Regierungserklärung zur Ukraine - Appell an die politische Vernunft Russlands
Gespräche - Hilfe - Sanktionen: Dieser "Dreiklang" leitet den Ansatz Deutschlands und seiner
Partner in der Krise um die Halbinsel Krim. In ihrer Regierungserklärung zur Ukraine rief die
Bundeskanzlerin dazu auf, die Krise diplomatisch zu lösen - zum Besten der Ukraine und zum Besten
Europas.
Im Gedenkjahr 2014 werde in besonderer Weise deutlich, dass Europa die Lehren aus einem blutigen
Jahrhundert gezogen habe. Die europäische Einigung, so die Bundeskanzlerin, sei das "große
Versprechen auf Frieden, Freiheit und Wohlstand". Jetzt dürfe der Kontinent nicht auf ein "Handeln
nach dem Muster des 19. und 20. Jahrhunderts" zurückfallen.
Gegen das "Recht des Stärkeren"
Russland nutze mit seinem Vorgehen auf der Krim eine Phase der Unsicherheit in der Ukraine aus, so
Angela Merkel im Deutschen Bundestag. Das Land stelle offen die territoriale Unversehrtheit der
Ukraine in Frage. "Das Recht des Stärkeren wird gegen die Stärke des Rechts gestellt, einseitige
geopolitische Interessen über Verständigung und Kooperation."
Dieser Verstoß gegen das Völkerrecht sei nicht hinnehmbar. Die Bundeskanzlerin forderte Russland
auf, in diesem Konflikt einzulenken. Bei einer Annexion der Krim und einer Destabilisierung der
Ost-Ukraine werde sich nicht nur das Verhältnis der EU und der G7-Staaten zu Russland ändern.
Russland schade sich nicht zuletzt massiv selbst - "und zwar wirtschaftlich wie politisch."
Für Diplomatie, gegen militärisches Vorgehen
"Militärisch ist dieser Konflikt nicht zu lösen", so die eindeutige Feststellung der
Bundeskanzlerin. Militärisches Vorgehen sei keine Option.
Die Bundeskanzlerin, die in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Partnern Gespräche zur Krim-Krise
geführt hat, erläuterte im Bundestag das Vorgehen der Europäischen Union. Im Mittelpunkt stehen das
diplomatische Bemühen um eine friedliche Beilegung des Konflikts und die Hilfe für die Ukraine.
Sollte Russland nicht kooperieren, so greifen Sanktionen gegen das Land.
Russland soll internationaler Mission zustimmen
Die territoriale Integrität der Ukraine stehe nicht zur Disposition, so Merkel. Dies müsse
Grundlage der Tätigkeit für eine Beobachtermission und beziehungsweise oder eine Kontakt- oder
Kooperationsgruppe sein. Russland sei aufgefordert, einer solchen internationalen Mission
zuzustimmen. Auch Moldau und Georgien hätten die Solidarität der EU.
Gleichzeitig sollen umfangreiche Hilfen für die Ukraine anlaufen. Sie wurden bereits beim
Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 6. März 2014 beschlossen. "Schnelle Hilfe ist
jetzt gefragt", Vertreter des Internationalen Währungsfonds und der EU seien bereits vor Ort in der
Ukraine.
Kein Vergleich Kosovo - Ukraine
Den Vergleich zwischen der Krim und der früheren serbischen Provinz Kosovo, wie er in der jetzigen
Diskussion teilweise auftauche, wies Merkel als "beschämend" zurück. Die Situation damals im Kosovo
sei absolut nicht mit der heutigen Lage in der Ukraine vergleichbar.
Nachbarschafts- statt Geopolitrik
Auch sei beschlossen, den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU zügig zu
unterzeichnen. Man wolle die Verhandlungen zu Visa-Erleichterungen schnell voranbringen.
