Vor allem stehen im Artikel leider einige Halbwahrheiten.
Ein Journalist interviewte Roberto Spada, stadtbekannter Clan-Chef von Ostia, involviert in Drogenhandel, Erpressung, Sozialbetrug. Die Sequenz zeigt ihn vor einem Boxstudio, er lässt sich Fragen stellen. Weil ihm die letzte nicht passt, holt er zum Kopfstoß aus und zertrümmert die Nase des Reporters. Dann zieht Spada einen Schlagstock hervor und treibt Kameramann und Reporter knüppelnd die Straße entlang. In Ostia, so kündete die Videobotschaft ins Land, hat der Staat nichts zu melden. Die Mafia regiert.
Vier Tage nach ihrer Ankündigung flimmert erneut ein Video aus Ostia über italienische Fernsehbildschirme. Diesmal ist darauf der Bruder von Roberto Spada zu sehen, ebenfalls Mafioso. Er steht im Boxstudio, scherzt vertraut mit einem Mann. Wie sich herausstellt: ein Parteifreund Di Pillos (M5S).
Vom Spada-Clan in Ostia wurden 32 "Mafiosi" verhaftet (am 24.01.!), z.T. als Reaktion auf die Gewalt, die den Journalisten angetan wurde, u.a. Roberto Spada und der noch gefürchtetere Bruder. Vor allem aber natürlich aufgrund der kriminellen Geschäfte.
Hingegen wurden Giorgia Meloni und Parteifreundin (Fratelli d'italia) mit einem Spada-Mitglied auf den Straßen gesichtet
https://kurier.at/chronik/weltchronik/r ... 08.190.973
Nach drei Stunden ein Dorfplatz, idyllisch gelegen zwischen den Hügeln und Florenz, über der Toskana strahlt Sonne. Ein Wahlkampfstand. Fünf-Sterne-Anhänger drücken Passanten das Parteiprogramm in die Hand. Das passt auf einen Flyer und verspricht Wunder: 50 Milliarden Euro für "strategische Branchen", 17 Milliarden für Familien, 780 Euro für jeden Rentner, Steuern senken, Arbeitsplätze schaffen, eine Million Elektroautos auf die Straße bringen.
Laut dem offiziellen Programm des M5S sind es 10 Milliarden PRO JAHR für "strategische Branchen" (also 50 Mrd. für die gesamte Legislaturperiode), sollte vielleicht mal erwähnt werden. Es sind 14,5 Milliarden für Familien, 2,5 Mrd. sollen für Inklusion u.ä. ausgegeben werden. 780 Euro für jeden Rentner liest sich jetzt nicht allzu üppig, oder? Ist jetzt wohl nix utopisches. Den Rest verspricht auch jede andere Partei, da muss man nicht so abschätzig werden wie Herr Aisslinger.
Und die 2,2 Billionen Euro Schulden, die Italien noch hat?
"Daran ist die EU schuld", erklärt Andrea Quartini. "Deshalb muss sie zahlen." Quartini, 57, Lokalpolitiker, Arzt und wütend, stellt klar: "Wenn die EU nicht hilft, kappen wir die Verbindungen." Wie genau die EU Schuld trägt, erklärt er nicht, ist auch egal, er hat ein Gefühl, und das teilt er mit vielen Italienern: Die reichen Länder im Norden haben gefälligst zu zahlen für die armen im Süden.
So eine Aussage und Ansicht konnte ich bisher in keinem italienischen Artikel finden.
Den Fünf Sternen gelingt es, dieses Gefühl zu kanalisieren, die Empörten zu locken, auch wenn sie dabei einst unverhandelbare Positionen mal eben so kippen. All die Jahre kündigten sie an: Sollte man an die Macht kommen, dürften die Italiener ein Referendum über einen Euro-Austritt abhalten. Nun, da die Wahl immer näher rückt, rückt die Partei immer weiter ab von ihrem Versprechen.
Sollte doch für uns "Europäer" doch wohl kein Problem sein und allen Europa-Untergangs-Predigern einen Schlag versetzen. Mal abgesehen davon, dass die M5S-Wähler das scheinbar begrüßen.
Er selbst denke sowieso nicht mehr in diesen Kategorien, solches Lagerdenken sei Vergangenheit. Keine Partei Europas hat derart erfolgreich jede Festlegung zwischen rechts und links verweigert, bis heute balancieren die Fünf Sterne an beiden Rändern, ohne zu stolpern. Mal verlangen sie ein bedingungsloses Grundeinkommen und ziehen Linke wie Quartini an. Mal nennt Beppe Grillo Flüchtlinge in einer Reihe mit Müll und Ratten und sammelt Sympathie bei extremen Rechten. Die Fünf Sterne haben so viele unterschiedliche Vorschläge ins Land geworfen, so laut in die eine Ecke gerufen, so oft in die andere, dass jeder Wähler sich die Partei hinbiegen kann, wie er möchte. "Wir sind die größte Selbsthilfegruppe der Welt", sagt Quartini. Und dort übt man Nachsicht. Hauptsache, man selbst wird geheilt.
