Vereinigte Staaten von Europa

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Dampflok94
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Re: Vereinigte Staaten von Europa

Beitrag von Dampflok94 »

Garfield335 » Fr 29. Jun 2012, 14:07 hat geschrieben:Bei den Namen VSE würde nämlich jeder sofort an die USA denken. Viele Leute verkennen aber, dass amerikanische Bundesstaaten unabhängiger sind als EU-Mitgliedsstaaten.
Letzteres halte ich für Nonsens. Möchte mal sehen was Passiert, wenn Florida seine eigene Armee ggf. sogar mit Atomwaffen bestückt aufbaut.

Die USA sind ein Bundesstaat. Mit allen Beschränkungen, die das für die einzelnen Bundesstaaten mit sich bringt. Die EU ist (noch) ein Staatenbund. Jeder Staat ist souverän. Und könnte jederzeit die Union verlassen. Ist bei den USA eher schwierig, wie ein Teil nach 1861 erfahren mußte.
Leute kauft mehr Dampflokomotiven!!!
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Hyde
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Re: Vereinigte Staaten von Europa

Beitrag von Hyde »

Das langfristige Ziel sollten die Vereinigten Staaten von Europa sein. Ein solcher europäischer Bundesstaat wäre einer der mächtigsten Staaten der Welt und könnte seine politischen und ökonomischen Interessen in der Außenpolitik dementsprechend viel besser vertreten.
Ich denke, dass analog zum 19. Jhd, als bei den Menschen ein deutsches Nationalbewusstsein erwachte und ein Gefühl von Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur & Geschichte aufkam, zukünftig auch mehr und mehr ein europäisches Nationalbewusstsein erwachen wird. Denn letztlich sind wir Europäer alle Erben unserer gemeinsamen Geschichte, unserer gemeinsamen Vorfahren, unserer europäischen Kultur.
Ein gemeinsames europäisches Bewusstsein wird sich mit jeder nachfolgenden jungen Generation in Europa weiter verstärken.

Bis ein solcher europäischer Staat jedoch realistisch umgesetzt werden kann, muss Europa zunächst noch enger zusammenwachsen; sowohl ökonomisch als auch sozial. Gerade in diesen Bereichen gibt es derzeit zwischen den EU-Ländern (hauptsächlich zwischen Ost und West) noch zu tiefgreifende Unterschiede, die noch Nachwirkungen der europäischen Teilung im Kalten Krieg sind. Wirtschaftlich sieht man das an den Wohlstandsdaten wie dem BIP/Kopf oder den Einkommen. Politisch und sozial sieht man es an der sozialen Rückständigkeit der Osteuropäer (Fremdenfeindlichkeit, mangelnde Toleranz für sexuelle Minderheiten, usw).

Wenn die EU-Mitgliedsländer irgendwann auf einem annähernd ähnlichen wirtschaftlichen Niveau sind, wird dieses Projekt eines europäischen Staates realistisch werden. Bis dahin sollte man die Zusammenarbeit in allen Bereichen Schritt für Schritt erweitern, die nächsten großen Ziele sollten wirtschaftlich z.B. ein digitaler europäischer Binnenmarkt und außen/sicherheitspolitisch die Schaffung einer europäischen Armee sein.

Mal sehen, wie lange es noch dauert bis die Prognosen von Victor Hugo von 1849 alle eingetroffen sind: http://www.friedensforum-neustadt.de/3000/3010,03.html
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H2O
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Re: Vereinigte Staaten von Europa

Beitrag von H2O »

Hyde hat geschrieben:(01 Jan 2017, 23:39)

Das langfristige Ziel sollten die Vereinigten Staaten von Europa sein. Ein solcher europäischer Bundesstaat wäre einer der mächtigsten Staaten der Welt und könnte seine politischen und ökonomischen Interessen in der Außenpolitik dementsprechend viel besser vertreten.
Ich denke, dass analog zum 19. Jhd, als bei den Menschen ein deutsches Nationalbewusstsein erwachte und ein Gefühl von Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur & Geschichte aufkam, zukünftig auch mehr und mehr ein europäisches Nationalbewusstsein erwachen wird. Denn letztlich sind wir Europäer alle Erben unserer gemeinsamen Geschichte, unserer gemeinsamen Vorfahren, unserer europäischen Kultur.
Ein gemeinsames europäisches Bewusstsein wird sich mit jeder nachfolgenden jungen Generation in Europa weiter verstärken.