"Nachbarschaftspolitik, nicht Geopolitik" sei das Motto. Dies sei gegen niemanden gerichtet,
betonte die Kanzlerin. Man wolle die ukrainische Regierung dabei unterstützen, eine Regierung für
alle Ukrainer zu sein, Gräben zu überwinden und für Mai freie und faire Wahlen vorzubereiten.
Sollte Russland nicht auf den Weg der Zusammenarbeit zurückkehren, so sollten weitere Sanktionen
gegen das Land greifen, so Merkel. In diesem Fall würden die EU-Außenminister bei ihrer nächsten
Tagung am 17. März Einreisesperren und das Einfrieren von Vermögen gegen russische Akteure
beschließen.
"Niemand von uns wünscht sich, dass es zu solchen Maßnahmen kommt", sagte die Bundeskanzlerin.
"Doch wir alle wären zu ihnen bereit und entschlossen, falls sie unumgänglich werden."
11.220 Asylanträge im Februar 2014
Im Februar 2014 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt 11.220 Asylanträge
gestellt, 69,1 Prozent mehr als im Vorjahresmonat Februar 2013.
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Press ... -2014.html
Afghanistan - Verlässliche Partnerschaft in Zeiten des Umbruchs
Das Ende des militärischen Engagements im Rahmen von ISAF steht bevor. Die
Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan jedoch geht weiter. Auf einer internationalen Konferenz
stellt das Bundesentwicklungsministerium seine neue Länderstrategie vor.
Das Jahr 2014 ist ein wichtiges für die Zukunft Afghanistans. Im April stehen
Präsidentschaftswahlen an. Und nach zwölf Jahren militärischer Präsenz im Rahmen der
Internationalen Schutztruppe ISAF ziehen im Laufe des Jahres die internationalen Truppen weitgehend
ab. Das Land wird für seine innere und äußere Sicherheit selbst verantwortlich sein.
Was hat sich für die Menschen im Land verändert? Wie trägt die deutsche Hilfe dazu bei, das Land zu
stabilisieren? Und wie kann es nach dem Abzug der Truppen weitergehen?
Angesichts der verringerten militärischen Präsenz sind Entwicklungszusammenarbeit und ziviler
Aufbau besonders wichtig. Das gilt vor allem bei der weiteren sozialen, wirtschaftlichen und
politischen Stabilisierung Afghanistans.
Neues Kapitel in der langjährigen Zusammenarbeit
"Verlässliche Partnerschaft in Zeiten des Umbruchs", so heißt die neue entwicklungspolitische
Strategie für Afghanistan. Sie wird auf einer gleichnamigen zweitägigen Konferenz in Berlin
vorgestellt. Dort treffen sich auf Einladung des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) deutsche,
afghanische und internationale Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und
Wirtschaft. Sie diskutieren über Voraussetzungen und Möglichkeiten der künftigen
Entwicklungszusammenarbeit. Zur Konferenz wird auch der afghanische Finanzminister Omar Sachiwal
erwartet.
Deutschland wird weiterhin bis 2016 jährlich bis zu 430 Millionen Euro im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan investieren. Das Geld wird für den Aufbau
rechtsstaatlicher Strukturen und im Kampf gegen Korruption eingesetzt.
Ziel ist außerdem eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, die den Menschen in Afghanistan
eine Perspektive ermöglicht. Neue Vorhaben konzentrieren sich auf beschäftigungsfördernde
Maßnahmen, ausdrücklich auch im ländlichen Raum. Dort soll besonders die Landwirtschaft künftig
verstärkt gefördert werden. Auch im Bereich Bildung und Berufsbildung werden die Anstrengungen noch
einmal intensiviert.
Den veränderten Rahmenbedingungen trägt das BMZ mit fünf Grundsätzen seiner Afghanistanpolitik
(2014 bis 2017) Rechnung:
• Arbeitsplätze als Perspektive gegen Extremismus
• Gerechtigkeit durch gute Regierungsführung
• Unterstützung in den Städten, aber auch im ländlichen Raum
• Sicherheit geht vor
• Fördern und fordern - mit einer Stimme
Voraussetzungen müssen stimmen
Die neue Länderstrategie des Bundesentwicklungsministeriums sieht mehr Mittel für den Bereich der
guten Regierungsführung vor, die aber an Bedingungen geknüpft sind.
