Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovakei)

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schokoschendrezki
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(01 Oct 2018, 16:46)
Ich glaube auch nicht daran, daß sich für den deutschen Durchschnittsbürger merklich etwas ändern würde, wenn Ungarn aus der EU geworfen würde. Ich wünsche mir das überhaupt nicht, im Gegenteil wünsche ich mir, daß Ungarn ein zuverlässiges und treues Mitglied unserer europäischen Familie bleibt und sich wieder unseren Umgangsformen anpaßt!
Was sind denn "unsere Umgangsformen"? Ich hatte genügend Beispiele genannt. Der VW-Konzern, die Deutsche Bank, mit zig Strafrechtsverfahren belastet. Fußballfunktionäre kommen in den Knast. Sogenannte Volksparteien streiten um Personenfragen statt sich Sachfragen zu widmen.

Es ist immer wieder erstaunlich - oder auch erschreckend - in welchem Maße viele Leute ihre eigenen persönlichen subjektiven kulturellen Präferenzen (z.B. Präferenz frankophoner Weltregionen) nicht von sachlicher politischer Analyse trennen können.
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Orbiter1
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 21:22)

De facto würde die "Stabilität" in Marokko darin bestehen, dass mit König Mohammed ein noch erheblich autokratischerer Autokrat als Viktor Orbán ökonomischen Rückhalt erführe.
Marokko unterliegt nicht den Regeln eines EU-Mitgliedstaates, Ungarn aber schon. Und im Gegensatz zu Ungarn die sich komplett verweigern bietet ein stabiles und wirtschaftlich prosperierendes Marokko einen Lösungsansatz für den Migrationsdruck aus Afrika. Schon aus diesem Grund sollte die Bundesregierung versuchen die Unternehmen mehr in Richtung Investitionen in Nordafrika statt Osteuropa zu drängen.
Auch hier dringt wieder diese Selbstgefälligkeit und dieser Egoismus durch.
Wer sich wegen seinem selbstgefälligen und egoistischen Verhalten vor der EU verantworten muß bin nicht ich sondern die Orban-Regierung.
Als ginge es in dem Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn um das Wohlergehen der Bürger Westmitteleruopas. Es geht dabei um den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit für die Bürger Ungarns! Bitteschön.
Sie können sich ja aus dem Thread raushalten wenn sie sich als Westmitteleuropäer für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit der Bürger in Ungarn nicht interessieren und stattdessen permanent darauf rumreiten wer denn aus ihrer Sicht von der Aufnahme der EU-Osteuropastaaten am meisten profitiert hat.
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Brainiac
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 10:59)

Wenn Sie meinen Beitrag aufmerksam gelesen hätten: Oppositionelle, Flüchtlinge, Intellektuelle in Ungarn sind auf Gemeinschaften wie die EU angewiesen. Wenn sie nicht mit einer zunehmend undemokratischen Regierung leben wollen.

Und ferner und nochmal: Die eigentlicher Gewinner einer EU-Mitgliedschaft Ungarns sind typischerweise Länder wie Deutschland.
Könntest du dazu bitte mal eine halbwegs plausible Modellrechnung erstellen oder verlinken? Ansonsten zweifle ich diese Aussage sehr stark an. Ich gehe davon aus, das Ungarn erheblich mehr von der EU profitiert, als umgekehrt. Das ist aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage und der Strukturförderungszuwendungen auch plausibel, das Gegenteil müsste man mir beweisen.

Btw, die Gewinne deutscher Unternehmen aus ungarischen Standorten werden idR dort auch versteuert und landen keineswegs 1:1 im deutschen Staatshaushalt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(01 Oct 2018, 22:14)

Könntest du dazu bitte mal eine halbwegs plausible Modellrechnung erstellen oder verlinken? Ansonsten zweifle ich diese Aussage sehr stark an. Ich gehe davon aus, das Ungarn erheblich mehr von der EU profitiert, als umgekehrt. Das ist aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage und der Strukturförderungszuwendungen auch plausibel, das Gegenteil müsste man mir beweisen.

Btw, die Gewinne deutscher Unternehmen aus ungarischen Standorten werden idR dort auch versteuert und landen keineswegs 1:1 im deutschen Staatshaushalt.
Ich habe auch nicht geschrieben, dass sie im Staatshaushalt landen und davon Schulen und Kindergärten gebaut werden, sondern dass sie vermutlich dazu beitragen, dass Unternehmen wie VW trotz Milliardenstrafen weiterhin fröhlich Umsatzsteigerungen erzielen. Und dass eine immer schmalere Gruppe von Vermögenden die Preise für Mieten und Wohneigentum hochtreibt. Weiterhin: Die Inverstorenanlockungspolitik ist definitiv eben durch Steuererleichterungsangebote gekennzeichnet. In Ungarn moderat. In Polen in den Sonderwirtschaftszonen exzessiv. Und Irland treibt dieses Modell in schier ungeahnte Höhen. Alle großen Technologiekonzerne haben ihren Europa-Sitz in Irland, weil sie dort praktisch kaum Steuern zahlen müssen. Von einer konservativen slowakischen Poltikerin hörte ich unlängst den Satz "Die Slowakei ist ein reiches Land mit armen Menschen". Und das gilt - mit anderen absoluten Zahlen aber gleicher Relativität auch für Deutschland - Deutschland ist der ökonomische Superstar Europas mit haufenweise prekär Beschäftigten.

Ich kann keine exakte Modellrechnung erstellen. Sondern nur auf Symptome verweisen: Ausländische Investorenvertreter haben erwiesenermaßen ausgezeichnete Kontakte zu ungarischen Regierungsvertretern und interessieren sich für Demokratieeinschränkungen einen Scheiß. Wenn der Vorteil nicht auf ihrer Seite läge, müsste man hier als Grund Philantropismus vermuten. Das aber glaube wer will. Ich nicht. Was kann der Grund für immer neue Errichtungen von Produktions- und Entwicklungszentren in Ungarn sein? Wiederum Philantropismus? Oder Orbán-Fantum? Oder nicht vielleicht doch einfach Vorteils-Durchrechnungen? Und es geht dabei um ganz andere SUmmen als bei EU-Infrastrukturförderung. Bekanntermaßen zahlt ein großes superreiches Unternehmen wie Google oder Ikea im prozentualen Vergleich zu einem Handwerksbetrieb so gut wie gar keine Steuern.

Das Problem verschiebt sich einfach nach hierher. Die Frage müsste eigentlich lauten: Warum kommt im Staatshaushalt der Bundesrepublik nix von diesen exorbitanten Gewinnnen der Unternehmen an? Glaubst Du im Ernst, dass sich im internationalen Gefüge tatsächlich primär und vor allem "Staatshaushalte" gegenüberstehen? Und die einen gewähren und die anderen nehmen? Das ist doch naiv! Das wäre so, wenn die Wirtschaft rein im nationalen Rahmen agierte, den Staat mit Steuern finanzierte und dann die Staaten/Regierungen/Könighäuser international handelten. Diese Zeiten sind schon seit der Hanse oder den Fuggern und Welsern vorbeí. DIe Welser finanzierten die Kriegszüge Kaiser Karls und erhielten dafür das Vorrecht, in der Überseeprovinz Venezuela nach Belieben schalten und walten zu können.

Der Geldtransfer der Staatshaushalte (z.B. über EU-Zuwendungen) ist ein dünnes Bächlein in die eine Richtung. Der internationale Produkt- und Unternehmensgewinnntransfer ist ein reißender Strom in die andere Richtung. Und so war das gemeint mit den Netto-Gewinnlern und -Verlierern.
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Brainiac
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(01 Oct 2018, 22:49)

Ich habe auch nicht geschrieben, dass sie im Staatshaushalt landen und davon Schulen und Kindergärten gebaut werden, sondern dass sie vermutlich dazu beitragen, dass Unternehmen wie VW trotz Milliardenstrafen weiterhin fröhlich Umsatzsteigerungen erzielen. Und dass eine immer schmalere Gruppe von Vermögenden die Preise für Mieten und Wohneigentum hochtreibt. Weiterhin: Die Inverstorenanlockungspolitik ist definitiv eben durch Steuererleichterungsangebote gekennzeichnet. In Ungarn moderat. In Polen in den Sonderwirtschaftszonen exzessiv. Und Irland treibt dieses Modell in schier ungeahnte Höhen. Alle großen Technologiekonzerne haben ihren Europa-Sitz in Irland, weil sie dort praktisch kaum Steuern zahlen müssen. Von einer konservativen slowakischen Poltikerin hörte ich unlängst den Satz "Die Slowakei ist ein reiches Land mit armen Menschen". Und das gilt - mit anderen absoluten Zahlen aber gleicher Relativität auch für Deutschland - Deutschland ist der ökonomische Superstar Europas mit haufenweise prekär Beschäftigten.

Ich kann keine exakte Modellrechnung erstellen. Sondern nur auf Symptome verweisen: Ausländische Investorenvertreter haben erwiesenermaßen ausgezeichnete Kontakte zu ungarischen Regierungsvertretern und interessieren sich für Demokratieeinschränkungen einen Scheiß. Wenn der Vorteil nicht auf ihrer Seite läge, müsste man hier als Grund Philantropismus vermuten. Das aber glaube wer will. Ich nicht. Was kann der Grund für immer neue Errichtungen von Produktions- und Entwicklungszentren in Ungarn sein? Wiederum Philantropismus? Oder Orbán-Fantum? Oder nicht vielleicht doch einfach Vorteils-Durchrechnungen? Und es geht dabei um ganz andere SUmmen als bei EU-Infrastrukturförderung. Bekanntermaßen zahlt ein großes superreiches Unternehmen wie Google oder Ikea im prozentualen Vergleich zu einem Handwerksbetrieb so gut wie gar keine Steuern.

Das Problem verschiebt sich einfach nach hierher. Die Frage müsste eigentlich lauten: Warum kommt im Staatshaushalt der Bundesrepublik nix von diesen exorbitanten Gewinnnen der Unternehmen an? Glaubst Du im Ernst, dass sich im internationalen Gefüge tatsächlich primär und vor allem "Staatshaushalte" gegenüberstehen? Und die einen gewähren und die anderen nehmen? Das ist doch naiv! Das wäre so, wenn die Wirtschaft rein im nationalen Rahmen agierte, den Staat mit Steuern finanzierte und dann die Staaten/Regierungen/Könighäuser international handelten. Diese Zeiten sind schon seit der Hanse oder den Fuggern und Welsern vorbeí. DIe Welser finanzierten die Kriegszüge Kaiser Karls und erhielten dafür das Vorrecht, in der Überseeprovinz Venezuela nach Belieben schalten und walten zu können.

Der Geldtransfer der Staatshaushalte (z.B. über EU-Zuwendungen) ist ein dünnes Bächlein in die eine Richtung. Der internationale Produkt- und Unternehmensgewinnntransfer ist ein reißender Strom in die andere Richtung. Und so war das gemeint mit den Netto-Gewinnlern und -Verlierern.
Das geht jetzt eher in die Richtung einer allgemeinen System-, Großkonzern- und Kapitalismuskritik. Ich sehe das anders, aber das führt hier zu weit.

Wenn man aber mal nur für diesen Strang das existente kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dem meines Wissens noch keine bessere Alternative gefunden wurde, als gegebene Rahmenbedingung akzeptiert, dann bleibt festzustellen: Wenn man die Staaten und deren Bevölkerung wie deren Haushalte betrachtet, dann scheinen mir der ungarische Staat und seine Bevölkerung erheblich mehr von der EU zu profitieren, als umgekehrt. Die Strukturförderung haben wir schon erschöpfend diskutiert. Und die Investitionen von VW und anderen Großunternehmen in Ungarn nutzen direkt der ungarischen Bevölkerung (über Arbeitsplätze) und dem ungarischen Staat (über Steuereinnahmen). Der deutschen Bevölkerung und dem deutschen Staatshaushalt nutzen sie erst mal gar nichts. Oder wirken sogar negativ, da hier entfallend / wegverlagert.

Für dich gilt anscheinend irgendwie "VW = Deutschland". Diese Betrachtungsweise führt mE. bei global agierenden Konzernen in die Irre. VW = VW.

Und vor diesem Hintergrund, back to topic, wäre der "Rauswurf" - oder auch Zuwendungskürzungen als Vorstufe dazu - aus ungarischer Sicht mE. schon ein sehr ungutes Szenario. Es wird nicht geschehen, denn die EU besitzt die dazu erforderliche innere Stärke nicht. Das ist aber ein anderes Thema.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Brainiac hat geschrieben:(02 Oct 2018, 05:51)

Das geht jetzt eher in die Richtung einer allgemeinen System-, Großkonzern- und Kapitalismuskritik. Ich sehe das anders, aber das führt hier zu weit.

