa und der welt nicht, wenn wir diesen Trend als spezifisch für Osteuropa ansehen.

Das grundsätzliche Problem bei solchen Argumentationen ist die Verpersönlichung von sehr heterogenen Gebilden wie "Staaten". Es geht in der Politik immer um Macht, Interessen und die Verschiebung von Einflussreichweiten. Um solche Fakten herum entwickeln sich Erzählungen. Die werden gar nicht irgendwie von irgendwelchen Kräften lanciert sondern scheinen sich systemisch von selbst zu entwickeln. Schauen SIe sich die aktuellen Debatten um Brexit und Remaining in den britischen Parteien an. Es ist völlig klar, dass alle zukünftigem Schwierigkeiten und Probleme dem EU-Monster zugeschoben werden und alle Erfolge dem Geist der nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Oct 2018, 00:01)

Was veranlasst Sie, zu glauben, dass die Ungarn, die einen grandiosen gesellschaftskritiischen Film drehten, der einen Preis bei der Berlinale gewann, oder die mit Publikationen wie "Magyar Narancs" die besten Traditionen europäischer liberaler Publizistik fortsetzen, die forcierte nationalistische Gleichschaltungspolitik der Regierung gutheißen?

Der Rauswurf der Fidesz aus der EVp ist alles andere als eine "Umerziehung". Er ist ein machbarer aber offesichtlich nicht gewollter Schritt der eigentlich umzuerziehenden westeuropäischen rechtskonservativen politischen Eliten.
An einem (hoffentlich!) gelungenen Film machen Sie die Sehnsucht des Volkes nach einer demokratischen, freiheitlichen, humanen Gesellschaft fest? Bei aller Liebe: So etwas drückt sich in politischem Handeln aus.

Im Westen sehe ich die konservativen Gesellschaften auf einem allmählichen Rückzug... durch Wertewandel in bestehenden Parteien und das Aufkommen neuer Parteien. Klar, ein Sammelbecken für die verknöcherten Ewiggestrigen ist auch nicht zu übersehen. Noch eine Legislatur, dann hat sich die alte Bundesrepublik mit ihren eingeschliffenen Trampelpfaden erneuert.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Oct 2018, 06:50)

Das ist im Asnatz schon richtig. Nur: Gerade die Neunziger Jahre waren von ausgesprochen wirtschaftsliberalen Regierungen in Ostmitteleuropa geprägt. Da war der Lehrling gewissermaßen eifriger als der Meister. Die Wendung hin zu einem einem eher rechtskonservativ-nationalistischem, traditionalistischem, identitären Weltbild bei großen Mehrheiten ist aber ein weltweites Phänomen mit nur sehr verschiedenen Erscheinungsformen. Und selbstverständlich sind auch Länder wie Frankreich oder Deutschland davon nicht ausgenommen. Da neigte sich die Waage nur etwas mehr in Richtung Liberalismus. In einem Land wie Österreich liegts wohl ziemlich fifty fifty. In Italien neigt sich die Waage inzwischen mindestens so deutlich wie in Ostmitteleuropa in Richtung Rechtskonservativismus unter Inkaufnahme auch von Demokratieabbau. WIr verstehen die politischen Vorgänge in ganz Europa und der welt nicht, wenn wir diesen Trend als spezifisch für Osteuropa ansehen.

Das grundsätzliche Problem bei solchen Argumentationen ist die Verpersönlichung von sehr heterogenen Gebilden wie "Staaten". Es geht in der Politik immer um Macht, Interessen und die Verschiebung von Einflussreichweiten. Um solche Fakten herum entwickeln sich Erzählungen. Die werden gar nicht irgendwie von irgendwelchen Kräften lanciert sondern scheinen sich systemisch von selbst zu entwickeln. Schauen SIe sich die aktuellen Debatten um Brexit und Remaining in den britischen Parteien an. Es ist völlig klar, dass alle zukünftigem Schwierigkeiten und Probleme dem EU-Monster zugeschoben werden und alle Erfolge dem Geist der nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen.
Meine Sicht der Dinge ist schon so, daß wir Deutschen geduldig und stetig weiter an unserem Weg in eine internationale Zukunft arbeiten sollten. Der Weg ist uns bisher sehr gut bekommen. Um Himmelswillen kein Rückzug ins Nationale. Wer unseren Weg nicht mitgehen möchte, der soll seinen eigenen Weg gehen und ihn meinetwegen mit -exit enden lassen. Es gibt ja immer noch die Möglichkeit, sich zu besinnen. Das ist in etwa das, was ich aus dem Pressegespräch mit dem Krakauer Professor mitgenommen habe. Der Mann hat mir Mut gemacht, auch zur Beharrlichkeit!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Oct 2018, 22:02)
Nun nur mal noch zu den Zahlendimensionen. Eine der Topmeldungen heute lautete, dass Audi grad zu ca. 800 000 Millionen Euro Strafzahlungen verpflichtet wurde, Dies wird im allgemeinen als Portokassenbeitrag (im Vergleich) gewertet. Von 1998 bis 2013 investierte Audi in den Standort Györ/UNgarn ca. 5,7 Milliarden Euro. Also das ca. 7-fache eines aktuellen "Bußgelds". 2016 wiederum wurden so gut wie alle Motoren von audi-Fahrzeugen in Györ hergestellt. (und zunehmend auch entwickelt). Kannst du aus diesen drei Angaben rekonstruieren, wie das Verhältnis zwischen Investitionen und Gewinntransfers eigentlich ist?

Die Quelle für solche Angaben ist wikipedia und wie sonst auch gibts an der Seriösität bei solchen nüchternen unbewerteten Zahlenangaben auch kaum Zweifel. https://de.wikipedia.org/wiki/Audi_Hungaria
Abgesehen davon, dass dir da bei den Strafzahlungen wohl ein paar Nullen zuviel hineingerutscht sind und 800 Mio natürlich auch für Audi nicht gerade "Portokasse" sind: Nein, kann ich nicht. Schließlich ist Audi Hungaria nur ein Teil des Audi-Konzerns. Die Wiki-Seite gibt auch kaum Aufschluss über die finanziellen Eckdaten von Audi Hungaria.

Es ist gar nicht so einfach, im Netz dazu etwas zu finden, aber schließlich bin ich hier fündig geworden. Du kennst dich ja in Osteuropa gut aus, vielleicht finden sich für dich da noch ein paar andere interessante Informationen.

https://www2.deloitte.com/ce/en/pages/a ... op500.html

Im rechts auf der Seite verlinkten PDF und darin auf Seite 50 findet sich eine Tabelle, die Audi Hungaria als Nr. 6 listet.
Danach betrug der Revenue für Audi Hungaria in 2015 gut 8,3 Mrd Euro, und das Net Income belief sich auf gut 440 Mio Euro.
Deine 5,7 Mrd Investitionssumme, geteilt durch die 16 Jahre, ergeben durchschnittliche Investitionen von gut 350 Mio Euro p.a. Das derzeit aktuell von Audi Hungaria genannte Investitionsvolumen für 2017 ist nicht geringer, im Gegenteil: gut 440 Mio Euro. https://audi.hu/de/news/news/details/53 ... jahr_2017/

Die Gewinne werden also in annähernd gleicher Größenordnung reinvestiert.
Und nun?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

Brainiac hat geschrieben:(17 Oct 2018, 18:41)

Danach betrug der Revenue für Audi Hungaria in 2015 gut 8,3 Mrd Euro, und das Net Income belief sich auf gut 440 Mio Euro.
Müsste die Strafzahlung in Höhe von 880 Mio € nicht von Audi Hungaria bezahlt werden? Dort werden doch die Audi-Motoren entwickelt und gebaut, oder nicht?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

Orbiter1 hat geschrieben:(17 Oct 2018, 19:46)

Müsste die Strafzahlung in Höhe von 880 Mio € nicht von Audi Hungaria bezahlt werden? Dort werden doch die Audi-Motoren entwickelt und gebaut, oder nicht?
Na ja, das Bussgeld erfolgte ja aufgrund eines Verstosses gegen deutsches Recht, also scheint mir logisch, dass der deutsche Unternehmensteil herangezogen wird.
Die Staatsanwälte hatten Audi daher Aufsichtspflichtverletzungen in der „Organisationseinheit Abgas Service / Zulassung Aggregate“ vorgeworfen.
https://app.handelsblatt.com/unternehme ... 92022.html

Vielleicht findet intern eine Weiterbelastung nach Ungarn statt, aber das wird die Öffentlichkeit wohl nicht erfahren und typisch wäre ja eigentlich eher, aufgrund der höheren Steuern, die Sonderbelastung in D auszuweisen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Eine Umfrage des "Eurobarometer" zeigte, daß 87% der befragten Polen die Mitgliedschaft Polens in der EU für vorteilhaft halten. Die wesentlichen Punkte dabei sind
  • wirtschaftliches Wachstum 46%
    Lebensqualität 36%
    berufliches Fortkommen 42%
    Gefühl der allgemeinen Sicherheit
Die Eurobarometer-Umfrage wurde in 23 EU-Partnerstaaten durchgeführt; sie ergab im Durchschnitt 68% Zustimmung zur Mitgliedschaft des betrachteten Landes in der EU. Von Interesse wären die Partnerstaaten gewesen, die weniger begeistert von ihrer EU-Mitgliedschaft sind. Aber da schwieg sich Rzeczpospolita aus!