Bundesminister Gerd Müller würdigte die bisherigen Erfolge trotz mancher Rückschläge. Afghanistan
stehe immer noch vor immensen Herausforderungen. "Korruption ist nach wie vor ein großes Problem",
so Müller. "Und auch bei Menschen- und vor allem den Frauenrechten erwarten wir von der Regierung
deutlich mehr Einsatz. Deshalb werden wir die dringend nötigen Reformen entschlossen einfordern",
mahnte er.
Deutschland wir sich im Schwerpunkt weiterhin vor allem im Norden Afghanistans engagieren, in
Regionen mit hinreichend kontrollierbarer Sicherheitslage, zudem aber weiterhin auch landesweite
Programme unterstützen.
Seit 2002 hat Deutschland insgesamt rund zwei Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit
mit Afghanistan zur Verfügung gestellt – auf das BMZ entfallen davon mehr als 1,5 Milliarden Euro.
Das deutsche Engagement konzentriert sich auf die Schwerpunkte Bildung, Energie, nachhaltige
Wirtschaftsentwicklung, gute Regierungsführung und Wasserversorgung.
16.3.14
Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin haben heute ein Telefonat
geführt. Unbeschadet ihrer unterschiedlichen Auffassungen zum Referendum auf der Krim und zur Frage
der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine haben sie über die angespannte
Sicherheitslage in der Ukraine gesprochen.
Dabei verurteilte die Bundeskanzlerin den gestrigen Zwischenfall im Gebiet Cherson auf dem
ukrainischen Festland, bei dem russische Truppen eine Gasumleitungsstation besetzt hatten.
Die Bundeskanzlerin schlug vor, die bestehende OSZE-Präsenz in der Ukraine rasch zu erweitern und
eine größere Zahl von Beobachtern in die Brennpunkte, insbesondere der Ost-Ukraine, zu entsenden.
Ein solcher Beschluss solle mit möglichst breiter Zustimmung bei der morgigen Sitzung des Ständigen
Rates der OSZE in Wien getroffen werden.
Der russische Präsident bewertete diese Initiative positiv. Er sagte zu, Außenminister Lawrow
entsprechend zu beauftragen.
Angesichts des Nicht-Zustandekommens einer Kontaktgruppe betonte Bundeskanzlerin Merkel die
Dringlichkeit und Notwendigkeit von Direktgesprächen zwischen der russischen und der ukrainischen
Regierung zur Lösung der anstehenden Probleme.
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Treffen der Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union zur Lage in der Ukraine am 6. März 2014 vor dem Deutschen
Bundestag am 13. März 2014 in Berlin:
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!
Jahrhundertelang waren die Beziehungen der europäischen Staaten von Rivalität, wechselnden
Bündnissen und immer wieder schrecklichem Blutvergießen geprägt. Daran denken wir gerade in diesem
Jahr, 2014, dem Jahr der Gedenktage, ganz besonders.
Wir denken an den Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren ausbrach. Er war die erste große Katastrophe
des 20. Jahrhunderts, der alsbald die zweite folgen sollte: der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
vor 75 Jahren mit dem Zivilisationsbruch durch die Schoah. Dass sich an diese Schrecken nunmehr
über ein halbes Jahrhundert von Frieden, Freiheit und Wohlstand in weiten Teilen Europas anschloss,
das grenzt immer noch an ein Wunder. Mit der europäischen Einigung hat Europa die Lehren aus seiner
leidvollen Geschichte gezogen, zunächst im Westen Europas, nach 1989 darüber hinaus. Wir erinnern
uns in diesem Jahr auch an den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren und an den Beginn der
EU-Osterweiterung vor zehn Jahren. Die europäische Einigung ist und bleibt auch im 21. Jahrhundert
das große Versprechen von Frieden, von Freiheit und von Wohlstand.
