Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

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H2O
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Ger9374 hat geschrieben:(09 Dec 2018, 19:43)

Medienvielfalt hat mit mehr Qualität nicht immer zu tun.Sobald aber eine Art Zensur die Medieninhalte einschränkt um Meinungsfreiheit zu unterdrücken da wird es kritisch. Da kann es auch zu verschiedenen Auffassungen zwischen Regierungen und der E.U in Brüssel kommen.
Da gibt es dann auch die Gerichte.
Na ja, so lange es noch einige freie Stimmen gibt, die sich keinem Eigentümer beugen müssen, hilft einem Autokraten das dicke Pressepaket wenig. Der Bürger, dieser Lümmel, greift doch immer dorthin, wo er findet, was er sucht, nämlich den höchsten Wahrheitsgehalt... und er spottet über die Hofberichterstattung. Ich meine, daß dieser Ausweg in Ungarn noch verfügbar ist... und wer mit Fremdsprachen keine Schwierigkeiten hat, der hat Internet-Radio und Internet-Fernsehen (?). In Polen liegen die Verhältnisse so, wie ich sie selbst vor Ort so nutze.

Insofern ist auch nicht sonderlich überraschend, wie sehr an der Regierungsmeinung vorbei sich der Widerspruch zeigt. Die Leute wissen eben, was in ihrem Lande veranstaltet wird und wo Grenzen des Zumutbaren überschritten wurden.

Noch einmal Medienvielfalt und Qualität: Man muß doch nur an den Auslagen der großen Lebensmittelmärkte vorbei gehen... meist als letzte Instanz vor der Kasse, um zu sehen, wie sehr auch in unserem Lande die angebotetenen Informationen sich um niederschmetternd einfache Sachverhalte herum ranken. Wenn mit einem Schlage 100 Zeitschriften vom Markt verschwänden, so wäre nichts verloren, so lange die entscheidenden 3 oder 4 Zeitschriften ("Qualitätsmedien") noch erhältlich wären.

In ähnlicher Weise wäre über die Vielfalt der Rundfunkstationen zu berichten. So lange die entscheidenden Sender ("Qualitätsmedien") nicht verstummen, so lange sind wir bestens unterhalten und unterrichtet.

Vermutlich würde dann auch die EU-Kommission zu Recht sehr energisch nachfassen. Da sind wir aber wirklich noch nicht!
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Cat with a whip
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Cat with a whip »

In Ungarn scheint sich wie in Frankreich ebenfalls breiter sozialer Protest gegen die neoliberale arbeiterfeindliche Politik des neoliberalen rechtsautoritären Orbanregimes zu formieren.
Nun erlebt Ungarn wieder eine Protestwelle - die größte seit Langem. Seit mehreren Tagen demonstrieren Tausende Menschen in der Hauptstadt Budapest, aber auch in anderen Städten des Landes. Wegen einzelner Randalierer ging die Polizei teilweise unverhältnismäßig brutal gegen die Demonstranten vor, setzte massiv Tränengas ein und verhaftete wahllos Teilnehmer der Kundgebungen wie auch Unbeteiligte - was die Proteste eher noch anheizte.

Auslöser ist das von der Opposition so genannte "Sklavereigesetz". Mit dieser Arbeitsrechtsnovelle wird die jährlich mögliche Überstundenzahl von 250 auf 400 erhöht. Zugleich können sich Arbeitgeber mit der Bezahlung der Zusatzarbeit künftig drei Jahre Zeit lassen statt wie bisher ein Jahr. Das Gesetz ist die neueste Maßnahme einer langen Liste arbeitnehmerfeindlicher Maßnahmen, die unter Orbán seit 2010 verabschiedet wurden.

In den vergangenen acht Jahren sind rund 600.000 eher gut ausgebildete Menschen aus Ungarn abgewandert, weil der öffentliche Dienst, vor allem das Bildungs- und Gesundheitswesen, schlecht organisiert und unterfinanziert sind. Zudem hängen private Unternehmen häufig vom Wohlwollen der Regierung ab. Hinzu kommt ein bedrückendes öffentliches Klima, in dem viele nicht mehr wagen, offen ihre Meinung zu äußern. Vor diesem Hintergrund erscheint es vielen zynisch, das Problem des Arbeitskräftemangels einfach mit der Erhöhung der Überstundenzahl zu beheben.

"Arroganz der Macht"

Doch es geht bei den Protesten nicht nur um das "Sklavereigesetz". Ebenfalls am vergangenen Mittwoch wurde ein Gesetz über die neu zu schaffenden Verwaltungsgerichte verabschiedet. Anders als herkömmliche Gerichte stehen sie unter der Kontrolle des Justizministeriums. Unabhängige Juristen befürchten, dass diesen neuen Gerichten alle Fälle zugewiesen werden, bei denen die Regierung ein bestimmtes Urteil wünscht. Ungarische Bürgerrechtsorganisationen sprechen von einem weiteren Schlag gegen die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz.