Wenn man das Auftreten der polnischen Regierungspolitiker betrachtet, dann zeigt sich hier ein sehr großer Unterschied zum vorherrschenden Gemeinschaftsgefühl.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(18 Oct 2018, 14:29)

Die Eurobarometer-Umfrage wurde in 23 EU-Partnerstaaten durchgeführt; sie ergab im Durchschnitt 68% Zustimmung zur Mitgliedschaft des betrachteten Landes in der EU. Von Interesse wären die Partnerstaaten gewesen, die weniger begeistert von ihrer EU-Mitgliedschaft sind. Aber da schwieg sich Rzeczpospolita aus!
Hier auf einen Blick die Zustimmung in Prozent auf die Feststellung "Die EU ist eine gute Sache für unser Land". Der Durchschnitt lag bei 62%. https://www.bilder-hochladen.net/i/m0rw-3u-5753.jpg Da liegen Luxemburg, Irland und Deutschland ganz vorne und Tschechien, Italien und Kroatien ganz hinten.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(18 Oct 2018, 16:22)

Hier auf einen Blick die Zustimmung in Prozent auf die Feststellung "Die EU ist eine gute Sache für unser Land". Der Durchschnitt lag bei 62%. https://www.bilder-hochladen.net/i/m0rw-3u-5753.jpg Da liegen Luxemburg, Irland und Deutschland ganz vorne und Tschechien, Italien und Kroatien ganz hinten.
Ein sehr anschauliches Bild; vielen Dank! "Meine Daten" stammen aus September 2018, die Daten im Bild aus dem Frühjahr 2018. In Polen ist die Zustimmung etwas angewachsen auf 87% und in der EU insgesamt auf 68%. Vermutlich beeindruckt den Polen Normalverbraucher die Härte, mit der die EU für die Rechtsstaatlichkeit Polens eintritt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(17 Oct 2018, 18:41)

Abgesehen davon, dass dir da bei den Strafzahlungen wohl ein paar Nullen zuviel hineingerutscht sind und 800 Mio natürlich auch für Audi nicht gerade "Portokasse" sind: Nein, kann ich nicht. Schließlich ist Audi Hungaria nur ein Teil des Audi-Konzerns. Die Wiki-Seite gibt auch kaum Aufschluss über die finanziellen Eckdaten von Audi Hungaria.

Es ist gar nicht so einfach, im Netz dazu etwas zu finden, aber schließlich bin ich hier fündig geworden. Du kennst dich ja in Osteuropa gut aus, vielleicht finden sich für dich da noch ein paar andere interessante Informationen.

https://www2.deloitte.com/ce/en/pages/a ... op500.html

Im rechts auf der Seite verlinkten PDF und darin auf Seite 50 findet sich eine Tabelle, die Audi Hungaria als Nr. 6 listet.
Danach betrug der Revenue für Audi Hungaria in 2015 gut 8,3 Mrd Euro, und das Net Income belief sich auf gut 440 Mio Euro.
Deine 5,7 Mrd Investitionssumme, geteilt durch die 16 Jahre, ergeben durchschnittliche Investitionen von gut 350 Mio Euro p.a. Das derzeit aktuell von Audi Hungaria genannte Investitionsvolumen für 2017 ist nicht geringer, im Gegenteil: gut 440 Mio Euro. https://audi.hu/de/news/news/details/53 ... jahr_2017/

Die Gewinne werden also in annähernd gleicher Größenordnung reinvestiert.
Und nun?
Dazu muss ich einfach nur zugeben, dass ich da an die Grenze meiner eher laienhaften volkswirtschaftlichen Kenntnisse gelange. Auch ich bin da eher auf indirekte Symptomanalyse oder auf renommierte Pubikationen (wie oben Le Monde) angewiesen. Es ist auch durchaus möglich, dass die aktuellen Strafzahlungen für Audi durchaus eine für das Unternehmen relevante Größenordnung haben. Mit ist noch nicht einmal ganz klar, wie die Produktionszahlen (und Besteuerungen) von Produkten, die aus internationalen Standorten in Endprodukten zusammengeführt werden, auf einzelne Staaten umgerechnet werden.

In jedem Falle bleibt faktisch diese Diskrepanz aus der Diskussion in diesem Thread bei mir zurück: Es gibt nicht wenige Diskutanten, die zum einen glauben, dass in Osteuropa sich "nur Oligarchen überhaupt ein Auto leisten können" und zum anderen nicht im entferntesten ahnen, dass die Produktion uznd Entwicklung gerade auch von Spitzenmodellen eben dort - nur eben unter anderem Namen - stattfindet. Und dass kein einziger der vielen Osteuropäer, die ich kenne, nachvollziehen kann, dass ich mit einem mehrfachen Einkommen wie sie mit so einer Billigmöhre herumfahre und nicht wie sie wenigstens mit einem Mittelklassemodell oder besser noch mit einem "Schulwegpanzer". Die Probleme dort sind dieselben wie hier: Zunehmend steht dieser sozialen MIttelklasse ein größer werdendes Prekariat gegenüber, die ganz andere Probleme hat.

Zum anderen glaube ich, dass die wenigsten die Brisanz einiger der Vorgänge in Osteuropa tatsächlich erfassen. Irgendwo in diesem Strang weiter oben war davon die Rede, dass in Städten wie Prag oder Warschau einfach nur dieselben normierten Konsumidioten herumlaufen wie anderswo schon lange. Nix da. Gerade vor ein paar Tagen gabs eine große Demonstration im nordwestungarischen Sopron zur Annulierung der "Schande von Trianon". Mit lauter Leuten in Trachten und mit folkloristischen Aktionen. Separationen, Arrondierungen, Rachefeldzüge. Geographische Regionen und ethnisch-kulturelle Dominanzen müssen in Übereinstimmung gebracht werden. Ein "Völkerfrühling?" Eher ein neues 1914 und es kann schlimm enden!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(17 Oct 2018, 08:28)

An einem (hoffentlich!) gelungenen Film machen Sie die Sehnsucht des Volkes nach einer demokratischen, freiheitlichen, humanen Gesellschaft fest? Bei aller Liebe: So etwas drückt sich in politischem Handeln aus.

Im Westen sehe ich die konservativen Gesellschaften auf einem allmählichen Rückzug... durch Wertewandel in bestehenden Parteien und das Aufkommen neuer Parteien. Klar, ein Sammelbecken für die verknöcherten Ewiggestrigen ist auch nicht zu übersehen. Noch eine Legislatur, dann hat sich die alte Bundesrepublik mit ihren eingeschliffenen Trampelpfaden erneuert.
:) Ihren Optimismus möchte ich auch haben.

Es mag jetzt vielleicht etwas weiter weg führen, führt aber am Ende dennoch hin zum eigentlichen Thema: Es gibt in der politischen Entwicklung der Nachkriegswelt einen Komplex von Handlungssträngen, die insofern zusammengehören, als dass sie sich aufeinander beziehen: Das Transatlantische Bündnis, die NaTO, die EWG und dann die EU, die traditionelle westliche politische Teilung in eher gemäßigt linke, sozialdemokratische, eher gemäßigt rechte, konservative und dann nochmal wirtschaftsliberale Parteien, die (sogenannten) nationalen Befreiungsbewegungen im Süden, der "Ostblock" und noch einiges mehr.

Und dann gab es ab etwa Mitte der 70er politische Ereignisse, die in dieses gewohnte Schema nicht mehr hineinpassen. Ich nenne nur mal drei, aber drei sehr wichtige: Die islamische Revolution im Iran. Der Modernisierungskurs in China. Das Pontifikat des polnischen Bischofs Karol Wojtyla. Sie fallen allesamt fast zeitgleich zusmmen. Und werden häufig isoliert und einzeln als historische Umbrüche gesehen. Sie markieren aber - auch wenn sie kausal nicht zusammengehören und eher Symptome sind - etwas anderes: Einen völlig neuen Komplex von Handlungssträngen. Der sich wie eine Erdplatte im Zuge der Kontinentalverschiebungen über eine andere Erdplatte schiebt. Mit allen möglichen dadurch ausgelösten Umbrüchen, Aufwerfungen, Verschiebungen. DIe Welt der Jahrtausendwende schiebt sich Schritt für Schritt über die Welt der Nachkriegszeit. Und die eine Welt ist mit den Begriffen der anderen Welt einfach nicht mehr erklärbar. Das wird immer Offensichtlicher. Der Brexit, die Trumpwahl, das zumindest Infragestellen des transatlantischen Bündnisses. Oder des Prinzips des Freihandels in der westlichen Welt. Der Wandel der Rolle Russlands vom stalinistischen Weltmachtzentrum hin zu einem selbsternannten Verteidiger christlich-konservativer Weltbilder. Die krasse aktuelle Wendung in der Rolle Italiens, wirtschaftlich wie politisch. Wir sind ganz aktuell ganz offensichtlich auf dem Höhepunkt dieser grundsätzlichen historischen Kontinentalverschiebungen.

