Ist unsere Demokratie in Gefahr?

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Dark Angel
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Dark Angel »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 14:56)
Das BVG gehört zu diesem Prinzip dazu. Dass die Rechte des Individuums staatlicherseits nicht eingeschränkt werden, ist nur ein Teil dessen, was das BVG leistet. Es regelt durchaus auch die Beziehungen der Individuen untereinander, wenn es bestimmte Verfassungsgrundsätze interpretiert und fortschreibt. Und es ist der Volkssouveränität formal insofern entzogen, als es nicht gewählt ist und idealerweise auch dem Einfluss der staatlichen Organe entzogen sein sollte.
Nein - das Bundesverfassungsgericht regelt NICHT die "Beziehungen der Individuen untereinander", es entscheidet lediglich darüber, ob die, von Fachgerichten, getroffenen Entscheidungen verfassungskonform sind.

Und NEIN - das Bundesverfassungsgericht ist dem Souverän (den Volk) NICHT entzogen, weil die Richter beim Verfassungsgericht sehr wohl gewählt werden.
Das Bundesverfassungsgericht IST Teil der Judikative, IST somit Teil der Staatsgewalt.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Stoner

Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Realist2014 hat geschrieben:(26 Aug 2018, 15:05)

die beiden Punkte kann man aber nur im Einzelfall betrachten und bewerten

"Recht & Gesetze " ist keine Mathematik
Eben, können Sie bei mir weiter oben nachlesen.

Und nein, wenn es nur noch Einzelfälle gäbe, gäbe es keine Gesellschaft mehr. Denn Sie brauchen immer einen Bezugspunkt. Wenn der Gesetzgeber sich entschlösse, ein "Recht auf eine saubere, schadstoffreie Umwelt" einzuführen, kann sich dies nicht primär, sondern nur sekundär an den Eizelnen richten, nämlich an ihn als Mitglied eines Ganzen.
Stoner

Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Dark Angel hat geschrieben:(26 Aug 2018, 15:10)

Nein - das Bundesverfassungsgericht regelt NICHT die "Beziehungen der Individuen untereinander", es entscheidet lediglich darüber, ob die, von Fachgerichten, getroffenen Entscheidungen verfassungskonform sind.

Und NEIN - das Bundesverfassungsgericht ist dem Souverän (den Volk) NICHT entzogen, weil die Richter beim Verfassungsgericht sehr wohl gewählt werden.
Das Bundesverfassungsgericht IST Teil der Judikative, IST somit Teil der Staatsgewalt.
Vielleicht kommen wir noch einmal darauf zurück. Wichtiger wäre mir persönlich jetzt, erst einmal die beiden Punkte von Europa2050 weiterzuverfolgen.

Nachtrag: Wozu, wenn nicht zur Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander, ist Recht eigentlich da? Und darauf geht die Überlegung ja auch hin: Was kann bzw. muss in einer Demokratie alles geregelt werden? Das Antidiskriminierungsgesetz ist dafür ein gutes Beispiel, denn es regelt unter anderem auch, aus welchen Gründen Sie einen Bewerber ablehnen könnten und aus welchem nicht.
Eulenwoelfchen

Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Eulenwoelfchen »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 13:30)

Mit einer entsprechenden Mehrheit ließe sich das Grundgesetz ändern und über eine neue Verfassung abstimmen.
Das ist nicht möglich. Das GG kann nur in ganz bestimmten Passagen geändert werden, nicht aber in den wichtigsten
Paragraphen, mit denen es rechtsentgültig und nicht veränderbar festgelegt ist.

Sie müssten schon den auf dem GG fußenden demorkatischen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland via politischen Umsturz
abschaffen... um dann auf dieser Grundlage eine neue Verfassung und eine wie auch immer damit festgelegte
Staatsform neu zu installieren. Ob Sie dann über die entsprechende, neu zu schaffende Verfassung abstimmen lassen,
oder nur zum guten Schein nach aussen hin so tun, um einen bevorzugten rechtstotalitären oder sozialistisch-linken neuen Staat mit alter Betonkopfprägung
an die Stelle des alten, demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland, zu setzen, bleibt Ihnen bzw. den entsprechenden neuen Machthabern
überlassen, die den bestehenden Rechtsstaat usurpierten.

