Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

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H2O
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Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Beitrag von H2O »

Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Diese Frage spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle, obwohl unser Wohlstand und künftiger Wohlstand entscheidend vom Gelingen des europäischen Projekts abhängen. Was bleibt anderes übrig, als in den Parteiprogrammen danach zu suchen, wenn Europa und die EU schon im öffentlichen Wahlkampf keine Rolle spielen?

Die Landesanstalt für politische Bildung BaWü hat sich mit den Wahlprogrammen der politischen Parteien befaßt, die Aussicht auf Einzug in den Bundestag haben; dort gibt es einen Vergleich (besser: eine Auflistung) der europapolitischen Vorstellungen der Parteien:

http://www.bundestagswahl-bw.de/eu_auss ... tml#c33357
  • CDU/CSU:
    keine Pläne und Vorstellungen, wie die Krise der EU zu überwinden ist. Was und wie?...Nichts

    SPD:
    mehr Solidarität und Zusammenhalt, eine Wirtschaftsregierung in der EU, mehr Zuständigkeiten für das EU-Parlament, eine EU-Verfassung ausarbeiten. Das sind ja schon einmal einige greifbare Aufgaben!

    DIE GRÜNEN:
    mehr Solidarität, Angleichung der Löhne EU-weit, mehr Zuständigkeiten für das EU-Parlament, auch als Gesetzgeber, Aufbau eines Zukunftsfonds der EU zur Finanzierung von Modernisierungsmaßnahmen

    DIE LINKE:
    Neue EU-Verträge, mehr Solidarität, Schwerpunkt auf soziale Verträge und Tarifverträge, Auflösung gemeinsamer Kapitalmärkte

    FDP:
    Reformen für mehr Transparenz (mehr Demokratie?), europäischer Außenminister, europäischer Grenzschutz, europäische Armee

    AfD:
    loser Staatenbund von Nationalstaaten, DM wieder einführen, keine Handelsbündnisse
Auf diese Kurzformeln gebracht, muß man SPD und DIE GRÜNEN als Europaparteien mit einem erkennbaren Kurs verstehen. Der AfD-Kurs ist auch klar: Weg mit der EU und dem Euro. Unbrauchbares Konstrukt.

Aus meiner Sicht bedrückend: Was strebt die CDU europapolitisch an, die höchstwahrscheinlich wieder bis 2021 die Regierungsgeschäfte führen dürfte?
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Der Neandertaler
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Re: Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Beitrag von Der Neandertaler »

Hallo H2O.
H2O hat geschrieben:as strebt die CDU europapolitisch an, die höchstwahrscheinlich wieder bis 2021 die Regierungsgeschäfte führen dürfte?
Wenn ich mir Merkels Regierungsstil der vergangenen Jahre resümiere, denke ich mal:
  • nichts ... nichts besonderes ... nur das Nötigste ... das Naheliegendste ... das (gerade noch) Machbarste.

Schon Helmut Schmidt wollte denjenigen, der Visionen hat, zum Arzt schicken. Helmut Kohl stammt aus dieser Zeit - er hat sih daran orrientiert. Merkel ist "sein Mädchen" - also hat sie diesen Stil verfeineret ... bis zum Exzess.
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Cat with a whip
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Re: Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Beitrag von Cat with a whip »

Die Union vermeidet derzeit das Thema EU bewusst, weil sie Angst hat ihre chauvinistische Klientel würde sie für ihre Widersprüche zwischen Agitation und Handeln abstrafen. Sie kann hier mit einer gefährlichen und unsolidarischen populistischen Bierzelttour eines Christian Linder mit dem die Schuldenkrise der EU zurückkehren könnte treibt nicht punkten, weil sie ja selbst in Brüssel das Heft mit in der Hand und schwere Verantwortung für die Stabilität in den Südländern trägt.

Ein Punkt der mir besondes heraussticht: Die Union fordert zwar wohlfeil mehr demokratische Legitimation der EU-Institutionen, doch ist es die einzige Partei die verhindern will dass die EU-Bürger einmal über ihre Verfassung abstimmen dürfen. Passt nicht so ganz.

