Ich glaube, es nützt nichts, wenn man hier blind die eine oder die andere Seite verteidigt. Man muss versuchen, objektiv und neutral an die Sache heranzugehen.
Zunächst einmal ist mein eigener Standpunkt der, dass Schusswaffen mit potentiell tödlicher Munition an der Grenze nur bei einer Bedrohung und als ultima ratio eingesetzt werden sollten. Unter Bedrohung verstehe ich nicht den bloßen Grenzübertritt und die Flucht eines Menschen, sondern die Bedrohung der Grenzpolizisten an Leib und Leben, oder der begründete Eindruck, die illegalen Grenzübertreter könnten später eine Gefahr darstellen (z.B. Verdacht, dass es sich bei den Übertretern um Terroristen oder Kriminelle handeln könnte). Unter ultima ratio verstehe ich, dass alle anderen Mittel ausgereizt sind.
Allerdings würde ich im Zweifel grundsätzlich für die Grenzpolizisten entscheiden, d.h. auch, wenn sie sich bei einer empfundenen Bedrohung einmal geirrt hätten. Wenn ich das richtig sehe, entspricht das auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). Es hat sich ja auch schon gezeigt, dass zahlreiche Migranten in der Tat eine Gefahr darstellen; unter ihnen befinden sich nicht wenige Kriminelle und Terroristen. Auch wird von Migranten ganz offen potentiell tödliche Gewalt (das Werfen von Steinen) gegen Grenzschützer eingesetzt. Dass sich hier ein Grenzer an Leib und Leben bedroht sieht, kann ich nachvollziehen.
Bei den Rechtsquellen gibt es einen erstaunlichen Unterschied zwischen dem Gesetzestext und der Interpretation des Textes durch den BGH. Im Gesetz steht nämlich nichts von einer Bedrohung, d.h. das Gesetz erlaubt den Einsatz von Schusswaffen auf Leute, die die Grenze illegal übertreten und auf Zuruf nicht halten um sich kontrollieren zu lassen. Natürlich betont das Gesetz die Verhältnismäßigkeit und sieht den Waffeneinsatz als ultima ratio. Dennoch: Es ist hier keineswegs von einer Bedrohung die Rede.
Die Rechtsprechung des BGH allerdings widerspricht diesem Gesetz, indem betont wird, dass eine bloße Grenzüberschreitung ohne eine Bedrohung eben keinen Grund für potentiell tödlichen Schusswaffeneinsatz darstellt. Begründet wird dies mit §4 UZwG. Allerdings scheint dies eine sehr theoretische Überlegung zu sein, denn im konkreten Fall wurde ein Grenzschützer, der auf einen flüchtenden Menschen, der die Grenze illegal überschritten hatte, schoss, freigesprochen. Der Grenzschützer hatte angegeben, er habe eine Waffe bei dem Flüchtenden vermutet (was meiner Meinung nach eine bloße Schutzbehauptung darstellte; der Flüchtende war in der Tat auch unbewaffnet). Die Tatsache, dass der Grenzer freigesprochen wurde, wird oft beim Zitat dieses Urteils unterschlagen.
Ich denke, dass sich der Widerspruch zwischen dem Gesetz und dem BGH-Urteil erklärt durch die zunehmend "weichere" Justiz und eine Gesellschaft, die Gewalt, auch durch den Staat, zunehmend ablehnt. Meiner Meinung nach haben die Richter hier ihre Grenzen klar überschritten; sie haben etwas in das Gesetz hineingelesen, was dort nicht angelegt war. Das haben sie möglicherweise selbst auch so empfunden und deswegen den Grenzer freigesprochen. Es wäre ja auch eine Katastrophe, wenn ein Grenzer verurteilt würde, obwohl er sich an das Gesetz gehalten hat.
