Gleichzeitig teilte die CDU in der Vergangenheit schon mit, dass die Rentenpolitik das zentrale Wahlkampfthema für die Bundestagswahl 2017 sein wird (Beispiel: http://www.n-tv.de/politik/Union-macht- ... 30646.html), aber will bewusst kein (finanzierbares) Konzept vor der Wahl aufstellen, sondern -- wenn überhaupt -- nach der Wahl eine Kommission einsetzen, die möglicherweise sehr unpopuläre Maßnahmen entwickelt.
Haltet Ihr das für politisch richtig und nachvollziehbar? Oder, wie es von Beust sagt, sowieso niemand den Politikern glaube und man deshalb auch gar nichts präsentieren müsse? Und wie geht Ihr mit Wahlprogrammen um? Schaut Ihr da bei der von Euch bevorzugten Partei rein und auch bei der Konkurrenz? Oder ist das nur etwas für "Feinschmecker" und Journalisten?
Zwei der besagten Interviews sind hier; Unterstreichungen durch mich:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/ ... tenpolitikZEIT ONLINE: Die SPD hat mittlerweile ein Rentenkonzept vorgestellt mit sehr konkreten Zahlen zur Entwicklung von Rentenniveau und Beitragssatz. Die CDU will dagegen kein eigenes Konzept vorlegen. Ist das die richtige Strategie?
Ole von Beust: Man muss fragen, warum Parteien im Wahlkampf Konzepte vorlegen. Das gilt für die Rente, aber auch für andere Dinge. Kommunikativ ist die Ausgangslage für Union und SPD da sehr unterschiedlich. Für die Kanzlerin, die schon lange im Amt ist und ein hohes Ansehen hat, gilt per se eine Kompetenzvermutung. Ihr SPD-Herausforderer Martin Schulz hat es da schwerer. Er kann die Kompetenzvermutung nicht durch Regierungshandeln belegen, sondern muss versuchen, sie durch programmatische Aussagen zu erzeugen.
Speziell bei der Rente glaube ich, dass ihm das wenig bringt, weil die Leute sowieso nicht glauben, was Politiker vor der Wahl sagen. Das gilt sowohl für die SPD als auch für die CDU.
ZEIT ONLINE: Die Union hat von Schulz immer gefordert, endlich zu sagen, wofür er stehe. Jetzt tut er das. Kann sie es sich da leisten, bei einem so wichtigen Thema wie der Rente selbst im Vagen zu bleiben?
Von Beust: Eine Partei mit einer hohen Kompetenzvermutung kann sich sehr viel leisten, weil Programme die Mehrheit der Bevölkerung nur am Rande interessieren. Wahlkampf ist weder ein programmatischer Wettbewerb noch eine Volkshochschulveranstaltung. Es geht darum, Stimmen zu gewinnen. Mit dem Rententhema gewinnt man keine einzige Stimme.
ZEIT ONLINE: Statt jetzt ein Konzept vorzulegen, soll eine Kommission in der kommenden Wahlperiode Vorschläge erarbeiten. Ist das nicht die totale Entpolitisierung des Wahlkampfes, wenn man den Wählern sinngemäß sagt, wählt uns mal, nach der Wahl sagen wir euch, wofür?
Von Beust: Erfolgreiche Wahlkämpfe sind in der Regel immer entpolitisiert, es sei denn, sie haben ein großes, stark polarisierendes Thema, das sich auf ein einfaches Ja oder Nein reduzieren lässt. Dann müssen die Parteien klar Position beziehen. Das Rententhema ist aber sehr diffus. Deswegen ist es von der CDU sogar klug, auf diesem Feld keine Konflikte heraufzubeschwören.
Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass es eine Präferenz der CDU für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit gibt. Aber wenn ich weiß, dass eine Forderung hoch unpopulär ist, muss ich das nicht zwei Monate vor der Wahl thematisieren.
ZEIT ONLINE: Grenzt das nicht an Wahlbetrug?