Wenn man aber mal nur für diesen Strang das existente kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dem meines Wissens noch keine bessere Alternative gefunden wurde, als gegebene Rahmenbedingung akzeptiert, dann bleibt festzustellen: Wenn man die Staaten und deren Bevölkerung wie deren Haushalte betrachtet, dann scheinen mir der ungarische Staat und seine Bevölkerung erheblich mehr von der EU zu profitieren, als umgekehrt. Die Strukturförderung haben wir schon erschöpfend diskutiert. Und die Investitionen von VW und anderen Großunternehmen in Ungarn nutzen direkt der ungarischen Bevölkerung (über Arbeitsplätze) und dem ungarischen Staat (über Steuereinnahmen). Der deutschen Bevölkerung und dem deutschen Staatshaushalt nutzen sie erst mal gar nichts. Oder wirken sogar negativ, da hier entfallend / wegverlagert.

Für dich gilt anscheinend irgendwie "VW = Deutschland". Diese Betrachtungsweise führt mE. bei global agierenden Konzernen in die Irre. VW = VW.

Und vor diesem Hintergrund, back to topic, wäre der "Rauswurf" - oder auch Zuwendungskürzungen als Vorstufe dazu - aus ungarischer Sicht mE. schon ein sehr ungutes Szenario. Es wird nicht geschehen, denn die EU besitzt die dazu erforderliche innere Stärke nicht. Das ist aber ein anderes Thema.
Wenn die Normalverbraucher Ungarns durch einen Rausschmiß (der ja technisch gar nicht möglich ist!) aus der EU hart getroffen würden, dann würde ich innerlich diesem Rauswurf niemals zustimmen. Die EU ist gottlob nicht so stark, daß sie solche halbwegs Gewaltakte auf den Weg bringen könnte. Aber es gibt feinere Justierschrauben, mit denen die EU Widerborste zum verschärften Nachdenken veranlassen kann. Man kann Politiker schneiden, man kann Zuwendungen stufenweise abschichten, Bürgschaften auslaufen lassen, die Grundfreiheiten des Binnenmarkts stufenweise abbauen. Man muß das nur wollen. Alles das sind vertraglich festgeschriebene Leistungen der zusammenwachsenden EU, und was unter Vertrag ist, das kann mit Hilfe des EuGH auch wieder kassiert werden. Das Einzige, an dem ich nie rühren würde, das wäre die Beweglichkeit der Jugend im Jugendaustausch und zum Studium. Den soll schon die ungarische Regierung erschweren oder unmöglich machen, wenn sie das als Strafmaßnahme gegen den Westen so haben will.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(02 Oct 2018, 05:51)

Das geht jetzt eher in die Richtung einer allgemeinen System-, Großkonzern- und Kapitalismuskritik. Ich sehe das anders, aber das führt hier zu weit.

Wenn man aber mal nur für diesen Strang das existente kapitalistische Wirtschaftssystem, zu dem meines Wissens noch keine bessere Alternative gefunden wurde, als gegebene Rahmenbedingung akzeptiert, dann bleibt festzustellen: Wenn man die Staaten und deren Bevölkerung wie deren Haushalte betrachtet, dann scheinen mir der ungarische Staat und seine Bevölkerung erheblich mehr von der EU zu profitieren, als umgekehrt. Die Strukturförderung haben wir schon erschöpfend diskutiert. Und die Investitionen von VW und anderen Großunternehmen in Ungarn nutzen direkt der ungarischen Bevölkerung (über Arbeitsplätze) und dem ungarischen Staat (über Steuereinnahmen). Der deutschen Bevölkerung und dem deutschen Staatshaushalt nutzen sie erst mal gar nichts. Oder wirken sogar negativ, da hier entfallend / wegverlagert.

Für dich gilt anscheinend irgendwie "VW = Deutschland". Diese Betrachtungsweise führt mE. bei global agierenden Konzernen in die Irre. VW = VW.

Und vor diesem Hintergrund, back to topic, wäre der "Rauswurf" - oder auch Zuwendungskürzungen als Vorstufe dazu - aus ungarischer Sicht mE. schon ein sehr ungutes Szenario. Es wird nicht geschehen, denn die EU besitzt die dazu erforderliche innere Stärke nicht. Das ist aber ein anderes Thema.
Der Vorwurf "pauschale Kapitalismuskritik" ... das kann ich schon verstehen und vom Eindruck meiner Argumentation ist das schon verständlich. Und für mich gilt absolut nicht "VW=Deutschland". Das kann ich dir versichern. Aber dennoch: In keinster Weise gilt "Land = Staatshaushalt". Wir würden absolut nix vom Gang der politischen Entwicklungen verstehen, wenn wir Politik als ausschließliches Geschäft von Regierungen und Staatenbünden sehen würden. Beziehungsweise mit der Relation VW=VW Wirtschaftsbeziehungen einfach ausklammern würden. Schau dir das Beispiel Ukraine an. Oder Russland. Es ist inzwischen unklar, ob da eigentlich Regierungen oder Regierungs-Wirtschafts-Konglomerate agieren. In Deutschland gehe ich von einer immer noch bestehenden Trennung aus. Aber in welchem Verhältnis tatsächlich laufende reale Prozesse von Regierungs- oder Unternehmenspolitik abhängen ... die Frage ist zumindest nicht einfach trivial beantwortbar. Trivial scheint mir dagegen die Erkenntnis zu sein, dass mit einer einfachen und schlichten Größenbeschränkung ohne jegliche Einschränkung sonstiger marktwirtschaftlicher Prinzipien es erreicht werden würde, dass Politik die Sache von demokratisch gewählten Regierungen und Wirtschaft die Sache von Wirtschaftsunternehmen wäre. Anderes Thema sicherlich.

Back to topic heißt für mich vor allem back to the Frage, warum es vor der unrealisierbaren Atombombe EU-Rauswurf des Landes definitv keinen realisierbaren EVP-Rauswurf der Orbán-Partei gibt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Oct 2018, 08:14)

Wenn die Normalverbraucher Ungarns durch einen Rausschmiß (der ja technisch gar nicht möglich ist!) aus der EU hart getroffen würden, dann würde ich innerlich diesem Rauswurf niemals zustimmen. Die EU ist gottlob nicht so stark, daß sie solche halbwegs Gewaltakte auf den Weg bringen könnte. Aber es gibt feinere Justierschrauben, mit denen die EU Widerborste zum verschärften Nachdenken veranlassen kann. Man kann Politiker schneiden ...
Richtig. Aber genau das tut man eben nicht. Es gibt verbale Empörungen, ja: Geschenkt! Mein EIndruck ist, dass die Popularität und die Wahlerfolge Orbáns in hohem Maße seinem Geschick zu verdanken sind, die EU praktisch auszutricksen. Und das ist ihm wieder mal gelungen. Und deshalb wird seine Popularität om Ungarn weiter wachsen. Und eigentlich ist der Fall Rumänien noch weitaus problematischer. Mit "Das peinliche Schweigen des Martin Schulz" war ein Artikel im Tagesspiegel überschrieben. Es geht um die fehlende Kritik der SPD an den politisch geradezu ungeheuerlichen Vorgängen in Rumänien. Aber die rumänische Regierungspartei PSD, rein formal und vom Namen her "Sozialdemokratisch" bildet eben zahlenmäßig einen beträchtlichen Teil der zweitgrößten Fraktion S&D im EU-Parlament. Gleichauf mit den französischen Sozialisten. Gegen das, was in jüngerer Zeit von dieser Partei in Rumänien veranstaltet wird, ist der Demokratieabbau in Ungarn ein Pappenstiel. Aber die SPD stellt sich davor. Denn es geht in Wahrheit um Machtgeschachere. "Werte" sind etwas fürs Publikum. Da verurteilt man natürlich Machenschaften wie die der rumänischen PSD öffentlich. Und macht real etwas ganz anderes.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Oct 2018, 11:10)

Richtig. Aber genau das tut man eben nicht. Es gibt verbale Empörungen, ja: Geschenkt! Mein EIndruck ist, dass die Popularität und die Wahlerfolge Orbáns in hohem Maße seinem Geschick zu verdanken sind, die EU praktisch auszutricksen. Und das ist ihm wieder mal gelungen. Und deshalb wird seine Popularität om Ungarn weiter wachsen. Und eigentlich ist der Fall Rumänien noch weitaus problematischer. Mit "Das peinliche Schweigen des Martin Schulz" war ein Artikel im Tagesspiegel überschrieben. Es geht um die fehlende Kritik der SPD an den politisch geradezu ungeheuerlichen Vorgängen in Rumänien. Aber die rumänische Regierungspartei PSD, rein formal und vom Namen her "Sozialdemokratisch" bildet eben zahlenmäßig einen beträchtlichen Teil der zweitgrößten Fraktion S&D im EU-Parlament. Gleichauf mit den französischen Sozialisten. Gegen das, was in jüngerer Zeit von dieser Partei in Rumänien veranstaltet wird, ist der Demokratieabbau in Ungarn ein Pappenstiel. Aber die SPD stellt sich davor. Denn es geht in Wahrheit um Machtgeschachere. "Werte" sind etwas fürs Publikum. Da verurteilt man natürlich Machenschaften wie die der rumänischen PSD öffentlich. Und macht real etwas ganz anderes.
Die EU bringt Rumänien wegen dieser Winkelzüge (Strafvereitelung) der führenden Politiker Rumäniens vor den EuGH. Mehr kann man von der EU-Kommission als Hüter der Verträge nicht erwarten. Mit dem Urteil des EuGH muß der EU-Ministerrat umgehen.

Die Schacherei der "Volksparteien" wird diese teuer zu stehen kommen, Neulich beschwerten Sie sich über die EVP = CDU/CSU wegen der Kumpanei mit Orban, und nun über den "glühenden" Europäer Martin Schulz wegen der Kumpanei mit den rumänischen Sozialdemokraten.

So etwas spricht sich herum. Die SPD wird soeben von den GRÜNEN auf Bundesebene eingeholt oder überholt. Die CDU ist inzwischen nicht mehr unerreichbar auf Abstand zu den GRÜNEN. Fehlt noch, daß die CDU/CSU die Kanzlerin zu Fall bringt mit weiteren persönlichen Reibereien anstatt sachlicher Regierungsarbeit, und dann fliegen die Fetzen. Die Leute haben allesamt den Schuß noch nicht gehört!

Ich meine schon, daß die EU weiterhin formal eine Wertegemeinschaft ist; so ganz verstehe ich aber nicht mehr das Handeln unserer Regierungskoalition, auch in Sachen EU. Kein erkennbares Entwicklungskonzept für die EU, nur irgendwie durchwursteln. Allein kann Präsident Macron die EU nicht in die Zukunft treiben... und inzwischen habe ich das Gefühl, daß die deutsche Seite mit dem Stillstand ganz zufrieden ist.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Oct 2018, 19:29)
Die Schacherei der "Volksparteien" wird diese teuer zu stehen kommen, Neulich beschwerten Sie sich über die EVP = CDU/CSU wegen der Kumpanei mit Orban, und nun über den "glühenden" Europäer Martin Schulz wegen der Kumpanei mit den rumänischen Sozialdemokraten.
Ja, aber das steht doch gar nicht im Widerspruch zueinander. Meine Position hier ist nach wie vor: NIcht "Ungarn" oder "Rumänien" sollten an den Pranger gestellt werden sondern die verantwortlichen Regierungsparteien bzw. Regierungen.

Man muss natürlich aufpassen, dass man bei aller berechtigten Kritik an Machtgeschachere von Parteien nicht in ein populistisches Generalbashing verfällt. Parteien sind die zentralen Akteure im demokratischen politischen Geschehen. Ich bin misstrauisch sowohl gegenüber direkter Demokratie und Volksabstimmungen als auch gegenüber hierarchisch von oben konzipierten Vorstellungen von Europa, bei denen Staatsoberhäupter zu den Klängen von Nationalhymnen Ehrenformationen abschreiten und sich gemeinsamer "Werte" verpflichten. Parlamentarismus und Stärkung der Legislative stehen für mich im Zentrum. Sowohl auf nationaler Ebene wie auch auf europäischer. Und wenn es da nun eine EVP-Fraktion mit der Fidesz (und übrigens auch immer noch mit der Forza Italia in beträchtlicher Stärke) gibt ... und eine "sozialdemokratische" S&D mit der rumänischen PSD, eine der korruptesten und kriminellsten Parteien ganz Europas ... dann ist für mich das zentrale Vehikel einer EU-Demokratie entwertet. Was soll ich damit? Ich entwickle in gewisser Weise inzwischen regelrecht Sympathien für die in politischer Hinsicht für mich völlig und absolut abgelehnte polnische PiS. Weil es da in EU-Fraktionshinsicht klare Verhältnisse gibt. Wenn die britische Konservative Partei da raus ist, ist die PiS mit Abstand die stärkste Partei in der nationalkonservativ-rechtspopulistischen EKR-Fraktion. Da weiß man, woran man ist.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

...ist die PiS mit Abstand die stärkste Partei in der nationalkonservativ-rechtspopulistischen EKR-Fraktion. Da weiß man, woran man ist.
Um so klarer kann man mit der Neugestaltung der EU als Wertegemeinschaft beginnen. Übrigens ist bei so engen Beziehungen wie zwischen Frankreich und Deutschland die Ehrenformation nur noch die Ausnahme. Man trifft sich "ganz einfach", und das ziemlich ungezwungen.