Insofern ist unsere Demokratie solange nicht in Gefahr, solange nicht gewaltsame Putsch- oder Umsturzversuche im Raum stehen oder drohen.
Selbst 70 % AfD können das bestehende Grundgesetz nicht aushebeln. Egal wieviele oder welche Gesetze man ändert, selbst mit 2/3 - Mehrheit.
Solange nicht in einem politischen Gewaltakt die Unabhängigkeit des Verfassungsgericht entsorgt wird, und damit die Prüfung von Gesetzgebung
auf Verfassungskonformität, sprich dem Einklang mit dem GG, kann das demokratische Rechtsstaatsprinzip auch durch
den Wählerwillen nicht in eine andere Staatsform "umgewählt" werden.

Natürlich gibt es dazwischen einige Hebelchen, die eine Demokratie und einen Rechtsstaat immer wieder an Belastungsgrenzen bringen, weil die
geistige Spaltung und der innere Frieden z.B. wie von der AfD in ihrer Rechtslastigkeit und nationalistisch-ausländerfeindlichen
Haltung betrieben, genau dem entegegenwirkt, was eine möglichst breite Konsensfindung und bestmögliche politische Kompromißlösungen
angeht. Lösungen, mit denen letztlich auch Minderheiten soweit wie irgend möglich zu Ihrem Recht kommen, und die große Mehrheit
auch. Wenn auch in Teilbereichen mit angesäuerten Gesichtern und Minen. Wie z.B. bei der Ehe für alle. Oder auch Fragen des Abtreibungsrechts.
Und ganz besonders der aktuellen Frage der Einwanderung, des Asylrechts und auch dem Kurs eines Landes, sich für offene, Mauern und Grenzen
niederreissende Lebensumgebungen einzusetzen. Oder sich lieber für eine Linie zu entscheiden, die alles was der Bauer nicht kennt, auch nicht frißt.
Ablehnt. Lieber im eigenen Saft der engstirnigen, national-egoistischen Sortenreinheit schwimmt, bis der Evolutionsarzt dräuende Volksdegeneration
anmahnt und dieserhalben schleunigst mit Genauffrischung von aussen zu beheben sei. Damit selbst das arisch-deutsche "Groß"hirn über seinen kleinen Tellerand hinauskriechen
und in den Kreis der normalen Menschheit und selbstverständlichen Menschlichkeit zurückkehren kann.

Nicht primus inter pares, sondern gleichrangig unter vielen. Aber sagen Sie das mal einem verstockten und durch wen oder was auch immer
verhunzten Würger (Abk. für Wutbürger). Abgesehen von den Demokratiefeinden auf der linken und rechten Seite, die die FDGO überzeugungsresistent sowieso
für eine Lügengeschichte zur Volksverdummung halten. Installiert von finsteren und unerfreulichen Mächten, die damit das Volk unterdrücken und ausbeuten,
oder das deutsche Volk zu "weissen Negern" umfärben wollen.
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Dark Angel
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Dark Angel »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 16:33)

Vielleicht kommen wir noch einmal darauf zurück. Wichtiger wäre mir persönlich jetzt, erst einmal die beiden Punkte von Europa2050 weiterzuverfolgen.

Nachtrag: Wozu, wenn nicht zur Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander, ist Recht eigentlich da? Und darauf geht die Überlegung ja auch hin: Was kann bzw. muss in einer Demokratie alles geregelt werden? Das Antidiskriminierungsgesetz ist dafür ein gutes Beispiel, denn es regelt unter anderem auch, aus welchen Gründen Sie einen Bewerber ablehnen könnten und aus welchem nicht.
Wobei du allerdings etwas Entscheidendes übersiehst, die beiden Aussagen von User Europa2050

"1. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte, es gibt keine rechtlich Privilegierten.
2. Diese Rechte besitzt der Mensch höchst individuell, und nicht eine Gruppe, Kollektiv, Volk o.ä."


beziehen sich auf Grund- und Menschenrechte, also Ausschlussrechte gegen den Staat.
Und dabei geht es eben nicht um die Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander, sondern um Rechte, die jeder Mensch aufgrund seines Menschseins hat. Diese Rechte können eben nur in einer Demokratie, in der das Individuum Vorrang vor dem Kollektiv hat, effektiv garantiert werden.
Jede Gesellschaftsform, die dem Kollektiv den Vorrang vor dem Individuum einräumt, wird individuelle Freiheitsrechte (Grundrechte) auf die eine oder andere Art einschränken.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(26 Aug 2018, 17:08)