Von Beust: Wahlbetrug ist, wenn ich etwas sage, was ich nicht halte. Wenn ich gar nichts sage, ist es kein Wahlbetrug. Beim Wahlkampf geht es um Werbung. Persil wirbt auch nicht mit der chemischen Zusammensetzung seines Waschmittels sondern schafft ein Grundvertrauen, dass die Leute sagen: "Persil, da weiß man was man hat."
Die entscheidende Frage in diesem Wahlkampf ist: Wem trauen die Wähler am ehesten zu, in einer immer unruhiger werdenden Welt für möglichst viel Stabilität zu sorgen. Und nicht: Wer hat das bessere Rentenprogramm?
http://www.zeit.de/politik/deutschland/ ... tin-schulzZEIT ONLINE: Herr von Beust, nach Ihren drei Niederlagen bei den Landtagswahlen setzt die SPD nun auf die Programmarbeit. Kann SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz so zurück ins Spiel kommen?
Ole von Beust: Programme sind für den Wahlkampf nicht entscheidend. Es werden Regierungen gewählt oder abgewählt aber nicht wegen der Programme der Opposition. Die Wähler legen ja nicht alle Programme nebeneinander und entscheiden sich dann für die Partei, bei denen sie die meisten Haken setzen können. Programme sind was für Feinschmecker, Journalisten und Hochinteressierte. Wahlkampf ist Marketing und Werbung. Ein Beispiel: 2001 habe ich in Hamburg 26,2 Prozent der Stimmen bekommen, bei den Neuwahlen drei Jahre später 47,2 Prozent. Mit nahezu identischem Programm und Personal.
ZEIT ONLINE: Sind Wahlprogramme also überflüssig?
von Beust: Sie sind wichtig, wenn man regiert. Um sich selbst Ziele zu setzen. Aber es ist ein Irrtum zu denken, dass das die Wähler im Wahlkampf interessiert. Die Leute glauben ja nicht einmal, was da drin steht. Das Vertrauen darein, dass Politiker in Programmen die Wahrheit sagen, ist fast Null. Man sollte zwar sagen was man will, braucht sich aber nicht zu viele Gedanken über etwas zu machen, was einem die Wähler sowieso nicht glauben.
ZEIT ONLINE: Worauf dann achten?
von Beust: Auf die Personalie. Und die Haltung. Für die Union ist das im Bundestagswahlkampf die Kanzlerin. Sie ist in einer unsicheren Welt der Fels in der Brandung. Diese Sicherheit wollen die Leute.
ZEIT ONLINE: Klingt nach einem Wahlkampf wie vor fünf Jahren: "Sie kennen mich".
von Beust: Wähler wollen, dass die Basics stimmen. Sicherheit, Verkehr, Bildung, solche Dinge. Und das tun sie in Deutschland, vor allem im Vergleich dazu, was im Rest der Welt passiert.
ZEIT ONLINE: Ist Gerechtigkeit, das Wahlthema von Martin Schulz, nicht auch ein solches Basic?
von Beust: Ich finde, er liegt damit komplett daneben. Es klingt vielleicht blöd, aber die Wähler trauen niemandem zu, Gerechtigkeit zu schaffen. Zumal in einer Welt, die immer ungerechter wird. Die Menschen wählen lieber eine Partei, die ihnen verspricht, es geht aufwärts, als eine, die verspricht, sie fängt sie auf, wenn sie fallen.
* Ergänzung: in der CSU ist diese Meinung offensichtlich nicht ganz so beliebt:
http://www.tagesspiegel.de/politik/vor- ... 17714.htmlIn der Union zeichnet sich ein Streit über die Rentenversprechen im Wahlkampf ab. Die CDU will im Wahlprogramm auf konkrete Aussagen zum Rentenniveau und zur Lebensarbeitszeit verzichten, berichtet der „Spiegel“. Erst nach der Wahl soll nach den Vorstellungen der CDU eine Kommission eingesetzt werden, die über den Reformbedarf diskutieren soll. In der CSU regt sich Widerspruch. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Union zu einem zentralen sozialpolitischen Thema wie der Rente keine Aussage in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm machen will“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger. Er halte den Vorschlag einer Kommission für „zu dürftig“.