Ich sehe eher diesen Umgang miteinander als Auszeichnung... die formale Tünche des diplomatischen Umgangs von Staaten miteinander ist dort weitgehend entbehrlich. Das sollte der Weg sein zur europäischen Gemeinsamkeit.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(04 Oct 2018, 08:48)
Um so klarer kann man mit der Neugestaltung der EU als Wertegemeinschaft beginnen. Übrigens ist bei so engen Beziehungen wie zwischen Frankreich und Deutschland die Ehrenformation nur noch die Ausnahme. Man trifft sich "ganz einfach", und das ziemlich ungezwungen.
Unter "ziemlich einfach und ungezwungen" verstehe ich das (bis heute bestehende) Verhältnis zu einer französischen Austauschstudentin, die vor einiger Zeit für ein Jahr bei uns wohnte ... Das hat aus meiner Sicht nur wenig mit den Staatsbeziehungen zu tun.

In einer Retrospektive zum Münchner Abkommen vor ziemlich genau 80 Jahren: Da haben sich die Oberhäupter zweier mit Blut und Waffen zusammengeklaubter Großkolonialreiche, Chamberlain und Deladier mit zwei faschistsichen Dikatoren, Hitler und Mussolini getroffen. Ein Vertreter des Staats, um den es eigentlich ging, die Tschechoslowakei war gar nicht eingeladen. Chamberlain sprach von einem "fernen Staat", dessen Probleme den Westen nix anginge. Und Deladier von der Notwendigkeit, (zunächst) die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei Hitler zu überlassen, um "den Frieden" in Europa abzusichern. Es handelte sich bei der Tschechoslowakei allerdings um die letzte verbliebene Demokratie ohne Kolonialreich in Europa. Mit einem Präsidenten, der zuletzt (auf Deutsch) die Kinder im Sudetengebiet aufforderte, die jeweils andere Sprache zu lernen und sich gegenseitig zu respektieren. Und es wurde mit dem Münchner Abkommen nicht der Frieden abgesichert sondern der letzte Dammbruch zum schlimmsten Krieg der Weltgeschichte in Gang gesetzt. Aber Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich sind ja klassische westliche Kulturnationen und Tschechen und Slowaken irgendwelche osteuropäischen Untermenschen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

In Europa wollten wir einen Neubeginn wagen. Und da kommen Sie mit diesen alten Kamellen! Wir sollten schon in der Gegenwart bleiben und uns an geschlossene Verträge halten. Dann klappt das auch mit der Wertegemeinschaft und schnörkellosen Umgangsformen in einer Schicksalsgemeinschaft.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

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Brainiac hat geschrieben:(01 Oct 2018, 22:14)

Könntest du dazu bitte mal eine halbwegs plausible Modellrechnung erstellen oder verlinken?
EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:
Ein Schluss jedoch bleibt: Im Konflikt (haben) die West-Staaten der EU mehr zu verlieren als die im Osten.
http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Diesen Zahlen mißtraue ich; ohne die westlichen Zuwendungen zur Modernisierung der Gesellschaften dort würde sich nur sehr schleppend etwas in dieser Art rühren. Die Gesellschaft würde weiter im 20. Jahrhundert hängen bleiben.

Ich kann das hier vor Ort in Pommern gut beobachten. Hier betreiben LIDL, NETTO, INTERMARCHÉ, KAUFLAND die neuen Märkte; dafür verschwinden die Tante-Emma-Läden, die vor 5 Jahren hier das Bild noch beherrschten. Das Angebot steht dem in Deutschland nicht nach, wobei die Zulieferketten überwiegend in Polen, Tschechien und Ungarn liegen. Aber eine eiserne Qualitätssicherung liegt vor jeder Lieferung. Allein dieses Management , das so zu sagen gar nichts kostet, stellt aus meiner Sicht einen hohen Wert dar. Daß aus dieser Geschäftstätigkeit die Gewinne nach Steuern erst einmal in der LIDL-Kriegskasse landen, das halte ich für selbstverständlich. Woher sollen denn sonst neue Investitionen in Modernisierung und Qualitätssicherung kommen? Daß die Verbraucherpreise dort deutlich unter denen in Tante-Emma-Läden liegen, das versteht sich von allein, und über die Qualität des Angebots läßt sich überhaupt nicht streiten.

Mit etwas Phantasie komme ich auch dem Geschäftsmodell der deutschen Autobauer näher. Die haben angebotene und erbetene Investitionen im Osten vorgenommen, nachdem sie feststellen konnten, daß dort preisgünstige Fachleute verfügbar sind. Sie haben also einen Teil ihrer Fertigung und Entwicklung dorthin verlagert. Das Produkt, das dort entsteht, ist Teil eines umfassenden Wettbewerbs weltweit, wo Märkte gepflegt werden wollen, Modernisierung des Produkts durch Wettbewerb notwendig ist. Die Strategie des Unternehmens und die Vermarktung der Produkte sind an anderer Stelle konzentriert... und die Oststaaten würden in keiner Weise in diesem Wettbewerb bestehen... oder nur in Ausnahmefällen. Die Unternehmen bringen das oft geniale Design eines Produkts aus Italien mit der Ingenieurleistung in Deutschland und dem Fleiß und Können der Menschen im Osten zusammen. Wenn sich dieses Geschäftsmodell nicht lohnte, sondern dieses Unternehmensmanagement nur unter politischen Risiken und drohenden Verlusten zu betreiben wäre, dann bäckt man besser ganz kleine Brötchen und behält seine Talerchen zu Hause und die Leute im Osten hinter dem Mond.

Das ist aber nun einmal nicht so, und alle sind glücklich und zufrieden. Eine neue Zeit wird auch dort eingeläutet.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 14:14)

Diesen Zahlen mißtraue ich; ohne die westlichen Zuwendungen zur Modernisierung der Gesellschaften dort würde sich nur sehr schleppend etwas in dieser Art rühren. Die Gesellschaft würde weiter im 20. Jahrhundert hängen bleiben.

Ich kann das hier vor Ort in Pommern gut beobachten. Hier betreiben LIDL, NETTO, INTERMARCHÉ, KAUFLAND die neuen Märkte; dafür verschwinden die Tante-Emma-Läden, die vor 5 Jahren hier das Bild noch beherrschten. Das Angebot steht dem in Deutschland nicht nach, wobei die Zulieferketten überwiegend in Polen, Tschechien und Ungarn liegen. Aber eine eiserne Qualitätssicherung liegt vor jeder Lieferung. Allein dieses Management , das so zu sagen gar nichts kostet, stellt aus meiner Sicht einen hohen Wert dar. Daß aus dieser Geschäftstätigkeit die Gewinne nach Steuern erst einmal in der LIDL-Kriegskasse landen, das halte ich für selbstverständlich. Woher sollen denn sonst neue Investitionen in Modernisierung und Qualitätssicherung kommen? Daß die Verbraucherpreise dort deutlich unter denen in Tante-Emma-Läden liegen, das versteht sich von allein, und über die Qualität des Angebots läßt sich überhaupt nicht streiten.

Mit etwas Phantasie komme ich auch dem Geschäftsmodell der deutschen Autobauer näher.
Ich bitte Sie ... Lidl braucht Kassiererinnen, Aufsteller und mal einen Filialleiter. Bei allem Respekt. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es in einem hochmodernen Motorenentwicklungszentrum wie dem von Audi Hungaria im ungarischen Györ zugeht?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 14:22)

Ich bitte Sie ... Lidl braucht Kassiererinnen, Aufsteller und mal einen Filialleiter. Bei allem Respekt. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es in einem hochmodernen Motorenentwicklungszentrum wie dem von Audi Hungaria im ungarischen Györ zugeht?
Ach ja, das war mir ganz entfallen... also lieber Schokoschendretzki: Ich meine ich hätte komplexere Zusammenhänge dargestellt als die Notwendigkeit, einen Supermarkt mit dem notwendigen Personal aus zu statten. Ich weiß sogar, welche Einkünfte diese Mitarbeiter erzielen.

Und bei allem Respekt... wie eine wettbewerbsfähige Entwicklungsabteilung tickt, das habe ich nun Zeit meines Lebens selbst maßgeblich mitgestaltet, mitsamt der zugehörigen Personalwerbung. Die Abteilung dort, das Tochterunternehmen, ist nicht von allein entstanden, sondern vom Betreiber aus den seinerzeit vor Ort möglichen
Voraussetzungen, schön klein-klein, damit denkbare Verluste sich in erträglichen Grenzen halten. Und danach lotet man ständig aus, welche Erweiterungen des Betriebs mit Gewinn möglich sind und tut das nach etlichen "Kriegsräten" mit den Kaufleuten und der Geschäftsleitung auch.

Hinzu kommt noch der Gesichtspunkt, daß man als "inländisches Unternehmen" einen neuen Absatzmarkt gewinnt. Damit ist beiden Seiten gedient, den Verbrauchern und den Herstellern.

Anders geht es doch gar nicht, und Geld verdienen will ein Unternehmen auch, möglichst viel davon um so besser!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Ach der Piketty, man wird hier wirklich vor nichts verschont.

"Über die Jahre 2010 bis 2016 betrachtet, hat Polen demnach 4,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Kapitaleinkommen gen Westen geschickt - und zugleich nur 2,7 Prozent netto aus dem EU-Haushalt erhalten."

Piketty vergleicht hier die Kapitaleinkommen der Unternehmen mit den EU-Nettotransferzahlungen. Soll das jetzt als Scherz gedacht sein? Warum nennt er nicht die Mrd-Investitionen der Unternehmen in Osteuropa als Voraussetzung für die erzielten Kapitaleinkommen? Oder wachsen Büros und 'Fabriken in Osteuropa so einfach auf der grünen Wiese ohne dass jemand dort sein Kapital investiert? Wenn Ungarn die Kapitaleinkommen behalten möchte müssen sie einfach nur die von westlichen Unternehmen gegründeten Zweigwerke und Niederlassungen verstaatlichen. Dann wird sicher Milch und Honig fließen in Ungarn und die Mitarbeiter bekommen dann sicher alle Löhne auf Westniveau. Mit der Ausbeutung und Knechtschaft westlicher Unternehmen ist es dann endlich vorbei. Glückliches Ungarn! Wieso hat Orban das nicht schon längst gemacht?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 14:44)

Ach ja, das war mir ganz entfallen... also lieber Schokoschendretzki: Ich meine ich hätte komplexere Zusammenhänge dargestellt als die Notwendigkeit, einen Supermarkt mit dem notwendigen Personal aus zu statten. Ich weiß sogar, welche Einkünfte diese Mitarbeiter erzielen.
Und dennoch sind es aber Handelsketten. Das Problem, so wie ich es verstehe, ist, dass wir von einem "deutschen Autobauer" reden wenn wir ein eigentlich längst "internationales Unternehmen" meinen. Und uns damit sozusagen alte Geschichten wiedererzählen, statt zu schauen, was tatsächlich läuft. Auch wenn in vielen Fällen der Hauptstammsitz eines solchen Unternehmens sich in Deutschland befindet. "Nearshoring" heißt speziell das Konzept der Verlagerung von Dienstleistungen, Produktion, Entwicklung in den Nahbereich. Und in Europa heißt Nearshoring in aller Regel "Nach Osteuropa". Und bei den IT-Dienstlsieistungen oder SW-Entwicklung ist das ganze vielleicht noch relevanter als in der Automobilbranche. Und ein nicht unwesentlicher Punkt bei diesem Nearshoring innerhalb der EU besteht darin, dass benötigte Infrastukruktur, Verkehrsinfrastruktur insbesondere quasi frei Haus durch EU-Zahlungen getätigt wird, die der Allgemeinheit dann als aussschließliche Zuwendungen an die Staaten allein erscheint.

Ich wüsste auch keinen Grund, grundsätzlich an den im Manager-Magazin vorgelegten Zahlen zu zweifeln. Die Zeitschrift steht nicht gerade im Verdacht, ideologisch ausgerichtet zu sein. Der verwiesene Blogeintrag des französischen Ökonomen Piketty bei LeMonde weist gleich in der ersten Grafik klar das aus, was die Artikelüberschrift zusammenfasst: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind: http://piketty.blog.lemonde.fr/2018/01/ ... of-europe/

Worin ich Ihnen zustimme ist diese Anschubfrage. Nur wird die mit jedem Jahr irrelevanter.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:04)

Ach der Piketty, man wird hier wirklich vor nichts verschont.

"Über die Jahre 2010 bis 2016 betrachtet, hat Polen demnach 4,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Kapitaleinkommen gen Westen geschickt - und zugleich nur 2,7 Prozent netto aus dem EU-Haushalt erhalten."