Was im Link des Themenstarters auch wieder fehlt ist dass Die Linke, die SPD, die Unionsparteien und Grüne ebenfalls eine Europäische Armee unterstützen. Das tun eigentlich inwischen alle demokratischen und europafreundlichen Parteien. Nur die nationalistische AfD unterstützt diese Idee nicht.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
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Brainiac
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Re: Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Beitrag von Brainiac »

H2O hat geschrieben:(16 Sep 2017, 10:35)

Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Diese Frage spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle, obwohl unser Wohlstand und künftiger Wohlstand entscheidend vom Gelingen des europäischen Projekts abhängen. Was bleibt anderes übrig, als in den Parteiprogrammen danach zu suchen, wenn Europa und die EU schon im öffentlichen Wahlkampf keine Rolle spielen?

Die Landesanstalt für politische Bildung BaWü hat sich mit den Wahlprogrammen der politischen Parteien befaßt, die Aussicht auf Einzug in den Bundestag haben; dort gibt es einen Vergleich (besser: eine Auflistung) der europapolitischen Vorstellungen der Parteien:

http://www.bundestagswahl-bw.de/eu_auss ... tml#c33357
  • CDU/CSU:
    keine Pläne und Vorstellungen, wie die Krise der EU zu überwinden ist. Was und wie?...Nichts

    SPD:
    mehr Solidarität und Zusammenhalt, eine Wirtschaftsregierung in der EU, mehr Zuständigkeiten für das EU-Parlament, eine EU-Verfassung ausarbeiten. Das sind ja schon einmal einige greifbare Aufgaben!

    DIE GRÜNEN:
    mehr Solidarität, Angleichung der Löhne EU-weit, mehr Zuständigkeiten für das EU-Parlament, auch als Gesetzgeber, Aufbau eines Zukunftsfonds der EU zur Finanzierung von Modernisierungsmaßnahmen

    DIE LINKE:
    Neue EU-Verträge, mehr Solidarität, Schwerpunkt auf soziale Verträge und Tarifverträge, Auflösung gemeinsamer Kapitalmärkte

    FDP:
    Reformen für mehr Transparenz (mehr Demokratie?), europäischer Außenminister, europäischer Grenzschutz, europäische Armee

    AfD:
    loser Staatenbund von Nationalstaaten, DM wieder einführen, keine Handelsbündnisse
Auf diese Kurzformeln gebracht, muß man SPD und DIE GRÜNEN als Europaparteien mit einem erkennbaren Kurs verstehen. Der AfD-Kurs ist auch klar: Weg mit der EU und dem Euro. Unbrauchbares Konstrukt.

Aus meiner Sicht bedrückend: Was strebt die CDU europapolitisch an, die höchstwahrscheinlich wieder bis 2021 die Regierungsgeschäfte führen dürfte?
Danke für Ihre Analyse dieses wichtigen Themas. Ich habe die 6 Wahlprogramme mal daraufhin quergelesen, allerdings zugegebenermaßen nicht sehr gründlich, die Zeit habe ich im Moment einfach nicht. Ich kann mich Ihrem Fazit anschließen, dass die SPD hier wesentlich deutlichere Akzente setzt, als die Union.

Mir ist an den Wahlprogrammen folgendes aufgefallen:

- Union: Schwerpunkt im Bereich Integration und Sicherheit, u.a. Eintreten für ein europäisches Asylsystem und eine europäische Verteidigungsunion sowie besseren Informationsaustausch zur Abwehr von Kriminalität und Terror. Diese Punkte haben in den Programmen der anderen Parteien geringeres Gewicht oder kommen gar nicht vor. Bereitschaft, zusammen mit Frankreich auf verschiedenen Gebieten die Integration zumindest bilateral voranzutreiben. Stabilitätskriterien müssen gewahrt bleiben, keine Schuldenunion.
- SPD: Ebenfalls Begrüßung von bilateralen Initiativen mit Frankreich, aber auch insgesamt klare Bekenntnis zum Ziel vertiefter Integration. Insbesondere im Sozialbereich, dort diverse konkrete Vorschläge für Investitionen in Bildung und Sozialstandards in der Union. Eintreten für Wirtschaftsregierung, gemeinsames Budget, Finanztransaktionssteuer. Ebenfalls für Verteidigungsunion, für Nutzung der "2 Geschwindigkeiten" soweit die Verträge das jetzt schon zulassen. Demokratisierung, insb Stärkung des EU-Parlaments.
- FDP: Starker Fokus auf Stabilitätskriterion, ebenfalls Stärkung EU-Parlament im Sinne eines echten Zweikammernsystems, aber keine Vertiefung der EU auf sozialer Ebene, Wahrung der Autonomie der Mitgiedsstaaten, soweit sinnvoll. Sicherung der Aussengrenzen, europ. Asylsytem und Verteilungsschlüssel, europäische Armee. Klares Bekenntnis zur Fortsetzung der Einigung bis hin zum Ziel einer dezentral und bundesstaatlich verfassten Europäischen Union.
- Grüne: Klare Bekenntnis zur EU und dem Ziel der vertieften Integration, aber nicht sehr konkret. Vor allem im Sozialbereich und bei der Demokratisierung (Stärkung des EU-Parlaments etc.)
- Linke: Das ganze Thema Europa steht unter dem Vorzeichen, die Dominanz der Banken und Konzerne sowie des Neoliberalismus zu brechen, u.a. grundlegende Neuverhandlung von Maastricht und Lissabon. Damit würde natürlich alles Mögliche auf den Kopf gestellt, daher auch (als einzige Partei) Forderung von Volksabstimmungen in allen EU-Ländern über die EU-Verträge.
- AfD: Raus aus Euro, EU soll zurückentwickelt werden in Richtung Staatenbund.

Mit persönlich gefallen die Ansätze von SPD und FDP am besten (wobei diese im Sozialbereich m.E. konträr zueinander stehen). Die SPD hat die konkretesten Vorstellung für die Vertiefung der Union - die FDP ist an der Stelle weniger euphorisch und betont die Notwendigkeit der finanziellen Stabilität und des Subsidiaritätsprinzips, macht aber auf Sachebene diverse konstruktive und plausibel erscheinende Vorschläge und bekennt sich klar zum Ziel eines europäischen Bundesstaats. Beide sprechen sich für die Nutzung der sog. zwei Geschwindigkeiten bei der Integration aus.

Bei der Haltung der Union teile ich die Einschätzung aus Ihrem Schlusssatz. Es ist nun mal derzeit so, dass der Europäische Rat die EU dominiert, und die deutsche Regierung (namentlich Fr. Merkel) den Europäischen Rat. Alle ernstgemeinten konkreten vertieften Integrations- und Demokratisierungsmaßnahmen würden diesen Einfluß schmälern, daher finden sie sich - bis auf den Bereich Sicherheit - nicht im Programm der Union. :|
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.
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H2O
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Re: Wie wollen die Parteien Europa weiter entwickeln?

Beitrag von H2O »

Brainiac hat geschrieben:(17 Sep 2017, 17:51)
...

...Alle ernstgemeinten konkreten vertieften Integrations- und Demokratisierungsmaßnahmen würden diesen Einfluß (der Kanzlerin) schmälern, daher finden sie sich - bis auf den Bereich Sicherheit - nicht im Programm der Union. :|
Roter Text von mir eingefügt.

So ganz schlecht fände ich die tatsächliche Führungsrolle der Kanzlerin in Europa gar nicht, wenn sie mit Lösungsvorschlägen für die Weiterentwicklung verbunden wäre... etwa so, wie das lobenswerterweise Präsident Juncker nun schon zweimal ausgebreitet hat. Gut, dessen Amtszeit endet in 2 Jahren, und so hat er nichts zu verlieren. Da kann man mutig sein. :) Natürlich gäbe es für die Kanzlerin im Ministerrat dann heftigen Gegenwind, den sie aber brechen könnte, wenn sie darauf besteht, daß Gegenkonzepte offen diskutiert und nach Möglichkeit verschmolzen werden sollten.

Nur "dagegen, weil" ohne Gegenvorschlag ist rein zerstörerisch und eines Mitglieds überhaupt nicht würdig. Das kann eine Kanzlerin auch ungefiltert so aussprechen

Ich glaube eher, die Kanzlerin sucht in ihrem europäischen Führungsverhalten mit dem geringsten Windwiderstand lagebedingte Mehrheiten, ohne mit diesen Mehrheiten über Inhalte sprechen zu können. Wo sind sie denn, die Inhalte?
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