Alexyessin hat geschrieben:(16 Mar 2018, 08:17)
Doch, die Ost-West Geschichte muss mit betrachtet werden um dieses Problem konkret anzufassen. Es bringt nichts in Sachsen zu sagen - aber in Bayern haben die auch 13 % bekommen. Fakt ist, das die AfD in Sachsen die stärkste Partei bei der BTW wurde. Und da hilft nur schonungslose Analyse und kein wegducken.
Ich bin nun wirklich am allerwenigsten jemand, der sich in irgendeiner Form wegduckt. Das weißt du auch. Für mich ist Antifaschismus ein festverankertes und selbstverständliches Lebensprinzip. Daher empfinde ich es als sehr schmerzhaft, dass es gerade in Ostdeutschland so viele sind, die diesen Rechtspopulisten hinterherlaufen. Wir haben alle schon einmal erlebt (über Eltern und Großeltern), wo das hinführen kann. Und ich mache mir große Sorgen, dass gerade viele Menschen aus der so genannten "bürgerlichen Mitte" der Gesellschaft - und das natürlich in Ost
und West - den Rechtsruck mit seinem wachsenden Nationalismus und seiner Fremdenfeindlichkeit eher bagatellisieren, als ihn wirklich ernstzunehmen und ihm etwas Wirksames entgegenzusetzen. Und obwohl ich es hier schon häufig beschrieben habe, was ich für die Gründe halte, warum im Osten der Zuspruch zur AfD so stark ist, versuche ich es noch einmal. Das ist aber nur meine ganz unmaßgebliche persönliche Meinung; ich bin weder Politologin noch anderweitig beruflich mit der Materie befasst. Ich schaue nur genau hin, was um mich rum passiert:
Vorbemerkung: Meines Erachtens gibt es nicht die
eine Ursache, sondern ein ganzes Ursachengeflecht:
Erstens: Viele Ostdeutsche haben zur Wende erfahren, was es bedeutet, mit eigener Kraft ein System umzuwälzen, Regierende abzulösen, eine alles beherrschende "Diktatur des Proletariats" abzuschütteln und einen demokratischen Weg einzuschlagen. Sie waren wer in der Wendenzeit, standen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, wurden als "Revolutionäre" bezeichnet. In den Jahren danach bröckelte diese Kraft, diese Bedeutsamkeit und Ausstrahlung immer mehr. Schließlich war es dann soweit: Kein Hahn krähte mehr nach ihnen, ihre "geschichtliche Leistung" wurde zur Selbstverständlichkeit, ja zur Nebensächlichkeit. Das zeigte sich auch darin, dass ihre Biografien nichts mehr wert waren in den Augen vieler Politiker und vieler Westdeutscher. Sie wurden nur dann mal beachtet, wenn es um die Erwähnung ihrer Wenden-Taten ging, aber nie als ganze Menschen, die ein Gesamtleben führen und führten: Vor, während und nach der Wende. Und dieses Leben hatte aufgrund der geschichtlichen Ereignisse viele gravierende Brüche. Das, was die meisten zur Wendenzeit leisten und aushalten mussten, ist einmalig und mit nichts zu vergleichen: Das Gesellschaftssystem hatte sich komplett geändert, es kamen neue Gesetze, neue Regeln, neue Umstände, alles, aber auch alles war anders. Der Arbeitsplatz war nicht mehr sicher und brach schließlich ganz weg.
Hinzu kommt (und das halte ich für einen wesentlichen Punkt): Ihre kurze, aber starke Erfahrung der Mitbestimmung, des Mitregierens und Mitgestaltens der Politik, die sie logischerweise während der Wende auf beindruckende Weise machten, galt später nichts mehr. Alles ging seinen Lauf, niemand fragte mehr "wie seht ihr die Entwicklung, ihr Ossis? Wie fühlt ihr euch? Was wollt ihr ändern? Was muss anders werden?" Ihre Stimme war einfach nicht mehr gefragt. Sie spürten: Wir können hier auf- und niederspringen, es ist egal, es interessiert "da oben" sowieso keinen. Das ist sozusagen eine Art traumatische Demokratie-Erfahrung. Erst hui, dann pfui.