Piketty vergleicht hier die Kapitaleinkommen der Unternehmen mit den EU-Nettotransferzahlungen. Soll das jetzt als Scherz gedacht sein? Warum nennt er nicht die Mrd-Investitionen der Unternehmen in Osteuropa als Voraussetzung für die erzielten Kapitaleinkommen? Oder wachsen Büros und 'Fabriken in Osteuropa so einfach auf der grünen Wiese ohne dass jemand dort sein Kapital investiert?
Erstens: Wie schon (mehrfach) geschrieben: Erstinvestitionen sind Aufwendungen die im Großen und Ganzen einmalig sind und im Laufe der Zeit gegenüber den ständig fließenden Gewinnen an Bedeutung verlieren. Und der Umkehrpunkt dürfte da schon vor einiger Zeit erreicht worden sein. Und zweitens (ebenfalls mehrfach): EU-Zuwendungen gehen zu großen Teilen in Infrastrukturprojekte, die eigentlich selbst Teil und Voraussetzung solcher Investitutionen sind. Die EU unterstützt nicht nur die Staaten Osteuropas sondern auch die Investoren. Das ist doch völlig klar.
Wenn Ungarn die Kapitaleinkommen behalten möchte müssen sie einfach nur die von westlichen Unternehmen gegründeten Zweigwerke und Niederlassungen verstaatlichen. Dann wird sicher Milch und Honig fließen in Ungarn und die Mitarbeiter bekommen dann sicher alle Löhne auf Westniveau. Mit der Ausbeutung und Knechtschaft westlicher Unternehmen ist es dann endlich vorbei. Glückliches Ungarn! Wieso hat Orban das nicht schon längst gemacht?
Orbán hat ein Interesse: Seinen eigenen Machterhalt. Sonst nix. Außer Fußball vielleicht. Natürlich funktioniert dieses Modell nur im Großen und Ganzen so wie es momentan läuift. Verhältnismäßig geringe Löhne. Ziemlich geringe Arbeitslosigkeit. Steuereinnahmen. Und vor allem: Technologieförderung. Das ist der Unterschied zu reinen Produktionsstandortverlagerungen. Es wird langfristig dennoch Schwierigkeiten geben. Wegen Fachkräfteabwanderung auf der einen und weiterem Wachstum auf der anderen Seite.

Ein ganz anderes Szenario gäbe es, wenn sich zwischen Westeuropa und Osteuropa etwas ähnliches tun würde wie momentan zwischen den USA und Mexiko. Die Entwicklung dort würde ich mir mal anschauen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wenn in Europa der Eiserne Vorhang wieder hochgezogen würde. Vor allem auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:10)

Und dennoch sind es aber Handelsketten. Das Problem, so wie ich es verstehe, ist, dass wir von einem "deutschen Autobauer" reden wenn wir ein eigentlich längst "internationales Unternehmen" meinen. Und uns damit sozusagen alte Geschichten wiedererzählen, statt zu schauen, was tatsächlich läuft. Auch wenn in vielen Fällen der Hauptstammsitz eines solchen Unternehmens sich in Deutschland befindet. "Nearshoring" heißt speziell das Konzept der Verlagerung von Dienstleistungen, Produktion, Entwicklung in den Nahbereich. Und in Europa heißt Nearshoring in aller Regel "Nach Osteuropa". Und bei den IT-Dienstlsieistungen oder SW-Entwicklung ist das ganze vielleicht noch relevanter als in der Automobilbranche. Und ein nicht unwesentlicher Punkt bei diesem Nearshoring innerhalb der EU besteht darin, dass benötigte Infrastukruktur, Verkehrsinfrastruktur insbesondere quasi frei Haus durch EU-Zahlungen getätigt wird, die der Allgemeinheit dann als aussschließliche Zuwendungen an die Staaten allein erscheint.

Ich wüsste auch keinen Grund, grundsätzlich an den im Manager-Magazin vorgelegten Zahlen zu zweifeln. Die Zeitschrift steht nicht gerade im Verdacht, ideologisch ausgerichtet zu sein. Der verwiesene Blogeintrag des französischen Ökonomen Piketty bei LeMonde weist gleich in der ersten Grafik klar das aus, was die Artikelüberschrift zusammenfasst: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind: http://piketty.blog.lemonde.fr/2018/01/ ... of-europe/

Worin ich Ihnen zustimme ist diese Anschubfrage. Nur wird die mit jedem Jahr irrelevanter.
Nein, die nackten Zahlen bezweifele ich gar nicht; nur wollte ich auf ganz andere Werte hinweisen, ohne die diese nackten Zahlen gar nicht entständen. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Eine erfolgreiche Geschäftsidee etwa erzeugt Gewinne, die Apple in 30 Jahren zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Unsere Autobauer und Betriebe der Elektrotechnik und des Maschinenbaus sind deutlich älter, ihre Technik vermutlich ausgereizt. Aber sie sind kapitalstark oder höchst kreditwürdig.

Der Anschub im Osten wäre gar nicht denkbar ohne diese Produkte und mögliche Investitionen. Auch ein frei laufender Betrieb ist kaum vorstellbar unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen. So entsteht aus bescheidenen Anfängen ein ertragreiches Tochterunternehmen, das aber kaum als selbständiges Unternehmen bestehen würde. Dann müßte eine besonders klevere Führungskraft sich aus eigenen Stücken mit einem in der Art einzigartigen Produkt hervor tun und sich damit "outsourcen". Das ist auch nicht besonders ungewöhnlich, aber doch selten. Dann müßte es schon ziemlichen Ärger mit der Unternehmensführung geben.

Sie haben natürlich Recht: Da entstehen Weltunternehmen, wahrlich weltumspannend. Und wir tun so, als ob das "deutsche" Unternehmen sind. Die Ursprünge sind deutsch, oder US-amerikanisch, oder französisch, und entsprechend sympathisch sind uns diese erfolgreichen Unternehmen. Die Unternehmen werden international an der Börse gehandelt, entsprechend gestreut ist das Eigentum an diesen Unternehmen.

Aber, um zum Thema zurück zu finden: Wenn es politisch so richtig Ärger gibt, etwa bei schwindender Rechtssicherheit (Polen, Ungarn, Rumänien), dann kann die Bundesregierung Bürgschaften zurück ziehen und diese Unternehmen die Risiken allein tragen lassen. Und dann geht das alles sehr schnell... wie man am Beispiel Türkei erkennen kann. Eben noch auf stolzen Rossen...
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:34)

Nein, die nackten Zahlen bezweifele ich gar nicht; nur wollte ich auf ganz andere Werte hinweisen, ohne die diese nackten Zahlen gar nicht entständen. Das ist mir nur zum Teil gelungen. Eine erfolgreiche Geschäftsidee etwa erzeugt Gewinne, die Apple in 30 Jahren zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Unsere Autobauer und Betriebe der Elektrotechnik und des Maschinenbaus sind deutlich älter, ihre Technik vermutlich ausgereizt. Aber sie sind kapitalstark oder höchst kreditwürdig.

Der Anschub im Osten wäre gar nicht denkbar ohne diese Produkte und mögliche Investitionen. Auch ein frei laufender Betrieb ist kaum vorstellbar unter den herrschenden Wettbewerbsbedingungen. So entsteht aus bescheidenen Anfängen ein ertragreiches Tochterunternehmen, das aber kaum als selbständiges Unternehmen bestehen würde. Dann müßte eine besonders klevere Führungskraft sich aus eigenen Stücken mit einem in der Art einzigartigen Produkt hervor tun und sich damit "outsourcen". Das ist auch nicht besonders ungewöhnlich, aber doch selten. Dann müßte es schon ziemlichen Ärger mit der Unternehmensführung geben.

Sie haben natürlich Recht: Da entstehen Weltunternehmen, wahrlich weltumspannend. Und wir tun so, als ob das "deutsche" Unternehmen sind. Die Ursprünge sind deutsch, oder US-amerikanisch, oder französisch, und entsprechend sympathisch sind uns diese erfolgreichen Unternehmen. Die Unternehmen werden international an der Börse gehandelt, entsprechend gestreut ist das Eigentum an diesen Unternehmen.

Aber, um zum Thema zurück zu finden: Wenn es politisch so richtig Ärger gibt, etwa bei schwindender Rechtssicherheit (Polen, Ungarn, Rumänien), dann kann die Bundesregierung Bürgschaften zurück ziehen und diese Unternehmen die Risiken allein tragen lassen. Und dann geht das alles sehr schnell... wie man am Beispiel Türkei erkennen kann. Eben noch auf stolzen Rossen...
Es hängt wie gesagt davon ab, ob man - wie in den polnischen SWZs einfach Produktionsstätten samt Personal vermietet, mal vereinfacht gesagt, oder ob man wirtschaftlich mehr oder weniger eigenständige Unternehmen wie VW/Skoda, Renault/Dacia oder auch Audi/Hungaria mitsamt Entwicklungsabteilungen betreibt. Sollten tatsächlich neue Produktionslinien wie etwa Elektromobilität bei Audi Hungaria von Anfang an in Ungarn beginnen - und so scheint es auszusehen - kann man nicht mehr so einfach einen "Hahn abdrehen." Noch einmal anders sieht es bei IT-DIenstleistungen aus. Wer den Schaden hat, wenn ein großes IT-Support-Zentrum, das in Rumänien für Deutsche Kunden arbeitet, zugemacht, abgschnitten wird ... dürfte klar sein.

Der Widerspruch und das Problem liegt genau in den von Piketty vorgelegten Zahlen. Auf die eine oder andere Art und Weise ist die Diskrepanz für einen osteuropäischen SW-Entwickler oder Ingenieur zu spüren. Er weiß und merkt es nämlich persönlich ganz genau, dass aus seinem Land mehr Geld in die EU fließt als umgekehrt. Weil es heutzutage überhaupt kein Problem ist, herauszubekommen, was er mit seiner Qualifikation woanders bekäme.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Und die politische Entwicklung: Also Einschränkung von Rechtsfreieheit, Pressefreieheit und dergleichen: Die ist unter anderem deshalb so fatal, weil sie - wenn auch in anderer Form und Stärke - ja auch bei uns stattfindet. Ich sehe die Reihen derer bei uns, die sich für den Erhalt einer freien Presse und freier Medien einsetzen mehr und mehr schwinden und die Reihen derer, die "Lügenpresse" schreien mehr und mehr wachsen. Und diejenigen, die - ähnlich wie UNgarn in der neuen Verfassung - aus einer "Republik" eine expliiziit christlich-abendländische Nation machen wollen, sehe ich auch nicht gerade auf dem Rückzug. Von denen, die wie Orbán die Grenzen für Flüchtlinge zumachen wollen mal ganz zu schweigen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 15:56)
...

...Auf die eine oder andere Art und Weise ist die Diskrepanz für einen osteuropäischen SW-Entwickler oder Ingenieur zu spüren. Er weiß und merkt es nämlich persönlich ganz genau, dass aus seinem Land mehr Geld in die EU fließt als umgekehrt. Weil es heutzutage überhaupt kein Problem ist, herauszubekommen, was er mit seiner Qualifikation woanders bekäme.
Ja, das Gefühl kenne ich aus den 1960er Jahren. Damals suchten die USA weltweit Ingenieure, um das Rennen zum Mond zu gewinnen. Es gab Gehälter um 80.000 $, was damals etwa dem 4-fachen in Deutschland erzielbaren Gehalt entsprach. Dennoch sind keine Heerscharen in die USA aufgebrochen.

Als dann das Ziel erreicht war, klappten die USA dieses Buch zu, und hochqualifizierte Ingenieure fanden sich als Taxifahrer wieder, weil der Markt für diese teuren Leute zusammen gebrochen war. Das hat einige Jahre gedauert, bis die Dinge sich zurecht gerüttelt hatten. Damals habe ich das in EDN (Electronic Design News) einigermaßen aufmerksam verfolgt.

Niemand wird Ungarn und Rumänen daran hindern, in Deutschland ihren Traumberuf aus zu üben. Die EU macht's möglich.

Vermutlich haben viele verstanden, daß man in Deutschland deutsche Preise für Wohnung und allgemeinen Lebensunterhalt zu bezahlen hat. Dann sind die Vorteile schnell dahin, weit weg von Freunden und Familie.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Oct 2018, 10:33)

EU-Streit um Transfers: Warum Osteuropäer die wahren Nettozahler sind. Im "Manager-Magazin", jeder politischen Ideologie unnverdächtig, wird alles erklärt. Im Schnitt transferieren die Länder Osteuropas unter dem Strich etwa doppelt soviel in die EU wie sie von dort erhalten. Selbstverständlich wäre es ohne den Anschub aus der EU nicht dazu gekommen. Nur: Mit jedem weiteren Jahr verschiebt sich dieses Verhältnis weiter. Da Anschubfinanzierungen nun mal im wesentlichen einmalig erfolgen. Völlig richtig ist von einem (wörtlich) "selbstzentrierten franko-deutschen Blick" die Rede.


Und. Wie ich auch schon schrieb:

http://www.manager-magazin.de/politik/e ... 230-2.html
Ich kann Orbiter1 nur beipflichten - das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier werden Privateinkünfte staatlichen Mittelflüssen gegenübergestellt. Kann man natürlich machen, um zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik anzusetzen. Dann müsste man aber auch in Deutschland und anderswo das Verhältnis zwischen Privat- und Staatsvermögen bzw. -einnahmen und -gewinnen betrachten und kritisieren (wird ja auch gern getan). Das hat mit der Frage, wer einen EU-Austritt mehr zu fürchten habe, eher wenig zu tun.