Frau Petry nun sagt mehrmals, dass sie oder ein Polizist eben nicht auf Flüchtlinge schießen möchte. Sie sagt aber auch, dass dies "notfalls" und als "ultima ratio" geschehen solle. Man kann sich nun streiten, was unter "notfalls" zu verstehen sei; "ultima ratio" dürfte wohl jedem klarsein. Ich sehe in einer solchen Diskussion wenig Sinn, denn was Petry gesagt hat, lässt sich so oder anders auslegen. Da hätten die Journalisten noch weiter nachfragen und das Beispiel noch genauer schildern müssen. Das haben sie nicht gemacht, und deswegen ist Petrys Aussage so offen wie die von Palmer, die auch unterschiedliche Interpretationen zulässt.
Einen Schusswaffeneinsatz gegen Kinder verbietet das Gesetz im übrigen.
Quellen:
Gesetz über den unmittelbaren Zwang
http://www.gesetze-im-internet.de/uzwg/
Daraus:
§ 11 Schußwaffengebrauch im Grenzdienst
(1) Die in § 9 Nr. 1, 2, 7 und 8 genannten Vollzugsbeamten können im Grenzdienst Schußwaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, daß die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuß ersetzt werden.
§ 12 Besondere Vorschriften für den Schußwaffengebrauch
(1) Schußwaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.
(2) Der Zweck des Schußwaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist verboten, zu schießen, wenn durch den Schußwaffengebrauch für die Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 10 Abs. 2) nicht vermeiden läßt.
(3) Gegen Personen, die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden, dürfen Schußwaffen nicht gebraucht werden.
§ 4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Die Vollzugsbeamten haben bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen.
(2) Ein durch eine Maßnahme des unmittelbaren Zwanges zu erwartender Schaden darf nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.
Urteil des BGH von 1988:
https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1988- ... StR-198_88
Daraus:
Auch wenn die in den §§ 11 ff. UZwG umschriebenen Voraussetzungen für den Schußwaffengebrauch im Grenzdienst erfüllt sind, darf nicht ohne weiteres auf sich der Kontrolle entziehende Personen geschossen werden. Der Beamte muß vor dem Einsatz der Schußwaffe die in der jeweiligen Situation auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit und der körperlichen Unversehrtheit der Fliehenden unter sorgfältiger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegeneinander abwägen.
Interview der Zeitung Mannheimer Morgen mit Petry
http://www.morgenweb.de/nachrichten/pol ... -1.2620328
Daraus:
Frau Petry, Sie fordern, an den Grenzen "wieder Recht und Ordnung herzustellen". Was heißt das?
Frauke Petry: Wir brauchen umfassende Kontrollen, damit nicht weiter so viele unregistrierte Flüchtlinge über Österreich einreisen können.
Die Grenze zu Österreich ist mehr als 800 Kilometer lang. Wie wollen Sie die durchgängig kontrollieren?
Petry: Ich weiß genau, dass Sie mich zur Schlagzeile "Petry will Grenzzäune errichten" provozieren wollen.
Wir wollen nur wissen, wie Ihr Plan aussieht. Wie sieht er aus?
Petry: Wir müssen natürlich genügend Bundespolizisten einsetzen und dürfen Zurückweisungen nicht scheuen. Dies muss notfalls auch mit Grenzsicherungsanlagen durchgesetzt werden.
Wie hoch sollen die Zäune sein?
Petry: Sie können es nicht lassen! Schauen Sie doch mal nach Spanien. Die haben auch hohe Zäune.
Was passiert, wenn ein Flüchtling über den Zaun klettert?
Petry: Dann muss die Polizei den Flüchtling daran hindern, dass er deutschen Boden betritt.
Und wenn er es trotzdem tut?
Petry: Sie wollen mich schon wieder in eine bestimmte Richtung treiben.
Noch mal: Wie soll ein Grenzpolizist in diesem Fall reagieren?
Petry: Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.
Es gibt in Deutschland ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthält?
Petry: Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend ist, dass wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen mit Österreich und Kontrollen an EU-Außengrenzen den Flüchtlingszustrom bremsen.