Längst hat die Globalisierung unsere Welt – unsere Art zu leben, zu arbeiten, zu wirtschaften – bis
in den letzten Winkel erfasst. Heute leben über sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Sie alle
wollen am Wohlstand teilhaben. Niemand kann sich mehr darauf beschränken, nur seine eigenen Belange
im Blick zu haben, und wer es doch tut, der schadet sich selbst über kurz oder lang. Das gilt für
alle: Das gilt für Deutschland, das gilt für unsere Nachbarn, das gilt selbst für ein so großes und
starkes Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika, ebenso für China und Russland. Wir sind alle,
und zwar stärker und stärker, miteinander verflochten – und eben auch Russland.
Ausdruck dessen sind zum Beispiel jährliche deutsch-russische Regierungskonsultationen, der
Petersburger Dialog, das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum, mehr als 20 bilaterale Abkommen
Russlands mit der Europäischen Union, der Ostseerat, unsere Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen
der G8 und der G20, der NATO-Russland-Rat, Verhandlungsmandate im Nahost-Friedensprozess und bei
den Nukleargesprächen mit dem Iran und vieles, vieles mehr.
Das alles ist gelebte Globalisierung im 21. Jahrhundert. Sie ist Ausdruck der Erkenntnis, dass wir
alle in Europa und darüber hinaus uns den großen Aufgaben gemeinsam stellen müssen. Sie ist
Ausdruck dessen, dass jeder von uns allein weniger erreicht als gemeinsam.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Umfeld, in dem wir wie 2008 in Georgien und jetzt
mitten in Europa, in der Ukraine, einen Konflikt um Einflusssphären und um Territorialansprüche
erleben, wie wir ihn eigentlich aus dem 19. oder 20. Jahrhundert kennen, einen Konflikt, den wir
für überwunden gehalten hatten. Dass er ganz offensichtlich nicht überwunden ist, zeigen bereits
drei Nachrichten der letzten 14 Tage:
27. Februar. Das Krim-Parlament setzt in nicht-öffentlicher Sitzung eine neue Regierung ein und
spricht sich in dieser Sitzung für eine Volksbefragung über den künftigen Status der Region aus,
zunächst geplant für den 25. Mai. – Diese wurde dann vorverlegt auf den 30. März und schließlich
auf den 16. März. Dies ist eine Verletzung der ukrainischen Verfassung, die Sezessionsreferenden in
einzelnen Landesteilen ohne Zustimmung des Gesamtstaats nicht erlaubt.
1. März. Der Föderationsrat Russlands stimmt auf Bitten von Staatspräsident Putin in einem
Vorratsbeschluss einem Militäreinsatz auf der Krim im Grundsatz zu, nachdem Russland zuvor, wie es
heißt, um Beistand gebeten worden sei.
11. März. Das Krim-Parlament beschließt die Unabhängigkeit der Krim von der Ukraine, womit das in
der ukrainischen Verfassung vorgesehene Verbot von Sezessionsreferenden umgangen werden soll.
Es ist offenkundig: Die territoriale Unversehrtheit und damit die staatliche Einheit der Ukraine
werden ganz offen infrage gestellt und verletzt. In einer Phase großer Unsicherheit in der Ukraine
hat sich Russland nicht als Partner für Stabilität in dem mit ihm historisch, kulturell und
wirtschaftlich eng verbundenen Nachbarland erwiesen, sondern nutzt dessen gegebene Schwäche aus.
Das Recht des Stärkeren wird gegen die Stärke des Rechts gestellt, einseitige geopolitische
Interessen über Verständigung und Kooperation. Das ist Handeln nach den Mustern des 19. und 20.
Jahrhunderts im 21. Jahrhundert. Denn noch einmal: Niemand, schon gar nicht die Europäische Union
oder Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder auch Russland, niemand von uns kann sich
heute im 21. Jahrhundert noch darauf beschränken, nur seine eigenen Belange im Blick zu haben. Wenn
er es doch tut, dann schadet er sich über kurz oder lang selbst.