Was würde denn passieren, wenn die EU ihre Zuwendungen stoppen würde und wenn Konzerne wie VW weniger in Ungarn oder Polen investieren würden. Dann gäbe es in diesen Ländern, über die entfallenden Zuwendungen hinaus, weniger Arbeitsplätze, Lohnzahlungen und Steuereinnahmen. Ein klarer Nachteil.

Was hat Deutschland weniger? Weniger Privateinkünfte, ok. Aber nicht notwendigerweise weniger Steuereinnahmen. Die Versteuerung der Umsätze und Gewinne findet ja zu wesentlichen Teilen in den Ländern statt, über die wir hier reden (was übrigens, neben den bereits angesprochenen Investitionen, bei dem zitierten Vergleich völlig unter den Tisch fällt). Auch nicht weniger Arbeitsplätze - vielleicht sogar mehr, da eine Rückverlagerung stattfinden könnte. Deutschland <> VW, wie ich schon mal schrieb. Im Übrigen ist ja nicht gesagt, dass das dortige Engagement der genannten Großkonzerne mit einem EU-Austritt dieser Länder enden würde.

Dieselbe Diskussion gibt es übrigens ja auch regelmäßig, wenn es um Entwicklungsländer in Afrika oder anderswo geht. Dann wird immer gern kritisiert, dass ausländische Konzerne dort Geld verdienen. Aber warum zum Teufel denn nicht, wenn es der dortigen Bevölkerung unterm Strich ebenfalls nützt?

Der einzige Punkt, wo ich dir Recht gebe: Wenn man das alles als einen großen politischen Deal betrachtet, ist es sicher so, dass in einem solchen Szenario die genannten Großkonzerne Druck auf die Bundesregierung und die EU auszuüben versuchen würden, und ggfs den hiesigen Regierungen andere Vorteile anbieten würden im Gegenzug dafür, dass sie weiter so günstig wie bisher in den östlichen EU-Staaten investieren und produzieren können. Aber diese Informationen dürften nicht so einfach zu recherchieren sein.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(11 Oct 2018, 18:48)

Ich kann Orbiter1 nur beipflichten - das ist ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Hier werden Privateinkünfte staatlichen Mittelflüssen gegenübergestellt. Kann man natürlich machen, um zu einer grundlegenden Kapitalismuskritik anzusetzen. Dann müsste man aber auch in Deutschland und anderswo das Verhältnis zwischen Privat- und Staatsvermögen bzw. -einnahmen und -gewinnen betrachten und kritisieren (wird ja auch gern getan). Das hat mit der Frage, wer einen EU-Austritt mehr zu fürchten habe, eher wenig zu tun.

Was würde denn passieren, wenn die EU ihre Zuwendungen stoppen würde und wenn Konzerne wie VW weniger in Ungarn oder Polen investieren würden.
Sie investieren aber eben nicht mehr sondern transferieren Gewinne. Der wesentliche Punkt ist, dass diese internationalen Unternehmen zwar einvernehmlich und nach wie vor "Investoren" genannt werden ... Eine Firma wie Audi Hungaria ist aber einfach ein Unternehmen, das in UNgarn Motoren und Automobile unter dem Namen "Audi" entwickelt, Gewinne abwirft, ab 2019 das neue Modell Audi Q4 vollständig in Ungarn produziert und weiterentwickelt und natürlich selbst, aus den eigenen durch Produktion und Entwicklung in UNgarn erzielten Umsätzen investiert. Es gibt keinen Kassenwart in Ingolstadt, der irgendwleche Transfers genehmigt. Diese grundlegenden Umwälzungen in der globalisierten Wirtschaft sind irgendwie immer noch nicht angekommen, "Deutscher Autoibauer" ... das ist einfach ein Marketing-Konzept, eine PR-Geschichte. Die Unternehmen intern sind da längst weiter.

Und politisch gesehen und da ich von ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung ein Gegner der Orbán-Politik bin, will ich in der Diskussion so effektiv wie als Einzelperson irgendwie möglich dazu beitragen, dass es mobilisierbare Gegenkräfte gibt, Und aus dieser Verantwortlichkeit heraus sage ich: Es nützt nix, zu denken, man könnte irgendeinen finanziellen Hebel ansetzen. Länder wie Ungarn irgendwie auf die Art in die Zange zu nehmen. Weil wir, die Westmitteleuropäer die tatsächlichen Profiteure der EU-Osterweiterung sind.

Ich hatte die Parallele Westeuropa/Osteuropa und USA/Mexiko genannt. Mexiko ist inzwischen der 7-größte Automobilbauer der Welt und dreiviertel der Produktion geht in die USA. Und auch in Mexiko spielt VW die Hauptgeige. Diese Verhältnisse sollen jetzt von der Trump-Regierung vollständig revidiert werden. Und Ökonomen sind sich sicher: Verlierer werden am Ende die USA selbst sein.

Die Grundidee grundsätzlich offener Gesellschaften. Dass dies denMenschen nützt und nicht schadet. WIrtschaftlich, kulturell, politisch muss befördert werden. IN westeuropa wie auch in Osteuropa.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(11 Oct 2018, 18:48)
Dieselbe Diskussion gibt es übrigens ja auch regelmäßig, wenn es um Entwicklungsländer in Afrika oder anderswo geht. Dann wird immer gern kritisiert, dass ausländische Konzerne dort Geld verdienen. Aber warum zum Teufel denn nicht, wenn es der dortigen Bevölkerung unterm Strich ebenfalls nützt?
Da bin ich völlig bei dir. Ich weiß ganz genau, dass ein generelles Kaufboykott von Textilien aus Bangla Desh vor allem eines zu Folge haben wird: Dass die, die jetzt in den Textilienfabriken für KiK & Co für einen beschämend niedrigen Lohn arbeiten, wieder in das Hungerelend der 60-er bis 80-er zurückfallen werden, Heißt ja nicht, dass man die dortigen Praktiken nicht dennoch kritisieren sollte.

Der Fall Osteuropa sieht jedoch grundsätzlich anders aus. Hier "lässt man" nicht einfach produzieren und entwickeln sond hier "wird" produziert und entwickelt.

Als politisch denkender Mensch hat man doch irgendwann das Bedürfnis, sich einen Reim darauf zu machen, dass ein Viktor Orbán in der EU nicht einen Zentimeter zurückweicht, absolut selbstbewusst und mit diesem typischen arroganten Grinsen von Leuten auftritt, die ganz genau wissen, dass sie vielleicht nicht am längeren aber jedenfalls ganz gewiss nicht am kürzeren Hebel sitzen. Einer der Gründe sind diese wirtschaftlichen Gegebenheiten und Zahlenverhältnisse wie sie oben angebeben wurden.

Journalisten, Künstler und Intellektuelle in Ungarn regen sich zurecht darüber auf, dass da jemand mit dem geistig-kulturellen Horizont eines 10jährigen Buben das Land regiert. Aber sie verstehen einfach nicht, dass dieser Bub, der vormittags künstlerisch wertvolle Gemälde im Budapester Parlament entfernen und durch grauenhaftes nationalistisches Zeug ersetzen lässt, sich am nachmittag mit Industrievertretern aus Westeuropa trifft und per Du und souverän die Ansiedlung eines weiteren großen Forschungs- und Entwicklungszentrums einfädelt. Und am nächsten Tag mit Putin per Telefon die Modernisierung des einen ungarischen Atomkraftwerks. Vielleicht liegts ja daran, dass aktuell mit Putin, Orbán, Trump, Erdogan oder Söder überall in der internationalen Politik kluge, kommunikative, geschickte Leute mit dem geistig-kulturellen Horizont 10-jähriger Buben das Sagen haben. Wo man hinschaut gemeine, egoistische kleine Jungs und Massen von Leuten, die ihnen begeistert zujubeln.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Oct 2018, 09:58)

Sie investieren aber eben nicht mehr sondern transferieren Gewinne.
Woraus soll hervorgehen, dass sie nicht mehr investieren? Investitionsgüter, gerade Anlagen zum Automobilbau, sind nicht, einmal gebaut, für alle Zeiten fertig und können sich 30 Jahre amortisieren. Da gibt es ständigen Reinvestitionsbedarf. Gerade in der heutigen Zeit vor dem Hintergund immer weiter fortschreitender Automatisierung.
Der wesentliche Punkt ist, dass diese internationalen Unternehmen zwar einvernehmlich und nach wie vor "Investoren" genannt werden ... Eine Firma wie Audi Hungaria ist aber einfach ein Unternehmen, das in UNgarn Motoren und Automobile unter dem Namen "Audi" entwickelt, Gewinne abwirft, ab 2019 das neue Modell Audi Q4 vollständig in Ungarn produziert und weiterentwickelt und natürlich selbst, aus den eigenen durch Produktion und Entwicklung in UNgarn erzielten Umsätzen investiert. Es gibt keinen Kassenwart in Ingolstadt, der irgendwleche Transfers genehmigt. Diese grundlegenden Umwälzungen in der globalisierten Wirtschaft sind irgendwie immer noch nicht angekommen, "Deutscher Autoibauer" ... das ist einfach ein Marketing-Konzept, eine PR-Geschichte. Die Unternehmen intern sind da längst weiter.
Da sind wir uns dann ja einig. VW <> Deutschland. Und Audi Hungaria, oder die Mercedes-Benz Polen GmbH, schon gar nicht.
Und politisch gesehen und da ich von ganzem Herzen und aus tiefster Überzeugung ein Gegner der Orbán-Politik bin, will ich in der Diskussion so effektiv wie als Einzelperson irgendwie möglich dazu beitragen, dass es mobilisierbare Gegenkräfte gibt, Und aus dieser Verantwortlichkeit heraus sage ich: Es nützt nix, zu denken, man könnte irgendeinen finanziellen Hebel ansetzen. Länder wie Ungarn irgendwie auf die Art in die Zange zu nehmen. Weil wir, die Westmitteleuropäer die tatsächlichen Profiteure der EU-Osterweiterung sind.
Dieses "wir" ist in dieser Allgemeinheit immer noch nicht plausibel belegt. Vielleicht gilt die Aussage für einige Eigentümer / Aktionäre der genannten, global tätigen Konzerne. Aber damit noch nicht für dich und mich und die westmitteleuropäischen Staaten und Gesellschaften insgesamt. Diesen Effekt sehe ich einfach nicht.

Orbán könnte ja deutlich machen, dass ihm die EU-Zuwendungen relativ egal seien - würde doch gut zu seinem sonstigen Auftreten passen. Das tut er aber mitnichten, im Gegenteil.
Die EU-Kommission will den Haushalt deutlich aufstocken und Förderungen kürzen. Ungarn und Polen kündigen daraufhin massiven Widerstand an.[...]„Dieser Haushalt muss einstimmig beschlossen werden“[...]„so lange die Ungarn nicht sagen: "Geht in Ordnung", gibt es keinen Haushalt“[...]
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(02 Oct 2018, 10:22)
Back to topic heißt für mich vor allem back to the Frage, warum es vor der unrealisierbaren Atombombe EU-Rauswurf des Landes definitv keinen realisierbaren EVP-Rauswurf der Orbán-Partei gibt.
... letzteres wurde unlängst von Juncker gefordert. Und wer sprach dagegen?

http://m.spiegel.de/politik/ausland/seb ... 33134.html

Das ist eben Orbans wahres Pfund: Der Rechtsruck in fast allen mittel- und westeuropäischen Parlamenten. Seine Kritiker sind mittlerweile politisch viel zu schwach auf der Brust.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Brainiac hat geschrieben:(14 Oct 2018, 10:27)

... letzteres wurde unlängst von Juncker gefordert. Und wer sprach dagegen?

http://m.spiegel.de/politik/ausland/seb ... 33134.html

Das ist eben Orbans wahres Pfund: Der Rechtsruck in fast allen mittel- und westeuropäischen Parlamenten. Seine Kritiker sind mittlerweile politisch viel zu schwach auf der Brust.
Vor dem Rausschmiß (Entzug des Stimmrechts) kommen sicher noch viele Schritte in Betracht. Der erste davon wäre das Drehen an den Zuwendungen an unliebsame Partner nach einem entsprechenden Urteil des EuGH.

Das nächste Mittel wäre ein Schneiden bei EU-Zusammenkünften, oder sogar das Treffen im "kleinen Kreis", wo gemeinsame Lösungen besprochen werden, an denen diese Kameraden ohnehin nur empfangend beteiligt sind.

Wenn die EU der Willigen selbst das nicht auf die Reihe bringt, dann kann sie sich beerdigen lassen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(12 Oct 2018, 16:43)
Dieses "wir" ist in dieser Allgemeinheit immer noch nicht plausibel belegt. Vielleicht gilt die Aussage für einige Eigentümer / Aktionäre der genannten, global tätigen Konzerne. Aber damit noch nicht für dich und mich und die westmitteleuropäischen Staaten und Gesellschaften insgesamt. Diesen Effekt sehe ich einfach nicht.

