Selina hat geschrieben:(21 Oct 2017, 12:41)
Zitat aus dem Augstein-Kommentar: "In der neoliberalen Marktwirtschaft Deutschland werden die Schwächsten gegen die Schwachen ausgespielt". Das ist des Pudels Kern. Deshalb halte ich es für höchst töricht, da so eine Kluft zwischen Lafontaine und "den anderen" herbeizureden. Denn im Grunde wissen beide Seiten sehr genau, dass es eine vorherrschende Taktik von dominanten neoliberalen Kräften ist, die "kleinen Leute" gegen die "kleinen Leute" auszuspielen. Immer schön aufeinanderhetzen: Hartz-vier-Leute gegen Billiglöhner, Flüchtlinge gegen Hartz-vier-Leute, Junge gegen Alte, Kranke gegen Gesunde. Das ist ein dem System innewohnendes Prinzip. Und das beherrscht auch bereits die AfD ganz gut. Zweck: Auf diese Weise schauen die Schwächsten der Gesellschaft nicht kritisch in die Richtung, in die sie eigentlich gemeinsam schauen sollten. Damit wird dann so ein scheinbares gesellschaftliches "Gleichgewicht" gehalten (man kann das auch Stagnation nennen), indem sich "unten" alle gegenseitig an die Wäsche gehen, statt "oben" was zu verändern. Was aber sehr schnell kippen kann. Und in dieser Analyse sind sich die Linken doch einig. Da wird auch nichts auf die Flüchtlinge geschoben. Im Gegenteil: Wichtig wäre es, dass die Regierenden für alle Bedürftigen mehr tun, für Einheimische
und für Flüchtlinge. Zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau deutlich ankurbeln, massenhaft mehr Kitaplätze schaffen (im Osten werden stillgelegte Einrichtungen wieder aktiviert), mehr Lehrer einstellen, den Arbeitsmarkt für alle Bedürftigen öffnen, ohne sie wie bei Hartz vier zu permanenten Bittstellern beim Staat zu machen, genügend Ausbildungsplätze (die es ja alle gibt, siehe etwa Berichte der IHK) anbieten etcpp. Ein Riesenprogramm eigentlich, bei dem ich nicht sehe, dass es da einen so großen Dissens unter den Linken gibt. Und dass sich da mal die führenden Leute in die Haare kriegen, das ist in allen anderen Parteien auch so. Allerdings stimmt es schon, was der freitag schreibt: Auf Wagenknecht und Bartsch zu verzichten, würde die Partei wieder massenhaft Stimmen kosten.
Also, "es gibt nichts zu sehen, bitte weiter gehen" ?
In das öffentliche Dogfighting zu gehen, haben die Spieler entschieden, nicht die Zuschauer. Und vermutlich tun sie das nicht einfach so, sondern um eine Entscheidung herbei zu führen. Wagenknecht und Parteiführung vertreten unterschiedliche und teils völlig konträre Positionen.
Kipping - die nicht für sich allein steht, sondern für einen Teil der Linken - will grundsätzlich "Bewegungsfreiheit" für alle Menschen, AfD-Wähler sind in dieser Sichtweise mindestens halbe Nazis und tumbe Rassisten, denen es keinen Millimeter zu weichen gelte. Die Gegenposition wird hier als Steigbügelhalterei für die AfD-Populisten verstanden. Die Kipping-Linke ist mehr oder weniger reformbereit und kann sich Bündnisse mit SPD und Grünen gut vorstellen.
Wagenknecht - auch sie steht nicht für sich allein - wiederum hält das für illusorisch. "Bewegungsfreiheit" für alle Flüchtlinge sei für eine andere, nicht realistische Welt gedacht. Die Arbeiter in den Osthochburgen fühlten sich deklassiert und soziokulturell allein gelassen. Wagenknechtianer betrachten die Gegenposition als "Grüne 2.0", als urbanes Alternativmilieu weit jenseits des Arbeiter- und Bauernstandes.
Der "Zickenkrieg" ist im Grunde also ein Richtungsstreit, auch eine Frage der strategischen Ausrichtung. Und dieser tritt jetzt offen zu Tage, weil eben auch Stimmen in den Hochburgen verloren gegangen sind.
Natürlich kann man jetzt als Selina sagen, ist doch egal, gibt es halt zwei Positionen, der politische Gegner ist immer noch woanders.
Schon. Aber wenn im Bundestag die gleiche Partei gegenteilige Positionen vertritt, Redner A sagt was ganz anderes als Redner B, dann bedeutet das Schwäche. Eben gerade im Verhältnis zum politischen Gegner. Einmal applaudieren dann die AfD-Funktionäre, das andere mal die Grünen und niemand weiß mehr, was eigentlich links sein soll.
Von daher bringt es der linksintellektuelle Augstein doch tatsächlich auf den Punkt, schlau wie er nunmal ist:
"Wer sind wir und was wollen wir?"
Für Nicht-Anhänger der Linken spielt das natürlich eine eher untergeordnete Rolle. Eine SPD in starker Oppositionsrolle auf der einen Seite und Jamaika als Südsee-Abenteuer auf der anderen Seite reicht völlig aus. Schwächelnde Links- oder Rechtsaußen stören da nicht weiter. "Es gibt nichts zu sehen, bitte weitergehen."