Nicht nur an diesen Gesetzen zeigt sich, was der Politologe Péter Krekó als "Arroganz der Macht in einem zunehmend autoritären, hybriden System" bezeichnet. In diesem Jahr etwa verabschiedete Orbáns Regierung repressive Gesetze gegen Nichtregierungsorganisationen, schränkte das Demonstrationsrecht ein oder untersagte Obdachlosen den "lebensführenden Aufenthalt" im öffentlichen Raum. Umfragen ergeben, dass selbst viele Anhänger der Orbán-Partei Fidesz zum Teil nicht mit solchen Maßnahmen einverstanden sind. Auch wächst allgemein der Unmut über Missstände im Land wie etwa die verbreitete politische Korruption.

Dennoch deuten die derzeitigen Reaktionen der Orbán-Regierung auf die Proteste nicht darauf hin, dass es irgendeine Art von Einlenken geben wird. Anders als im Herbst 2014 ziehen Politiker aus Orbáns Partei Fidesz und regierungsnahe Medien in einer Weise über die Demonstranten her, wie man es eher in Russland oder der Türkei vermuten würde. Hinter den Protesten stünden "Provokateure", "ausländische Straftäter", eine "kleine, aggressive Minderheit", der US-Börsenmilliardär George Soros und Leute, die Ungarn mit "Migranten überschwemmen" wollten.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/u ... 44150.html
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Cat with a whip hat geschrieben:(17 Dec 2018, 18:54)

In Ungarn scheint sich wie in Frankreich ebenfalls breiter sozialer Protest gegen die neoliberale arbeiterfeindliche Politik des neoliberalen rechtsautoritären Orbanregimes zu formieren.


http://www.spiegel.de/politik/ausland/u ... 44150.html
Zu fragen ist dabei, wer die eigentlichen Profiteure dieses neuen Arbeitsgesetzes sind. Es sind vor allem deutsche Großkonzerne wie Audi, Mercedes und Bosch. Industrievertretungen und -verbände in Ungarn haben seit längerem enge und gute Beziehungen zur ungarischen Regierungspartei.

https://www.handelsblatt.com/politik/in ... 48818.html
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Cat with a whip »

Da sollte man mal genauer untersuchen ob es Korruption zwischen deutschen Konzernen und der ungarischen Rechtsregierung gibt. In Deutschland ist es ja auch fast immer die korrupte Union und FDP die die arbeitende Bevölkerung verarscht und ganz legal Milionenspenden aus der Wirtschaft dafür erhalten.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Cat with a whip hat geschrieben:(22 Dec 2018, 17:26)

Da sollte man mal genauer untersuchen ob es Korruption zwischen deutschen Konzernen und der ungarischen Rechtsregierung gibt. In Deutschland ist es ja auch fast immer die korrupte Union und FDP die die arbeitende Bevölkerung verarscht und ganz legal Milionenspenden aus der Wirtschaft dafür erhalten.
Diese Form der Korruption ist gar nicht zu verhindern, wenn die "Staatsmacht" dafür empfänglich ist. Darauf stellt sich ein Management ein und ebnet sich die Wege für gute Geschäftsbedingungen. Wenn die Staatsmacht dann auch noch die Rechtspflege steuert, dann gibt es Rechtssicherheit nur auf diesem Wege. Als Unternehmen sind sie ohne diese Schmiermittel auf verlorenem Posten. Dann machen andere eben gute Geschäfte, und Sie sind eine ehrliche Haut.

Deshalb meine ich, daß die EU sehr hartnäckig einen Kampf gegen diese Unsitte führen sollte, die man sehr schön von transparency international als Länderlisten weltweit dargestellt sehen kann.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Cat with a whip »

Deutschland ist bei Transparency International durch die Politik der ruhigen Hand, also durch die Weigerung Angela Merkels Korruption zu bekämpfen im Ranking gefallen.
Das wird schwieriger dann in der EU Antikorruptionspolitik zu betreiben wenn das mächtigste Land der EU dies hintertreibt. Sicher, die EU-Komission müsste sich halt mehrheitlich gegen die Korruptis der DEUTSCHEN Merkel-CDU durchsetzen. Geht sicher, klar. Man hats ja mitbekommen wie die deutsche Regierung Merkels auf EU-Ebene versuchte im Auftrag der deutschen Autohersteller Emmissionsgrenzen zum Schaden der Gesundheit der Menschen und zum Profit der Autohersteller möglichst hoch anzusetzen.

Ok, Ungarn ist sicher kein Maßstab für Deutschland und dort hat sich die Korruption in den letzten Jahren unter Orban ausgeweitet:

https://www.transparency.de/korruptions ... king-2017/
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Das Thema Korruption hatten wir im EU-Unterforum schon einmal am Wickel, mit genau Ihrer beigesteuerten Rangfolge des Korruptionsausmaßes in Ländern der Welt. Das ist als Nebenthema in einem Sammelstrang verloren gegangen, obwohl ich das Thema für die Entwicklung der EU für ganz entscheidend halte. Ich überlege nun, ob wir hier nicht ein Thema "Korruption in der EU anlegen, wo wir unsere Gedanken dazu leichter wiederauffindbar ablegen können.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Ich war zwischen Weihnachten und Silvester in Ungarn und speziell (und u.a. aus Neugier wegen der aktuellen Proteste) am Samstag in Budapest. Berechtigterweise ist bei politisch interessierten Leuten eine gewisse Enttäuschung angesagt: Bei den Gelbwesten in Frankreich gehts (u.a.) um Benzinpreise und bei den Protestlern in Ungarn um Überstunden. Da darf man natürlich auch nicht zu überhablich sein.