Orbán könnte ja deutlich machen, dass ihm die EU-Zuwendungen relativ egal seien - würde doch gut zu seinem sonstigen Auftreten passen. Das tut er aber mitnichten, im Gegenteil.
Er hat kein "Bild" von sich sondern ist ein hochgebildeter raffinierter gemeiner kleiner Junge, der Oppositionelle verfolgt, den Rechtstaat schreddert, die Pressefreiheit einschränkt und in perfektem Englisch mit westlichen Industrievertretern Ansiedlungsdeals aushandelt. "Passen" würde irgendeine Art von Authentizität voraussetzen. Davon kann aber überhaupt keine Rede sein. Jüngst in "Europa heute" wurde ein oppositioneller ungarischer EU-Parlamentarier sinngemäß zitiert: "Die Flüchtlings- und Migrationspolitik ist Orbán an sich völlig gleichgültig. Er nutzt sie als Machterhaltungsinstrument".

(Und, auch wenn das nicht hierher gehört: Nun scheint sich mit Jair Bolsonaro ein noch viel gemeinerer großer kleiner Junge in einem noch viel viel viel größerem Staat durchzusetzen, der noch nicht mal das, formal gebildet, ist. Da kann man wirklich zum Misanthropen werden, wenn einem am Menschen irgendwas liegt...)

Diskussionsmäßig scheint mir das Problem klar zu sein: Die Erzählung von der vermuteten ökonomisch-finanziellen Profitierung Ostmitteleuropas von einer EU-Mitgliedschaft passt einfach zu der völlig zutreffenden Feststellung eines Demokratieabbaus. Und dann befördert sie auch noch das positive Selbstbild vom "Zahlmeister". Es ist anstrengend, hier eine differenzierte Sicht einzunehmen. Und es erfordert Distanz und nicht Zugehörigkeitsreflex.

Natürlich auch Objektivität und nüchterne Rechnerei. Grad' hörte ich einen zusammenfassenden Bericht über die extremen Auswüchse von Steuervermeidungsmodellen großer Unternehmen und die Rolle der EU und der EU-Länder dabei. Es ist ein scheinbar aussichtsloser Kampf von David gegen Goliath. Apple oder Facebook oder IKEA zahlen effektiv Steuern im Promillebereich mit einem Firmensitz in Irland oder der Niederlande. Das ist auch kein Kavaliersdelikt sondern Schwarzfahren. Sie nutzen durchaus staatlich oder gruppenstaatlich bereitgestellte Leistungen: Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen. Die andere, kleinere Bezahlen. Aber Apple, ist das nicht die Firma, die jährlich coole neue Produkte herausbringt. Oder IKEA nicht die Firma, zu derenNiederlassungen man Samstag vormittags mit den Kindern zum Vergnügen hinfährt? Das sollen Verbrecherclans sein? Das wollen wir nicht hören! iDie parasitären Osteuropäer, die auch noch Demokratieabbau betreiben sinds und nicht solche angesagten coolen Unternehmen. Und so schraubt sich eine Erzählungsspirale hoch, die alles unabhängig von den tatsächlichen Realitäten in sich verfestigende Schemas einordnet.


Nun nur mal noch zu den Zahlendimensionen. Eine der Topmeldungen heute lautete, dass Audi grad zu ca. 800 000 Millionen Euro Strafzahlungen verpflichtet wurde, Dies wird im allgemeinen als Portokassenbeitrag (im Vergleich) gewertet. Von 1998 bis 2013 investierte Audi in den Standort Györ/UNgarn ca. 5,7 Milliarden Euro. Also das ca. 7-fache eines aktuellen "Bußgelds". 2016 wiederum wurden so gut wie alle Motoren von audi-Fahrzeugen in Györ hergestellt. (und zunehmend auch entwickelt). Kannst du aus diesen drei Angaben rekonstruieren, wie das Verhältnis zwischen Investitionen und Gewinntransfers eigentlich ist?

Die Quelle für solche Angaben ist wikipedia und wie sonst auch gibts an der Seriösität bei solchen nüchternen unbewerteten Zahlenangaben auch kaum Zweifel. https://de.wikipedia.org/wiki/Audi_Hungaria
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Wenn der ungarische Ausflug in die Unbotmäßigkeit gegenüber dem Regelwerk der EU eine reine Angelegenheit Orbans sein sollte, dann muß die EU ein Vorgehen erfinden, das Orban von seinen Mitbürgern trennt.

Er benutzt doch aber die Grundstimmung, einem uralten Volk an zu gehören, das sich immer schon gegen mächtige Nachbarn wehren mußte. Die EU als bedrohlicher Nachbar also. Dann sollte die EU dieses Volk frei lassen.

Gleiches sehe ich auch in Polen in Vorbereitung. Zum allgemeinen Spott in Rzeczpospolita wollte da ein Minister darauf hin arbeiten, Supermarktketten wie LIDL oder INTERMARCHÉ zu nationalisieren.

Ein Krakauer Professor hat in einem recht länglichen Pressegespräch mit Rzeczpospolita fest gestellt, daß die Osterweiterung der EU in den Visegradstaaten die Erwartung geweckt hätte, gesichert in die Freiheit von Nationalstaaten hinüber zu wechseln... und daß diese Gesellschaften nun baß überrascht sind, daß der Westen sich in der Zeit der sozialistischen Gefangenschaft weiter entwickelt hat... wo also der christliche Nationalstaat gar keine Rolle mehr spielt, wo sich eine offene und an wirtschaftlich-politische Internationalität mit immer mehr Europa arbeitende Gemeinschaft gebildet hat. Ohne Häme: Unter maßgeblicher Führung Deutschlands, das sich genau diesem westlichen Stil erfolgreich angepaßt hatte.

Leuchtet irgendwie ein: Unsere Wirtschaft schlägt schon in der EU den Takt, ohne deshalb als nationale Wirtschaft gleichgerichtet auf zu trumpfen. Tja, wo andere noch von Nationalisierung träumen...

Der Osten wird sich in diese neue Gesellschaft einfügen müssen oder er muß seinen eigenen Weg außerhalb der Gemeinschaft gehen... war die Schlußbemerkung des Professors. Aus meiner Sicht hat er das Problem seines Landes mit der EU hellsichtig erkannt!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:18)

Wenn der ungarische Ausflug in die Unbotmäßigkeit gegenüber dem Regelwerk der EU eine reine Angelegenheit Orbans sein sollte, dann muß die EU ein Vorgehen erfinden, das Orban von seinen Mitbürgern trennt.
Er benutzt doch aber die Grundstimmung, einem uralten Volk an zu gehören, das sich immer schon gegen mächtige Nachbarn wehren mußte. Die EU als bedrohlicher Nachbar also. Dann sollte die EU dieses Volk frei lassen.
Das ist ein ganz grundsätzlicher Irrtum und ein fundamentales MIssverständnis. Die Eu muss ein Vorgehen finden, das die ungarischen Bürger vor den Unbotmäßigkeiten der eigenen ungarischen Regierung schützt. Selbst die Bürger, die diese Regierung selbst gewählt haben. Wenn die EU nicht nur einem "Regelwerk" sondern einem demokratischen, aufklärerischem, humanitärem Geist entsprechen will. Und nicht nur einfach den Interessen einer Staatengruppe, die sich als irgendwie "zentrale Achse" sieht.

Die Annahme einer solchen "Grundstimmung" ist die Stigmatisierung und engültige Entsolidarisierung mit denen, die eigentlich von dieser Entdemokratisierung betroffen sind. Oppositionelle, Künstler, Literaten, einfach libereale Bürger, offene pluarlistische Menschen ... was sollen die nun sagen: Herzlichen Dank für die völkische Subsummierung?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:39)

Das ist ein ganz grundsätzlicher Irrtum und ein fundamentales MIssverständnis. Die Eu muss ein Vorgehen finden, das die ungarischen Bürger vor den Unbotmäßigkeiten der eigenen ungarischen Regierung schützt. Selbst die Bürger, die diese Regierung selbst gewählt haben. Wenn die EU nicht nur einem "Regelwerk" sondern einem demokratischen, aufklärerischem, humanitärem Geist entsprechen will. Und nicht nur einfach den Interessen einer Staatengruppe, die sich als irgendwie "zentrale Achse" sieht.
Das ist doch aber kein Fall für Politik, sondern ein Fall für die Ärzte. Ihre Appelle an "einen demokratischen, aufklärerischen, humanitären Geist" gehen völlig ins Leere, wenn Menschen diesen Geist nicht bitter vermissen. Ein Umerziehungslager ist die EU nun sicher nicht. Loslassen!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:49)

Das ist doch aber kein Fall für Politik, sondern ein Fall für die Ärzte. Ihre Appelle an "einen demokratischen, aufklärerischen, humanitären Geist" gehen völlig ins Leere, wenn Menschen diesen Geist nicht bitter vermissen. Ein Umerziehungslager ist die EU nun sicher nicht. Loslassen!
Was veranlasst Sie, zu glauben, dass die Ungarn, die einen grandiosen gesellschaftskritiischen Film drehten, der einen Preis bei der Berlinale gewann, oder die mit Publikationen wie "Magyar Narancs" die besten Traditionen europäischer liberaler Publizistik fortsetzen, die forcierte nationalistische Gleichschaltungspolitik der Regierung gutheißen?

Der Rauswurf der Fidesz aus der EVp ist alles andere als eine "Umerziehung". Er ist ein machbarer aber offesichtlich nicht gewollter Schritt der eigentlich umzuerziehenden westeuropäischen rechtskonservativen politischen Eliten.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(16 Oct 2018, 23:18)
Ein Krakauer Professor hat in einem recht länglichen Pressegespräch mit Rzeczpospolita fest gestellt, daß die Osterweiterung der EU in den Visegradstaaten die Erwartung geweckt hätte, gesichert in die Freiheit von Nationalstaaten hinüber zu wechseln... und daß diese Gesellschaften nun baß überrascht sind, daß der Westen sich in der Zeit der sozialistischen Gefangenschaft weiter entwickelt hat... wo also der christliche Nationalstaat gar keine Rolle mehr spielt, wo sich eine offene und an wirtschaftlich-politische Internationalität mit immer mehr Europa arbeitende Gemeinschaft gebildet hat. Ohne Häme: Unter maßgeblicher Führung Deutschlands, das sich genau diesem westlichen Stil erfolgreich angepaßt hatte.
Das ist im Asnatz schon richtig. Nur: Gerade die Neunziger Jahre waren von ausgesprochen wirtschaftsliberalen Regierungen in Ostmitteleuropa geprägt. Da war der Lehrling gewissermaßen eifriger als der Meister. Die Wendung hin zu einem einem eher rechtskonservativ-nationalistischem, traditionalistischem, identitären Weltbild bei großen Mehrheiten ist aber ein weltweites Phänomen mit nur sehr verschiedenen Erscheinungsformen. Und selbstverständlich sind auch Länder wie Frankreich oder Deutschland davon nicht ausgenommen. Da neigte sich die Waage nur etwas mehr in Richtung Liberalismus. In einem Land wie Österreich liegts wohl ziemlich fifty fifty. In Italien neigt sich die Waage inzwischen mindestens so deutlich wie in Ostmitteleuropa in Richtung Rechtskonservativismus unter Inkaufnahme auch von Demokratieabbau. WIr verstehen die politischen Vorgänge in ganz Europa und der welt nicht, wenn wir diesen Trend als spezifisch für Osteuropa ansehen.

Das grundsätzliche Problem bei solchen Argumentationen ist die Verpersönlichung von sehr heterogenen Gebilden wie "Staaten". Es geht in der Politik immer um Macht, Interessen und die Verschiebung von Einflussreichweiten. Um solche Fakten herum entwickeln sich Erzählungen. Die werden gar nicht irgendwie von irgendwelchen Kräften lanciert sondern scheinen sich systemisch von selbst zu entwickeln. Schauen SIe sich die aktuellen Debatten um Brexit und Remaining in den britischen Parteien an. Es ist völlig klar, dass alle zukünftigem Schwierigkeiten und Probleme dem EU-Monster zugeschoben werden und alle Erfolge dem Geist der nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Oct 2018, 00:01)

Was veranlasst Sie, zu glauben, dass die Ungarn, die einen grandiosen gesellschaftskritiischen Film drehten, der einen Preis bei der Berlinale gewann, oder die mit Publikationen wie "Magyar Narancs" die besten Traditionen europäischer liberaler Publizistik fortsetzen, die forcierte nationalistische Gleichschaltungspolitik der Regierung gutheißen?

Der Rauswurf der Fidesz aus der EVp ist alles andere als eine "Umerziehung". Er ist ein machbarer aber offesichtlich nicht gewollter Schritt der eigentlich umzuerziehenden westeuropäischen rechtskonservativen politischen Eliten.
An einem (hoffentlich!) gelungenen Film machen Sie die Sehnsucht des Volkes nach einer demokratischen, freiheitlichen, humanen Gesellschaft fest? Bei aller Liebe: So etwas drückt sich in politischem Handeln aus.