Das ist nicht möglich. Das GG kann nur in ganz bestimmten Passagen geändert werden, nicht aber in den wichtigsten
Paragraphen, mit denen es rechtsentgültig und nicht veränderbar festgelegt ist.
Artikel 146 legt die Gültigkeit fest. Und es ist dort nachlesbar, dass es seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist, verliert. Die Christenheit oder der Islam mögen sich kein neues heiliges Buch geben können, aber das deutsche Volk könnte sich sich eine andere Verfassung geben. Die müsste keine Elemente aus den sog. Ewigkeitsartikeln enthalten. Diese sind nur innerhalb des GG nicht abschaffbar.

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(26 Aug 2018, 17:08)
Sie müssten schon den auf dem GG fußenden demorkatischen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland via politischen Umsturz
abschaffen... um dann auf dieser Grundlage eine neue Verfassung und eine wie auch immer damit festgelegte
Staatsform neu zu installieren.
Kommt darauf an, was man unter "politischer Umsturz" versteht. Wenn die NPD eine Zweidrittelmehrheit in freien Wahlen erhielte, wäre das m.E. ein politischer Umsturz, jedoch klar auf demokratischer Basis.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von SirToby »

Dark Angel hat geschrieben:(26 Aug 2018, 17:16)

Wobei du allerdings etwas Entscheidendes übersiehst, die beiden Aussagen von User Europa2050

"1. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte, es gibt keine rechtlich Privilegierten.
2. Diese Rechte besitzt der Mensch höchst individuell, und nicht eine Gruppe, Kollektiv, Volk o.ä."


beziehen sich auf Grund- und Menschenrechte, also Ausschlussrechte gegen den Staat.
Und dabei geht es eben nicht um die Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander, sondern um Rechte, die jeder Mensch aufgrund seines Menschseins hat. Diese Rechte können eben nur in einer Demokratie, in der das Individuum Vorrang vor dem Kollektiv hat, effektiv garantiert werden.
Jede Gesellschaftsform, die dem Kollektiv den Vorrang vor dem Individuum einräumt, wird individuelle Freiheitsrechte (Grundrechte) auf die eine oder andere Art einschränken.
Es lohnt sich diesen Satz nochmal Heraus zu heben, denn das entscheidet den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Realist2014 »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 18:55)

Artikel 146 legt die Gültigkeit fest. Und es ist dort nachlesbar, dass es seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung .

das "deutsche Volk" besteht aber weder aus "rechts außen"- noch aus "links außen"

daher wird es keine Verfassung geben, welche sich wesentlich von der heutigen unterscheidet

Frage:

möchtest DU wesentliche Änderungen?
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 16:33)

Vielleicht kommen wir noch einmal darauf zurück. Wichtiger wäre mir persönlich jetzt, erst einmal die beiden Punkte von Europa2050 weiterzuverfolgen.

Nachtrag: Wozu, wenn nicht zur Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander, ist Recht eigentlich da? Und darauf geht die Überlegung ja auch hin: Was kann bzw. muss in einer Demokratie alles geregelt werden? Das Antidiskriminierungsgesetz ist dafür ein gutes Beispiel, denn es regelt unter anderem auch, aus welchen Gründen Sie einen Bewerber ablehnen könnten und aus welchem nicht.
Es freut mich erstmal gewaltig, mit den zwei Thesen eine derart hochwertige Diskussion angestoßen zu haben. Dafür Dir und den anderen Mitstreitern vielen Dank :thumbup:

Dann greif ich auch mal wieder ein.

Prinzipiell sehe ich Demokratie (oder Autokratie) schon als Beschreibung des Verhältnisses der Bürger zu staatlichen Organen, bis hin zur Staatsführung an. Schon allein, weil sie eben auch Machtfragen regelt und das Machtgefälle zwischen Staat und Bürger (gezwungenermaßen und in jeder Ordnung) größer ist als zwischen denBürgern.
Allerdings hast Du natürlich recht, dass der Umgang des Staates mit seinen Bürgern und der staatlich geregelte Umgang der Bürger untereinander korrespondieren.
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Dark Angel
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Dark Angel »

Europa2050 hat geschrieben:(26 Aug 2018, 19:13)

Es freut mich erstmal gewaltig, mit den zwei Thesen eine derart hochwertige Diskussion angestoßen zu haben. Dafür Dir und den anderen Mitstreitern vielen Dank :thumbup:

Dann greif ich auch mal wieder ein.

