H2O hat geschrieben:Wächst hier denn nicht allmählich Kaisers Bart durch die Tischplatte?
Damit hast Du vollkommen recht - ein Zustand in der sich nach einer gewissen Anzahl von verschiedenen Meinungsäußerungen die meist eher einem Schlagabtausch gleichen, dem beinahe jedes Thema hier ausgeliefert ist. Selten das es zu einem gewissen Konsens kommt.
Wenn das meinem Verständnis von "Freiheit" entsprechen würde, wäre das Thema mit Deiner Anmerkung "... was er möchte: Tontäfelchen verschicken. Postkarten schreiben, seine Nachrichten verschlüsseln...." wohl tatsächlich erledigt.
Nun ohne die Idee irgendetwas zu verschlüsseln um es als geistiges Eigentum (völlig unwichtig wie trivial sein Inhalt sein mag) weiter zu besitzen und es nur freiwillig mit einer von mir zu bestimmendem Personenkreis auszutauschen, selbst weiter zu strapazieren, ich sehe da noch einen anderen wichtigen Gesichtspunkt berührt, der eine große Anzahl anderer, scheinbar damit nicht zusammenhängender Ereignisse berührt.
Was mich an den neuen technologischen Fortschritten am meisten beunruhigt,
ist der zunehmende Verlust meiner Souveränität, eigene unabhängige Entscheidungen zu treffen - treffen zu können. Leider spiele und verstehe ich die Regeln von Schach nicht wirklich. Dennoch, wenn ich genau wüsste, bevor der Gegner auch nur seinen nächsten Zug umsetzt, wie der "tickt" und ich mich vollkommen darauf einrichten kann, könnte mir das eine Chance geben,
alles zu konterkarieren was der so unternehmen WIRD.
Je mehr ich über einen Menschen weiß, desto einfacher wird auch die Manipulation. Einige Figuren aus der Geschichte legten größten Wert darauf über alle die ihnen wichtig erschienen, ein möglichst umfangreiches Dossier anzulegen - über Freund und Feind - denn schon morgen konnte sich das Blatt wenden und es wurde wichtig auch über ehemalige Freunde "alles" (alles dem man habhaft werden konnte) zu wissen. So wurde voraussehbar, was jemand in einer bestimmten Situation wohl tun oder lassen würde usw. usf.
Eine bekannte Figur - Armand-Jean du Plessis, duc de Richelieu - oder kurz "Kardinal Richelieu" war darin ein Meister.
Zu welcher Machtentfaltung wäre der fähig gewesen, hätte er die heutigen Möglichkeiten zu seiner Verfügung gehabt.
Es ist also
keineswegs eine falsche, eine gar gestörte - paranoide Vorstellung - wenn man dieses Wissen, das bei Bedarf über jeden schon jetzt abrufbar ist, fürchtet und nach Wegen sucht seine Entscheidungssouveränität zu erhalten oder wenigsten noch einigermaßen unabhängig zu gestalten.
Was richtet allein schon das Gefühl permanent überwacht zu werden an ? Jemand der erfährt, wie von ihm ausgehend, nach und nach all seine Verwandten, seine Freunde und gleich jeder, der mit ihm in Berührung kommt, einer verstärkten Überwachung ausgesetzt sind. Das Verhalten solcher Personen ist reichlich dokumentiert. Ihre Entscheidungen werden immer mehr von diesen Maßnahmen beeinflusst.
Die Freiheit, die Souveränität - unabhängige Entscheidungen zu treffen geht nach und nach verloren.
Die einzige Selbstverteidigung ist - will man nicht komplett auf das verzichten, was jeden heute umgibt - seine Schritte überall dort, wo es dafür Möglichkeiten gibt dies zu tun, mindestens zu verschleiern. Big Data ist nicht "gottgegeben" (falls die Schöpfungsideologie von Bedeutung ist),
es sind menschliche Erfindungen, die man durchaus begrenzen kann und darum geht es auch hier, bei dem Versuch einen Bereich schlicht "privat" zu erhalten.
Die erstaunliche Selbstaufgabe, die einem täglich überall begegnet, ist wie eine ansteckende Krankheit, der man durchaus präventiv mit "Impfung" begegnen kann.
Diktaturen können sich oft nur so erfolgreich an der Macht halten, weil sie durch entsprechende Maßnahmen die souveräne Selbstentscheidung erfolgreich in eine konformes Massenhandeln umleiten. Dort ist jeder in Gefahr, der sich eigenes Denken bewahrt. Einige, welche u.U. gleich zwei Diktaturen in Folge erlebt haben, haben dieses antrainierte Verhalten auch in einer weitgehend demokratischen Umgebung nicht verändert. Es ist ihnen teilweise vollkommen fremd, eigene nicht von irgendwem vorgegebene Meinung zu artikulieren. Sich so zu verhalten, ist ihre Vorstellung einer "freien Entscheidung".
Für nicht wenige, ist der "süße" Angriff auf nahezu alle Bereiche der Lebens mit "Big Data" (nur ein Synonym für sehr komplexe Zusammenhänge) überhaupt nicht bewusst. Ein wahres Eldorado für jeden, der gerne eine Diktatur errichten möchte. Anders ist es wohl kaum zu erklären, wie viel heute die Masse der Menschen bereitwillig und nicht immer bewusst, über sich und leider auch alle Anderen in ihrem Umfeld ohne das geringste Zögern weitergibt. Obwohl es eine Wahl gibt, die allerdings mit eine gewissen "Arbeit" verbunden ist, die Wahl, z.B. "WhatsApp" oder eben gleich ein verschlüsseltes System mit "Threema" zu nutzen und es auszuhalten, das man damit bei Anderen auf Unverständnis stößt, ganz genauso wie hier über die Idee, seine "Briefe zukleben" zu wollen...
Das sollte den "Bart" wieder aus der Tischplatte ziehen....