Im Westen sehe ich die konservativen Gesellschaften auf einem allmählichen Rückzug... durch Wertewandel in bestehenden Parteien und das Aufkommen neuer Parteien. Klar, ein Sammelbecken für die verknöcherten Ewiggestrigen ist auch nicht zu übersehen. Noch eine Legislatur, dann hat sich die alte Bundesrepublik mit ihren eingeschliffenen Trampelpfaden erneuert.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(17 Oct 2018, 06:50)

Das ist im Asnatz schon richtig. Nur: Gerade die Neunziger Jahre waren von ausgesprochen wirtschaftsliberalen Regierungen in Ostmitteleuropa geprägt. Da war der Lehrling gewissermaßen eifriger als der Meister. Die Wendung hin zu einem einem eher rechtskonservativ-nationalistischem, traditionalistischem, identitären Weltbild bei großen Mehrheiten ist aber ein weltweites Phänomen mit nur sehr verschiedenen Erscheinungsformen. Und selbstverständlich sind auch Länder wie Frankreich oder Deutschland davon nicht ausgenommen. Da neigte sich die Waage nur etwas mehr in Richtung Liberalismus. In einem Land wie Österreich liegts wohl ziemlich fifty fifty. In Italien neigt sich die Waage inzwischen mindestens so deutlich wie in Ostmitteleuropa in Richtung Rechtskonservativismus unter Inkaufnahme auch von Demokratieabbau. WIr verstehen die politischen Vorgänge in ganz Europa und der welt nicht, wenn wir diesen Trend als spezifisch für Osteuropa ansehen.

Das grundsätzliche Problem bei solchen Argumentationen ist die Verpersönlichung von sehr heterogenen Gebilden wie "Staaten". Es geht in der Politik immer um Macht, Interessen und die Verschiebung von Einflussreichweiten. Um solche Fakten herum entwickeln sich Erzählungen. Die werden gar nicht irgendwie von irgendwelchen Kräften lanciert sondern scheinen sich systemisch von selbst zu entwickeln. Schauen SIe sich die aktuellen Debatten um Brexit und Remaining in den britischen Parteien an. Es ist völlig klar, dass alle zukünftigem Schwierigkeiten und Probleme dem EU-Monster zugeschoben werden und alle Erfolge dem Geist der nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen.
Meine Sicht der Dinge ist schon so, daß wir Deutschen geduldig und stetig weiter an unserem Weg in eine internationale Zukunft arbeiten sollten. Der Weg ist uns bisher sehr gut bekommen. Um Himmelswillen kein Rückzug ins Nationale. Wer unseren Weg nicht mitgehen möchte, der soll seinen eigenen Weg gehen und ihn meinetwegen mit -exit enden lassen. Es gibt ja immer noch die Möglichkeit, sich zu besinnen. Das ist in etwa das, was ich aus dem Pressegespräch mit dem Krakauer Professor mitgenommen habe. Der Mann hat mir Mut gemacht, auch zur Beharrlichkeit!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

schokoschendrezki hat geschrieben:(16 Oct 2018, 22:02)
Nun nur mal noch zu den Zahlendimensionen. Eine der Topmeldungen heute lautete, dass Audi grad zu ca. 800 000 Millionen Euro Strafzahlungen verpflichtet wurde, Dies wird im allgemeinen als Portokassenbeitrag (im Vergleich) gewertet. Von 1998 bis 2013 investierte Audi in den Standort Györ/UNgarn ca. 5,7 Milliarden Euro. Also das ca. 7-fache eines aktuellen "Bußgelds". 2016 wiederum wurden so gut wie alle Motoren von audi-Fahrzeugen in Györ hergestellt. (und zunehmend auch entwickelt). Kannst du aus diesen drei Angaben rekonstruieren, wie das Verhältnis zwischen Investitionen und Gewinntransfers eigentlich ist?

Die Quelle für solche Angaben ist wikipedia und wie sonst auch gibts an der Seriösität bei solchen nüchternen unbewerteten Zahlenangaben auch kaum Zweifel. https://de.wikipedia.org/wiki/Audi_Hungaria
Abgesehen davon, dass dir da bei den Strafzahlungen wohl ein paar Nullen zuviel hineingerutscht sind und 800 Mio natürlich auch für Audi nicht gerade "Portokasse" sind: Nein, kann ich nicht. Schließlich ist Audi Hungaria nur ein Teil des Audi-Konzerns. Die Wiki-Seite gibt auch kaum Aufschluss über die finanziellen Eckdaten von Audi Hungaria.

Es ist gar nicht so einfach, im Netz dazu etwas zu finden, aber schließlich bin ich hier fündig geworden. Du kennst dich ja in Osteuropa gut aus, vielleicht finden sich für dich da noch ein paar andere interessante Informationen.

https://www2.deloitte.com/ce/en/pages/a ... op500.html

Im rechts auf der Seite verlinkten PDF und darin auf Seite 50 findet sich eine Tabelle, die Audi Hungaria als Nr. 6 listet.
Danach betrug der Revenue für Audi Hungaria in 2015 gut 8,3 Mrd Euro, und das Net Income belief sich auf gut 440 Mio Euro.
Deine 5,7 Mrd Investitionssumme, geteilt durch die 16 Jahre, ergeben durchschnittliche Investitionen von gut 350 Mio Euro p.a. Das derzeit aktuell von Audi Hungaria genannte Investitionsvolumen für 2017 ist nicht geringer, im Gegenteil: gut 440 Mio Euro. https://audi.hu/de/news/news/details/53 ... jahr_2017/

Die Gewinne werden also in annähernd gleicher Größenordnung reinvestiert.
Und nun?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

Brainiac hat geschrieben:(17 Oct 2018, 18:41)

Danach betrug der Revenue für Audi Hungaria in 2015 gut 8,3 Mrd Euro, und das Net Income belief sich auf gut 440 Mio Euro.
Müsste die Strafzahlung in Höhe von 880 Mio € nicht von Audi Hungaria bezahlt werden? Dort werden doch die Audi-Motoren entwickelt und gebaut, oder nicht?
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Brainiac »

Orbiter1 hat geschrieben:(17 Oct 2018, 19:46)

Müsste die Strafzahlung in Höhe von 880 Mio € nicht von Audi Hungaria bezahlt werden? Dort werden doch die Audi-Motoren entwickelt und gebaut, oder nicht?
Na ja, das Bussgeld erfolgte ja aufgrund eines Verstosses gegen deutsches Recht, also scheint mir logisch, dass der deutsche Unternehmensteil herangezogen wird.
Die Staatsanwälte hatten Audi daher Aufsichtspflichtverletzungen in der „Organisationseinheit Abgas Service / Zulassung Aggregate“ vorgeworfen.
https://app.handelsblatt.com/unternehme ... 92022.html

Vielleicht findet intern eine Weiterbelastung nach Ungarn statt, aber das wird die Öffentlichkeit wohl nicht erfahren und typisch wäre ja eigentlich eher, aufgrund der höheren Steuern, die Sonderbelastung in D auszuweisen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Eine Umfrage des "Eurobarometer" zeigte, daß 87% der befragten Polen die Mitgliedschaft Polens in der EU für vorteilhaft halten. Die wesentlichen Punkte dabei sind
  • wirtschaftliches Wachstum 46%
    Lebensqualität 36%
    berufliches Fortkommen 42%
    Gefühl der allgemeinen Sicherheit
Die Eurobarometer-Umfrage wurde in 23 EU-Partnerstaaten durchgeführt; sie ergab im Durchschnitt 68% Zustimmung zur Mitgliedschaft des betrachteten Landes in der EU. Von Interesse wären die Partnerstaaten gewesen, die weniger begeistert von ihrer EU-Mitgliedschaft sind. Aber da schwieg sich Rzeczpospolita aus!

Wenn man das Auftreten der polnischen Regierungspolitiker betrachtet, dann zeigt sich hier ein sehr großer Unterschied zum vorherrschenden Gemeinschaftsgefühl.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

H2O hat geschrieben:(18 Oct 2018, 14:29)

Die Eurobarometer-Umfrage wurde in 23 EU-Partnerstaaten durchgeführt; sie ergab im Durchschnitt 68% Zustimmung zur Mitgliedschaft des betrachteten Landes in der EU. Von Interesse wären die Partnerstaaten gewesen, die weniger begeistert von ihrer EU-Mitgliedschaft sind. Aber da schwieg sich Rzeczpospolita aus!
Hier auf einen Blick die Zustimmung in Prozent auf die Feststellung "Die EU ist eine gute Sache für unser Land". Der Durchschnitt lag bei 62%. https://www.bilder-hochladen.net/i/m0rw-3u-5753.jpg Da liegen Luxemburg, Irland und Deutschland ganz vorne und Tschechien, Italien und Kroatien ganz hinten.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

Orbiter1 hat geschrieben:(18 Oct 2018, 16:22)

Hier auf einen Blick die Zustimmung in Prozent auf die Feststellung "Die EU ist eine gute Sache für unser Land". Der Durchschnitt lag bei 62%. https://www.bilder-hochladen.net/i/m0rw-3u-5753.jpg Da liegen Luxemburg, Irland und Deutschland ganz vorne und Tschechien, Italien und Kroatien ganz hinten.
Ein sehr anschauliches Bild; vielen Dank! "Meine Daten" stammen aus September 2018, die Daten im Bild aus dem Frühjahr 2018. In Polen ist die Zustimmung etwas angewachsen auf 87% und in der EU insgesamt auf 68%. Vermutlich beeindruckt den Polen Normalverbraucher die Härte, mit der die EU für die Rechtsstaatlichkeit Polens eintritt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Brainiac hat geschrieben:(17 Oct 2018, 18:41)

Abgesehen davon, dass dir da bei den Strafzahlungen wohl ein paar Nullen zuviel hineingerutscht sind und 800 Mio natürlich auch für Audi nicht gerade "Portokasse" sind: Nein, kann ich nicht. Schließlich ist Audi Hungaria nur ein Teil des Audi-Konzerns. Die Wiki-Seite gibt auch kaum Aufschluss über die finanziellen Eckdaten von Audi Hungaria.

Es ist gar nicht so einfach, im Netz dazu etwas zu finden, aber schließlich bin ich hier fündig geworden. Du kennst dich ja in Osteuropa gut aus, vielleicht finden sich für dich da noch ein paar andere interessante Informationen.

https://www2.deloitte.com/ce/en/pages/a ... op500.html

Im rechts auf der Seite verlinkten PDF und darin auf Seite 50 findet sich eine Tabelle, die Audi Hungaria als Nr. 6 listet.
Danach betrug der Revenue für Audi Hungaria in 2015 gut 8,3 Mrd Euro, und das Net Income belief sich auf gut 440 Mio Euro.
Deine 5,7 Mrd Investitionssumme, geteilt durch die 16 Jahre, ergeben durchschnittliche Investitionen von gut 350 Mio Euro p.a. Das derzeit aktuell von Audi Hungaria genannte Investitionsvolumen für 2017 ist nicht geringer, im Gegenteil: gut 440 Mio Euro. https://audi.hu/de/news/news/details/53 ... jahr_2017/

Die Gewinne werden also in annähernd gleicher Größenordnung reinvestiert.
Und nun?
Dazu muss ich einfach nur zugeben, dass ich da an die Grenze meiner eher laienhaften volkswirtschaftlichen Kenntnisse gelange. Auch ich bin da eher auf indirekte Symptomanalyse oder auf renommierte Pubikationen (wie oben Le Monde) angewiesen. Es ist auch durchaus möglich, dass die aktuellen Strafzahlungen für Audi durchaus eine für das Unternehmen relevante Größenordnung haben. Mit ist noch nicht einmal ganz klar, wie die Produktionszahlen (und Besteuerungen) von Produkten, die aus internationalen Standorten in Endprodukten zusammengeführt werden, auf einzelne Staaten umgerechnet werden.

In jedem Falle bleibt faktisch diese Diskrepanz aus der Diskussion in diesem Thread bei mir zurück: Es gibt nicht wenige Diskutanten, die zum einen glauben, dass in Osteuropa sich "nur Oligarchen überhaupt ein Auto leisten können" und zum anderen nicht im entferntesten ahnen, dass die Produktion uznd Entwicklung gerade auch von Spitzenmodellen eben dort - nur eben unter anderem Namen - stattfindet. Und dass kein einziger der vielen Osteuropäer, die ich kenne, nachvollziehen kann, dass ich mit einem mehrfachen Einkommen wie sie mit so einer Billigmöhre herumfahre und nicht wie sie wenigstens mit einem Mittelklassemodell oder besser noch mit einem "Schulwegpanzer". Die Probleme dort sind dieselben wie hier: Zunehmend steht dieser sozialen MIttelklasse ein größer werdendes Prekariat gegenüber, die ganz andere Probleme hat.