Grillo ist ein Clown, seine Partei aber nicht. Er hat da was sehr interessantes losgetreten. Extreme Rechte wählen garantiert nicht M5S, sondern das rechte Lager bestehend aus Fratelli d'Italia, Lega (Nord) und Forza Italia, ganz egal welche skandalösen Worte Grillo da von sich gibt. Die M5S sind genau das, was politisch wohl die meisten Menschen sind: ein bißchen hier und ein wenig da. Oder kann wer behaupten nur linke oder nur rechte Ansichten zu vertreten?
Am Anfang war es eine vielversprechende, fast revolutionäre Idee: Bei den Fünf Sternen darf jeder mitmachen, alle haben eine Stimme, jede Entscheidung trifft das Kollektiv basisdemokratisch über eine Internetplattform. Dann aber berichteten die Nachrichten vom Fall Federico Pizzarotti, der für die Fünf Sterne ins Rathaus von Parma einzog und, weil er sich dort dem Diktat Grillos entzogen haben soll, aus der Partei geschmissen wurde. Sie berichteten vom Fall Virginia Raggi, der Bürgermeisterin Roms, die aus dem innersten Machtzirkel per SMS angeleitet worden sein soll, wie sie zu regieren habe. Und sie berichteten vom Fall Marika Cassimatis.
Marika Cassimatis, klein und dunkelhaarig, Geografielehrerin, sitzt in einem Café in Genua, ihrer und Grillos Heimatstadt. Sie hatte sich als Bürgermeisterkandidatin aufstellen lassen – und die interne Wahl der Fünf Sterne gewonnen. "Drei Tage nach der Abstimmung", sagt sie, "rief mich ein Freund an. Er fragte: Hast du schon gesehen, was Beppe in seinem Blog geschrieben hat?"
Grillo hatte die Wahl für ungültig erklärt, Cassimatis habe gegen Prinzipien der Bewegung verstoßen. Manche würden das nicht verstehen, schrieb er noch, aber man solle ihm, Grillo, vertrauen. "Ich weiß bis heute nicht, weshalb er mich ausschloss. Ich wollte ihn treffen und fragen. Doch er antwortete mir nicht", sagt Cassimatis. Sie gilt als links, nah an der Basis. Grillo wollte einen anderen Kandidaten.
"Danach meldeten sich viele Leute bei mir und erzählten, ihnen sei Ähnliches passiert", sagt Cassimatis. Die meisten jedoch würden nicht wagen, sich öffentlich zu beschweren. "Wer sich gegen die Bewegung stellt, muss mit Diffamierung rechnen. Hunderte von Fake-Profilen greifen die Abtrünnigen dann in den sozialen Medien an, beleidigen und schüchtern sie ein." Es ist die Ironie dieser Partei, dass sie, angetreten als Verkünder einer bedingungslosen Basisdemokratie, jedes Fehlverhalten bestraft, Furcht statt Verbundenheit verbreitet. Verräter werden geächtet, Linientreue aber bis über selbst gesetzte Grenzen hinweg gefördert.
Und hier ist wirklich das Problem der M5S. Die nach wie vor im Hintergrund agierende Allmacht des Clowns. Wenn das alles stimmt, was da geschrieben steht. Zuletzt hieß es, er würde sich immer mehr aus den Parteiangelegenheiten zurückziehen. Das wäre der Partei und den Italienern zu gönnen. Denn die Idee hinter dieser Bewegung ist einzigartig. Das irgendwann richtige parteiliche Strukturen notwendig sind, ist logisch. Es geht jetzt nur darum, die Idee nicht zu verraten und in den nächsten Jahren einen halbwegs guten Job ohne die oben genannten Verfehlungen zu machen.
Nach einer Stunde tritt man hinaus, in Rom regnet es. Als Raggi 2016 Bürgermeisterin wurde, versprach sie Fortschritte auf allen Ebenen, sie wollte Transparenz ins Rathaus bringen, das Müllproblem lösen, den Nahverkehr verbessern. Knapp zwei Jahre nach all den schönen Worten läuft man durch die Altstadt und sieht alle Abfalleimer überquellen. Man wartet auf Busse, die einfach nicht kommen. Man steht am Hauptbahnhof, wo angespülte Flüchtlinge und abgehängte Römer eine Elendsgemeinschaft bilden. Raggi wurden in ihrer kurzen Dienstzeit bereits Amtsmissbrauch und Falschaussage vorgeworfen. Sie musste, in 14 Monaten, 16-mal ihr Kabinett umbilden. Eine Beraterin wurde verhaftet.
Rom galt schon immer als unregierbar. Das alles noch schlechter mit Raggi laufen würde, hat sich keiner vorstellen können. Aber zuletzt läuft es in jeglicher Hinsicht besser, gerade im Hinblick auf die Müllentsorgung. Sogar im "Lebenswert"-Ranking ist Rom gestiegen. Von Platz 88 auf 67 (
http://www.romatoday.it/politica/classi ... liora.html). Sie brauchte vor allem Anlaufzeit, die nächsten Monate wird sich zeigen, ob der Aufwärtstrend anhält.
Insgesamt würde ich dem M5S eine Chance geben, alles besser zu machen. Dafür muss aber Grillo komplett raus und die Bewegung zu einer richtigen Partei wachsen.