Gut. Ganz aktuell gings am letzten WE in Budapest um was ganz, völliig anderes. Um die Schleifung des Imre-Nagy-Denkmals mitten in der Stadt gleich hinter dem Landesparlament. Ich war einen Tag danach da. Die Scheinwerfer waren noch montiert. Die Denkmalsverankerungen noch sichtbar. Imre Nagy war weg. Touristengruppenleiterinnen mit aktuellen Tageszeitungen in der Hand versuchten, den Touristen zu erklären, warum diese Sehenswürdigkeit nun plötzlich nicht mehr zu besichtigen ist.

Nur kurz zur Erklärung. Worum geht es? Imre Nagy war im Prinzip ein "Reformkommunist", ähnlich wie vielleicht Alexander Dubcek oder auch Gorbatschow. Nur dass es beim Ungarnaufstand 1956 wirklich zur Sache ging und Nagy nicht einfach abgesägt sondern hingerichtet wurde. Das Nagy-Denkmal befand sich dementsprechend auch auf einem Platz der "Märtyrer". ("Vértanuk Tere") Allerdings der Märtyrer der antihabsburgischen Aufstände 1848/49. Das Nagy-Denkmal soll nun durch ein Denkmal aus der Zeit des Hitler-Verbündeten und Reichsverwesers Horthy ersetzt werden, das an die Opfer der ungarischen Räterpublik 1918 erinnern soll. So. Was ist das pikante daran? Der politische Aufstieg Orbáns begann Ende der 80er als oppositioneller Studentenführer genau mit der Forderung für ein Denkmal für den Reformkommunisten Nagy. Heute lässt er es schleifen und dafür durch eines aus der Nazi-Zeit ersetzen. Opportunusmus pur sage ich nur. Orbán ist morgen auch Stalinist, Leninist, Islamist oder was auch immer, wenns seiner Herrschaft dient. Und dann: Bitte aufmerksam zur Kenntnis nehmen: Es gab vor kurzem die Chance, Orbáns Fidesz aus der EVP-Fraktion zu schmeißen. Mit der Durchsetzung des CSU-Kandidaten Weber ist diese Chance vertan. Auch wenn der sich verbal kritisch äußert. Er steht für Orbán. Und Deutschland als Ganzes, mit seinen C-Parteien als Regierungsparteien wird in Ungarn auf Seiten des autokratischen Regimes gesehen. Und nicht auf Seiten derer, die sich für Demokratieerhalt einsetzen. Bitte zu beachten. Man braucht nur einen der Demonstranten zu fragen. Auch wenn ich mich immer für eine differenzierte Sicht auf Deutschland einsetze. Ebenso wie ich mich für eine differenzierte Sicht auf Ungarn einsetze. Es sind vor allem Deutschlands große Industireunternehmen, die die große Übereinkunft wünschen und die Orbán/Fidesz stützen.

Ich kann nur noch einmal auf einen Hinweis von Userin Selina auf den Film "Mephisto" hinweisen. Das war ja nun gerade eine deutsch-ungarische Produktion. Was gegenwärtig in Europa passiert ... noch passiert nix wirklich existenziell Schlimmes. Aber Vorsicht. Auch in dem Film Mephisto gab es so eine vorlaufende kulturelle Verdunklung. So eine ungute Stimmung. Die ich heute in Deutschland genauso wie in Ungarn wahrnehme.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Über das, was in Ungarn vorgeht, sind wir völlig auf unsere Medien angewiesen. Da ist es natürlich gut, wenn "Ortskundige" ihre Beobachtungen beisteuern.

Ich meine, die zeitgleichen Ereignisse in Ungarn und in Deutschland haben ganz unterschiedliche Hintergründe:

In Ungarn scheint ein ganz abgebrühter Politiker sein Machtgeflecht immer weiter aus zu bauen... und die EU muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie diesen Partner nicht wirksam dazu bringt, die demokratischen Grundlagen in seinem Lande zu erhalten.

In Deutschland erleben wir einen schleichenden Macht- und Bedeutungsverlust unserer Volksparteien und unserer Kanzlerin. Ich kann aber nicht unken, daß ich darin einen Verlust an demokratischen Gepflogenheiten sehe. Im Gegenteil scheint mir ein in Routine erstarrtes Machtsystem infolge demokratischer Entscheidungen ins Rutschen zu kommen, ohne daß es deshalb zu einer Bewegung "Gelbe Westen" kommt.

Schwer zu sagen, ob es in Deutschland in 2021 oder schon vorher zu einem tiefgreifenden Machtwechsel kommen wird, oder zu einer Umwertung derzeitig führender Themen.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Jan 2019, 00:53)

Über das, was in Ungarn vorgeht, sind wir völlig auf unsere Medien angewiesen. Da ist es natürlich gut, wenn "Ortskundige" ihre Beobachtungen beisteuern.

Ich meine, die zeitgleichen Ereignisse in Ungarn und in Deutschland haben ganz unterschiedliche Hintergründe:

In Ungarn scheint ein ganz abgebrühter Politiker sein Machtgeflecht immer weiter aus zu bauen... und die EU muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie diesen Partner nicht wirksam dazu bringt, die demokratischen Grundlagen in seinem Lande zu erhalten.

