Wähler hat geschrieben:(16 Jan 2019, 14:42)
NZZ 8. Dezember 2018
«Norwegen Plus» – die schwächste aller Brexit-Alternativen
https://www.nzz.ch/international/norweg ... ld.1442838
"Ein «Norwegen-Modell» genannter Vorschlag zirkuliert auf der Insel seit zweieinhalb Jahren als besonders «weicher» Brexit. Dies allein vermag jedoch das Problem der inneririschen Grenze nicht zu lösen. Die Efta-Staaten (als vierter im Bunde die Schweiz) bestimmen ihre eigene Aussenhandelspolitik; wollte ihnen London folgen, müssten Unternehmen, die zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich Handel treiben, Zollformalitäten erledigen, und an der inneririschen Grenze müssten auf Risikoabwägung beruhende Kontrollen möglich sein. Deshalb geht die parteiübergreifende Gruppe um Boles und Kinnock einen Schritt weiter und will zusätzlich eine Zollunion mit der EU begründen – ein superweicher Brexit oder, im Brexit-Jargon, «Norwegen Plus»."
Eine überparteiliche Einigung im jetzigen britischen Parlament auf Norwegen-Plus für den Übergangszeitraum bis zu einem neuen Abkommen mit der EU wäre noch eine theoretische Alternative, bedeutet allerdings eine vorübergehende Efta-Mitgliedschaft und Zollunion mit der EU.
Ich habe mir beide Debatten im Unterhaus angesehen. Gestern die Brexit-Debatte und heute die Debatte hinsichtlich des Misstrauensantrags von Labour gegen May.
Die Ablehnung sowohl der Opposition als auch innerhalb der Conservative Party von Theresa May war evident und endete in einem desastösen Abstimmungsergebnis
für Mays ausgehandeltes Austrittsabkommen.
Heute klang zwar immer wieder die Frage an, was May innerhalb der drei Tage und der Vorlage eines Plan "B" bezüglich der sog. roten Linien verändern werde,
um eine Zustimmung (vor allem in den eigenen Reihen und bei DUP) doch noch für Ihren Austrittsvertrag zu erreichen. Dazu erklärte sie aber nichts Neues,
trotz mehrfacher Nachfragen dazu. Die Antwort war unverändert: Der Wille des britischen Volkes, aus der EU auszutreten, müsse erfüllt werden und sie werde
diesen Willen auch vollstrecken. Ob sie dafür notfalls auch einen "No-deal"-Austritt hinnähme, um diesen "reichlich obskuren" angeblichen Volkswillen zu erfüllen, ließ sie offen bzw. dazu schwieg sie
beharrlich. Ebenso, was sie in den verbleibenden drei Tagen der EU in Nachverhandlungen (rechtsverbindlich und nicht nur als "worthülsige" Willensbekundung) abringen wolle. Um so
irgendwie doch noch eine Zustimmung im Unterhaus für diesen Austrittsvertrag zu erreichen und gleichzeitig den Brexit - abgefedert - aber doch zu vollziehen, um den von ihr
gebetsmühlenartig immer wieder betonten "Willen des britischen Volkes" zu erfüllen.
Wobei sie regelmäßig dieses äusserst knappe Votum des Referendums suggestiv als einen umfassenden bzw. überwältigenden, klaren Mehrheitswillen darstellt.
Ein Mehrheitswillen, von dem, drei Jahre nach einer reichlich irreführenden und lügenbasierten Anti-EU-Populismuskampagne nicht einmal klar ist,
ob diese vormalige knappe Mehrheit "pro Brexit" heute noch so im vierteiligen britischen Volk besteht oder sich womöglich in eine knappe, oder sogar noch größere zwischenzeitliche Mehrheit gegen ein
Brexit gewandelt hat. Nachdem viele der Lügen und fälschlich der EU untergeschobenen Begründungen als rein britisches Versagen der jeweiligen Regierungen unter Cameron und besonders unter ihr selbst als
Premierministerin immer offensichtlicher wurden. Siehe die Problematik der inneren Sicherheit und der Abbau von Polizeikräften, die sie ganz besonders als vormalige Innenministerin zu verantworten hat.
Oder auch, den weiteren Niedergang des Gesundheitssystems, dem keinesfalls, wie damals von Lügnern wie Boris Johnson und besonders Nigel Farage behauptet, wöchentlich ca. 350 Mio. Pfund an zusätzlichen Mitteln zufließen würden, wenn man aus der EU austrete. usw.
Es wird einigermaßen spannend, wie May errreichen will, dass das Unterhaus ihrem Austrittsvertrag doch noch zustimmt. Wobei ich davon ausgehe, dass sie heute Abend das Misstrauensvotum übersteht.
Der antisemitische Corbyn als möglicher neuer Premier, der sich ausserdem nie als Freund der EU hervortat, seine eigene Position auch bisher in Sachen Brexit verschleiert und diesen nur für seine
eigenen machttaktischen Spielchen benutzt, um doch noch Premierminister zu werden, sind sowohl für Großbritannien selbst als auch die EU keine erfreuliche Option oder gar ein
klares und berechenbares Wechselsignal in Sachen Brexit oder remain. Labour selbst ist ja ebenso wie die Thories in zwei Lager gespalten und Corbyn alles andere als unumstritten in der eigenen Partei.
Die EU bzw. diverse Regierungschefs haben bereits klar erklärt, dass der Austrittsvertrag nicht nachverhandelt wird und dies auch abgelehnt wird. Jüngst erst durch Angela Merkel oder den Österreichischen Kanzler
Kurz, der Nachverhandlungen kategorisch ausschloß.
Und ich glaube auch nicht, dass die EU als essentielle Rosine eine zeitliche Begrenzung des "back stop" auf ein oder zwei Jahre zugestehen kann und wird, die rechtsverbindlich als geänderter Vertragsinhalt des Austrittsvertrags
festgeschrieben wird. Solches von May innerhalb von drei Tagen erreicht werden kann, was in drei Jahren zähester Verhandlungen nicht gelang. Und ausserdem eine erneute Zustimmung der 27 EU-Regierungschefs bedeuten und nach sich ziehen würde.
Dies würde im Fall der irischen Grenzfrage bedeuten, dass spätestens dann Großbritannien als Nicht-EU-Land eine EU-Aussengrenze sowohl zoll- als auch sicherheitsrechtlich für die EU kontrollieren würde.
So, als ob ein Massentierhalter die Aufsicht über Behörden und Tierärzte wahrnimmt und kontrolliert!, um die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Medikamentgebrauchs in der Tierhaltung sicherzustellen.
Einfach undenkbar, so man nicht direkt in vollkommene Lächerlichkeit seitens der EU eintreten will.
Und auf der anderen Seite natürlich diese Option einer Streichung bzw. zeitlichen Begrenzung des "backstop" als essentieller Zustimmungskiller für May in der verbleibenden Zeit und unter den vorstehend
beschriebenen Ausgangssituation faktisch nicht möglich ist.
Aber wer weiss, vielleicht ist Mays Murmeltierfähigkeit so tough, dass sie damit das Unterhaus und die Brexitgegner im eigenen Lager so müde oder sogar totquatscht, bis sie nur noch einmal den Arm zustimmend
hochheben, bevor sie im parlamentarischen Grab versinken. Nur dann wird sie eine Zustimmung erhalten. Egal, ob sie den Austrittstermin verschiebt oder wie sie mehrmals in den beiden oben angesprochenen Debatten
erklärte, dies keinesfalls tun werde. Also GB am 29.3.2019 aus der EU austreten werde.
Es gleich im Moment eher der Quadratur des Kreises, an der sich Theresa May "unbeirrt" versucht, wenn man die breite und krachende Ablehnung dieses Austrittsvertrags sieht. Und auch, dass die Ablehnung
im Lande quer durch alle Lager ebenso kategorisch ist. Laut Umfragen sehen 75% der britischen Bevölkerung diesen Austrittsvertrag als nicht annehmbar an. Was May ebenso in der Debatte vornehm verschwieg
oder verdrängt.
So wie es jetzt aussieht, läuft der britische Dampfer unter Captain May zielsicher auf den "no deal"-Eisberg zu wie einst die Titanic. Er wird beim Auftreffen zwar nicht sinken, aber ordentlich demoliert
zurückbleiben, genauso wie dem EU-Eisberg einiges dabei abbrechen wird.
Fazit: Wahnsinniger geht es nimmer? Doch, a bisserl was geht immer ...