Prinzipiell sehe ich Demokratie (oder Autokratie) schon als Beschreibung des Verhältnisses der Bürger zu staatlichen Organen, bis hin zur Staatsführung an. Schon allein, weil sie eben auch Machtfragen regelt und das Machtgefälle zwischen Staat und Bürger (gezwungenermaßen und in jeder Ordnung) größer ist als zwischen denBürgern.
Allerdings hast Du natürlich recht, dass der Umgang des Staates mit seinen Bürgern und der staatlich geregelte Umgang der Bürger untereinander korrespondieren.
Zwischen einer Demokratie und Autokratie gibt es noch eine ganze Reihe Herrschaftsformen, in denen individuelle Rechte eingeschränkt werden/sind.
Autokratie bedeutet Selbstherrschaft einer Einzelperson oder Personengruppe, d.h. diese Person oder Personengruppe unterliegt keinerlei Kontrolle bei der Ausübung ihrer politischen Macht und sie unterliegt auch keinerlei verfassungsmäßigen Beschränkungen. In einer solchen Herrschaftsform gäbe es nicht nur keine Verfassung, es gäbe auch keinerlei Rechtssystem.
Der oder die Autokrat(en) könnten nach Belieben Gesetze erlassen oder auch kassieren. Für die Bürger einer solchen Herrschaftsform gäbe es keinerlei Rechtssicherheit.

Nun - so weit werden selbst rechte oder linke politische Gruppierungen/Parteien nicht gehen. Sie werden eher die Demokratie durch eine Diktatur ersetzen und individuelle Freiheitsrechte einschränken, indem sie die Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv fordern bzw erzwingen.
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Vongole
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Vongole »

Dark Angel hat geschrieben:(26 Aug 2018, 19:45)

Zwischen einer Demokratie und Autokratie gibt es noch eine ganze Reihe Herrschaftsformen, in denen individuelle Rechte eingeschränkt werden/sind.
Autokratie bedeutet Selbstherrschaft einer Einzelperson oder Personengruppe, d.h. diese Person oder Personengruppe unterliegt keinerlei Kontrolle bei der Ausübung ihrer politischen Macht und sie unterliegt auch keinerlei verfassungsmäßigen Beschränkungen. In einer solchen Herrschaftsform gäbe es nicht nur keine Verfassung, es gäbe auch keinerlei Rechtssystem.
Der oder die Autokrat(en) könnten nach Belieben Gesetze erlassen oder auch kassieren. Für die Bürger einer solchen Herrschaftsform gäbe es keinerlei Rechtssicherheit.

Nun - so weit werden selbst rechte oder linke politische Gruppierungen/Parteien nicht gehen. Sie werden eher die Demokratie durch eine Diktatur ersetzen und individuelle Freiheitsrechte einschränken, indem sie die Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv fordern bzw erzwingen.
Nicht so weit?
Nur damit ich das richtig verstehe, du denkst, dass es in einer Diktatur irgendeine Rechtssicherheit für die Bürger gäbe?
Welche Diktatur kennst du, wo die handelnden Personen irgendeiner Kontrolle unterliegen?
Mir fällt da gerade Poppers Definition zum Unterschied zur Demokratie ein:
Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist. Darauf kommt es an, nicht aber darauf, wie man diese Staatsform benennt. Gewöhnlich nennt man die erste Form ‚Demokratie‘ und die zweite Form ‚Diktatur‘ oder ‚Tyrannei‘.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Dark Angel »

Vongole hat geschrieben:(26 Aug 2018, 20:04)