Zweitens: Die nach wie vor noch gravierenden Unterschiede der Lebensverhältnisse in Ost und West. Das zeigt sich auf vielen Gebieten, zum Beispiel niedrigere Löhne und Gehälter bei ähnlichen Preisen wie im Westen (wegen der niedrigeren Produktivität, aber auch wegen der weniger starken Tarifbindung der Unternehmen), niedrigere Renten, größerer Anteil an Arbeitslosigkeit, mehr Hartz-vier-Bezieher, mehr prekäre Arbeit mit Aufstockerei, mehr Kinder- und Altersarmut, mehr Unsicherheit in Handwerk und Gewerbe wegen schlechter Zahlungsmoral der Kundschaft (die selbst auch bereits am Limit rumkraucht). Der bescheidene Wohlstand, den sich einige nach der Wende aufgebaut haben, gilt vielen als hochgradig gefährdet, daher sehen diese Leute alle als Feinde an, die von außen kommen und ihnen etwas wegnehmen könnten. Stichwort: Sündenbockpolitik.
Drittens: Warum ist der Rechtsruck und die Affinität zur AfD in Sachsen besonders stark? Hier hat die jahrzehntelange Alleinherrschaft der CDU das Ihrige getan. Alle immer latent vorhandenen rechten Erscheinungen wurden stets heruntergespielt, nicht ernst genommen und nicht entschieden genug bekämpft. Im Gegenteil, einige von der CDU setzten sich mit Pegida zusammen und trafen mit denen seltsame Übereinkünfte, bei denen sogar Geld geflossen sein soll, damit man sich mal montags nicht mehr in der sächsischen Perle, inmitten von Dresden, auf diese Krawall-Tour bewegt. Hat nix geholfen. Das Kuriose: Sachsen hatte immer nur einen etwa zwei Prozent starken Ausländeranteil (heute sind es durch die Flüchtlinge ein kleines bisschen mehr, aber nicht gravierend mehr). Und trotzdem wurde dort immer schon am meisten gegen Ausländer gewettert. Nach der Wende ganz laut und offensiv, vor der Wende eher im Stillen, eher unauffällig. Das gilt im Übrigen für alle neuen Bundesländer. Denn Fremdenfeindlichkeit gab es natürlich auch in der DDR. Ich weiß nicht genau, wie die Menschen in der alten BRD damals mit den türkischen und italienischen Gastarbeitern umgegangen sind, denn auch da wird es neben viel Freude sicher auch so manche Fremdenfeindlichkeit gegeben haben, denke ich mal. Aber hier im Osten war es schon so, dass die sozialistischen Vertragsarbeiter aus Kuba, Vietnam und aus afrikanischen Staaten und auch die Soldaten der Sowjetarmee oft angefeindet worden sind. Hab ich selbst erlebt. Das kam also vor, wurde aber durch Polizei und Stasi engmaschig kontrolliert und kleingehalten. Die "Russen" und die "Fidschis" war oft abfällig zu hören. Ich denke mal, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung im Osten auch schon vor der Wende latent fremdenfeindlich waren. Das wird aber im Westen ebenfalls so gewesen sein.
Dass das in Sachsen dann nach der Wende auf so besonders fruchtbaren Boden fiel, hat wie gesagt viel damit zu tun, dass die Regierenden dort immer auf dem rechten Auge blind waren. Da wurde bagatellisiert, was das Zeug hält. Und da ist der Boden halt schnell bereitet für so etwas wie Pegida, den Vorläufer der AfD. Die Anhänger wussten immer schon "uns passiert hier nicht viel, da können wir schalten und walten, wie wir wollen". Das sächsische Leipzig war da eine wohltuende Ausnahme, was auch mit dem tollen SPD-Bürgermeister Jung (mal ein wirklich positiver West-Import
) zusammenhängt. Der stand immer mit in der ersten Reihe, wenn die zahlreichen Gegendemos gegen Legida organisiert wurden, und unterstützte die Demokraten bei ihren vielfältigen Anti-Legida-Aktionen. So konnte sich dieses rechtspopulistische Bündnis dort nicht so rasant ausbreiten. Und auch die AfD-Zahlen sind somit in einzelnen Leipziger Gebieten nicht ganz so groß wie anderswo.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz