SAMSTAG 8. MAI 2010 UM 18.15 UHR - 19/05/10
Äthiopien: Rosen gegen den Hunger
http://www.podcast.de/episode/2207383/Ä ... en+Hunger/
Von Tilman Przyrembel, Sebastian Kuhn und Wolfgang Schoen – ARTE GEIE / TV Schoenfilm - Deutschland 2010
Äthiopien ist eines der fruchtbarsten Länder der Welt und doch hungert dort die Hälfte der Bevölkerung – das internationale Agrobusiness aber verspricht der Regierung Hilfe im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Der Inder Sai Ramakrishna Karuturi hat 300 000 Hektar äthiopisches Land gepachtet, um dort hunderttausende Tonnen Agrarprodukte, Nahrungspflanzen und Blumen, anzubauen und zu ernten – und um Arbeitplätze zu schaffen.
Die Regierung habe ihnen ihr Land genommen, um es an den Investor zu verpachten,
sie seien nun gezwungen für ihn zu arbeiten und sie verdienten dort weniger als vorher mit dem Erlös des eigenen Landes.
2013: Eine von neun Schnittrosen, die in Europa gekauft wurden, stammte von einer Rosenfarm des multinationalen indischen Konzerns Karuturi Global Ltd. 580 Millionen
Rosen pflanzte die Firma pro Jahr in Äthiopien, Kenia und Indien. Seit dem 11. Februar 2014 ist die Tochtergesellschaft von Karuturi in den Niederlanden bankrott. Am 30. September 2014 musste auch sein Blumenvertrieb in den Niederlanden Insolvenz anmelden. Für viele Oromo-Kleinbauern hat diese kurze Wirtschaftsnotiz einen herben Beigeschmack. Denn sie verloren ihr Land an das Unternehmen, das zuvor riesige Investitionen in die äthiopische Landwirtschaft angekündigt hatte.
Die Region Gambela ist ein Feuchtgebiet, in dem es eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren gibt. Die dort ansässigenVölker nutzten das Wasser für sich und ihre Tiere schonend. Doch nun ist dieses empfindliche Ökosystem weitgehend zerstört. Bei einem mechanisierten kommerziellen Agrarprojekt wie dem von Karuturi werden meist große Mengen an Dünge und Schädlingsbekämpfungsmitteln eingesetzt. Die Chemikalien mindern die Wasserqualität, schädigen das Ökosystem, verschlechtern die Lebensbedingungen der Anwohner und ihres Viehs. Kritik gibt es auch an den Anbaumethoden der Intensivwirtschaft: Der Boden wird mit der Zeit ausgelaugt. Es droht Erosion, vor allem bei heftigen Niederschlägen. Die Rodung von Wäldern bewirkt zudem Klimaveränderungen und eine Verringerung der örtlichen Niederschlagsmengen.
2010 begann die Zwangsumsiedlung und Vertreibung von zunächst 70.000 Angehörigen dieser Völker in neue Dörfer. Die Anuak und Nuer hatten keinerlei Mitspracherecht; sie wurden auch nicht ausreichend über die Umsiedlung informiert. Falls sie sich weigerten, ihr Zuhause zu verlassen, ging das äthiopische Militär brutal gegen die Widerstandleistenden vor.
Die neuen Siedlungen wurden in trockenen Gebieten mit kargen Böden errichtet. „Es wurden uns eine Schule, ein Krankenhaus und frisches Wasser versprochen. Bis jetzt haben wir nur eine Wasserpumpe“, klagt Udul Ujulu, Chief des Dorfes Karmi, der ursprünglich mit seinen sieben Kindern an den Ufern des Flusses Baro in Gambella lebte. Weder die äthiopische Regierung noch Karuturi sahen die Notwendigkeit, den Umgesiedelten Zugang zu Wasser, medizinischer Versorgung und zu Bildungseinrichtungen sowie Arbeitsplätzen zu verschaffen. Den Nuer wurde sprichwörtlich der Wasserhahn zugedreht: So wurden Straßen und Wege blockiert, die zuvor von den Wanderhirten benutzt wurden, um Flüsse und Wasserstellen zu erreichen. Sie müssen seither auf wesentlich längere Wegstrecken ausweichen, um ihre Tiere zu tränken. Viele waren gezwungen, ihr Vieh zu Niedrigpreisen zu verkaufen. Auch die versprochenen Arbeitsplätze erfüllten nicht die Erwartungen: Da Karuturi eigene, indische Fachkräfte und Hilfsarbeiter mit ins Land bringen durfte, blieben den Anuak und Nuer höchstens einfache Jobs als Tagelöhner. Diese erhielten nicht den zugesagten Tageslohn von 25-30 Birr, sondern nur zwischen acht und zwölf Birr (etwa 0,50 Euro). Bis 2013 war die Blumenfarm in Naivasha, Kenia, der Goldesel für Karuturi, denn sie brachte drei Viertel des weltweiten Jahresgewinns des Karuturi-Imperiums.
Doch im August 2013 streikten 3.000 Arbeiter auf der kenianischen Blumenfarm wegen nicht gezahlter Löhne. Kurze Zeit später konnte das Unternehmen die Stromrechnung in Höhe von 140.000 Euro nicht mehr bezahlen. Fast parallel kamen Schreckensnachrichten aus der Gambela-Region:
Am 23. November 2013 warnte das äthiopische Magazin The Reporter , dass die Unternehmungen von Karuturi in Äthiopien am Rande eines Kollaps stünden. Der wenige Wochen später prompt eintrat. Die Farmarbeiter und ihre Familien in Kenia und Äthiopien waren dermaßen in Leid und Armut gestürzt, dass einige versuchten, sich das Leben zu nehmen.
Äthiopien lockt Großkonzerne ins Land mit dem Ziel, landwirtschaftliche Entwicklung in armen ländlichen Regionen zu fördern. Doch statt die Landwirtschaft zu stärken, wurden Zehntausende Anuak, Nuer und Oromo entwurzelt. Für sie regnete es weder Gewinne aus der Rosenzucht noch aus der Landwirtschaft. Sie leben nun am Rand der Existenz.