Der Nationalkonservativismus jüngerer Zeit in Osteuropa fügt sich da einfach ein. Und die Idee eines "Kerneuropas der Verbliebenen", so sympathisch sie auch sein mag, erinnert mich eher an ein berühmtes gallisches Dorf als dass es mir eine zeitgemäße ANtwort zu sein scheint. Die muss ganz anders, viel grundsätzlicher sein.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Oct 2018, 21:35)

... erinnert mich eher an ein berühmtes gallisches Dorf als dass es mir eine zeitgemäße ANtwort zu sein scheint. Die muss ganz anders, viel grundsätzlicher sein.
Tja, das lasse ich mir jetzt erst einmal eine Rede sein! Und die wahre und allein zeitgemäße Antwort ist nun... welche? Vor allem vor dem Hintergrund, daß ich meine, daß unsere freiheitlichen europäischen Demokratien ein besonders menschengerechtes Gesellschaftsmodell darstellen, das sich mit allen verfügbaren Kräften zu verteidigen lohnt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(20 Oct 2018, 22:15)

Tja, das lasse ich mir jetzt erst einmal eine Rede sein! Und die wahre und allein zeitgemäße Antwort ist nun... welche? Vor allem vor dem Hintergrund, daß ich meine, daß unsere freiheitlichen europäischen Demokratien ein besonders menschengerechtes Gesellschaftsmodell darstellen, das sich mit allen verfügbaren Kräften zu verteidigen lohnt.
Zwei Antworten. Top Down hat sich nicht erledigt. Siehe die aktuellen Sanktionen gegen Polen durch den EuGH. Vizepremier und Bildungsminister Gowin, der sich vor einiger Zeit dahingehend geäußert hatte, dass Entscheidungen von EU-Instanzen keineswegs bindend für Polen seien, wurde von Seiten der Regierung zurückgepfiffen. Und ganz aktuell sieht es keineswegs danach aus, dass die EuGH-Entscheidung zu einem Eklat führen wird.

Die eigentliche Antwort aber lautet: EU Bottom Up! Das ist auch schon längst kein leeres Schlagwort mehr sondern wird getragen von zahlreichen Bürgerinitiativen, Stiftungen usw. Und es gibt ganz konkrete Programme. Schauen Sie zum Beispiel hier:
https://www.our-new-europe.eu/3-szenari ... rklichung/
Dieses Neue Europa Bottom Up ist die Alternative zu "Weiter Zentralisierung und Top Down" und auch zu "Nationale Unabhängigkeit/Brexit". Die Halbwertszeit von Führungspersönlichkeiten, in die neue Hoffnungen gesetzt werden, wie etwa Macron, ist erheblich geringer als die solcher Ideen. Grundvoraussetzung für die Idee eines solchen Europas von unten ist allerdings die Distanzierung von jeglichen von rein persönlichen und subjektiven Motiven geleiteten Sym- und Antpathien wie sie hier in diesem Strang insbesondere von User orbiter1 geäußert werden. Antieuropäischer und antidemokratischer gehts kaum.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(22 Oct 2018, 08:34)

Zwei Antworten. Top Down hat sich nicht erledigt. Siehe die aktuellen Sanktionen gegen Polen durch den EuGH. Vizepremier und Bildungsminister Gowin, der sich vor einiger Zeit dahingehend geäußert hatte, dass Entscheidungen von EU-Instanzen keineswegs bindend für Polen seien, wurde von Seiten der Regierung zurückgepfiffen. Und ganz aktuell sieht es keineswegs danach aus, dass die EuGH-Entscheidung zu einem Eklat führen wird.
Da sollte man noch etwas abwarten. Wegen der gestrigen Kommunalwahlen in Polen hat sich die PiS-Regierung mit der Hetze auf die EU zurückgehalten. Die PiS konnte landesweit um 5% zulegen. Demnächst werden wir ja sehen wie man wirklich auf das Urteil des EuGH reagiert. Ich stehe weiter zu meiner Prognose.
Die eigentliche Antwort aber lautet: EU Bottom Up! Das ist auch schon längst kein leeres Schlagwort mehr sondern wird getragen von zahlreichen Bürgerinitiativen, Stiftungen usw. Und es gibt ganz konkrete Programme. Schauen Sie zum Beispiel hier:
https://www.our-new-europe.eu/3-szenari ... rklichung/
Dieses Neue Europa Bottom Up ist die Alternative zu "Weiter Zentralisierung und Top Down" und auch zu "Nationale Unabhängigkeit/Brexit".
Wieviele Mio EU-Bürger stehen denn hinter diesen Bottom-Up-Bewegungen? Alles unter 13,5 Mio (3% von den 450 Mio der EU-27) würde ich als irrelevant bezeichnen. Melde dich einfach wieder wenn es soweit ist.
Die Halbwertszeit von Führungspersönlichkeiten, in die neue Hoffnungen gesetzt werden, wie etwa Macron, ist erheblich geringer als die solcher Ideen.
Das Gegenteil ist der Fall. Es waren ausschließlich politische Führungspersönlichkeiten die die EU soweit gebracht haben.
Grundvoraussetzung für die Idee eines solchen Europas von unten ist allerdings die Distanzierung von jeglichen von rein persönlichen und subjektiven Motiven geleiteten Sym- und Antpathien wie sie hier in diesem Strang insbesondere von User orbiter1 geäußert werden. Antieuropäischer und antidemokratischer gehts kaum.
Ich erwarte von den EU-Mitgliedstaaten dass sie sich vertragstreu verhalten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist ja hoffentlich nicht zuviel verlangt. Und ja, EU-Staaten die sich vertragswidrig verhalten sind mir unsympathisch. Das gleiche gilt für Beitrittskandidaten die im Korruptionsindex inzwischen hInter einer Reihe von afrikanischen Staaten liegen und jedes Jahr weiter zurückfallen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(22 Oct 2018, 09:08)

Da sollte man noch etwas abwarten. Wegen der gestrigen Kommunalwahlen in Polen hat sich die PiS-Regierung mit der Hetze auf die EU zurückgehalten. Die PiS konnte landesweit um 5% zulegen. Demnächst werden wir ja sehen wie man wirklich auf das Urteil des EuGH reagiert. Ich stehe weiter zu meiner Prognose.
Wieviele Mio EU-Bürger stehen denn hinter diesen Bottom-Up-Bewegungen? Alles unter 13,5 Mio (3% von den 450 Mio der EU-27) würde ich als irrelevant bezeichnen. Melde dich einfach wieder wenn es soweit ist. Das Gegenteil ist der Fall. Es waren ausschließlich politische Führungspersönlichkeiten die die EU soweit gebracht haben. Ich erwarte von den EU-Mitgliedstaaten dass sie sich vertragstreu verhalten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist ja hoffentlich nicht zuviel verlangt. Und ja, EU-Staaten die sich vertragswidrig verhalten sind mir unsympathisch. Das gleiche gilt für Beitrittskandidaten die im Korruptionsindex inzwischen hInter einer Reihe von afrikanischen Staaten liegen und jedes Jahr weiter zurückfallen.
Sowohl "Führungspersönlichkeiten" als auch "Bewegungen" können Wirkungen entfalten, die weit weit über den rein prozentualen Anteil von Sympathisanten hinausreichen.

Und die Erwartung an Vertragstreue richtet sich nach meinem Verständnis an Regierungen, nicht an "Staaten". Das ist für mich nicht nur ein symbolischer, formaler Unterschied. Die polnische Regierung verhält sich vertragsuntreu, nicht "Polen". Daran ändert auch nix, dass diese Regierung von einer Mehrheit gewählt wurde.

Auch das Brexit-Referendum wurde von einer (knappen) Mehrheit der Briten befürwortet. Nix wäre jedoch verkehrter und uneuropäischer, jetzt so eine Art "Nun werdet ihr mal sehen, was Ihr euch da eingebrockt habt"-Politik von seiten der EU zu fahren.