Zum anderen glaube ich, dass die wenigsten die Brisanz einiger der Vorgänge in Osteuropa tatsächlich erfassen. Irgendwo in diesem Strang weiter oben war davon die Rede, dass in Städten wie Prag oder Warschau einfach nur dieselben normierten Konsumidioten herumlaufen wie anderswo schon lange. Nix da. Gerade vor ein paar Tagen gabs eine große Demonstration im nordwestungarischen Sopron zur Annulierung der "Schande von Trianon". Mit lauter Leuten in Trachten und mit folkloristischen Aktionen. Separationen, Arrondierungen, Rachefeldzüge. Geographische Regionen und ethnisch-kulturelle Dominanzen müssen in Übereinstimmung gebracht werden. Ein "Völkerfrühling?" Eher ein neues 1914 und es kann schlimm enden!
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(17 Oct 2018, 08:28)

An einem (hoffentlich!) gelungenen Film machen Sie die Sehnsucht des Volkes nach einer demokratischen, freiheitlichen, humanen Gesellschaft fest? Bei aller Liebe: So etwas drückt sich in politischem Handeln aus.

Im Westen sehe ich die konservativen Gesellschaften auf einem allmählichen Rückzug... durch Wertewandel in bestehenden Parteien und das Aufkommen neuer Parteien. Klar, ein Sammelbecken für die verknöcherten Ewiggestrigen ist auch nicht zu übersehen. Noch eine Legislatur, dann hat sich die alte Bundesrepublik mit ihren eingeschliffenen Trampelpfaden erneuert.
:) Ihren Optimismus möchte ich auch haben.

Es mag jetzt vielleicht etwas weiter weg führen, führt aber am Ende dennoch hin zum eigentlichen Thema: Es gibt in der politischen Entwicklung der Nachkriegswelt einen Komplex von Handlungssträngen, die insofern zusammengehören, als dass sie sich aufeinander beziehen: Das Transatlantische Bündnis, die NaTO, die EWG und dann die EU, die traditionelle westliche politische Teilung in eher gemäßigt linke, sozialdemokratische, eher gemäßigt rechte, konservative und dann nochmal wirtschaftsliberale Parteien, die (sogenannten) nationalen Befreiungsbewegungen im Süden, der "Ostblock" und noch einiges mehr.

Und dann gab es ab etwa Mitte der 70er politische Ereignisse, die in dieses gewohnte Schema nicht mehr hineinpassen. Ich nenne nur mal drei, aber drei sehr wichtige: Die islamische Revolution im Iran. Der Modernisierungskurs in China. Das Pontifikat des polnischen Bischofs Karol Wojtyla. Sie fallen allesamt fast zeitgleich zusmmen. Und werden häufig isoliert und einzeln als historische Umbrüche gesehen. Sie markieren aber - auch wenn sie kausal nicht zusammengehören und eher Symptome sind - etwas anderes: Einen völlig neuen Komplex von Handlungssträngen. Der sich wie eine Erdplatte im Zuge der Kontinentalverschiebungen über eine andere Erdplatte schiebt. Mit allen möglichen dadurch ausgelösten Umbrüchen, Aufwerfungen, Verschiebungen. DIe Welt der Jahrtausendwende schiebt sich Schritt für Schritt über die Welt der Nachkriegszeit. Und die eine Welt ist mit den Begriffen der anderen Welt einfach nicht mehr erklärbar. Das wird immer Offensichtlicher. Der Brexit, die Trumpwahl, das zumindest Infragestellen des transatlantischen Bündnisses. Oder des Prinzips des Freihandels in der westlichen Welt. Der Wandel der Rolle Russlands vom stalinistischen Weltmachtzentrum hin zu einem selbsternannten Verteidiger christlich-konservativer Weltbilder. Die krasse aktuelle Wendung in der Rolle Italiens, wirtschaftlich wie politisch. Wir sind ganz aktuell ganz offensichtlich auf dem Höhepunkt dieser grundsätzlichen historischen Kontinentalverschiebungen.

Der Nationalkonservativismus jüngerer Zeit in Osteuropa fügt sich da einfach ein. Und die Idee eines "Kerneuropas der Verbliebenen", so sympathisch sie auch sein mag, erinnert mich eher an ein berühmtes gallisches Dorf als dass es mir eine zeitgemäße ANtwort zu sein scheint. Die muss ganz anders, viel grundsätzlicher sein.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Oct 2018, 21:35)

... erinnert mich eher an ein berühmtes gallisches Dorf als dass es mir eine zeitgemäße ANtwort zu sein scheint. Die muss ganz anders, viel grundsätzlicher sein.
Tja, das lasse ich mir jetzt erst einmal eine Rede sein! Und die wahre und allein zeitgemäße Antwort ist nun... welche? Vor allem vor dem Hintergrund, daß ich meine, daß unsere freiheitlichen europäischen Demokratien ein besonders menschengerechtes Gesellschaftsmodell darstellen, das sich mit allen verfügbaren Kräften zu verteidigen lohnt.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(20 Oct 2018, 22:15)

Tja, das lasse ich mir jetzt erst einmal eine Rede sein! Und die wahre und allein zeitgemäße Antwort ist nun... welche? Vor allem vor dem Hintergrund, daß ich meine, daß unsere freiheitlichen europäischen Demokratien ein besonders menschengerechtes Gesellschaftsmodell darstellen, das sich mit allen verfügbaren Kräften zu verteidigen lohnt.
Zwei Antworten. Top Down hat sich nicht erledigt. Siehe die aktuellen Sanktionen gegen Polen durch den EuGH. Vizepremier und Bildungsminister Gowin, der sich vor einiger Zeit dahingehend geäußert hatte, dass Entscheidungen von EU-Instanzen keineswegs bindend für Polen seien, wurde von Seiten der Regierung zurückgepfiffen. Und ganz aktuell sieht es keineswegs danach aus, dass die EuGH-Entscheidung zu einem Eklat führen wird.

Die eigentliche Antwort aber lautet: EU Bottom Up! Das ist auch schon längst kein leeres Schlagwort mehr sondern wird getragen von zahlreichen Bürgerinitiativen, Stiftungen usw. Und es gibt ganz konkrete Programme. Schauen Sie zum Beispiel hier:
https://www.our-new-europe.eu/3-szenari ... rklichung/
Dieses Neue Europa Bottom Up ist die Alternative zu "Weiter Zentralisierung und Top Down" und auch zu "Nationale Unabhängigkeit/Brexit". Die Halbwertszeit von Führungspersönlichkeiten, in die neue Hoffnungen gesetzt werden, wie etwa Macron, ist erheblich geringer als die solcher Ideen. Grundvoraussetzung für die Idee eines solchen Europas von unten ist allerdings die Distanzierung von jeglichen von rein persönlichen und subjektiven Motiven geleiteten Sym- und Antpathien wie sie hier in diesem Strang insbesondere von User orbiter1 geäußert werden. Antieuropäischer und antidemokratischer gehts kaum.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von Orbiter1 »

schokoschendrezki hat geschrieben:(22 Oct 2018, 08:34)

Zwei Antworten. Top Down hat sich nicht erledigt. Siehe die aktuellen Sanktionen gegen Polen durch den EuGH. Vizepremier und Bildungsminister Gowin, der sich vor einiger Zeit dahingehend geäußert hatte, dass Entscheidungen von EU-Instanzen keineswegs bindend für Polen seien, wurde von Seiten der Regierung zurückgepfiffen. Und ganz aktuell sieht es keineswegs danach aus, dass die EuGH-Entscheidung zu einem Eklat führen wird.
Da sollte man noch etwas abwarten. Wegen der gestrigen Kommunalwahlen in Polen hat sich die PiS-Regierung mit der Hetze auf die EU zurückgehalten. Die PiS konnte landesweit um 5% zulegen. Demnächst werden wir ja sehen wie man wirklich auf das Urteil des EuGH reagiert. Ich stehe weiter zu meiner Prognose.
Die eigentliche Antwort aber lautet: EU Bottom Up! Das ist auch schon längst kein leeres Schlagwort mehr sondern wird getragen von zahlreichen Bürgerinitiativen, Stiftungen usw. Und es gibt ganz konkrete Programme. Schauen Sie zum Beispiel hier:
https://www.our-new-europe.eu/3-szenari ... rklichung/
Dieses Neue Europa Bottom Up ist die Alternative zu "Weiter Zentralisierung und Top Down" und auch zu "Nationale Unabhängigkeit/Brexit".
Wieviele Mio EU-Bürger stehen denn hinter diesen Bottom-Up-Bewegungen? Alles unter 13,5 Mio (3% von den 450 Mio der EU-27) würde ich als irrelevant bezeichnen. Melde dich einfach wieder wenn es soweit ist.
Die Halbwertszeit von Führungspersönlichkeiten, in die neue Hoffnungen gesetzt werden, wie etwa Macron, ist erheblich geringer als die solcher Ideen.
Das Gegenteil ist der Fall. Es waren ausschließlich politische Führungspersönlichkeiten die die EU soweit gebracht haben.
Grundvoraussetzung für die Idee eines solchen Europas von unten ist allerdings die Distanzierung von jeglichen von rein persönlichen und subjektiven Motiven geleiteten Sym- und Antpathien wie sie hier in diesem Strang insbesondere von User orbiter1 geäußert werden. Antieuropäischer und antidemokratischer gehts kaum.
Ich erwarte von den EU-Mitgliedstaaten dass sie sich vertragstreu verhalten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist ja hoffentlich nicht zuviel verlangt. Und ja, EU-Staaten die sich vertragswidrig verhalten sind mir unsympathisch. Das gleiche gilt für Beitrittskandidaten die im Korruptionsindex inzwischen hInter einer Reihe von afrikanischen Staaten liegen und jedes Jahr weiter zurückfallen.
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Re: Wie abwegig ist es mit Rauswurf aus der EU zu drohen für mangelhafte Solidarität (Ungarn, Polen, Tschechien, Slovake

Beitrag von schokoschendrezki »

Orbiter1 hat geschrieben:(22 Oct 2018, 09:08)

Da sollte man noch etwas abwarten. Wegen der gestrigen Kommunalwahlen in Polen hat sich die PiS-Regierung mit der Hetze auf die EU zurückgehalten. Die PiS konnte landesweit um 5% zulegen. Demnächst werden wir ja sehen wie man wirklich auf das Urteil des EuGH reagiert. Ich stehe weiter zu meiner Prognose.
Wieviele Mio EU-Bürger stehen denn hinter diesen Bottom-Up-Bewegungen? Alles unter 13,5 Mio (3% von den 450 Mio der EU-27) würde ich als irrelevant bezeichnen. Melde dich einfach wieder wenn es soweit ist. Das Gegenteil ist der Fall. Es waren ausschließlich politische Führungspersönlichkeiten die die EU soweit gebracht haben. Ich erwarte von den EU-Mitgliedstaaten dass sie sich vertragstreu verhalten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist ja hoffentlich nicht zuviel verlangt. Und ja, EU-Staaten die sich vertragswidrig verhalten sind mir unsympathisch. Das gleiche gilt für Beitrittskandidaten die im Korruptionsindex inzwischen hInter einer Reihe von afrikanischen Staaten liegen und jedes Jahr weiter zurückfallen.
Sowohl "Führungspersönlichkeiten" als auch "Bewegungen" können Wirkungen entfalten, die weit weit über den rein prozentualen Anteil von Sympathisanten hinausreichen.

Und die Erwartung an Vertragstreue richtet sich nach meinem Verständnis an Regierungen, nicht an "Staaten". Das ist für mich nicht nur ein symbolischer, formaler Unterschied. Die polnische Regierung verhält sich vertragsuntreu, nicht "Polen". Daran ändert auch nix, dass diese Regierung von einer Mehrheit gewählt wurde.

Auch das Brexit-Referendum wurde von einer (knappen) Mehrheit der Briten befürwortet. Nix wäre jedoch verkehrter und uneuropäischer, jetzt so eine Art "Nun werdet ihr mal sehen, was Ihr euch da eingebrockt habt"-Politik von seiten der EU zu fahren.

Zum wiederholten male: Der angemessene Schritt gegenüber dem Demokratieabbau in Ungarn von seiten der Regierungspartei wäre zunächst ein Ausschluss dieser Partei aus der EVP-Fraktion des EU-Parlaments. Eine (heftige) Debatte über einen solchen Ausschluss wird ja tatsächlich auch geführt. Juncker etwa fordert ganz explizit und öffentlich einen solchen Ausschluss. Die Unionsparteien aus D kritisieren Orbáns Politik, sprechen sich aber nicht für einen Ausschluss aus. Und eine Reihe von Politikern, allen voran Kurz aus Österreich sprechen sich ganz explizit und ausdrücklich gegen einen solchen Ausschluss aus. Das genau ist der Stand der aktuellen politischen Lage. Es gibt rhetorische Floskeln en masse und hinter den Kulissen aber ein politisches Kräfteverhältnis, das summa summarum auf ein leichtes Pro-Fidesz-Übergewicht hinausläuft. Solange das so ist, wird es keine wirklich ernsthaften Sanktionen geben können.
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