Ein paar Monate später übernahm handstreichartig eine Gruppe von Leuten um Lenin und einige tausend Militärs in Petrograd die Macht.
Aber nicht der Verlauf dieser Ereignisse interessiert mich. Das ist zigfach dokumentiert. Sondern die Wahrnehmung, Reflexion, historische Einordnung dieser Revolutionen. Und hier besonders natürlich in Russland. Da zeichnete sich bereits in den letzten Jahren ein Wandel ab. Man kann nicht gleichzeitig mit allen Mitteln die Renaissance der Russisch-Orthodoxen Kirche und seines Oberhaupts befördern und gleichzeitig die Oktoberrevolution glorifizieren. Die fegte die Kirche nämlich mehr oder weniger vollständig hinweg. Und, mindestens ebenso schlimm, sie entmachtete den Zaren nicht nur sondern ermordete bekanntlich die gesamte Zarenfamilie.
Ein vorläufiger Höhepunkt dieses Wandels (soweit ich es mitverfolgt habe) war eine Äußerung Putins voriges Jahr, nach der "Lenin eine Atombombe unter das Haus Russland gelegt habe, die dann mit der Revolution hochgegangen sei". Gleichzeitig wird das Gebilde Sowjetunion - nicht in seiner politischen Ausrichtung - aber in seiner schieren Größe und Macht verklärt. Wie soll das zusammengehen?
Ein nächster wichtiger Punkt ist natürlich die Person Stalin. Die Popularität dieser Person in der Bevölkerung nimmt in dem Maße zu wie seine Greueltaten historisch in Vergessenheit geraten. Die Position Putins zu Stalin ist - ganz anders als gegenüber Lenin - ambivalent, um es mal vorsichtig zu formulieren. Aber auch hier gibts in allerjüngster Zeit einen beachtenswerten Vorgang in der Gegenrichtung: In der russischen Teilrepublik Inguschetien wurde jetzt ein Gesetz vorgelegt, dass jegliches positive Gedenken an Stalin unter Strafe stellt: Es dürfen weder Denkmale errichtet noch Straßen nach ihm benannt noch gar positive Sichten auf STalin in Lehrpläne eingearbeitet werden. Und das, obwohl Teil-Republikchef Jewloew hoher Funktionär der Putin-Partei "Einiges Russland" ist. (Er ist allerdings "ein Mann Medwedjews" ...)
Wie also wird sich das Verhältnis Russlands zur eigenen Geschichte im allgemeinen und zu den beiden Revolutionen im Besonderen entwickeln?
Ein weiterer Punkt, der besonders Deutschland betrifft: Die jahrzehntelang immer wieder diskutierte finanzielle Hilfe des deutschen Kaiserreichs für Lenin und seine Mitstreiter. Aus einem Spiegel-Artikel von 2007 zum 90. Jahrestag dazu:
Ohne die Hilfe Wilhelms II. für Lenin hätte es die Oktoberrevolution vor nunmehr 90 Jahren so nicht gegeben. Mehr noch: Ohne deutsche Unterstützung hätten Lenins Bolschewiki das erste Jahr an der Macht wohl kaum überstanden. Vermutlich wäre keine Sowjetunion entstanden, den Aufstieg des Kommunismus hätte es dann nicht gegeben, keine Millionen Gulag-Tote.