Zum wiederholten male: Der angemessene Schritt gegenüber dem Demokratieabbau in Ungarn von seiten der Regierungspartei wäre zunächst ein Ausschluss dieser Partei aus der EVP-Fraktion des EU-Parlaments. Eine (heftige) Debatte über einen solchen Ausschluss wird ja tatsächlich auch geführt. Juncker etwa fordert ganz explizit und öffentlich einen solchen Ausschluss. Die Unionsparteien aus D kritisieren Orbáns Politik, sprechen sich aber nicht für einen Ausschluss aus. Und eine Reihe von Politikern, allen voran Kurz aus Österreich sprechen sich ganz explizit und ausdrücklich gegen einen solchen Ausschluss aus. Das genau ist der Stand der aktuellen politischen Lage. Es gibt rhetorische Floskeln en masse und hinter den Kulissen aber ein politisches Kräfteverhältnis, das summa summarum auf ein leichtes Pro-Fidesz-Übergewicht hinausläuft. Solange das so ist, wird es keine wirklich ernsthaften Sanktionen geben können.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Ich nehme hier jetzt einmal eine vermittelnde Stellung ein:

Ja, es ist richtig, daß die EU immer wieder von herausragenden politischen Persönlichkeiten voran gebracht wurde. Aber es ist auch wahr, daß sie das nur deshalb so vollbringen konnten, weil auch die große Zahl der Europäer einsah, daß Europa nur auf freiwilliger Grundlage und mit ihrer politischen Zustimmung gelingen konnte. Beide Seiten haben sich schon ergänzt, haben politische Stimmungen aufgegriffen.

Ja, es ist wahr, daß auch Präsident Macron oder andere engagierte Europäer "nur" ein Rädchen in der Zeitgeschichte der EU sein können. Diese Geschichte ist jetzt so ungefähr 65 Jahre alt, also fast 2,5 Generationen haben sich darum abgemüht. Hoffen wir also, daß nach Präsident Macron weitere Politiker mit europäischen Überzeugungen unser europäisches Projekt voran bringen werden... getragen auch von Europäern, die das europäische Projekt als Herzensangelegenheit weiter führen..

Ja, es ist auch wahr, daß die an der europäischen Einigung mit Herzblut interessierten Mitbürger stets in der Minderheit waren; aber es war eben eine maßgeblich meinungsbestimmende Minderheit, die diese Gedanken in die erweiterte Öffentlichkeit trugen und damit Zustimmung erhielten... zuletzt noch Pulse of Europe, als die europäische Sache Sache ganz finster zu werden schien... BREXIT, Flüchtlingskrise.

Ja, auch ich halte es für schäbig, wenn Politiker die Gemeinschaft schädigen, um "zu Hause" ihre Macht als klevere Macher zu behaupten. Korruption und Versprechung von nicht erwirtschaftbaren Leistungen gehören dazu. Ja, die Gemeinschaft muß auf treuer Erfüllung ihrer Regeln bestehen... nur so kann Solidarität gelebt werden.

Als "Pole" behaupte ich, daß trotz des augenblicklichen Wahlsiegs der oft europaskeptischen PiS auf dem Lande das europäische Projekt in Polen breiteste Unterstützung genießt. Das ist daran zu erkennen, daß die National-Liberalen in den polnischen Großstädten die Nase vorn haben... also dort, wo von Natur aus die offene politische Diskussion zu Hause ist: Stadtluft macht frei! Und man muß auch wissen, daß die PiS in den Regionen Versprechungen gemacht hat, die dort gut ankommen: Ausbau der Infrastrukturen (Straßen, Schulen, Ämter und viel Nationales). Ein wenig wie blühende Landschaften im Andenken an Helmut Kohls Mutmacherreden zur Zeit der Wiedervereinigung. Das glauben die Leute dort erst einmal, bis die Jungen abwandern dorthin, wo die Landschaften tatsächlich blühen.

Irgendwann stehen dann auf dem Lande auch die großen Schilder, die die Finanzierung der Infrastrukturprojekte benennen: "Co-finanziert vom EU-Regionalfonds". Die Schilder stehen dort jahrelang, und die Menschen lesen das im Vorübergehen und Vorbeifahren. Keine Propaganda, sondern alles zum Anfassen.

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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(22 Oct 2018, 10:42)
Ja, es ist wahr, daß auch Präsident Macron oder andere engagierte Europäer "nur" ein Rädchen in der Zeitgeschichte der EU sein können. Diese Geschichte ist jetzt so ungefähr 65 Jahre alt, also fast 2,5 Generationen haben sich darum abgemüht. Hoffen wir also, daß nach Präsident Macron weitere Politiker mit europäischen Überzeugungen unser europäisches Projekt voran bringen werden... getragen auch von Europäern, die das europäische Projekt als Herzensangelegenheit weiter führen..
Glaubt man einigen aktuellen politischen Kommentaren und Analysen, so war der Zeitraum zwischen einem ganz erstaunlichen Vertrauenskredit bei einer Präsidentschaftswahl und einem nachfolgenden Popularitätsverlust und vor allem auch einer Distanzierung selbst einstiger Weggefährten selten so kurz in der jüngeren französischen Geschichte. Ich sehe das - um es ausdrücklich zu sagen - mit Bedauern. Aber diese Volatilität im internationalen politischen Gefüge müssen wir zur Kenntnis nehmen, wenn wir zu realistischen Aussagen kommen wollen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(22 Oct 2018, 11:06)

Glaubt man einigen aktuellen politischen Kommentaren und Analysen, so war der Zeitraum zwischen einem ganz erstaunlichen Vertrauenskredit bei einer Präsidentschaftswahl und einem nachfolgenden Popularitätsverlust und vor allem auch einer Distanzierung selbst einstiger Weggefährten selten so kurz in der jüngeren französischen Geschichte. Ich sehe das - um es ausdrücklich zu sagen - mit Bedauern. Aber diese Volatilität im internationalen politischen Gefüge müssen wir zur Kenntnis nehmen, wenn wir zu realistischen Aussagen kommen wollen.
Das ist leider auch mein Eindruck; ich suche die Schuld daran aber... was die europäische Einigung betrifft... ganz überwiegend auf unserer deutschen Seite, die immer wieder Vorstellungen Macrons abgewimmelt, geschrumpft und eingedampft hat, anstatt sie auf zu greifen, sie gemeinsam weiter zu entwickeln und voran zu treiben... und selbst mit umsetzbaren und förderlichen Vorschlägen aus zu bauen. Aus der Wahrnehmung heraus hätte ich gern den Schulz-Express als Sieger durch das Ziel gehen sehen... aber den hat die verdruckste und ängstliche SPD nur als Bltzableiter mißbraucht und zerredet..

Unsere politische Klasse braucht Erneuerung in der Art, wie DIE GRÜNEN sie gerade zum politischen Erfolg führt. Leicht gesagt!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(22 Oct 2018, 10:42)

Ich nehme hier jetzt einmal eine vermittelnde Stellung ein:

Ja, es ist richtig, daß die EU immer wieder von herausragenden politischen Persönlichkeiten voran gebracht wurde. Aber es ist auch wahr, daß sie das nur deshalb so vollbringen konnten, weil auch die große Zahl der Europäer einsah, daß Europa nur auf freiwilliger Grundlage und mit ihrer politischen Zustimmung gelingen konnte. Beide Seiten haben sich schon ergänzt, haben politische Stimmungen aufgegriffen.

Ja, es ist wahr, daß auch Präsident Macron oder andere engagierte Europäer "nur" ein Rädchen in der Zeitgeschichte der EU sein können. Diese Geschichte ist jetzt so ungefähr 65 Jahre alt, also fast 2,5 Generationen haben sich darum abgemüht. Hoffen wir also, daß nach Präsident Macron weitere Politiker mit europäischen Überzeugungen unser europäisches Projekt voran bringen werden... getragen auch von Europäern, die das europäische Projekt als Herzensangelegenheit weiter führen..

Ja, es ist auch wahr, daß die an der europäischen Einigung mit Herzblut interessierten Mitbürger stets in der Minderheit waren; aber es war eben eine maßgeblich meinungsbestimmende Minderheit, die diese Gedanken in die erweiterte Öffentlichkeit trugen und damit Zustimmung erhielten... zuletzt noch Pulse of Europe, als die europäische Sache Sache ganz finster zu werden schien... BREXIT, Flüchtlingskrise.

Ja, auch ich halte es für schäbig, wenn Politiker die Gemeinschaft schädigen, um "zu Hause" ihre Macht als klevere Macher zu behaupten. Korruption und Versprechung von nicht erwirtschaftbaren Leistungen gehören dazu. Ja, die Gemeinschaft muß auf treuer Erfüllung ihrer Regeln bestehen... nur so kann Solidarität gelebt werden.

Als "Pole" behaupte ich, daß trotz des augenblicklichen Wahlsiegs der oft europaskeptischen PiS auf dem Lande das europäische Projekt in Polen breiteste Unterstützung genießt. Das ist daran zu erkennen, daß die National-Liberalen in den polnischen Großstädten die Nase vorn haben... also dort, wo von Natur aus die offene politische Diskussion zu Hause ist: Stadtluft macht frei! Und man muß auch wissen, daß die PiS in den Regionen Versprechungen gemacht hat, die dort gut ankommen: Ausbau der Infrastrukturen (Straßen, Schulen, Ämter und viel Nationales). Ein wenig wie blühende Landschaften im Andenken an Helmut Kohls Mutmacherreden zur Zeit der Wiedervereinigung. Das glauben die Leute dort erst einmal, bis die Jungen abwandern dorthin, wo die Landschaften tatsächlich blühen.