In Deutschland erleben wir einen schleichenden Macht- und Bedeutungsverlust unserer Volksparteien und unserer Kanzlerin. Ich kann aber nicht unken, daß ich darin einen Verlust an demokratischen Gepflogenheiten sehe. Im Gegenteil scheint mir ein in Routine erstarrtes Machtsystem infolge demokratischer Entscheidungen ins Rutschen zu kommen, ohne daß es deshalb zu einer Bewegung "Gelbe Westen" kommt.

Schwer zu sagen, ob es in Deutschland in 2021 oder schon vorher zu einem tiefgreifenden Machtwechsel kommen wird, oder zu einer Umwertung derzeitig führender Themen.
Nee. "Gelbwesten" in Deutschland ... das kann ich mir auch nur schwer vorstellen. In Deutschland gibts eher "Wutbügrer". Aber das ist was anderes. Die kämpfen nicht für ihre Rechte und Interessen (wie fragwürdig diese auch immer sein mögen) sondern lassen ihrer gefühlten Ohnmacht freien Lauf.

Der Punkt in einem Land wie Ungarn ist, dass es der zentralen Vorgabe des Maastricht-Vertrags eigentlich genau entspricht: Nämlich Wettbewerb um Kapitalinvestoren statt staatlichem Etatismus. Wettbewerb um günstige Produktionsbedingungen, sprich vor allem: niedrige Löhne bei gleichzeitig hoher Fachqualitfikation. Das läuft eigentlich. Nur kommt jetzt in ganz Osteuropa das Problem a) der Fachkräfteabwanderung durch Personenfreizügigkeit und b) dieselben demographischen Probleme wie überall in Europa. Im Grunde genommen haben wir genau das Maastricht-Europa, was im Maastricht-Vertrag konzipiert wurde. Es funktioniert nur nicht! Und der Frust über dieses Nichtfunktionieren entlädt sich überall in einem Neonationalismus. Und die Parteien nutzen diesen Neonationalismus allesamt weidlich aus.

Für die Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung muss man auch nicht zwangsläufig vor Ort sein. Die Ergebnisse seriöser Analysen sind im wesentlichen überall dieselben:
Hauptsache, die Kasse stimmt: Warum die Automobilindustrie auf Ungarn abfährt

Während auf der politischen Ebene Ungarn vor allem wegen seiner restriktiven Flüchtlingspolitik von den meisten EU-Mitgliedstaaten sehr kritisch beäugt wird, erlebt das Land wirtschaftlich einen bis dahin nie gekannten Aufstieg.
https://www.mdr.de/heute-im-osten/orban ... k-100.html

Das heißt: Ein Politiker wie Orbán wird einerseits innerhalb der EVP-Fraktion vor allem durch die deutschen C-Parteien gedeckt und hat andererseits wirtschaftlich alle Trümpfe in der Hand.

Nur, dass ihm möglicherweise die eigene Bevölkerung zunehmend einen Strich durch die Rechnung macht.

Man wird sehen, wohin das Blatt in Europa sich wendet. Die Entwicklungen in Österreich, Dänemark, Italien lassen nix gutes ahnen.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

@ schokoschedretzki:

Sie sind aber tüchtig dabei, den Maastrichtvertrag zu verreißen. Über allen kommerziellen Dingen steht in der EU seit Anbeginn das gemeinsame Wertegerüst des demokratischen Rechtsstaats mit Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz. Wenn Ungarn diesem Wertegerüst entspricht, dann hat es in der EU seinen verdienten Platz. Verfehlt Ungarn nach erfolgreich bestandener Eignungsprüfung durch Verfassungsänderungen das Wertegerüst, dann gibt es Ärger mit dem EuGH, verbunden mit Strafzahlungen für jeden Tag, an dem das Land nach Urteilsverkündung die beanstandete Abweichung vom EU-Wertegerüst nicht beseitigt hat.

Das hat jüngst Polens Regierung sehr schnell bewegt, im Sejm durchgewunkene Verfassungsänderungen zurück zu nehmen. Zur "Gesichtswahrung" hat Polen gegen das Urteil Berufung eingelegt... aber damit werden alle Parteien im Prozeß in aller Stille umgehen... und den Streit beilegen. Mich sollte es wundern, wenn nun längere Zeit kein Urteil gegen ungarische Verfassungsänderungen erlassen werden sollte.

Wenn schon die Ungarn selbst unruhig werden, dann kann das Gericht auch abwarten, obwohl ich meine, entsprechende Prozesse liefen schon.

Sie haben zwei merkwürdige Sachverhalte getrennt behandelt: Einmal reiben Sie sich an großen deutschen Investitionen in Ungarn, mit einer brummenden Auslastung, anderseits beklagen Sie die Abwanderung von Fachkräften ins westliche EU-Ausland, sprich: Deutschland, Österreich. Im Grunde hätte also die deutsche Wirtschaft noch mehr gut bezahlte Arbeitsplätze in Ungarn aufbauen sollen! So ungefähr ist auch die Sachlage in Polen. Deutsche Investoren gründen/kaufen polnische Betriebe als Teil des dann internationalen Unternehmens. Einige Nationalisten wollen, daß diese Ausgründungen nationalisiert werden sollen... als ob dadurch in Polen auch nur ein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz gewonnen werden würde.