Es ist ganz ohne Zweifel beklemmend, was wir derzeit mitten in Europa erleben. Ich fürchte, wir
werden einen langen Atem brauchen, um den Konflikt zu lösen. Aber wir können diese für Europa
zentrale Herausforderung entschlossen annehmen. Es geht um die territoriale Unversehrtheit eines
europäischen Nachbarlandes, um den Respekt vor den Prinzipien der Vereinten Nationen, um Prinzipien
und Methoden des Interessenausgleichs im 21. Jahrhundert.
Weil in diesen Tagen von dem einen oder anderen der Vergleich mit dem Kosovo-Konflikt gezogen wird
– vielleicht auch gleich in dieser Debatte –, erlaube ich mir dazu eine kurze Nebenbemerkung.
Nachdem damals die Staatengemeinschaft den sogenannten ethnischen Säuberungskriegen von Milosevic
auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien jahrelang mehr oder weniger ohnmächtig zugesehen hatte,
nachdem Sanktionen und Verhandlungen keinerlei Wirkung gezeigt hatten, entschloss sich die NATO,
ohne UN-Mandat militärisch einzugreifen, auch weil Russland jeden Beschluss des UN-Sicherheitsrates
für ein UN-Mandat blockiert hatte. Um es klipp und klar zu sagen: Die Situation damals ist in
keiner Weise mit der in der Ukraine heute vergleichbar.
Doch wenn ich mich schon auf diesen aus meiner Sicht beschämenden Vergleich einlasse, dann hat ganz
grundsätzlich Folgendes zu gelten: Das Vorgehen Russlands in der Ukraine stellt eindeutig einen
Bruch grundlegender völkerrechtlicher Prinzipien dar. Dieser würde nicht dadurch relativiert, wenn
es andere Völkerrechtsverletzungen gegeben hätte. Es bleibt ein Bruch des Völkerrechts mitten in
Europa, nach dem wir nicht zur Tagesordnung übergehen dürfen und nach dem wir nicht zur
Tagesordnung übergegangen sind.
In dieser spannungsgeladenen und gefährlichen Situation gilt es, Wege aus der Krise zu finden.
Militärisch ist der Konflikt nicht zu lösen. Ich sage allen Menschen, die Angst und Sorge haben:
Militärisches Vorgehen ist keine Option für uns.
Die Politik der Bundesregierung und unserer Partner in der Europäischen Union und den Vereinigten
Staaten von Amerika folgt vielmehr einem politisch-ökonomischen Dreiklang:
Erstens. Wir arbeiten intensiv für die Einrichtung einer internationalen Beobachterkommission und
einer Kontaktgruppe beziehungsweise Koordinierungsgruppe; Sie können es nennen, wie Sie wollen. Wir
arbeiten damit für einen politisch-diplomatischen Weg aus der Krise.
Ziel der Beobachtermission wäre es, Behauptungen zu überprüfen und ein objektives Bild der Lage
überall in der Ukraine zu erreichen. Ziel einer Kontaktgruppe wäre es, einen Gesprächskanal
zwischen Moskau und Kiew unter Vermittlung internationaler Partner aufzubauen. In solchen
Gesprächen müssten all die Themen auf den Tisch, die zum jetzigen Konflikt geführt haben oder
diesen in Zukunft noch anheizen könnten. Natürlich würde es dabei auch um Autonomierechte der Krim
und Sprachenfragen gehen. Eines muss dabei aber unmissverständlich klar sein: Die territoriale
Integrität der Ukraine steht nicht zur Disposition. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich
erwähnt: Auch anderen Staaten, wie der Republik Moldau oder Georgien, gebührt in dieser Situation
unsere Solidarität.