Irgendwann stehen dann auf dem Lande auch die großen Schilder, die die Finanzierung der Infrastrukturprojekte benennen: "Co-finanziert vom EU-Regionalfonds". Die Schilder stehen dort jahrelang, und die Menschen lesen das im Vorübergehen und Vorbeifahren. Keine Propaganda, sondern alles zum Anfassen.

Tue Gutes und rede darüber!
Auf dem Lande in Osteuropa regieren Not und Armut. In vielen Regionen geht es den Menschen sehr viel schlechter, als zu sozialistischen Zeiten. Die jungen Leute gehen - notgedrungen - weg. In die Großstädte, viele gleich ganz ins Ausland. Der ländliche Raum bietet in Osteuropa noch schlechtere Perspektiven, als er es in den alten EU-Staaten bietet. Und es sind nicht nur die Qualifizierten, die gehen. Viele Frauen gehen, weil ein Job als Pflegekraft in der häuslichen Dauerpflege in Deutschland zumindest ein bisschen mehr Geld verspricht, auch wenn es sich da vielfach um extrem ausbeuterische Arbeitsverhältnisse handelt.

Hinzu kommt: höhere Löhne zu fordern, eine bessere soziale und medizinische Versorgung zu fordern, das traut man sich nicht. Wenn das Wort "sozial" erklingt, schrillen bei vielen sofort die Alarmglocken und es bilden sich schwerste Gewissensnöte heraus.

Ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Faktor ist auch die katholische Kirche. In Polen war sie stets ein wichtiges Bindeglied, sie gab Halt - vor allem zu Zeiten von Johannes Paul II.. Unter dem Ratzinger blieb das Verbundenheitsgefühl irgendwie erhalten. Seit März 2013 ist das aber anders. Mit Papst Franziskus fremdelt man in den osteuropäischen Ländern sehr. Man versteht ihn nicht, man fühlt sich von der Kirche entfremdet und vom aktuellen Papst nicht wertgeschätzt.

Hinzu kommt dann noch die gefühlte Ohnmacht. Natürlich würden auf dem Lande viele gerne wieder raus aus der EU - zu groß ist die Enttäuschung, zu tief sitzt der Frust. Aber was wäre für Polen die Alternative? Würden die Polen den Exit beschliessen und sich dann so aufführen, wie es die aktuelle britische Regierung tut, dann wartet schon Väterchen Putin auf sie. Und wieder würde ihnen niemand helfen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Na ja, die bittere Armut ist auf dem Lande auch "relativ"; man denke an die Ukraine... Der Niedergang des Kleinbauerntums, das Polen über die sozialistische Zeit erhalten blieb, wurde mit Übergabe von Bauernland an den Staat und damit verbundene kleine Renten ein wenig abgefedert. Vieles zog man sich auf den Resthöfen zum Eigenverbrauch auch selbst, während der Familienvater auf dem Bau, im Tiefbau oder gleich im Ausland eine Arbeit aufnahm.

Ich meine, daß Polen die Entwicklung nachholt, die wir im Westen in unserem Verhältnis zu den Kirchen hinter uns gelassen haben. Meine Bekanntschaften hier sind durchweg Haushaltungen, in denen die Mütter den Gottesdienst besuchen, die Kinder an die Kommunion und Firmung heran geführt werden, aber die tiefe Inbrunst sehe ich darin nicht mehr. Väter und Söhne haben meist Besseres zu tun; bessern Schäden aus und räumen den Hof auf.

Ähnlich, aber bei weitem nicht so schrecklich, die Landflucht wie in den östlichen Bundesländern. Saisonarbeiter, Bauarbeiter, Elektriker, Klempner/Installateure, Bauhilfsarbeiter, Krankenpfleger, Altenpfleger, Ärzte... man findet sie im Westen fast überall.

Mit anderen Worten: Auf lange Sicht wird Polen auch so verstädtern wie wir in Deutschland, und das flache Land wird Menschen verlieren, Gebäude werden verfallen und aufgegeben. Ich selbst lebe in einem verlassenen Dorf, ganz ohne öffentliche Verkehrsmittel, ohne Leitungswasser, ohne Kanalisation, aber mit Elektrizität. Vielleicht noch 20 bis 25 dauerhaft dort Wohnende, fast durchweg Ältere. Das sind also schlechte Zukunftsaussichten für nationalistische Parteien vom Schlage der PiS... vielleicht auch ein Grund, in der kommenden Generation ganz das Thema zu wechseln. Denn die in den Westen abgewanderten Polen haben ja doch Bindungen zur alten Heimat und werden sicher nicht mit kritischen Bemerkungen sparen, wenn sie Vergleiche anstellen.

Ich bin ganz wohlgemut, was diese Entwicklung betrifft. Leider bin ich schon viel zu alt, um hier in Jahrzehnten rechnen zu können. Die polnische Wirtschaft macht sich prächtig, natürlich durch den Fleiß und das Können der Polen, aber eben auch durch die enge Zusammenarbeit mit dem Westen, insbesondere natürlich mit der auf Hochtouren laufenden deutschen Wirtschaft. Das sehen die Menschen doch, besonders in den Städten, und entsprechend wächst die Wertschätzung für das europäische Projekt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von jorikke »

H2O hat geschrieben:(20 Oct 2018, 22:15)

Tja, das lasse ich mir jetzt erst einmal eine Rede sein! Und die wahre und allein zeitgemäße Antwort ist nun... welche? Vor allem vor dem Hintergrund, daß ich meine, daß unsere freiheitlichen europäischen Demokratien ein besonders menschengerechtes Gesellschaftsmodell darstellen, das sich mit allen verfügbaren Kräften zu verteidigen lohnt.
Das ist nun wirklich vermessen, von einem Diskutanten mal eben die wahre, zeitgemäße Antwort zu fordern. Der arme Kerl.
Man kann doch nur seine eigenen kleinen Ideen beisteuern und auch auf die Gefahr hin, der Unvollständigkeit wegen getadelt zu werden, mache ich das einfach mal:
Einigkeit in der EU zu erzielen ist aus einigen, ins Auge springenden Gründen, scheinbar nicht möglich.
Es sind dies in erster Linie:
- die Angst der kleinen Länder, untergebuttert zu werden,
- die Angst nationale Interessen würden nicht ausreichend berücksichtigt,
- der Euro, die Einheitswährung, die starke Länder automatisch bevorteilt,
- und vielerlei geschichtliche Aversionen.
Berücksichtigt man dies alles, kommt man fast automatisch zu der de Gaullschen Version eines Europas der Vaterländer.
Wir haben damals, in den 60-Jahren, in unserer überschwänglichen Begeisterung für Europa, es als klein geistig verlacht.
Uns schwebte ein großes geeintes Europa vor, das war die Zukunft, das wollten wir.
Es wäre evtl. möglich gewesen, hätte man die Mitgliederzahl bewusst klein gehalten und neue Mitglieder erst aufgenommen nachdem der kleinere Kreis in sich gefestigt, die Gesetze weitgehend harmonisiert und eine starke Zelle entstanden war.
Schnee von gestern. Man zu viele Länder zu schnell zu integrieren versucht und es ging schief.
Ich mache mich jetzt nicht für ein back to the roots stark, glaube aber aus einer Zusammenarbeit Frankreich/Deutschland (und einige mehr) muss ein Kern gebildet werden, der allen anderen Ländern sehr viel mehr Freiheiten lässt.
Dann kann langsam etwas aufgebaut werden.
Beginnen könnte man mit wirklichen gemeinsamen Interessen, z.B. in der Verteidigungspolitik, der Wirtschafts-u. Verkehrspolitik.
Nach und nach sollte dann die Steuergesetzgebung harmonisiert werden.
Das Endziel, ein wirklich geeintes und gemeinsames Europa mit einem übergeordneten Parlament...
In 100 bis 150 Jahren müsste es machbar sein.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Die einzelnen Gründe, warum es denn nur so schleichend voran geht mit Europa und dem europäischen Projekt, teile ich nicht unbedingt, hinterfrage Ihre Gedanken aber auch nicht. Denn den Ansatz zur Lösung aus dieser Erstarrung des europäischen Projekts vertrete ich seit sehr langer Zeit: Daß wir aus der Gemeinschaft der willigen Europäer ein eigenes Projekt entwickeln, das schon einmal voraus geht, das die Segnungen der Gemeinschaft klug weiter entwickelt und zum Musterland und Sehnsuchtsort für jene wird, die derzeit ziemlich unbelehrbar auf dem Holzweg rumpeln.

