Brainiac hat geschrieben:(12 Oct 2018, 16:43)
Dieses "wir" ist in dieser Allgemeinheit immer noch nicht plausibel belegt. Vielleicht gilt die Aussage für einige Eigentümer / Aktionäre der genannten, global tätigen Konzerne. Aber damit noch nicht für dich und mich und die westmitteleuropäischen Staaten und Gesellschaften insgesamt. Diesen Effekt sehe ich einfach nicht.
Orbán könnte ja deutlich machen, dass ihm die EU-Zuwendungen relativ egal seien - würde doch gut zu seinem sonstigen Auftreten passen. Das tut er aber mitnichten, im Gegenteil.
Er hat kein "Bild" von sich sondern ist ein hochgebildeter raffinierter gemeiner kleiner Junge, der Oppositionelle verfolgt, den Rechtstaat schreddert, die Pressefreiheit einschränkt und in perfektem Englisch mit westlichen Industrievertretern Ansiedlungsdeals aushandelt. "Passen" würde irgendeine Art von Authentizität voraussetzen. Davon kann aber überhaupt keine Rede sein. Jüngst in "Europa heute" wurde ein oppositioneller ungarischer EU-Parlamentarier sinngemäß zitiert: "Die Flüchtlings- und Migrationspolitik ist Orbán an sich völlig gleichgültig. Er nutzt sie als Machterhaltungsinstrument".
(Und, auch wenn das nicht hierher gehört: Nun scheint sich mit Jair Bolsonaro ein noch viel gemeinerer großer kleiner Junge in einem noch viel viel viel größerem Staat durchzusetzen, der noch nicht mal das, formal gebildet, ist. Da kann man wirklich zum Misanthropen werden, wenn einem am Menschen irgendwas liegt...)
Diskussionsmäßig scheint mir das Problem klar zu sein: Die Erzählung von der vermuteten ökonomisch-finanziellen Profitierung Ostmitteleuropas von einer EU-Mitgliedschaft
passt einfach zu der völlig zutreffenden Feststellung eines Demokratieabbaus. Und dann befördert sie auch noch das positive Selbstbild vom "Zahlmeister". Es ist
anstrengend, hier eine differenzierte Sicht einzunehmen. Und es erfordert Distanz und nicht Zugehörigkeitsreflex.
Natürlich auch Objektivität und nüchterne Rechnerei. Grad' hörte ich einen zusammenfassenden Bericht über die extremen Auswüchse von Steuervermeidungsmodellen großer Unternehmen und die Rolle der EU und der EU-Länder dabei. Es ist ein scheinbar aussichtsloser Kampf von David gegen Goliath. Apple oder Facebook oder IKEA zahlen effektiv Steuern im Promillebereich mit einem Firmensitz in Irland oder der Niederlande. Das ist auch kein Kavaliersdelikt sondern Schwarzfahren. Sie nutzen durchaus staatlich oder gruppenstaatlich bereitgestellte Leistungen: Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen. Die andere, kleinere Bezahlen. Aber Apple, ist das nicht die Firma, die jährlich coole neue Produkte herausbringt. Oder IKEA nicht die Firma, zu derenNiederlassungen man Samstag vormittags mit den Kindern zum Vergnügen hinfährt? Das sollen Verbrecherclans sein? Das wollen wir nicht hören! iDie parasitären Osteuropäer, die auch noch Demokratieabbau betreiben sinds und nicht solche angesagten coolen Unternehmen. Und so schraubt sich eine Erzählungsspirale hoch, die alles unabhängig von den tatsächlichen Realitäten in sich verfestigende Schemas einordnet.
Nun nur mal noch zu den Zahlendimensionen. Eine der Topmeldungen heute lautete, dass Audi grad zu ca. 800 000 Millionen Euro Strafzahlungen verpflichtet wurde, Dies wird im allgemeinen als Portokassenbeitrag (im Vergleich) gewertet. Von 1998 bis 2013 investierte Audi in den Standort Györ/UNgarn ca. 5,7 Milliarden Euro. Also das ca. 7-fache eines aktuellen "Bußgelds". 2016 wiederum wurden
so gut wie alle Motoren von audi-Fahrzeugen in Györ hergestellt. (und zunehmend auch entwickelt). Kannst du aus diesen drei Angaben rekonstruieren, wie das Verhältnis zwischen Investitionen und Gewinntransfers eigentlich ist?
Die Quelle für solche Angaben ist wikipedia und wie sonst auch gibts an der Seriösität bei solchen nüchternen unbewerteten Zahlenangaben auch kaum Zweifel.
https://de.wikipedia.org/wiki/Audi_Hungaria
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)