schokoschendrezki hat geschrieben:(20 Aug 2017, 10:38)
Mein Beitrag war eigentlich nicht ironisch gemeint sondern als ernsthafte Frage und zugleich als EIngeständnis meiner fachlichen Unkenntnis und Neugier diesbezüglich ...
Ist auch nicht falsch gedacht. Wenn man Verkehrssysteme analysiert und bewertet, spielen dort viele Faktoren mit ein. Und das Verkehrsmittel mit seiner -leistung und den daraus entstehenden Umwelteinwirkungen sind nur einer. Da ist man schnell auch bei der Wohlfahrtstheorie, der Internalisierung von Externalitäten, Allokation von Opportunitätskosten, Annahmen der Aggregierbarkeit etc. Da gibt's ein Dutzend gängiger Analysemethoden, die man für den jeweiligen Zweck heranzieht und ggf. modifiziert. Und Planung, Bau und Betrieb von Erschließungsinfrastrukturen wie z.B. Verkehrsanlagen gehören richtigerweise selbstverständlich dazu, wenn man die Verkehrsträger vergleicht.
Wenn ich ein schlichtes Beispiel zur Veranschaulichung bringen darf: vor einigen Jahren gab's bei einem Kongress etwas Unruhe, was in den Verkehrswissenschaften sehr selten passiert, da in der Regel ein Konsens herrscht. Es ging in dem Falle um die Liberalisierung des Fernbusmarktes. Ein Vertreter teilte mit, dass er aus sozialen und ökologischen Gründen die Novelle des PBefG sehr begrüße, da sie einerseits ärmeren Menschen mehr Mobilität gewährt und zum anderen nicht nur ökologisch verträglicher seien als MIV, Luftverkehr und ... der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV), da selbst durch eine Zunahme von Verkehren der Mobilitätsbedürfnisse ein besserer Effekt für die Umwelt entstünde, inkl. Klimaschutz und Energieverbrauch. Das machte einige Leute stutzig. Sofort flogen ein paar gängige Zahlen, Kennwerte und Größenordnungen durch den Raum, z.B. CO2-Ausstoß pro "Personenkilometer" (200 Personen über 400 Kilometer befördern = 80.000 Pkm).
Und recht hatten beide "Seiten". Die Frage ist bloß, was man systemisch heranzieht und was nicht. Der besagte Vertreter kannte natürlich die Zahlen der Kollegen, aber hat sie angepasst bzw. ergänzt um zahlreiche Faktoren und Effekte. Um nur mal drei davon zu nennen und den Beitrag nicht unnötig in die Lange zu ziehen:
1. Das System Fernbus hat kürzere Vor- und Nachläufe. Das heißt, die Differenz zwischen Fahrplan- und Nutzwagenkilometer ist geringer als beim Eisenbahnwesen. Zudem wurden die Leerfahrten zu den Stellplätzen, Werkstätten etc. berücksichtigt, da sie systemimmanent sind.
2. Man schaut bevorzugt auf elektrifizierte Trassen. Bloß müsste man schauen, wie viel Leistung (Nutzwagen- und Personenkilometer) tatsächlich auf Abschnitten mit Oberleitung statt mit Diesel-Lok erbracht werden. Sind z.B. 40% (die genaue Zahl habe ich nicht mehr im Kopf) noch nicht elektrifiziert, muss dies auch entsprechend gewichtet werden.
3. Für mich persönlich war's der interessanteste Punkt, da er letztendlich ausschlaggebend für das Ergebnis war: die Fernbusunternehmen konnten eine durchschnittliche Belegung von 80% ihrer Sitzplätze vorweisen. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen aber nur 35% der Steh- und Sitzplätze. Beim früheren Vergleich hat man oft keine empirischen Daten herangezogen, sondern schaute auf die Kapazitäten der Systeme, also auf das, was an sich möglich ist mit "selben Bedingungen", sprich, man setzte bei beiden 100% an. Nur diese selben Bedingungen gibt's in der Praxis nicht. Da unterscheidet man ansonsten zwischen Angebot (PKO) und tatsächlicher Leistung (PKT).
Und wenn man will, kann man das noch weiter vertiefen und z.B. Annahmen berücksichtigen, wonach Fernbusse einen Teil der Kunden den Bahnen "wegnehmen" und somit für einen Rückgang der Besetzung verantwortlich sind. Bloß führt das bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsdienstleistungen für gewöhnlich zu einer Einstellung der Angebots- und Produktionsplanung, da es sich nicht mehr rentiert und die Besetzungsquote gleich bleibt. Von der anderen Seite her gilt es aber auch wieder zu bedenken, dass fast 40% der Fernbuskunden vorher nicht mit der Bahn, sondern dem MIV fuhren (insb. Pkw mit einer Besetzung von 1,15 Personen pro Fz, während Fahrgemeinschaften statistisch nicht signifikant sind), sodass diese Verkehrsverlagerung wiederum eine Senkung der Auswirkungen bedeutete. Und ... ich hör schon auf.
Das Dilemma ist somit, dass beide Aussagen (Fernbus/Fernbahn ist umweltverträglicher) nicht falsch sind. Man muss bloß konkretisieren und differenzieren, was man genau mit der Aussage meint. Und oben ging's erstmal "nur" um CO2 und Klimaschutz. Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxide, Schallemissionen, Flächeninanspruchnahmen, Unfälle, Verfügbarkeit der Intermodalität für die gesamte Verkehrskette usw. usf. sind noch nicht einmal angesprochen, aber genau so relevant für die Bewertung des Gesamtsystems.