Zweitens. Bei ihrem Treffen am 6. März 2014 haben sich die Staats- und Regierungschefs der
Europäischen Union zu umfangreichen Hilfen für die Ukraine entschlossen. Wir haben das von der
Kommission vorgelegte Unterstützungsprogramm mit einem Gesamtvolumen von elf Milliarden Euro
begrüßt. Dies umfasst auch Maßnahmen der europäischen Förderbanken EIB und EBRD. Schnelle Hilfe ist
jetzt gefragt. Dabei ist auch eine enge Abstimmung mit dem IWF für die Unterstützung durch die EU
essenziell. Eine IWF- und eine EU-Delegation sind bereits vor Ort in Kiew, um sich ein
vollständiges Bild von der Lage in der Ukraine zu machen und erste Vorschläge für ein etwaiges
Unterstützungs- und Reformprogramm zu erarbeiten.
Wir haben letzte Woche in Brüssel auch gemeinsam beschlossen, den politischen Teil des
EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine bald zu unterzeichnen, der wichtige Impulse vor allem im
Bereich der Rechtsstaatsentwicklung gibt. Einige der wirtschaftlichen Vorteile der im Abkommen
angelegten umfassenden Freihandelszone will die EU kurzfristig durch einseitige
Handelserleichterungen wie eine Senkung von Zöllen zugänglich machen.
Äußerst wichtig ist in dieser Situation natürlich auch, die Kontakte der Menschen untereinander zu
befördern. Wir wollen die Verhandlungen zu Visaerleichterungen für die Ukraine beschleunigt
vorantreiben. Auch im Energiebereich steht die EU bereit, die Ukraine bei einer Stärkung ihrer
Energiesicherheit zu unterstützen, etwa durch eine größere Diversifizierung von Energiequellen und
Transportwegen und durch Modernisierungsmaßnahmen.
Ganz wichtig werden aber auch Signale der Solidarität von Mensch zu Mensch sein – dies auch und vor
allem in der Ostukraine. Hier können bestehende Städtepartnerschaften – es gibt eine ganze Reihe
davon – und andere zivilgesellschaftliche Kontakte eine ganz wichtige Rolle spielen. Ich möchte die
deutschen Städte, aber auch Schulen, Universitäten und Vereine mit Partnern in der Ukraine dazu
ermuntern, in dieser besonderen Zeit den Kontakt noch zu vertiefen und zu schauen, ob praktische
Hilfeleistungen möglich sind.
Wir unterstützen die Übergangsregierung in Kiew darin, eine Regierung für alle Ukrainer zu sein. Es
geht darum, Gräben zu überwinden, erste Schritte zur wirtschaftlichen Stabilisierung zu gehen und
freie und faire Wahlen im Mai zu ermöglichen. Die Ukraine sollte weiterhin ein Ort des friedlichen
Zusammenlebens für alle ihre Bürger sein, ganz gleich, ob sie Ukrainisch, Russisch, Tatarisch oder
eine der anderen Sprachen sprechen und welchen Glauben sie haben.
Wenn dieser Weg des Übergangs erfolgreich gemeistert werden kann, dann kann sich das europäische
Angebot einer Reformpartnerschaft erfüllen, so wie sie im Assoziierungs- und vertieften
Freihandelsabkommen niedergelegt ist. Die Zielsetzung ist sehr eng verwoben mit den Erwartungen,
die in den Protesten auf dem Maidan zum Vorschein kamen: Stärkung der Rechtsstaatlichkeit,
Unabhängigkeit der Justiz, mehr Transparenz, weniger Korruption und eine weitere Reduktion der
Handelsbeschränkungen. Dieses Angebot zur Modernisierung ist ein Ansatz der Nachbarschaftspolitik,
nicht der Geopolitik. Es ist gegen niemanden gerichtet.
Ich wiederhole in diesem Zusammenhang das, was ich in meiner Regierungserklärung zum EU-Gipfel zur
Östlichen Partnerschaft am 18. November des letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag gesagt habe,
nämlich,
dass sich weder die Östliche Partnerschaft noch die bilateralen vertraglichen Beziehungen, die die
EU mit ihren Partnern abschließen will, gegen Russland richten.