Die international tätigen "deutschen" Unternehmen bringen Marktzugänge mit, Betriebsorganisation, fehlendes know-how und Investitionsgelder im Mrd € Bereich. Alles Dinge die Polen (mit welchen Produkten?) erst einmal entwickeln müßte. Damit wird die Abwanderung von Fachkräften gebremst, die dennoch sehr hoch ist. Aus meiner Sicht ist die engstmögliche Zusammenarbeit der deutschen und der polnischen Wirtschaft und Politik das beste Mittel, in Polen rasch Wohlstand überall im Lande zu schaffen. Das war und ist doch auch das Ziel der EU!

Praktische Erfahrung Ost: Ich suchte Abdeckgitter für Möbel als Lüftungsgitter. Riesenauswahl in Pilsen/Tschechien über Internet. Deutschsprachiges Verkaufspersonal, ganz einfache Abwicklung ohne Zoll und doppelten Boden, ratz-fatz. So macht Europa Spaß! Ich brauchte einen Kleinherd mit Backofen und 2 Kochfeldern im Ceranfeld. Deutsches Produkt Rommelsbacher angeboten in Nordostpommern zu günstigem Preis. Bestellt und umstandslos geliefert in wenigen Tagen. Gut, da brauchte ich keinen deutschsprachigen Verkauf.

Wenn man solche Erfahrungen macht, dann weiß man sehr bald die EU zu schätzen.

Demnächst brauche ich Landmaschinen für eine kleine Feldwirtschaft. Da scheint Italien gut aufgestellt zu sein, jedenfalls vom Internetangebot her. Die LED-Lampen im Hause habe ich in den Niederlanden beschafft, weil dort in der benötigten Menge sofort lieferbar. Da konnte mein polnischer Elektriker ohne Wartezeit durcharbeiten... prima! Meine Vollholzmöbel stammen aus Riga/Lettland... auch höchst einfach zu beziehen und preisgünstig ab Fabrik gegen Vorkasse.

Solche günstigen Entwicklungen bemerkt niemand, der still vor sich hin seinen Bedarf im Supermarkt oder im nächsten Baumarkt deckt. Ich nehme an, daß die wirtschaftliche Verflechtung in der EU viel weiter fortgeschritten ist, als wir uns das im Augenblick vorstellen können. Das dürfte wohl die ganz große Entdeckung in GB werden, wenn ab 29. März 2019 der hard BREXIT durchgezogen werden muß.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von schokoschendrezki »

H2O hat geschrieben:(02 Jan 2019, 11:10)

@ schokoschedretzki:

Sie sind aber tüchtig dabei, den Maastrichtvertrag zu verreißen. Über allen kommerziellen Dingen steht in der EU seit Anbeginn das gemeinsame Wertegerüst des demokratischen Rechtsstaats mit Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz. Wenn Ungarn diesem Wertegerüst entspricht, dann hat es in der EU seinen verdienten Platz. Verfehlt Ungarn nach erfolgreich bestandener Eignungsprüfung durch Verfassungsänderungen das Wertegerüst, dann gibt es Ärger mit dem EuGH, verbunden mit Strafzahlungen für jeden Tag, an dem das Land nach Urteilsverkündung die beanstandete Abweichung vom EU-Wertegerüst nicht beseitigt hat.
Ich glaube, Sie werden sich an das schier unglaubliche Gezerre um Maaastricht 1992 noch erinnern können. Im Prinzip stand für viele tatsächlich die Umwandlung der "Wirtschaftsgemeinschaft" EWG/EG in eine Wertegemeinschaft Europa zur Debatte. Es ist aber im Prinzip eine WIrtschafts- und Währungsunion geworden. Es hätte auch anders kommen können. Ist aber nicht! Im Zentrum des Maastricht-Vertrags stehen Wirtschafts-, Währungs-, Handels- und Sozialfragen. Und eben nicht Wertefragen. Auch wenn diese rechtlich-formal verankert sind.
Das hat jüngst Polens Regierung sehr schnell bewegt, im Sejm durchgewunkene Verfassungsänderungen zurück zu nehmen. Zur "Gesichtswahrung" hat Polen gegen das Urteil Berufung eingelegt... aber damit werden alle Parteien im Prozeß in aller Stille umgehen... und den Streit beilegen. Mich sollte es wundern, wenn nun längere Zeit kein Urteil gegen ungarische Verfassungsänderungen erlassen werden sollte.
Dazu ist es ohnehin zu spät. Nicht erst die geplanten Verfassungsänderungen sondenn die ganze neue Verfassung selbst (von 2011, da war Ungarn bereits EU-Mitglied) entspricht eigentlich nicht den "Werten der EU" und der Vorstellung von Demokratie. Nur zur Veranschaulichung der Absurdität: Ungarn hat sich in dieser Verfassung von der Selbstbezeichnung "Republik" verabschiedet und sieht sich verfassungsrechtlich dennoch als "RepubliK". Quasi als Königreich ohne König. (Naja, nicht ganz ohne König ... :p ) Vergleiche mit Polen werden häufig gezogen, aber, ganz wichtig (Sie werden das wissen): Die PiS wird nach dem Ausscheiden der britischen CP politisch endgültig isoliert dastehen. Orbáns Fidesz dagegen nach dem Richtungsentscheid Weber vs. Stubb integrierter als irgendwann zuvor. Auf die wirtschaftliche Entwicklung scheint all dies kaum einen bedeutenden Einfluss zu haben. Haben vielleicht die entsprechenden Industrieverbände ohnehin mehr Einfluss sowohl in Brüssel als auch in den Ländern als die gewählten EU-Parlamentsfraktionen?
Sie haben zwei merkwürdige Sachverhalte getrennt behandelt: Einmal reiben Sie sich an großen deutschen Investitionen in Ungarn, mit einer brummenden Auslastung, anderseits beklagen Sie die Abwanderung von Fachkräften ins westliche EU-Ausland, sprich: Deutschland, Österreich. Im Grunde hätte also die deutsche Wirtschaft noch mehr gut bezahlte Arbeitsplätze in Ungarn aufbauen sollen! So ungefähr ist auch die Sachlage in Polen. Deutsche Investoren gründen/kaufen polnische Betriebe als Teil des dann internationalen Unternehmens. Einige Nationalisten wollen, daß diese Ausgründungen nationalisiert werden sollen... als ob dadurch in Polen auch nur ein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz gewonnen werden würde.
Dann ist ein falscher Eindruck entstanden. Ich versuche - soweit einem das überhaupt irgendwie möglich ist - sachlich und unvoreingenommen die Ist-Lage zu schildern. Zusätzliche Arbeitsplätze sind weder in Polen noch in Ungarn das Problem. DIe Arbeitslosenquote ist dermaßen niedrig, dass man eigentlich von Vollbeschäftigung reden müsste. Sonst hätte man ja auch nicht ausgerechnet - wie in Ungarn - die Zahl der möglichen Überstunden erhöhen müssen. Die Abwanderung bzw. das Nichtvorhandensein von Fachkräften ist das Problem. Gänzlich anders als in Italien oder Spanien.
Die international tätigen "deutschen" Unternehmen bringen Marktzugänge mit, Betriebsorganisation, fehlendes know-how und Investitionsgelder im Mrd € Bereich. Alles Dinge die Polen (mit welchen Produkten?) erst einmal entwickeln müßte. Damit wird die Abwanderung von Fachkräften gebremst, die dennoch sehr hoch ist. Aus meiner Sicht ist die engstmögliche Zusammenarbeit der deutschen und der polnischen Wirtschaft und Politik das beste Mittel, in Polen rasch Wohlstand überall im Lande zu schaffen. Das war und ist doch auch das Ziel der EU!
Mitte/Ende der 90er war die Stettiner Werft die größte in Europa und die fünftgrößte der Welt. Heute ist (so gut wie) nix davon übrig. Nur als Beispiel. Und bekanntermaßen stellt die Region um Katowice etwas ähnliches dar wie das Ruhrgebiet in Deutschland. Es sind also nicht so sehr Aufbau- sondern vielmehr Umbruch-Prozesse, die die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Mittelosteuropa prägen.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Ja, das stimmt! Die Umwandlung der Industriegesellschaften in große arbeitsteilige Netze macht überall Sorgen. Aber auch da ist ohne den starken Partner D gar nicht viel zu reißen. Unser Markt ist augenblicklich so groß, daß ohne Zugang dazu kein Neuaufbau möglich ist. Wer soll wonach nachfragen?
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Kölner1302 »

In Ungarn hat nun die rechtsnationale Regierung - wie schon zuvor auch die rechtsnationale Regierung in Österreich - die Arbeitszeit per Gesetz extrem verlängert.
Wegen des von den Ungarn "Sklavengesetz" genannten Abeitszeitgesetzes droht in Ungarn nun ein Generalstreik.
https://www.igmetall.de/ungarn-proteste ... -30151.htm
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Cat with a whip »

Unter dem Deckmäntelchen der Seuchenbekämpfung baut Oban die faschistische Diktatur aus.
So sollen diejenigen, die bewusst Falschinformationen verbreiten, mit mehrjähriger Haft bestraft werden können. Dass derart schwammige und krude Vorschriften vor allem auf JournalistInnen zielen ist klar, und was sie in der Praxis bedeuten, kann man bereits bei Orbáns Bruder im Geiste, Russlands Präsident Wladimir Putin, besichtigen. Aber in Sachen Gleichschaltung und Kriminalisierung unabhängiger Medien hat der Budapester Rechtsausleger ja ohnehin schon wertvolle Vorarbeit geleistet. Auch die politische Opposition dürfte weiter unter Druck geraten. Denn wann, wenn nicht jetzt, kann Orbán sein geliebtes Narrativ vom „Volksverräter“ für seine KritikerInnen publikumswirksam noch weiter strapazieren.

Auch im Ausland lauert übrigens Verrat – in Gestalt des US-Milliardärs Georges Soros. Der will über seine Stiftung eine Million Euro für den Kampf gegen das Virus nach Ungarn schicken. Doch wieso sollte ein Mann, der laut Orbán Ungarn mit „Geflüchteten fluten will“ plötzlich nicht aus niederen Beweggründen handeln?
Angesichts von Orbáns Durchmarsch reagieren die Europäische Union, deren Rechtsstaatsverfahren gegen Budapest in der Warteschleife hängt, und der Europarat wie schon so oft: mit Appellen, Kritik und verhaltenen Drohungen.

https://taz.de/Ermaechtigungsgesetz-in-Ungarn/!5675700/
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Angesichts von Orbáns Durchmarsch reagieren die Europäische Union, deren Rechtsstaatsverfahren gegen Budapest in der Warteschleife hängt, und der Europarat wie schon so oft: mit Appellen, Kritik und verhaltenen Drohungen.
Die EU sieht ihre Untätigkeit als Gewohnheitsrecht. Spätestens seit Präsident Hollandes Ansatz einer EU der Willigen hätte sich die EU entscheiden müssen, ob sie eine Wertegemeinschaft sein möchte, oder sich auf gemeinsame Wirtschaftsentwicklung beschränken will. Auf jeden Fall geht es so konzeptionslos nicht mehr weiter.

Zwar ist hier Ungarn und seine politische Entwicklung das Thema, aber auch die gegenwärtige Corona-Krise zeigt sehr deutlich bis hin zu bösartigen Straftaten zum Nachteil von Partnern, daß in der EU jeder Partner sich selbst der Nächste ist.

Schnorrer unter den Partnern kalt abblitzen lassen!
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Fighter »

[quote="H2O"][url=viewtopic.php?p=4714598#p4714598] (31 Mar 2020, 12:45)[/url]

Die EU sieht ihre Untätigkeit als Gewohnheitsrecht. Spätestens seit Präsident Hollandes Ansatz einer EU der Willigen hätte sich die EU entscheiden müssen, ob sie eine Wertegemeinschaft sein möchte, oder sich auf gemeinsame Wirtschaftsentwicklung beschränken will. Auf jeden Fall geht es so konzeptionslos nicht mehr weiter.

Zwar ist hier Ungarn und seine politische Entwicklung das Thema, aber auch die gegenwärtige Corona-Krise zeigt sehr deutlich bis hin zu bösartigen Straftaten zum Nachteil von Partnern, daß in der EU jeder Partner sich selbst der Nächste ist.

Schnorrer unter den Partnern kalt abblitzen lassen![/quote]

Moin!

[quote]Die EU sieht ihre Untätigkeit als Gewohnheitsrecht.[/quote]

Die EU, die doch eine Wertegemeinschaft sein will, hat zugelassen, dass in ihrer Mitte eine Diktatur entsteht. Und es gibt keine Möglichkeit, den Fremdkörper abzustoßen. Das fügt der Gemeinschaft schweren ideellen Schaden zu. Denn eine EU, die nicht bis in ihre letzten Winkel Demokratie und Rechtsstaat durchsetzen kann, ist keine Wertegemeinschaft, sondern ein Geldautomat. Man geht hin, kassiert ab - und dreht ihm den Rücken zu.
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sünnerklaas
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von sünnerklaas »

Fighter hat geschrieben:(31 Mar 2020, 18:17)


Die EU, die doch eine Wertegemeinschaft sein will, hat zugelassen, dass in ihrer Mitte eine Diktatur entsteht. Und es gibt keine Möglichkeit, den Fremdkörper abzustoßen. Das fügt der Gemeinschaft schweren ideellen Schaden zu. Denn eine EU, die nicht bis in ihre letzten Winkel Demokratie und Rechtsstaat durchsetzen kann, ist keine Wertegemeinschaft, sondern ein Geldautomat. Man geht hin, kassiert ab - und dreht ihm den Rücken zu.

Das Problem ist, dass die EU eben geschichtlich bedingt eine Wirtschaftsgemeinschaft aus der Zeit des Kalten Krieges ist, deren urpsprüngliches Ziel es war, (West-)Deutschland einzuhegen, um zu verhindern, dass dort ein wirtschaftlich zu starkes Zentrum entsteht. Die "Werte" wurden nur öffentlichkeitswirksam vor sich hergetragen.
Ein ganz großes Dilemma ist, dass die osteuropäischen Staaten eben auch Siegestrophäen waren und sind. Der Sieg über die Sowjetunion, der gleichzeitig noch etwas anderes mitbrachte: Heerscharen von Billigarbeitskräften.
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H2O
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

Denn eine EU, die nicht bis in ihre letzten Winkel Demokratie und Rechtsstaat durchsetzen kann, ist keine Wertegemeinschaft, sondern ein Geldautomat. Man geht hin, kassiert ab - und dreht ihm den Rücken zu.
Da sind wir uns einig! Und ich würde die Opfer nicht mehr bringen wollen, die uns in Vorleistung einer Wertegemeinschaft auferlegt wurden. Das meinte ich mit: "Den Schnorrern den Geldhahn abdrehen!" Denn ich bin davon überzeugt, daß doch viele Europäer geduldig ihre Abgaben zahlen, weil sie auf die Wertegemeinschaft hoffen. Aber es fällt zunehmend schwerer, das alles so gut zu finden.
BenJohn

Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von BenJohn »

Die EU als Sekte ist keine gute Idee. Die EU sollte auf wirtschaftlicher und militärischer Basis zusammenarbeiten. Der Rest ist unwichtig. Den soll jedes Land mit sich selbst ausmachen.
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H2O
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von H2O »

BenJohn hat geschrieben:(31 Mar 2020, 20:06)