Bis ein solcher europäischer Staat jedoch realistisch umgesetzt werden kann, muss Europa zunächst noch enger zusammenwachsen; sowohl ökonomisch als auch sozial. Gerade in diesen Bereichen gibt es derzeit zwischen den EU-Ländern (hauptsächlich zwischen Ost und West) noch zu tiefgreifende Unterschiede, die noch Nachwirkungen der europäischen Teilung im Kalten Krieg sind. Wirtschaftlich sieht man das an den Wohlstandsdaten wie dem BIP/Kopf oder den Einkommen. Politisch und sozial sieht man es an der sozialen Rückständigkeit der Osteuropäer (Fremdenfeindlichkeit, mangelnde Toleranz für sexuelle Minderheiten, usw).

Wenn die EU-Mitgliedsländer irgendwann auf einem annähernd ähnlichen wirtschaftlichen Niveau sind, wird dieses Projekt eines europäischen Staates realistisch werden. Bis dahin sollte man die Zusammenarbeit in allen Bereichen Schritt für Schritt erweitern, die nächsten großen Ziele sollten wirtschaftlich z.B. ein digitaler europäischer Binnenmarkt und außen/sicherheitspolitisch die Schaffung einer europäischen Armee sein.

Mal sehen, wie lange es noch dauert bis die Prognosen von Victor Hugo von 1849 alle eingetroffen sind: http://www.friedensforum-neustadt.de/3000/3010,03.html
Na, wunderbar. Und wer soll diese Sache vorantreiben? Von allein gleicht sich ein Wohlstandsgefälle nicht aus: Portugal, Griechenland... Und wer sagt Ihnen, daß unsere Nachbarn Ihre völlige Unabhängigkeit aufgeben werden, um sie gegen ihre sehr weit gehende Einbettung in die Europäische Gemeinschaft ein zu tauschen?

Sämtliche Vorleistungen mit Blick auf das Ziel "Europäische Einheit" sind geflossen, ohne diesem Ziel seit etwa 2 Jahren näher zu kommen. Im Gegenteil hat ein wichtiger Partner sich auf Dauer vom Europäischen Projekt verabschiedet. An dem Schock knabbert die EU noch, ohne daß eine Weiterentwicklung auch nur als Vorschlag verhandelt würde.

Im Gegenteil heißt heute die Preisfrage, wie wir das inzwischen Erreichte noch vor dem endgültigen Zerfall bewahren können. Selbst da sieht es derzeit finster aus.
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schokoschendrezki
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Re: Vereinigte Staaten von Europa

Beitrag von schokoschendrezki »

Unter der Überschrift "Verunsicherte Gesellschaft" gabs in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandradios (die sich eigentlich immer aktuellen Tagesthemen widmet) zum Jahresende eine sechsteilige Gesamtschau der aktuellen politischen Weltsituation. In Teil 4 gings um den Stand des EU-Projekts, und ich muss ehrlich zugeben, dass ich schon lange nicht mehr durch Berichterstattungen so erschüttert war. Zu hören waren - nein, nicht etwa Pegidisten oder Brexidisten - sondern Studenten der Viadrina-Universität Frankfurt/Oder: Jung, mehrsprachig, aufgeschlossen, internationalisiert, liberal, gebildet. Die Viadrina hat deutschlandweit die höchste Quote von Absolventen, die irgendwo im Ausland ihre Berufstätigkeit beginnen. Und die Aussagen zur EU waren durchwegs: Das ist nicht unser Projekt! Das hat mit uns nix zu tun! ... da habe ich mir gedacht: Wenns so ist, dann wars das doch eigentlich ... Man könnte einwenden, dass dieser Campus eventuell von der aktuellen politischen Situation in Polen oder allgemein Osteuropa EU-negativ beeinflusst ist. Aber zum einen: Gerade in Polen gab es in jüngster Zeit pro-EU-Demos. Und: schauen wir auf die andere Seite, nach Niederlande: Da sieht es noch schlimmer aus. Nicht so sehr in Hinsicht auf Antiliberale Strömungen, aber in Hinsicht auf EU-Auflösung. Zumindest, wenn man bedenkt, dass Benelux mal sozusagen das Herzstück der EU bildete und es institutionell auch immer noch ist.