Wir müssen – so habe ich damals gesagt –
weiter daran arbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen einer Annäherung der Länder der
Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen Bemühen um eine engere Partnerschaft mit
diesen Ländern geben sollte.
Die Ereignisse in diesen Wochen scheinen darüber hinwegzufegen: Richtig bleibt es trotzdem, auch
jetzt nichts unversucht zu lassen, genau diesen Ansatz, für den die EU konkrete Vorschläge
unterbreitet hat, weiterzuverfolgen.
Von der Stärkung und Modernisierung der Volkswirtschaften unserer osteuropäischen Partner
profitierte im Übrigen auch Russland. Daher gehört für uns natürlich auch dazu, mit Russland über
vermeintliche Nachteile aus einer ukrainischen Assoziierung für den ukrainisch-russischen Handel zu
sprechen. Dazu gehört, zusammen mit Russland an Lösungsansätzen für ungelöste Konflikte in der
gemeinsamen Nachbarschaft zu arbeiten. Dazu würde auch gehören, mit Russland über ein neues
Wirtschaftsabkommen zu beraten.
Drittens. Es gilt aber auch: Für den Fall, dass Russland nicht bereit ist, auf den Weg der
Zusammenarbeit und des Rechts zurückzukehren, für den Fall, dass Russland unverändert nicht bereit
ist, zur Entspannung beizutragen, haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei
ihrem Treffen in der letzten Woche in Brüssel drei Stufen für ihr weiteres Vorgehen festgelegt.
In einer ersten Stufe haben wir die Verhandlungen über ein neues Abkommen zu den Grundlagen der
EU-Beziehungen mit Russland und über Visafragen suspendiert. Wenn es in den allernächsten Tagen
nicht zu Verhandlungen mit Russland kommt, und zwar zu Verhandlungen, die Resultate hervorbringen
und in denen nicht nur auf Zeit gespielt wird, dann werden die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten
in ihrem Rat am kommenden Montag, dem 17. März 2014, als zweite Stufe weitere Maßnahmen
beschließen. Dazu gehören Einreisesperren, Kontensperrungen und die Absage des EU-Russland-Gipfels.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es ist in Ihrer aller Namen, wenn ich an dieser Stelle
die Gelegenheit nutze, unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu danken. Ich danke ihm für
seinen unermüdlichen Einsatz in schier endlosen, leider auch frustrierenden Gesprächen, aber nie
nachlassend in unserem gemeinsamen Bemühen, einen Ausweg aus der Krise zu finden.
Es versteht sich von selbst, dass sich der nächste reguläre Rat der Staats- und Regierungschefs
neben den Punkten auf seiner seit langem geplanten Tagesordnung zu Klima- und Energiefragen
natürlich auch mit dem weiteren Fortgang der Ereignisse in der Ukraine befassen wird.
Für den Fall, dass Russland die Lage in der Ukraine weiter destabilisiert – auch in der Ostukraine
sehen wir besorgniserregende Entwicklungen –, haben die Staats- und Regierungschefs bei ihrem
Treffen am 6. März eine dritte Stufe von Maßnahmen vereinbart, die wir bereit wären, zu ergreifen.
Sie könnten in vielfältiger Weise die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland betreffen.
Um es unmissverständlich klarzumachen: Niemand von uns wünscht sich, dass es zu solchen Maßnahmen
kommt. Doch wir alle wären zu ihnen bereit und entschlossen, falls sie unumgänglich werden. Wir
alle, das sind die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union in engster Abstimmung mit unseren
transatlantischen Partnern und innerhalb der G7. Gemeinsam haben wir auch in der G7 in der
vergangenen Woche beschlossen, unsere Beteiligung an den Vorbereitungsprozessen für den im Juni
geplanten G8-Gipfel auszusetzen, bis ein Umfeld hergestellt ist, in dem sinnvolle Gespräche im
G8-Rahmen wieder möglich sind.
