sünnerklaas hat geschrieben:(14 Aug 2018, 16:45)
Ganz einfach: Höcke wäre als Bundesvorsitzender zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv. Man braucht die scheinbar moderaten im Moment noch als Feigenblatt.
Hinzu kommt: Höcke gehörte früher der Jungen UNION an, kommt also wie Gauland, Homann und Glaser ursprünglich aus der Hessen-CDU Manfred Kanthers, Alfred Dreggers, Walter Wallmanns und Roland Kochs. Höcke, Homann, Glaser und Gauland haben also noch diverse offene Rechnungen mit Angela Merkel - nicht nur mit Hinblick auf den Absturz des Heiligen Helmuts, sondern auch wegen des Rauswurfs Homanns durch die CDU-Vorsitzende.
Für Höcke&Co ist Gauland nun derjenige, der am allerwenigsten zu verlieren hat. Er ist halt sehr alt und könnte jederzeit in Rente gehen. Zudem wirkt er nach außen hin gediegen und seriös (Betonung auf "wirkt"). Und im Zweifelsfall kann man sich immer darauf berufen, Gauland wäre halt alt und gesundheitlich angeschlagen, vielleicht sogar ein bisschen vergesslich - (Stichwort: man lasse doch den armen Mann in Ruhe, der wäre eben alt).
Ich habe den AfD-Parteitag verfolgt. Da erschien es mir, dass Gauland eben ein Kompromisskandidat war, der relativ schnell aus dem Hut gezaubert werden musste. Davor hatte es ein Patt gegeben zwischen Sayn-Wittgenstein, die eine emotionale, aber meiner Meinung nach indiskutable Rede gehalten hatte, und dem pragmatischen, Ruhe ausstrahlenden Pazderski, dem ich nach wie vor am meisten zutraue. Viel Zeit bliebt nicht, und auf Gauland konnte man sich eben einigen - ja, vielleicht auch wegen seines fortgeschrittenen Alters, im Sinne einer Übergangslösung.
Höckes Einfluss in der Gesamtpartei wird überschätzt; er wäre bei diesem Parteitag nicht für ein Amt auf Bundesebene vermittelbar gewesen. Das war wenigstens mein Eindruck. Ja, er hat viele Unterstützer, aber er hat auch viele Gegner. Selbst, wenn er eine knappe Mehrheit erlangt hätte (was ich nicht glaube), dann hätte das die Partei in eine Zerreißprobe geführt. Das weiß Höcke, und im Moment hält er sich deswegen im Hintergrund.
In einem Positionspapier ("Leitkultur, Identität, Patriotismus") der thüringischen Landtagsfraktion erkenne ich eher eine Mäßigung mancher Standpunkte:
https://www.afd-hochtaunus.de/wp-conten ... tismus.pdf
Die Richtung, die die AfD einschlägt, wird von vielen Faktoren abhängen, nicht zuletzt von der AfD im Westen und Süden. Vergessen wir nicht, dass Thüringen, so schön es ist, nicht das wichtigste Bundesland ist. Bayern hat beispielsweise sechsmal so viel demographisches und noch mehr wirtschaftliches Gewicht; Nordrhein-Westfalen hat so viele Einwohner wie der ganze Osten zusammen.
Wenn die AfD in Kürze in allen Landtagen vertreten sein wird, wird sich ein vielfältigeres Bild zeigen. Es wird spannend, wie sich all dies auf die Partei insgesamt auswirkt. Ich halte nach wie vor alles für möglich - die Etablierung als eine ernsthafte nationalkonservative Partei, das Abrutschen in den Rechtsextremismus, das Untergehen aufgrund der eigenen Unfähigkeit - es gibt viele Möglichkeiten. Bisher ist noch jede Partei rechts der CDU/CSU in Deutschland gescheitert, nicht zuletzt, weil die Abgrenzung zu den Radikalen nicht gelang und den Parteien ein Schmuddelimage nachhing.