Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernunft?

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frems
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Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernunft?

Beitrag von frems »

(verzeiht bitte das fehlende Leerzeichen hinter dem Doppelpunkt. Ansonsten hätte das Fragezeichen nicht mehr hingepasst)
Was von Le Corbusier bleibt, ist epochales Scheitern

Vor 50 Jahren starb der berühmte Architekt. Zeit, mit der Glorifizierung eines Künstlers aufzuhören, dessen menschenfeindliche Visionen die Zerstörung der klassischen Stadt propagierten. [...]

"Man muss die Korridorstraße töten!", schrieb er in einer seiner berühmten Wachskreide-Skizzen. Mit "Korridorstraße" meinte er die Art, wie traditionellerweise Häuser links und rechts entlang einer Straße errichtet wurden, mit Geschäften, Restaurants und Cafés im Erdgeschoss und einem privaten Hof zur Rückseite.

Le Corbusiers Vision einer Stadt der Zukunft war radikal anders und sie sollte für jeden Winkel der Welt gleich aussehen, egal ob sie in den Tropen lag oder am Polarkreis: riesige Wohnscheiben auf Stelzen in einer Parklandschaft, dazwischen breite Schnellstraßen für ungebremsten Autoverkehr. Fußgänger waren nicht vorgesehen, und öffentliche Plätze gab es auch nicht mehr.
http://www.welt.de/debatte/kommentare/a ... itern.html

Für viele -- damals wie heute -- galt und gilt Le Corbusiers als ein Revolutionär, der versuchte die Lebensbedingungen der Menschen durch radikale, rationale Architektur zu verbessern. Für andere ist sein Gedankengut, das sich stark an der Charta von Athen orientierte, ein großes (oder gar das größte) Versagen in der Geschichte der Architektur, da sie gewachsene Strukturen zerstörte und mehr neue Probleme verursachte als alte löste. Noch drei Leserkommentare:
1: Le Corbusier hielt sich für einen schlechten Architekt und einen guten Stadtplaner. Er war aber ein guter Architekt und ein schlechter Stadtplaner.

2: Dem Autor sei Dank. Ich hätte dies meinen Professoren so nie sagen dürfen.

2.1: Ich habe auch an mein Architekturstudium zurückgedacht - und daß es dort keine Meinungsfreiheit gab. In bestimmte Richtungen durfte dort strikt nicht mal gedacht werden. Danke, daß hier einer denkt!
War das einfach der damalige Zeitgeist? Oder könnte man die Ideen des Architekten nicht aufgreifen und modifizieren statt rückblickend zu verdammen?
Labskaus!

Ob Mailand oder Madrid -- Hauptsache Europa.
HugoBettauer

Re: Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernu

Beitrag von HugoBettauer »

Der Artikel ist sehr radikal. Le Corbusiers Ideen aus den20ern und 30ern trafen später auf den "glücklichen Umstand", dass in vielen Städten der Welt zu jener Zeit gerade großflächige Baulücken entstanden waren oder unkompliziert geschaffen werden konnten. Das ist heute nicht mehr so, das war auch noch kurz vorher nicht so. Es gab also die Chance, solche Brüche auch umzusetzen. Zweckmäßigkeit, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit waren das neue Credo. Heute gilt das vielen als kalt und hässlich, aber was verdrängte es denn wirklich?

Die gewachsenen Strukturen, so sie nicht schon weg waren, waren überlebt, überfordert und den Anforderungen der Zeit nicht mehr angepasst. Was man heute nachempfindend vielleicht wiedererrichtet,

Heute erleben wir den Trend, dass vor allem im Osten öffentliche Plätze verschwinden, verkleinert, zugebaut werden - jede größere Stadt hat vielspurige Magistralen, nur mit dem ungebremsten Autoverkehr wurde es nicht unbedingt was. Halböffentliche Räume, Mall- und Passagenkonstruktionen mit Schließzeiten prägen vermehrt die Innenstädte.

Städte ähneln sich heute weltweit, zumindest europaweit immer mehr, was nicht nur die äußere Erscheinung einzelner Wohn- und Zweckbauten sondern auch die Zusammenstellung ganzer Viertel und Ensembles betrifft.

In groben Zügen lag er genau richtig. Dachgärten finden sich heute noch in vielen Entwürfen.
http://www.jenapolis.de/wp-content/uplo ... 04-400.jpg
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jack000
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Re: Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernu

Beitrag von jack000 »

frems » Do 27. Aug 2015, 14:59 hat geschrieben:War das einfach der damalige Zeitgeist? Oder könnte man die Ideen des Architekten nicht aufgreifen und modifizieren statt rückblickend zu verdammen?
Da diese nun so erheblich gescheitert sind würde eine Verdammung die Richtige Lösung sein. Was nicht bedeutet, dass sich Teilkonzepte, die sich als richtig erwiesen haben beibehalten werden sollten.

Es war der Fehler schon im Anfang, dass das bisherige Bauen zu 100% in Frage gestellt und ausgelöscht werden sollte. Aber es waren doch all die Jahrhunderte nicht nur Deppen mit Stadtplanung & CO beschäftigt, deswegen wäre eine Modifizierung aber nicht eine Auslöschung angesagt gewesen.

Die Grundideen von Le Corbusier waren halt falsch und sind eine der Ursachen für die hässlichen Städte in Deutschland.
=> Man kann also von einem Schaden ausgehen den dieser Mann angerichtet hat!
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HugoBettauer

Re: Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernu

Beitrag von HugoBettauer »

jack000 » Do 27. Aug 2015, 18:52 hat geschrieben: Da diese nun so erheblich gescheitert sind würde eine Verdammung die Richtige Lösung sein. Was nicht bedeutet, dass sich Teilkonzepte, die sich als richtig erwiesen haben beibehalten werden sollten.

Es war der Fehler schon im Anfang, dass das bisherige Bauen zu 100% in Frage gestellt und ausgelöscht werden sollte. Aber es waren doch all die Jahrhunderte nicht nur Deppen mit Stadtplanung & CO beschäftigt
Die Anforderungen an Bauten änderten sich schnell und umfassend. Die alten Ideen waren in weiten Teilen untauglich für die bereits gekommene oder noch antizipierte Gesellschaft. Das muss mit der Zeit jeder Konzeption passieren, aber so dramatische Wendepunkte auf wenige Jahrzehnte komprimiert sind verhältnismäßig selten.
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jack000
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Re: Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernu

Beitrag von jack000 »

SoleSurvivor » Do 27. Aug 2015, 19:57 hat geschrieben: Die Anforderungen an Bauten änderten sich schnell und umfassend. Die alten Ideen waren in weiten Teilen untauglich für die bereits gekommene oder noch antizipierte Gesellschaft. Das muss mit der Zeit jeder Konzeption passieren, aber so dramatische Wendepunkte auf wenige Jahrzehnte komprimiert sind verhältnismäßig selten.
Der letzte Satz beschreibt genau das Problem: Es wurden zu radikale Änderungen in zu kurzer Zeit durchgesetzt => Es hätte eine Anpassung und nicht eine Abschaffung erfolgen müssen.
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Tom Bombadil
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Re: Erbe Le Corbusiers:epochales Scheitern o. Sieg der Vernu

Beitrag von Tom Bombadil »

Naja, wenn das mit der Landflucht und dem Stadtwachstum so weiter geht (wozu ja noch sehr viele Flüchtlinge kommen), werden die Ideen vllt. schneller wieder aktuell werden, als einem das lieb sein kann.
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Thomas Jefferson
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