Wenn Russland seinen Kurs der letzten Wochen fortsetzt, dann wäre das nicht nur eine Katastrophe
für die Ukraine. Dann empfänden wir das nicht nur als Nachbarstaaten Russlands als eine Bedrohung.
Dann veränderte das nicht nur das Verhältnis der Europäischen Union als Ganzes zu Russland. Nein,
dann schadete das nicht zuletzt – davon bin ich zutiefst überzeugt – massiv auch Russland, und zwar
ökonomisch wie politisch. Denn – ich kann es gar nicht oft genug und nachdrücklich genug sagen –
die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Interessenkonflikte mitten in Europa im 21. Jahrhundert
lassen sich erfolgreich nur dann überwinden, wenn wir nicht auf Muster des 19. und 20. Jahrhunderts
zurückgreifen. Sie lassen sich nur dann überwinden, wenn wir mit den Prinzipien und Mitteln unserer
Zeit, des 21. Jahrhunderts, agieren.
Auch geopolitische Stärke entwickeln, das geht erfolgreich nur mit den Prinzipien und Mitteln
unserer Zeit. Uns allen in Europa und der Welt – auch Russland – eröffnen sich auf diesem Weg so
sehr viel mehr Chancen als Risiken. Dem folgt der Drei-klang unseres Handelns als Bundesregierung:
Gespräche, Hilfen und Sanktionen, indem Deutschland in der aktuellen Krise in enger Abstimmung mit
unseren Partnern die jeweils nächsten Schritte geht. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Deutsche Wirtschaft vertraut Merkels Politik
Die Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft haben der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel
in der Krim-Krise ihr Vertrauen ausgesprochen. Die Kanzlerin sprach nach einem Treffen mit
Wirtschaftsverbänden in München über mögliche Sanktionen und hob die Bedeutung der Energiepolitik
für die deutsche Industrie hervor.
Die Bundeskanzlerin bedankte sich nach dem achten Gespräch mit den Spitzen der deutschen Wirtschaft
für den intensiven Dialog. Sie betonte besonders die Bedeutung der Energiepolitik für die deutsche
Industrie. Sie wolle sich beim nächsten Europäischen Rat dafür einsetzen, dass Deutschland weiter
"vernünftige Rahmenbedingungen" auf dem Energiesektor habe. Die Wirtschaft habe die Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes begrüßt.
Beim Mindestlohn laufe derzeit der Branchendialog, so die Kanzlerin. Merkel sicherte zu, dass sie
die Ratschläge der Wirtschaft berücksichtigen wolle, um "Fehlanreize zu vermeiden".
Meisterbrief muss erhalten bleiben
Die Bundeskanzlerin unterstützte ausdrücklich die Position des deutschen Handwerks, den
Meisterbrief als Zugangsberechtigung für den Beruf zu erhalten. Sie zeigte sich zuversichtlich, auf
europäischer Ebene eine Lösung im deutschen Sinne herbeizuführen.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer wies darauf hin, dass es wegen des Dualen Systems der
Berufsausbildung in Deutschland nur acht Prozent Jugendarbeitslosigkeit gebe - im Gegensatz zum
EU-Durchschnitt von 25 Prozent.
Wirtschaft stützt Merkel im Krim-Konflikt
Im Blick auf die Krise in der Ukraine betonte die Kanzlerin erneut, dass internationales Recht
eingehalten werden müsse. "Das ist auch für die Wirtschaft wichtig." Die angekündigten Sanktionen
gegen Russland könnten vermieden werden, denn "die Gesprächstür ist jederzeit offen". Merkel wies
darauf hin, dass auch Russland wirtschaftliche Interessen habe.
Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, unterstützte die Position der
Bundeskanzlerin ausdrücklich, auch wenn die Wirtschaft natürlich Sorgen wegen möglicher Sanktionen
habe. Aber: "Das Völkerrecht geht über alles."