Ist unsere Demokratie in Gefahr?

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Keoma
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Keoma »

Es ist jedenfalls naiv, zu glauben, dass ein von Menschen geschaffenes Gesetzeswerk nicht auch durch Menschen abgeschafft werden kann.
Der Gescheitere gibt nach!
Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.

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Europa2050
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

MäckIntaier hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:24)

Dann ist der Artikel 146 GG also eine Leerformel, oder welchen Sinn soll er dann nach Ihrer Meinung haben? Historisch gesehen nannte man das GG nicht Verfassung, weil man damit bis zur Wiedervereinigung warten wollte. Und wenn Sie sich noch erinnern können an die Wiedervereinigung, gab es damals durchaus Ansichten, die das GG nicht übernehmen wollten, sondern diese neue Verfassung anstelle des als Interimslösung gedachten GG haben wollten. Also, falls Sie Informationen über Sinn und Zweck des Artikel 146 haben, wäre ich interessiert, wie das gesehen wird.

Es ist wichtig, über tagespolitische Dinge hinauszudenken. Könnten diejenigen, für die das GG gilt, also das deutsche Volk, wie nachzulesen im GG, dieses nicht auch durch eine neue Verfassung ersetzen, worin fände die Verfassung denn ihren Bezug? In Gott? In der Natur?
Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.

Wo bei ich mich wiederhole - auch eine Verfassung ist ein Stück Papier, wenn die Bürger nicht mehr dahinter stehen. Etwas ausschließlicher Formulierungen als der 146 GG können den Prozess bestenfalls offensichtlicher machen und vielleicht verlangsamen.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Senexx »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:34)

Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.
Es gab überhaupt keine Veranlassung, das GG zu ersetzen. Es hatte sich in 41 Jahren bewährt und bewährt sich noch heute.
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Europa2050
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

Senexx hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:39)

Es gab überhaupt keine Veranlassung, das GG zu ersetzen. Es hatte sich in 41 Jahren bewährt und bewährt sich noch heute.
Das ist überhaupt keine Frage, aber es war als Provisorium für die BRD 1949 gedacht, und das Provisorium BRD hat 1990 seine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen.

Natürlich hätte eine neue Verfassung nahezu wortgleich sein können.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Senexx »

Das war historisch. Durch die gelebte Praxis hat sich das alles verändert und es bestand keine Notwendigkeit, etwas Bewährtes zu ersetzen.
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Selina
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Selina »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:34)

Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.

Wo bei ich mich wiederhole - auch eine Verfassung ist ein Stück Papier, wenn die Bürger nicht mehr dahinter stehen. Etwas ausschließlicher Formulierungen als der 146 GG können den Prozess bestenfalls offensichtlicher machen und vielleicht verlangsamen.
Richtig. Das war einer der grundlegenden Fehler der Wiedervereinigung. Mit dem Beibehalten des Grundgesetzes, statt sich eine neue gemeinsame deutsche Verfassung zu geben, entstand der Eindruck bei etlichen Ostdeutschen, die Vereinigung sei eine Art Annexion. Es gab trotzdem eine Mehrheit für den Beitritt ohne neue Verfassung, weil man vor allem keine Zeit verlieren wollte, um zügig an die D-Mark zu gelangen. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Betrachter »

Senexx hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:39)

Es gab überhaupt keine Veranlassung, das GG zu ersetzen. Es hatte sich in 41 Jahren bewährt und bewährt sich noch heute.
Wenn es sich so bewährte, warum wurde es bis heute mehr als hundertmal geändert?
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Bleibtreu »

Spam entsorgt - Nachdem der Strang seit gestern Nachmittag endlich zu einer guten Diskussion fand, mussten heute Morgen wieder die Spamer zum Schreddern anruecken - bleibt beim StrangThema und stellt persoenliche Hakereien ein!
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
https://www.shabak.gov.il/english/Pages/index.html#=1
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:55)

Das ist überhaupt keine Frage, aber es war als Provisorium für die BRD 1949 gedacht, und das Provisorium BRD hat 1990 seine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen.

Natürlich hätte eine neue Verfassung nahezu wortgleich sein können.
Man hätte mindestens das, was die erste GroKo versucht und nur ungenügend getan hatte, in einem großen Wurf tun können, nämlich den Föderalismus angesichts der neuen Wirklichkeit neu justieren können. Und es wäre eben ein feiner Legitimationsakt gewesen, hätte das wiedervereinigte Volk dann wirklich über seine Verfassung abstimmen dürfen. Ob die entsprechenden Köpfe zur Ausarbeitung nach vernünftigen Kriterien bestimmt worden wären, darf dabei natürlich bezweifelt werden, und dass eine neue Verfassung wieder vom tiefen Misstrauen gegenüber denjenigen, für die die Verfassung gelten soll, getragen worden wäre, scheint auch sicher.

Doch fürs Thema ist das eher hypothetisch. Wichtiger bei der Frage der Gefährdung der Globalisierung wäre der Hinweis, den Dark Angel gab, wie weit supranationale Organisationen die Demokratie in diesem Lande unterhöhlen oder fördern.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Realist2014 »

Betrachter hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:06)

Wenn es sich so bewährte, warum wurde es bis heute mehr als hundertmal geändert?

an den wesentlichen Grundsätzen wurde gar nichts verändert

logischerweise auch nicht an Artikel 14
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Realist2014 »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:04)

. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
auch eine "neue Verfassung" hätte keinesfalls auch nur den "Hauch" dessen beinhaltet, was du und die Linkspartei gerne HÄTTEN
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Ammianus
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Ammianus »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:04)

Richtig. Das war einer der grundlegenden Fehler der Wiedervereinigung. Mit dem Beibehalten des Grundgesetzes, statt sich eine neue gemeinsame deutsche Verfassung zu geben, entstand der Eindruck bei etlichen Ostdeutschen, die Vereinigung sei eine Art Annexion. Es gab trotzdem eine Mehrheit für den Beitritt ohne neue Verfassung, weil man vor allem keine Zeit verlieren wollte, um zügig an die D-Mark zu gelangen. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
Die Jammerossis hätten auch dann geklagt. Natürlich wäre den Politspinnern teilweise etwas Wind aus den Segeln genommen. Aber im Unsinn sind die kreativ und es wäre ihnen garantiert neuer Quatsch eingefallen.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
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Ammianus
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Ammianus »

Betrachter hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:06)

Wenn es sich so bewährte, warum wurde es bis heute mehr als hundertmal geändert?
Das nennt man Leben. Gerade darin bewährt sich eine Verfassung als von Menschen gemachte Sache, dass sie eben auch gesellschaftlichen Evolutionen unterliegt. Nichts ist perfekt und im Gebrauch zeigen sich dann Schwachstellen an denen gearbeitet werden muss und wird.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von KarlRanseier »

https://www.stern.de/politik/deutschlan ... 28500.html

In Sachsen wird es langsam spannend. Die Neonazis, die man freundlichst züchtete und schützte, bekommt man nun offenbar gar nicht mehr in den Griff.

Witzig ist, dass die "Demonstranten" die Ansagen der Polizei ignoriert haben. Warum auch nicht, sie konnten schließlich davon ausgehen, dass ihre Freunde und Helfer sie zumindest in Ruhe lassen würden.

Ganze vier Anzeigen werden im Zusammenhang mit der Hetzjagd der Nazis bearbeitet, vermutlich gegen Migranten, die weggerannt sind, anstatt sich, wie es sich gehört, zünftig verprügeln zu lassen. Oder gegen Migranten, die die Nazis beleidigt haben...

Die Demonstranten wollten zeigen, wem die Stadt gehört. Dabei ist es weitgehend bekannt, in wessen Händen sich Chemnitz, Zwickau, Bautzen, Dresden, Pirna und z.T. Leipzig befinden.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

Ammianus hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:02)

Die Jammerossis hätten auch dann geklagt. Natürlich wäre den Politspinnern teilweise etwas Wind aus den Segeln genommen. Aber im Unsinn sind die kreativ und es wäre ihnen garantiert neuer Quatsch eingefallen.
Schaut man sich mal an, WO der Ossi-Aufstand am größten ist, dann landet man vor allem in Sachsen. In Sachsen hat man schon seit dem Alten Fritz große Vorbehalte gegen Berliner Regierungen. Das galt für das Kaiserreich, das galt für die Weimarer Republik, das galt für die DDR und das gilt auch heute noch. Man fühlt sich in Sachsen von den "Preußen" fremdbestimmt und gegängelt - auch wenn das so heute nicht mehr stimmt. Aber es sitzt halt tief in den Köpfen.
Und man darf ja nicht vergessen: die DDR stand in königlich-preußischer Tradition - auch wenn das die Parteioberen und Staatsratvorsitzenden immer vehement bestritten haben. Aber es war nun einmal so, dass das Land straff von Berlin aus geführt wurde. Die höheren und hohen Ämter waren nur einer bestimmten Elite (in Preußen dem Adel, in der DDR der Partei-Nomenklatura) vorbehalten. Das politische System war von Kaderparteien geprägt - man konnte zwar wählen, aber die Wahlen waren erst dann gültig, wenn der gewählte Kandidat von der Staats- und Parteispitze genehmigt bzw. "bestätigt" war. Wichtige politische und administrative Entscheidungen wurden sowohl im Königreich Preußen, als auch in der DDR von irgendwelchen Klüngels im stillen Kämmerlein ausgebrütet und nach Gutsherrenart entschieden. Diese Klüngel waren jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen.
In Sachsen hat man auch zu DDR-Zeiten immer das nicht ganz unberechtigte Gefühl gehabt, von Berlin aus fremdbestimmt zu werden. Und da hatte man ja in der Sache nicht ganz unrecht. In der Weimarer Zeit gab es die Reichsexektive, heute gibt es den Bundeszwang.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von schokoschendrezki »

MäckIntaier hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:28)
Man hätte mindestens das, was die erste GroKo versucht und nur ungenügend getan hatte, in einem großen Wurf tun können, nämlich den Föderalismus angesichts der neuen Wirklichkeit neu justieren können.
Allerdings.
Schluss mit der Kleinstaaterei im Schulwesen! Deutschland leistet sich 16 verschiedene Bildungssysteme. Das ist weder effizient noch zeitgemäß - und muss aufhören.
Einer von sehr vielen jüngeren Presse-Artikeln zum Thema Föderalismus und "Kooperationsverbot". (Allein dieser Begriff "Kooperationsverbot" ist doch demokratiemäßig eigentlich ein Absurdum, oder?") Das betrifft aber nicht nur eine vorzunehmende "Feinjustierung" sondern doch eher eine grundsätzliche Neuausrichtung.
Doch fürs Thema ist das eher hypothetisch. Wichtiger bei der Frage der Gefährdung der Globalisierung wäre der Hinweis, den Dark Angel gab, wie weit supranationale Organisationen die Demokratie in diesem Lande unterhöhlen oder fördern.
Dabei müssen aber endlich die mehr und mehr eigentlich mächtigen "supranationalen Organisationen" in den Fokus gerückt werden: Große internationale Unternehmen. Facebook, Cambridge Analytica, die Wahlen in den USA ... das war womöglich nur ein "Vorgeschmack".
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von JJazzGold »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:34)

Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.

Wo bei ich mich wiederhole - auch eine Verfassung ist ein Stück Papier, wenn die Bürger nicht mehr dahinter stehen. Etwas ausschließlicher Formulierungen als der 146 GG können den Prozess bestenfalls offensichtlicher machen und vielleicht verlangsamen.
Cui bono?

Welchen Sinn, welche Auswirkung, hätte es gehabt, nach der Wiedervereinigung statt GG Verfassung über das Regelwerk zu schreiben? Davon, wie du, ausgehend, dass der Inhalt bis ggfls. auf marginale Veränderungen unverändert geblieben wäre.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

KarlRanseier hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:12)

https://www.stern.de/politik/deutschlan ... 28500.html

In Sachsen wird es langsam spannend. Die Neonazis, die man freundlichst züchtete und schützte, bekommt man nun offenbar gar nicht mehr in den Griff.

Witzig ist, dass die "Demonstranten" die Ansagen der Polizei ignoriert haben. Warum auch nicht, sie konnten schließlich davon ausgehen, dass ihre Freunde und Helfer sie zumindest in Ruhe lassen würden.

Ganze vier Anzeigen werden im Zusammenhang mit der Hetzjagd der Nazis bearbeitet, vermutlich gegen Migranten, die weggerannt sind, anstatt sich, wie es sich gehört, zünftig verprügeln zu lassen. Oder gegen Migranten, die die Nazis beleidigt haben...

Die Demonstranten wollten zeigen, wem die Stadt gehört. Dabei ist es weitgehend bekannt, in wessen Händen sich Chemnitz, Zwickau, Bautzen, Dresden, Pirna und z.T. Leipzig befinden.

In der Sachsen-CDU glaubt man immer noch, diese Leute irgendwie "einfangen" zu können. Und die andere Seite droht bzw. träumt ja schon seit Jahren vom "Bürgerkrieg".

Dabei haben die Herren anscheinend richtig dämlich gehandelt. Sie wollten - vermutlich kräftig alkoholisiert - das Recht in die eigene Hand nehmen und mal "Polizei" spielen. Dabei sind sie dann in ihrer Großmannssucht an die Falschen geraten. Ich meine, Laien sollten nie Polizei spielen - erst recht nicht, wenn sie besoffen sind.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:14)
Schaut man sich mal an, WO der Ossi-Aufstand am größten ist, dann landet man vor allem in Sachsen. In Sachsen hat man schon seit dem Alten Fritz große Vorbehalte gegen Berliner Regierungen. Das galt für das Kaiserreich, das galt für die Weimarer Republik, das galt für die DDR und das gilt auch heute noch. Man fühlt sich in Sachsen von den "Preußen" fremdbestimmt und gegängelt - auch wenn das so heute nicht mehr stimmt. Aber es sitzt halt tief in den Köpfen.
Also erstmal ist Sachsen eben nun mal der Teil der Ex-DDR mit der größten Bevölkerungs-, Industrie-, Städte-Dichte usw.
Es gibt auch eine andere Sicht auf Sachsen: SIe wären die ersten gewesen, die mit den Nazis konnten, die ersten, die mit den SED-Genossen konnten und die ersten, die mit der Bundesrepublik konnten. Also eher eine opportunistische Haltung. Die Ossi-Aufständischen in Sachsen wussten nach meinem Eindruck bereits ab Ende der 80er und noch zu DDR-Zeiten alle recht gut, dass die Tage der SED eigentlich gezählt sind,
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:04)

Richtig. Das war einer der grundlegenden Fehler der Wiedervereinigung. Mit dem Beibehalten des Grundgesetzes, statt sich eine neue gemeinsame deutsche Verfassung zu geben, entstand der Eindruck bei etlichen Ostdeutschen, die Vereinigung sei eine Art Annexion. Es gab trotzdem eine Mehrheit für den Beitritt ohne neue Verfassung, weil man vor allem keine Zeit verlieren wollte, um zügig an die D-Mark zu gelangen. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
Was da jetzt in Ostdeutschland läuft, ist in erster Linie ein Aufstand gegen Westdeutschland. Ich höre von Ostdeutschen der Generation Ü40 immer wieder den Ausspruch, wenn sie 1990 gewusst hätten...
Was man nicht berücksichtigt hat: es sind da zwei völlig unterschiedliche Mentalitäten aufeinander getroffen. Die Konflikte entladen sich immer an Entscheidungen. Viele - nicht alle - Ostdeutsche kennen nur die Begriffe "JA/NEIN" - "VERBOTEN/ERLAUBT". Sobald Entscheidungen getroffen werden müssen, die zwischen diesen Begriffen liegen, gibt es unendliche "Gerechtigkeits-Debatten", warum der eine etwas darf, der andere aber nicht etc.. Und da kommt es dann auch bei einigen ganz schnell zu zum Teil heftigen Wut-Reaktionen.
Ich würde mal sagen: die Wiedervereinigung von 1990 hat sich für viele Ostdeutsche als große Enttäuschung entpuppt.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

JJazzGold hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:17)

Cui bono?

Welchen Sinn, welche Auswirkung, hätte es gehabt, nach der Wiedervereinigung statt GG Verfassung über das Regelwerk zu schreiben? Davon, wie du, ausgehend, dass der Inhalt bis ggfls. auf marginale Veränderungen unverändert geblieben wäre.
Da hat der Logiker/ Formelmensch in mir zugeschlagen. Es wäre einfach der formell jedermann einleuchtende Abschluss des Provisoriums BRD (alt) gewesen.
Und es hätte der Grundliegenden Rechtsordnung Deutschlands eine höhere Wertigkeit gegeben, und damit etwas mehr Festigkeit in einer Identitätskrise, auf die wir ja irgendwie hinsteuern.

Faktisch - da bin ich bei Dir - hätte es keiner wesentlichen Veränderung benötigt, zumal die Wiedervereinigung per Beitritt ja auch im GG vorgesehen war.

Ich denke Kohls größte Angst war, dass die Westdeutschen einer Einigung nur mit mäßigem Ergebnis zustimmen und dadurch die vorhandenen Gräben noch tiefer werden. Auch nicht von der Hand zu weisen ...
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Selina
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Selina »

sünnerklaas hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:14)

Schaut man sich mal an, WO der Ossi-Aufstand am größten ist, dann landet man vor allem in Sachsen. In Sachsen hat man schon seit dem Alten Fritz große Vorbehalte gegen Berliner Regierungen. Das galt für das Kaiserreich, das galt für die Weimarer Republik, das galt für die DDR und das gilt auch heute noch. Man fühlt sich in Sachsen von den "Preußen" fremdbestimmt und gegängelt - auch wenn das so heute nicht mehr stimmt. Aber es sitzt halt tief in den Köpfen.
Und man darf ja nicht vergessen: die DDR stand in königlich-preußischer Tradition - auch wenn das die Parteioberen und Staatsratvorsitzenden immer vehement bestritten haben. Aber es war nun einmal so, dass das Land straff von Berlin aus geführt wurde. Die höheren und hohen Ämter waren nur einer bestimmten Elite (in Preußen dem Adel, in der DDR der Partei-Nomenklatura) vorbehalten. Das politische System war von Kaderparteien geprägt - man konnte zwar wählen, aber die Wahlen waren erst dann gültig, wenn der gewählte Kandidat von der Staats- und Parteispitze genehmigt bzw. "bestätigt" war. Wichtige politische und administrative Entscheidungen wurden sowohl im Königreich Preußen, als auch in der DDR von irgendwelchen Klüngels im stillen Kämmerlein ausgebrütet und nach Gutsherrenart entschieden. Diese Klüngel waren jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen.
In Sachsen hat man auch zu DDR-Zeiten immer das nicht ganz unberechtigte Gefühl gehabt, von Berlin aus fremdbestimmt zu werden. Und da hatte man ja in der Sache nicht ganz unrecht. In der Weimarer Zeit gab es die Reichsexektive, heute gibt es den Bundeszwang.
Ja. Wobei auch Gründe aus der Nachwendezeit hinzukommen, warum die Ostdeutschen besonders anfällig für die Neue Rechte (mit der AfD als Kern) sind und sie sich immer wieder selbst rechtspopulistisch artikulieren. Die AfD-Prozente sind in allen fünf Bundesländern ja besonders hoch. Warum? Da muss man wirklich bis 1989/90 zurückschauen. Im Osten gab es zunächst die großartigen Erfahrungen, mit den Füßen abstimmen zu können und auf friedlichem Wege eine Diktatur abschütteln zu können. Das sind einmalige Erfahrungen, wichtig auch für Gesamtdeutschland. In den Jahrzehnten nach der Wende erfuhren dieselben Leute, die einen ungeliebten Staat praktisch hinweggefegt hatten aus eigener Kraft, dass ihre Stimme plötzlich nichts mehr wert war. Kein Hahn krähte mehr nach den kämpferischen Ostdeutschen, sie spielten keine Geige mehr. "Die da oben" interessierten sich nicht für ihre Belange. Das hat sie in ihrem gerade erst erworbenen Empfinden, selbstbewusst in die Politik eingreifen zu müssen und zu können, wieder arg zurückgeworfen. Mal von krassen wirtschaftlichen Nachwende-Veränderungen abgesehen, die ebenfalls negativ wirkten. Und mal abgesehen von rechtsradikalem Denken, dass es hüben und drüben schon immer gab und gibt.
Zuletzt geändert von Selina am Mo 27. Aug 2018, 10:46, insgesamt 3-mal geändert.
Tomaner
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Tomaner »

Realist2014 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:58)

auch eine "neue Verfassung" hätte keinesfalls auch nur den "Hauch" dessen beinhaltet, was du und die Linkspartei gerne HÄTTEN
Die Linkspartei will GG nicht verändern. https://www.linksfraktion.de/themen/a-z ... undgesetz/
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:36)

Im Osten gab es zunächst die großartigen Erfahrungen, mit den Füßen abstimmen zu können und auf friedlichem Wege eine Diktatur abschütteln zu können.
Das ist übrigens ein sehr interessanter Aspekt: heute wird gerne mal "1989" beschworen. Nur sind die, die hinter den Parolen herlaufen, keine Leute, die mit den Füßen abstimmen. Das sind nach meinen Beobachtungen sehr oft Leute, die schon in für sie besseren Zeiten große Ängste ausstanden, wenn sie in die Kreisstadt mussten. Das sind Leute, die sich nicht weg trauen. Es zieht sich ein Wort durch deren Pöbeleien und Schimpfereien - das Wort "beschützt".
Auf dieser Welle reiten dann geschickt einige Leute mit eher zwielichtigen Ambitionen. Da spielt sich zum Beispiel die Störchin quasi als Anwältin der Ostdeutschen auf. Der geht es aber nicht um Ostdeutschland, sie will den nach 1945 enteigneten Grund und Boden ihrer Familie wiederhaben. Und zwar ohne dass sie etwas dafür zahlen muss.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:36)

Ja. Wobei auch Gründe aus der Nachwendezeit hinzukommen, warum die Ostdeutschen besonders anfällig für die Neue Rechte (mit der AfD als Kern) sind und sie sich immer wieder selbst rechtspopulistisch artikulieren. Die AfD-Prozente sind in allen fünf Bundesländern ja besonders hoch. Warum? Da muss man wirklich bis 1989/90 zurückschauen. Im Osten gab es zunächst die großartigen Erfahrungen, mit den Füßen abstimmen zu können und auf friedlichem Wege eine Diktatur abschütteln zu können. Das sind einmalige Erfahrungen, wichtig auch für Gesamtdeutschland. In den Jahrzehnten nach der Wende erfuhren dieselben Leute, die einen ungeliebten Staat praktisch hinweggefegt hatten aus eigener Kraft, dass ihre Stimme plötzlich nichts mehr wert war. Kein Hahn krähte mehr nach den kämpferischen Ostdeutschen, sie spielten keine Geige mehr. "Die da oben" interessierten sich nicht für ihre Belange. Das hat sie in ihrem gerade erst erworbenen Empfinden, selbstbewusst in die Politik eingreifen zu müssen und zu können, wieder arg zurückgeworfen. Mal von krassen wirtschaftlichen Nachwende-Veränderungen abgesehen, die ebenfalls negativ wirkten.
Mindestens ebenso wichtig für eine Erklärung der AfD-Erfolge ist aus meiner Sicht der Käseglocken-Charakter der DDR und ganz besonders Sachsens. Auch im westlichen Teil Deutschlands gabs ja dieses Nachkriegsbedürfnis nach Ruhe, Friede, Freude, Eierkuchen, Einfamilienhaus, Lebensversicherung. Aber - glaube ich jedenfalls - das wurde ab vielleicht Anfang der 70er zunehmend von internationalen Einflüssen überlagert. Die große Welt zog in ganz anderem Ausmaß in die kleine Welt der Westdeutschen ein als im Osten Deutschlands. Bzw. und genauer müsste man eigentlich sagen: Sie zog dort auch ohne Eigeninitiative und ungefragt ein. Es ist keineswegs so, dass Provinzialität für einen Menschen in der DDR unabwendbares Schicksal war.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Bleibtreu »

Erneuten schlimmsten Spam entsorgt - Ihr driftet schon wieder zuweit vom Thema ab. Zur Erinnerung der EingangsBeitrag:
Tom Bombadil hat geschrieben:(02 Jun 2018, 15:31)

In letzter Zeit häufen sich die Meldungen, dass die Bürger mal wieder das Vertrauen in eine Institution verloren haben.

Beispiel Politik: https://de.statista.com/statistik/daten ... -parteien/ Nur noch 33% vertrauen den politischen Parteien. Noch eine weitere Quelle: https://www.fes-mup.de/files/mup/pdf/Pr ... e_2016.pdf

Beispiel Rechtsstaat: https://www.t-online.de/nachrichten/deu ... assiv.html Hier vertrauen aber immerhin noch 55% den rechtsstaatlichen Institutionen, trotzdem ist das mMn. ein besorgniserregender Wert.

Beispiel "4. Gewalt": http://www.spiegel.de/spiegel/journalis ... 95175.html 71% haben nur noch (stark) eingeschränktes Vertrauen in die Medien.

Ich halte diese Entwicklung für sehr gefährlich, weil sie Extremisten Vorschub leistet, was die Demokratie weiter schwächt. Dazu kommen ja auch noch äußere Einflüsse, Autokraten allerorten, die sich - so hat es den Anschein - aller Fesseln entledigt haben und ohne große Probleme tun und lassen, was sie wollen (zB. Putin, Erdogan, Trump, Orban).

Was kann man gegen das schwindende Vertrauen der Bürger tun? Und wann ist ein "point of no return" erreicht, an dem die ganze Sache endgültig kippt? Oder ist das alles halb so wild, Wahlerfolge wie der der AfD nur temporär zu sehen?
Der Strang bleibt erst mal geschlossen - solange habt ihr Zeit darueber nachzudenken, ob ihr zum eigentlichen Thema etwas schreiben wollt! Ob ich ihn wieder oeffne, ueberlege ich mir noch.

[Hervorhebung im Zitat von mir]
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