Insofern war und ist das französische Konzept eines Kerneuropas der Willigen genau das, was wir Europäer brauchen. Präsident Macron nahm die Euro-Gruppe als einen solchen Kern in den Blick. Der leitende Gedanke daran ist sicher, daß er in diesen Ländern eine tiefere Verbundenheit mit dem europäischen Projekt erkennt als dort, wo trotz der eingegangenen Verpflichtung zum Euro als Gemeinschaftswährung keine Anstrengungen zu erkennen sind, dieses Ziel kurzfristig zu erreichen... und langfristig sind wir alle... na ja, so ist das nun einmal.

Mein Gegenvorschlag zu dem eigentlich ganz logischen Vorschlag des französischen Präsidenten wäre, das Augenmerk doch eher auf die Zustimmung der Bürger in den Partnerstaaten der EU zum europäischen Projekt zu richten. Wenn Griechen und Italiener derzeit die EU als Ärgernis empfinden, die Polen aber zu 87% ihr Land gern in der EU sehen, dann scheint mir eine solche Vorauswahl über den Euro nicht so zwingend.

Man sollte also in aller Ruhe eine große wissenschaftlich nutzbare Umfrage in den Partnerstaaten zu einem europäischen Projekt beauftragen und dann nur solche Partner ansprechen, bei denen die Zustimmung zum europäischen Projekt sehr deutlich über 50% liegt; möglichst 2/3 und mehr dafür.

Ansonsten scheinen mir die Vorstellungen des französischen Präsidenten sehr ernsthaft angelegt zu sein: Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit harmonisiertem Steuern und Abgabensystem, eine gemeinsame Verteidigungsarmee, eine gemeinsame Hochschul- und Forschungslandschaft. Von meiner Seite aus sollte überlegt werden, ob die Regionen Frankreichs nun unbedingt so eng von Paris aus geführt werden müssen, oder ob man dort in den gemeinsamen Funktionsbereichen auch eine regionale Selbstverwaltung nach deutschem Muster zuläßt.

Stillschweigend gehe ich also davon aus, daß die Menschen in Deutschland und Frankreich ihre Zustimmung zum europäischen Projekt in einem überwältigenden Maß erteilen werden.

Aber ein lohnendes Anfangsziel wäre das doch... eigentlich das, was der Vertrag von Lissabon fördern wollte.

Eine Zeitvorstellung mag ich dazu nicht abgeben. Wenn man die 65 Jahre von den ersten Anfängen bis zum heute erreichten Stand betrachtet, dann scheinen mir 100 oder 150 Jahre arg lang... aber auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.

Den ersten Schritt sollten die Bundesregierung und die französische Regierung nun allmählich einmal wagen!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(22 Oct 2018, 11:39)
Auf dem Lande in Osteuropa regieren Not und Armut. In vielen Regionen geht es den Menschen sehr viel schlechter, als zu sozialistischen Zeiten. Die jungen Leute gehen - notgedrungen - weg. In die Großstädte, viele gleich ganz ins Ausland. Der ländliche Raum bietet in Osteuropa noch schlechtere Perspektiven, als er es in den alten EU-Staaten bietet. Und es sind nicht nur die Qualifizierten, die gehen. Viele Frauen gehen, weil ein Job als Pflegekraft in der häuslichen Dauerpflege in Deutschland zumindest ein bisschen mehr Geld verspricht, auch wenn es sich da vielfach um extrem ausbeuterische Arbeitsverhältnisse handelt.
Hier ist genau zu unterscheiden, um welche ostueropäische Region genau es sich handelt. In Ostmitteleuropa gibt es erhebliche soziale Probleme in den jeweiligen ländlichen Regionen des jeweiligen Ostens, also Ostpolen, Ostslowakei, Ostungarn usw. Und anders als etwa im gleichfalls ökonomisch abgehängten Süditalien äußern sich diese Probleme nicht so sehr in extremen Arbeitslosen- (und vor allem auch Jugendarbeitslosen-)Raten sondern in einem im Vergleich zum Landesdurchschnitt geringerem Einkommen. Von tatsächlicher "Not und Armut" nach objektiven, am Weltmaßstab gemessenen kriterien kann man in Europa aber, wenn überhaupt, dann allenfalls in Moldawien, Teilen der Ukraine, des Kosovo oder Bosnien-Herzogowinas reden. Von einer wirklich existenziellen Not kann auch in den abgehängten ländlichen Regionen Ostmitteleuropas gar keine Rede sein.

Das Abwanderungsproblem ist tatsächlich dramatisch. Das Paradoxe besteht aber darin, dass gerade Entwicklungsschübe dieses Problem verschärfen. Da wo Fachkräfte gebraucht werden, werden natürlich auch Fachkräfte ausgebildet. Und je höher diese Qualifikationen ausfallen, umso realistischer und nachhaltiger ist eine Lebensqualitätsverbesserung durch Wegzug. Das mit Abstand eklatanteste Beispiel dafür ist die Abwanderung von medizinischem Fachpersonal aus Rumänien nach Westeuropa. Allein und sage und schreibe 14 000 (!) Ärzte haben seit EU-Beitritt 2007 Rumänien verlassen. Dort steht das Gesundheitssystem, vor allem im ländlichen Raum, tatsächlich kurz vor dem Kollaps. Und im Gegensatz dazu genießen zumindest die rumänischen Spitzenuniversitäten, was medizinische Ausbildung anbetrifft, einen sehr guten internationalen Ruf. Das heißt: Es hilft kaum etwas, wenn man den Stand dieser Bildungsinfrastruktur weiter verbessert. Das wird die Abwanderung nur noch befördern. Einfach keine rumänischen Ärzte mehr in Deutschland einstellen widerspricht dem grundlegenden EU-Prinzip des freien Personenverkehrs. Ich weiß es auch nicht, wie dieses Problem lösbar sein könnte. Investoren siedeln sich in Osteruopa vielfach unter anderem wegen der vergünstigten Steuermodelle an. VOn daher fließt also auch nicht unbedingt Geld ins Gesundheitssystem.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von sünnerklaas »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Oct 2018, 10:49)
Dort steht das Gesundheitssystem, vor allem im ländlichen Raum, tatsächlich kurz vor dem Kollaps. Und im Gegensatz dazu genießen zumindest die rumänischen Spitzenuniversitäten, was medizinische Ausbildung anbetrifft, einen sehr guten internationalen Ruf. Das heißt: Es hilft kaum etwas, wenn man den Stand dieser Bildungsinfrastruktur weiter verbessert.
Die Ausbildung wird durch rumänische Steuergelder finanziert, danach bedienen sich die Boomstaaten. Die bekommen kostenlos Spitzenpersonal, dem man dann am besten im Vergleich zu eigenem Personal, deutlich geringere Gehälter zahlt.
Das wird die Abwanderung nur noch befördern. Einfach keine rumänischen Ärzte mehr in Deutschland einstellen widerspricht dem grundlegenden EU-Prinzip des freien Personenverkehrs. Ich weiß es auch nicht, wie dieses Problem lösbar sein könnte. Investoren siedeln sich in Osteruopa vielfach unter anderem wegen der vergünstigten Steuermodelle an. VOn daher fließt also auch nicht unbedingt Geld ins Gesundheitssystem.
Das Problem der Länder ist, dass es dort eben keine eigene Unternehmenskultur gibt. Man ist auf das Geld ausländischer Investoren angewiesen, man ist auf ausländische Unternehmen angewiesen, die in diesen Ländern Produktionsstandorte errichten und betreiben. Von diesen Investoren ist man zu 100% abhängig. Gehen sie, ist der Ofen aus, die Länder stürzen in den Bankrott ab. Alternativen zu ausländischen Unternehmen und Investoren hat man nicht, weil alle eigenen Spitzenleute aus dem Land getrieben wurden. Und genau das macht Regierungen gegenüber Leuten aus anderen Ländern erpressbar.

Ich kann mich immer nur wiederholen: Souverän zu sein, bedeutet mitnichten, nationalistische Sprüche zu klopfen. Souverän zu sein, heisst auch, wirtschaftlich souverän zu sein und souverän zu denken und zu handeln.

Was fehlende Souveränität bedeutet, können wir eindrucksvoll in Polen beobachten. Kaczynski versucht, nach außen hin den starken Mann zu markieren - bzw. lässt das seine Hampelmänner machen. Tatsächlich entpuppt sich das dann als heiße Luft.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

sünnerklaas hat geschrieben:(23 Oct 2018, 14:06)
...

...

Was fehlende Souveränität bedeutet, können wir eindrucksvoll in Polen beobachten. Kaczynski versucht, nach außen hin den starken Mann zu markieren - bzw. lässt das seine Hampelmänner machen. Tatsächlich entpuppt sich das dann als heiße Luft.
Die neuerliche Zurückhaltung Polens gegenüber der EU hat zwei Hintergründe: Einmal bringt inzwischen die EU sehr wirksame Mittel in Anschlag, um der national-konservativen polnischen Regierung zu verdeutlichen, daß die EU in Fragen der Rechtsstaatlichkeit (Rechtssicherheit!) nicht mit sich herum albern läßt. Zweitens ist den Politikern der PiS nicht entgangen, daß 87% der Polen die EU für eine gute Sache halten.