Vereinigte Staaten von Europa? Bin dafür! Aber aus dem Gebilde der jetzigen EU werden die wohl kaum entstehen. Da ist nicht Versionsfortschreibung sondern Zusammenkloppen und komplett Neuanfangen wohl eher die bessere Strategie. Siehe dazu auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, die sich in einem aktuellen Buch genau dafür ausspricht: Eine komplett neue EU "von unten", eine "Republik Europa" als sozialutopisches Projekt und völlig unabhängig von dem verdorbenen aktuellen institutionellen Gebilde EU.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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H2O
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Re: Vereinigte Staaten von Europa

Beitrag von H2O »

schokoschendrezki hat geschrieben:(05 Jan 2017, 08:52)

Unter der Überschrift "Verunsicherte Gesellschaft" gabs in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandradios (die sich eigentlich immer aktuellen Tagesthemen widmet) zum Jahresende eine sechsteilige Gesamtschau der aktuellen politischen Weltsituation. In Teil 4 gings um den Stand des EU-Projekts, und ich muss ehrlich zugeben, dass ich schon lange nicht mehr durch Berichterstattungen so erschüttert war. Zu hören waren - nein, nicht etwa Pegidisten oder Brexidisten - sondern Studenten der Viadrina-Universität Frankfurt/Oder: Jung, mehrsprachig, aufgeschlossen, internationalisiert, liberal, gebildet. Die Viadrina hat deutschlandweit die höchste Quote von Absolventen, die irgendwo im Ausland ihre Berufstätigkeit beginnen. Und die Aussagen zur EU waren durchwegs: Das ist nicht unser Projekt! Das hat mit uns nix zu tun! ... da habe ich mir gedacht: Wenns so ist, dann wars das doch eigentlich ... Man könnte einwenden, dass dieser Campus eventuell von der aktuellen politischen Situation in Polen oder allgemein Osteuropa EU-negativ beeinflusst ist. Aber zum einen: Gerade in Polen gab es in jüngster Zeit pro-EU-Demos. Und: schauen wir auf die andere Seite, nach Niederlande: Da sieht es noch schlimmer aus. Nicht so sehr in Hinsicht auf Antiliberale Strömungen, aber in Hinsicht auf EU-Auflösung. Zumindest, wenn man bedenkt, dass Benelux mal sozusagen das Herzstück der EU bildete und es institutionell auch immer noch ist.

Vereinigte Staaten von Europa? Bin dafür! Aber aus dem Gebilde der jetzigen EU werden die wohl kaum entstehen. Da ist nicht Versionsfortschreibung sondern Zusammenkloppen und komplett Neuanfangen wohl eher die bessere Strategie. Siehe dazu auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, die sich in einem aktuellen Buch genau dafür ausspricht: Eine komplett neue EU "von unten", eine "Republik Europa" als sozialutopisches Projekt und völlig unabhängig von dem verdorbenen aktuellen institutionellen Gebilde EU.
Diese Meinung teile ich fast vollständig; mir bleibt noch ein wenig Hoffnung, daß eine Rückbesinnung einiger bewährter Partner auf Kerneuropa möglich ist, so lange die EU noch nicht im Streit völlig auseinander geflogen ist. An einen Neuanfang von ganz unten an glaube ich nicht... eher an "Rette sich wer kann!" in ein Kerneuropa. Ja, man muß schon sehr ernüchtert feststellen, daß es nicht gut um das Europäische Projekt bestellt ist.
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