Die EU als Sekte ist keine gute Idee. Die EU sollte auf wirtschaftlicher und militärischer Basis zusammenarbeiten. Der Rest ist unwichtig. Den soll jedes Land mit sich selbst ausmachen.
Einverstanden; dann aber bitte unter Verzicht auf Wohlaten, die im Vorgriff auf eine enger zusammenrückende Gemeinschaft von Nettozahlern erarbeitet werden müssen.
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Orbiter1
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Orbiter1 »

Von Seiten der EU-Kommission nach wie vor großes Schweigen zur Einführung der De-facto-Diktatur in Ungarn. Zumindest haben sich 13 EU-Staaten aufgerafft und eine Erklärung zur Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und den EU-Grundwerten abgegeben. Selbstverständlich ist darunter kein Staat aus Osteuropa. In der Vergangenheit gab es mal (weitgehend hilflose) Versuche gegen Verstöße der EU-Verträge vorzugehen, aber mit der Totalversagerin vdL als Kommissionspräsidentin ist es offenbar auch damit vorbei. Wann werden wir von dieser Schrott-EU erlöst? Höchste Zeit für eine Nachfolgeorganisation.
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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Fighter »

[quote="sünnerklaas"][url=viewtopic.php?p=4714986#p4714986] (31 Mar 2020, 19:36)[/url]

Das Problem ist, dass die EU eben geschichtlich bedingt eine Wirtschaftsgemeinschaft aus der Zeit des Kalten Krieges ist, deren urpsprüngliches Ziel es war, (West-)Deutschland einzuhegen, um zu verhindern, dass dort ein wirtschaftlich zu starkes Zentrum entsteht. Die "Werte" wurden nur öffentlichkeitswirksam vor sich hergetragen.
Ein ganz großes Dilemma ist, dass die osteuropäischen Staaten eben auch Siegestrophäen waren und sind. Der Sieg über die Sowjetunion, der gleichzeitig noch etwas anderes mitbrachte: Heerscharen von Billigarbeitskräften.[/quote]

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Re: Ungarn: Ein EU-Land auf dem Weg zur Diktatur?

Beitrag von Adam Smith »

sünnerklaas hat geschrieben:(31 Mar 2020, 19:36)

Das Problem ist, dass die EU eben geschichtlich bedingt eine Wirtschaftsgemeinschaft aus der Zeit des Kalten Krieges ist, deren urpsprüngliches Ziel es war, (West-)Deutschland einzuhegen, um zu verhindern, dass dort ein wirtschaftlich zu starkes Zentrum entsteht. Die "Werte" wurden nur öffentlichkeitswirksam vor sich hergetragen.
Ein ganz großes Dilemma ist, dass die osteuropäischen Staaten eben auch Siegestrophäen waren und sind. Der Sieg über die Sowjetunion, der gleichzeitig noch etwas anderes mitbrachte: Heerscharen von Billigarbeitskräften.
Das ist nicht richtig. Das Ziel der EU war erstens eine Lehre aus den Kriegen zu ziehen.
Nationalstaaten sind zwar das Grundelement außen­politischer Aktivitäten, sie sind jedoch nicht mehr in der Lage, alle politischen und gesellschaftlichen Probleme jeder für sich zu lösen;
nur ein relativ freizügi­ger Wirtschaftsverkehr, wie er vor dem Ersten Weltkrieg den Han­delsaustausch bestimmte, trägt zur weiteren Verflechtung freier Gesellschaften bei;
Konflikt und Interessenunterschiede unter Staaten und Gesellschaften dürfen nicht mittels Gewal­tandrohung und Diktat herbeigeführt werden, wie dies in den beiden Weltkriegen geschah; sie müssen friedensstabilisierende Wirkungen haben.
https://www.konrad-adenauer.de/politikf ... e-einigung

Zweitens diente natürlich die Einigung zum Schutz vor der Sowjetunion. Stalin hat dieses dann natürlich auch gleich erkannt und auf dumme Deutsche gehofft.
Die Prioritäten des Bundeskanzlers Konrad Adenauer waren deutlich: Eine Westintegration der Bundesrepublik und eine Wiedervereinigung nur als abstraktes und nicht wirklich erwartetes Fernziel. „Die Wiederherstellung der deutschen Einheit in einem freien, geeinten Europa“ galt zwar als das oberste Ziel seiner Regierung. In einem freien, geeinten Europa sollte dies für ihn bedeuten, dass eine Wiedervereinigung erst hätte stattfinden können, nachdem die Westintegration der Bundesrepublik gesichert war. Seine Vorstellung ging sogar so weit, dass gleichzeitig mit einer Wiedervereinigung auch der Osten Europas eine Umwälzung erfahren müsste. Gelänge die Integration der Bundesrepublik in ein westeuropäisches Bündnis hingegen nicht, geriete Westdeutschland unvermeidlich in den Sog der Sowjetunion. Eine Armee, die die Sicherheit eines neutralen Deutschlands gewähren könnte, wäre von Deutschland allein schon finanziell nicht tragbar, befand er. Adenauer ging also von einem zeitlich unabsehbaren Nebeneinander von zwei deutschen Staaten aus und verfolgte dies hintergründig als Ziel.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stalin-Noten

Wobei ohne die USA Westeuropa eh überrant worden wäre.
Das ist Kapitalismus:

Die ständige Wahl der Bürger bestimmt das Angebot.
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