Ich würde mich nicht wundern, wenn die polnische Regierung sehr bald das Gespräch mit der EU und mit Deutschland sucht. Präsident Duda ist heute zu Gast bei Präsident Steinmeier zur Feier von 100 Jahren polnischer Unabhängigkeit. Beide besuchen ein Festkonzert im Theater an Gendarmenmarkt in Berlin. Solche Ehrungen werden in Polen nicht ihre Wirkung verfehlen!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von sünnerklaas »

H2O hat geschrieben:(23 Oct 2018, 14:44)

Die neuerliche Zurückhaltung Polens gegenüber der EU hat zwei Hintergründe: Einmal bringt inzwischen die EU sehr wirksame Mittel in Anschlag, um der national-konservativen polnischen Regierung zu verdeutlichen, daß die EU in Fragen der Rechtsstaatlichkeit (Rechtssicherheit!) nicht mit sich herum albern läßt. Zweitens ist den Politikern der PiS nicht entgangen, daß 87% der Polen die EU für eine gute Sache halten.
Ein Referendum abzuhalten, wie in GB, wird die aktuelle polnische Regierung nicht wagen. Eine Niederlage der PiS bei so einer Volksabstimmung wäre für Kaczynski und seine Hampelmänner toxisch.
Ich würde mich nicht wundern, wenn die polnische Regierung sehr bald das Gespräch mit der EU und mit Deutschland sucht. Präsident Duda ist heute zu Gast bei Präsident Steinmeier zur Feier von 100 Jahren polnischer Unabhängigkeit. Beide besuchen ein Festkonzert im Theater an Gendarmenmarkt in Berlin. Solche Ehrungen werden in Polen nicht ihre Wirkung verfehlen!
Auch PiS-Politiker wollen wiedergewählt werden. Und es sind Kaczynski&Co,, die ihren Wählern erklären müssten, warum dringend benötigte EU-Mittel für strukturschwache Räume gepfändet würden.
Allerdings sollte sich die polnische Gesellschaft einmal darüber klar werden, was in Polen zu tun ist, damit das Land wirklich souverän wird und gegenüber den westlichen Nachbarstaaten auf Augenhöhe begegnen kann. Warum liegt das gesamte Potenzial der polnischen Handwerker brach - bzw. ist nur im Ausland verfügbar? Warum gehen polnische Tüftler ins Ausland um dort erfolgreiche Unternehmer zu werden? Was müssen Staat und Gesellschaft in Polen tun, damit dieses Potenzial auch Polen selbst zugute kommt? Ich glaube fast, viele Polen sind sich nicht darüber im klaren, was für einen guten Ruf sie in Europa haben. Und den haben sie sich in den letzten 40 Jahren mit eigenen Händen erarbeitet.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

sünnerklaas hat geschrieben:(23 Oct 2018, 15:17)

...

...Warum liegt das gesamte Potenzial der polnischen Handwerker brach - bzw. ist nur im Ausland verfügbar? Warum gehen polnische Tüftler ins Ausland um dort erfolgreiche Unternehmer zu werden? Was müssen Staat und Gesellschaft in Polen tun, damit dieses Potenzial auch Polen selbst zugute kommt? Ich glaube fast, viele Polen sind sich nicht darüber im klaren, was für einen guten Ruf sie in Europa haben. Und den haben sie sich in den letzten 40 Jahren mit eigenen Händen erarbeitet.

Das ist so nicht wahr, zumindest in West-Pommern. Es gibt schon ausreichend Handwerker, aber die arbeiten ungern gegen Rechnung. Ich hatte Mühe damit.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(23 Oct 2018, 14:06)
Das Problem der Länder ist, dass es dort eben keine eigene Unternehmenskultur gibt. Man ist auf das Geld ausländischer Investoren angewiesen, man ist auf ausländische Unternehmen angewiesen, die in diesen Ländern Produktionsstandorte errichten und betreiben. Von diesen Investoren ist man zu 100% abhängig. Gehen sie, ist der Ofen aus, die Länder stürzen in den Bankrott ab.
Ich gebe dir nur mal ein aktuelles Beispiel: Das Konzept des öffentlichen Nahverkehrs der nicht ganz unbedeutenden deutschen Großsstädte Hamburg und Berlin für die nächsten Jahre ist gemeinsam koordiniert und der Hauptauftragnehmer der entsprechenden Ausschreibungen ist das (ur)polnische Unternehmen "Solaris" bei Poznan/Posen. Sie werden im wesentlichen die Straßenbahnen und Elektrobusse für dieses Konzept liefern. (Nachdem sie das bereits für andere europäische Großsstädte wie Athen tun). Bis zu diesem Jahr war Solaris ein rein polnisches Unternehmen mit eigenen Technologie-Konzepten, Ingenieuren usw. Die Tatsache, dass seit 2018 die spanische CAF Haupteigentümer (nicht aber Betreiber) von Solaris ist, spiegelt einfach einen generellen Trend zur Globalisierung wieder. Auch die großen deutschen Technologieunternehmen befinden sich im Besitz u.a. von arabischen Investementfonds. Es gibt nicht nur nicht keine "eigene Unternehmenskultur" bei Solaris sondern ein überragendes, der Konkurrenz offensichtlich überlegenes modernes Technologie-Konzept. Aber auch hier ist es wiederum so, dass der hevrorragende Ruf solcher Firmen zur Folge hat, dass ein Ingenieur von Solaris mit Kusshand und deutlich höherem Gealt in die von Ingenieurmangel betroffenen Unternehmen Westmitteleuropas eingestellt wird.

Diskussionen über die Perspektive von Wirtschaftzsstandorten wie diese hier, erinnern mich doch stark an Diskussionen Ende der 80er, Anfang der 90er über die wirtschaftliche Entwicklung Chinas. Dort würde Spielzeug zusammengeschraubt und T-Shirts zusammengenäht werden und das ganze sei eine Art ökonomischer Budenzauber. Wenn die Chinesen 2020 tatsächlich erfolgreich ihre Mars-Mission zu Ende gebracht haben, sollte man die Skeptiker der 90er nochmal an ihre Skepsis erinnern. Es gibt keine Platzansprüche auf Ewigkeit. Alles fließt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Oct 2018, 09:24)

Ich gebe dir nur mal ein aktuelles Beispiel: Das Konzept des öffentlichen Nahverkehrs der nicht ganz unbedeutenden deutschen Großsstädte Hamburg und Berlin für die nächsten Jahre ist gemeinsam koordiniert und der Hauptauftragnehmer der entsprechenden Ausschreibungen ist das (ur)polnische Unternehmen "Solaris" bei Poznan/Posen. Sie werden im wesentlichen die Straßenbahnen und Elektrobusse für dieses Konzept liefern. (Nachdem sie das bereits für andere europäische Großsstädte wie Athen tun). Bis zu diesem Jahr war Solaris ein rein polnisches Unternehmen mit eigenen Technologie-Konzepten, Ingenieuren usw. Die Tatsache, dass seit 2018 die spanische CAF Haupteigentümer (nicht aber Betreiber) von Solaris ist, spiegelt einfach einen generellen Trend zur Globalisierung wieder. Auch die großen deutschen Technologieunternehmen befinden sich im Besitz u.a. von arabischen Investementfonds. Es gibt nicht nur nicht keine "eigene Unternehmenskultur" bei Solaris sondern ein überragendes, der Konkurrenz offensichtlich überlegenes modernes Technologie-Konzept. Aber auch hier ist es wiederum so, dass der hevrorragende Ruf solcher Firmen zur Folge hat, dass ein Ingenieur von Solaris mit Kusshand und deutlich höherem Gealt in die von Ingenieurmangel betroffenen Unternehmen Westmitteleuropas eingestellt wird.
So weit einverstanden und Zustimmung. Aber bitte doch noch die Ergänzung, daß Solaris aus einem Berliner Busunternehmen hervor gegangen ist, das inzwischen erloschen ist. Wesentliche Mitarbeiter des Berliner Unternehmens waren jahrelang in der Führung von SOLARIS tätig (Geschäftsleitung). Diese Weisheiten habe ich aus Wikipedia... keineswegs auf eigenem Mist gewachsen.

Damit aber auch das klar ist: Eine hervorragende Managementleistung und Ingenieurleistung dieses Unternehmens Solaris: Die haben rechtzeitig gelesen, was in unseren europäischen Städten schief geht!

Kleine Anekdote am Rande: In Bremen sind zwei Solaris-Busse abgebrannt; ich meine, die waren mit Gasantriebsmotoren (kaum Feinstaub) ausgerüstet. Dennoch laufen dort etliche Solaris-Busse im Alltagsbetrieb.
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schokoschendrezki
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Nochmal zurück zum eigentlichen Thema: Am 8. November entscheidet die EVP-Fraktion im EU-Parlament, wer ihr Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten und Nachfolgers Junckers sein wird. Der Franzose Michel Barnier (gleichzeitig EU-Brexit-Verhandlungsführer) hat auf die Bewerbung verzichtet. Dafür tritt der frühere finnische MP Alexander Stubb nun gegen Manfred Weber von der CSU an. Es werden ihm zwar weniger Chancen eingeräumt. Aber: SOllte Stubb das Rennen machen, wird es definitiv eng für die Fidesz. Der Rauswurf der Fidesz aus der EVP steht ganz oben auf Stubbs Prioritätenliste. Sollte - wie allgemein erwartet - Weber sich durchsetzen, dürfen wir wahrscheinlich noch ziemlich oft das entspannt-selbstzufriedene Gesicht Orbáns erblicken.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Oct 2018, 09:45)

Nochmal zurück zum eigentlichen Thema: Am 8. November entscheidet die EVP-Fraktion im EU-Parlament, wer ihr Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten und Nachfolgers Junckers sein wird. Der Franzose Michel Barnier (gleichzeitig EU-Brexit-Verhandlungsführer) hat auf die Bewerbung verzichtet. Dafür tritt der frühere finnische MP Alexander Stubb nun gegen Manfred Weber von der CSU an. Es werden ihm zwar weniger Chancen eingeräumt. Aber: SOllte Stubb das Rennen machen, wird es definitiv eng für die Fidesz. Der Rauswurf der Fidesz aus der EVP steht ganz oben auf Stubbs Prioritätenliste. Sollte - wie allgemein erwartet - Weber sich durchsetzen, dürfen wir wahrscheinlich noch ziemlich oft das entspannt-selbstzufriedene Gesicht Orbáns erblicken.
Tja, was soll man als Wähler tun? Herr Stubb gehört also auch der konservativen europäischen Parteienfamilie an. Das ist schade, denn ich werde mit Sicherheit DIE GRÜNEN unterstützen. Taktisch wählen geht für das EU-Parlament ja nicht... oder?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Oct 2018, 09:45)

Sollte - wie allgemein erwartet - Weber sich durchsetzen, dürfen wir wahrscheinlich noch ziemlich oft das entspannt-selbstzufriedene Gesicht Orbáns erblicken.
Wie kommen sie darauf? Weber hat bei der Abstimmung über die Eröffnung eines Verletzungsverfahrens gegen Ungar den Fraktionszwang der EVP aufgehoben und als einziger CSU-Europaabgeordneter für die Eröffnung eines Verfahrens gestimmt. Seine Worte: „Kern der EU sind unsere gemeinsamen Werte – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit. Da kann es keine Abstriche oder Rabatte geben. Natürlich auch nicht für Mitglieder der Europäischen Volkspartei. Sonst würde Europa seine Seele verlieren.“ Würde mich sehr überraschen wenn er nicht auch den Ausschluß der Fidesz aus der EVP anstrebt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(25 Oct 2018, 10:00)

Tja, was soll man als Wähler tun? Herr Stubb gehört also auch der konservativen europäischen Parteienfamilie an. Das ist schade, denn ich werde mit Sicherheit DIE GRÜNEN unterstützen. Taktisch wählen geht für das EU-Parlament ja nicht... oder?
Auf die EU-Kommisionspräsidenten-Spitzenkandidaturnominierung der EVP am 7./8. November auf dem Parteitag in Helsinki haben wir ohnehin keinen Einfluss. Es ist ziemlich kompliziert. Die eigentliche Nominierung dieses Amtes erfolgt durch den Europäischen Rat, also dem Club der europäischen Staats- und Regierungschefs. Die wollen, das kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, durch die Bank einen schwachen Kommissionspräsidenten, damit sie selbst souverän bleiben. Das EU-Parlament muss den Kandidaten aber bestätigen. Und die EU-Parlamentsfraktionen wiederum wollen ihre Rolle als EU-Legislative stärken. Gehören aber stets jeweils nationalen Parteien an, die eben diese nationalen Regierungschefs als Regierungspartei stellen.

Meine Vermutung ist, dass Viktor Orbán eben jemand ist, der dieses komplexe, sich teilweise widersprechende Interessensgeflecht durchschaut und für sich zu nutzen weiß. So gegensätzlich die politischen Positionen von Merkel und Orbán auch sein mögen. Beide können etwas, was, wie sich in den entscheidenden Jahren um 2000 herum zeigte, Politiker wie Rühe, Merz oder Stoiber eben nicht können: Ihre persönliche Eitelkeit opportunistisch und pragmatisch auch mal zurückstellen. Um am Ende auf ganzer Linie alle hinter sich zu lassen. Es ist logisch, dass in einem vergleichsweise sehr kleinen Land wie Ungarn ein solcher Politiker gefeiert wird. Nach dem Motto: Der trickst die Großen alle aus.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(25 Oct 2018, 10:14)

Wie kommen sie darauf? Weber hat bei der Abstimmung über die Eröffnung eines Verletzungsverfahrens gegen Ungar den Fraktionszwang der EVP aufgehoben und als einziger CSU-Europaabgeordneter für die Eröffnung eines Verfahrens gestimmt. Seine Worte: „Kern der EU sind unsere gemeinsamen Werte – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit. Da kann es keine Abstriche oder Rabatte geben. Natürlich auch nicht für Mitglieder der Europäischen Volkspartei. Sonst würde Europa seine Seele verlieren.“ Würde mich sehr überraschen wenn er nicht auch den Ausschluß der Fidesz aus der EVP anstrebt.
Ja. Aber eben als einziger. Und diese Verfahrenseröffnung ist noch etwas ganz anderes als ein Rauswurf aus der Parlamentsfraktion. Die EU-Rechtsverfahren sowohl gegen Ungarn als auch gegen Polen sind gut und berechtigt aber in ihrer WIrkung von vornherein sehr begrenzt. Das wissen auch alle. Sämtliche Äußerungen von deutschen Unionspolitikern in Hinsicht auf einen Ausschluss der Fidesz aus der EVP, die ich gehört oder gelesen habe, alle, durch die Bank, sagen ganz klar und unmissverständlich: Ein Ausschluss steht für mich/für uns überhaupt nicht zur Debatte. Demgegenüber spricht der Finne genau davon: Ein AUsschluss der Partei.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(25 Oct 2018, 10:25)

Auf die EU-Kommisionspräsidenten-Spitzenkandidaturnominierung der EVP am 7./8. November auf dem Parteitag in Helsinki haben wir ohnehin keinen Einfluss. Es ist ziemlich kompliziert. Die eigentliche Nominierung dieses Amtes erfolgt durch den Europäischen Rat, also dem Club der europäischen Staats- und Regierungschefs. Die wollen, das kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, durch die Bank einen schwachen Kommissionspräsidenten, damit sie selbst souverän bleiben. Das EU-Parlament muss den Kandidaten aber bestätigen. Und die EU-Parlamentsfraktionen wiederum wollen ihre Rolle als EU-Legislative stärken. Gehören aber stets jeweils nationalen Parteien an, die eben diese nationalen Regierungschefs als Regierungspartei stellen.

Meine Vermutung ist, dass Viktor Orbán eben jemand ist, der dieses komplexe, sich teilweise widersprechende Interessensgeflecht durchschaut und für sich zu nutzen weiß. So gegensätzlich die politischen Positionen von Merkel und Orbán auch sein mögen. Beide können etwas, was, wie sich in den entscheidenden Jahren um 2000 herum zeigte, Politiker wie Rühe, Merz oder Stoiber eben nicht können: Ihre persönliche Eitelkeit opportunistisch und pragmatisch auch mal zurückstellen. Um am Ende auf ganzer Linie alle hinter sich zu lassen. Es ist logisch, dass in einem vergleichsweise sehr kleinen Land wie Ungarn ein solcher Politiker gefeiert wird. Nach dem Motto: Der trickst die Großen alle aus.
Das mag noch eine Weile so funktionieren; bis in der EU die Lust auf Europa verloren gegangen ist. Gefühlt stehen wir vor einer großen Wende, in der die Kanzlerin mit ihrer abwartenden Art nicht mehr weiter hilft, sondern im Gegenteil hinderlich ist. Mein Gefühl speist sich aus der Beobachtung der Wahlergebnisse in Bayern und der Vorausschau für Hessen. Wenn dort der insgesamt ordentlich arbeitende MP Bouffier sein Amt aufgeben muß, dann wird es einsam um die Kanzlerin. Dann ist sie keine sichere Bank mehr für eine Amtsübergabe an ihre Gefolgsleute. Dann ist sie auch keine verläßliche Partnerin mehr für Führungskräfte in der EU.

Mag sein, daß wir uns noch nach langweiligen Zeiten zurück sehnen!
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