Nicht so weit?
Nur damit ich das richtig verstehe, du denkst, dass es in einer Diktatur irgendeine Rechtssicherheit für die Bürger gäbe?
Welche Diktatur kennst du, wo die handelnden Personen irgendeiner Kontrolle unterliegen?
Mir fällt da gerade Poppers Definition zum Unterschied zur Demokratie ein:
Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist. Darauf kommt es an, nicht aber darauf, wie man diese Staatsform benennt. Gewöhnlich nennt man die erste Form ‚Demokratie‘ und die zweite Form ‚Diktatur‘ oder ‚Tyrannei‘.
Du beziehst dich auf Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", darin beschreibt Popper die Demokratie (Herrschaftsform, nicht Staatsform) als die beste mögliche Herrschaftsform, erwähnt aber auch, dass diese Herrschaftsform immer auch den Keim für ihren "Untergang" in sich trägt.
Und ja - auch eine Diktatur kann Rechtssicherheit für Bürger gewährleisten und eine Verfassung haben.
Während in einer Diktatur die Person oder Personengruppe weitestgehend unumschränkte politische Macht ausüben, während in einer Autokratie die Person oder Personengruppe, die politische Macht vollständig unkontrolliert ausübt.

Zugegeben, die Grenzen zwischen Diktatur und Autokratie sind fließend, Unterschiede bestehen dennoch.

Die Tyrannis = Gewaltherrschaft/Willkürherrschaft ist wieder etwas anderes. Sie stellt eine Herrschaftsform dar, die sich auf die Zeit der Antike beschränkt. In der Staatstheorie stellt die Tyrannis eine Herrschaftsform dar, die die Grundlage/Voraussetzung für die Entwicklung eines institutionalisierten (Staats)Gefüges darstellt.
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Stoner

Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Europa2050 hat geschrieben:(26 Aug 2018, 19:13)

Es freut mich erstmal gewaltig, mit den zwei Thesen eine derart hochwertige Diskussion angestoßen zu haben. Dafür Dir und den anderen Mitstreitern vielen Dank :thumbup:

Dann greif ich auch mal wieder ein.

Prinzipiell sehe ich Demokratie (oder Autokratie) schon als Beschreibung des Verhältnisses der Bürger zu staatlichen Organen, bis hin zur Staatsführung an. Schon allein, weil sie eben auch Machtfragen regelt und das Machtgefälle zwischen Staat und Bürger (gezwungenermaßen und in jeder Ordnung) größer ist als zwischen denBürgern.
Allerdings hast Du natürlich recht, dass der Umgang des Staates mit seinen Bürgern und der staatlich geregelte Umgang der Bürger untereinander korrespondieren.
Auf jeden Fall einverstanden, dass das Verhältnis der Bürger zu den staatlichen Organen ein wichtiger Gesichtspunkt ist - vermutlich derjenige, den der klassische Liberalismus primär im Auge hat, weshalb für diese Richtung "der Staat" auch immer unter Verdacht steht wie umgekehrt beim Kommunismus der Einzelne an sich und beim Faschismus der Einzelne aufgrund irgendeiner angeblich grundsätzlichen anderen "Qualität". Dieses Verhältnis im Liberalismus ist m.E. das der Abwehrrechte oder der negativen Freiheit. Insofern und mit dem von Dark Angel genannten Bezug kann man Ihren Thesen auch zustimmen.

Problematischer wird das dann in den Rechten, in denen positve Freiheit zum Gegenstand von Recht wird. Hier würde m.E. die Absolutsetzung des Individuums problematisch.
Stoner

Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Realist2014 hat geschrieben:(26 Aug 2018, 19:09)

das "deutsche Volk" besteht aber weder aus "rechts außen"- noch aus "links außen"

daher wird es keine Verfassung geben, welche sich wesentlich von der heutigen unterscheidet

Frage:

möchtest DU wesentliche Änderungen?
So ein persönliches "Möchten" ist für das, was ich ganz individuell verstehen möchte, völlig irrelevant. Ich suche nach den Spuren der Ideen, auf denen die unterschiedlichen politischen Ansätze und Weltanschauungen aufbauen, mit denen das, was ist oder sein soll gerechtfertigt oder begründet wird. Stellen Sie sich Herrn MäckIntaier dabei einfach als jemanden vor, der über das Verstehen hinaus keine Interessen oder Botschaften hat. Für alle solchen ideologischen Bekenntnisfälle oder Fangfragen würde der alte Herr MäckIntaier es notfalls mit Herrn Smullyan und dessen Überlegungen in Whichever the Way halten:
Whichever the way the wind blows,
whichever the way the world goes,
Is perfectly fine with me!
Stoner

Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

SirToby hat geschrieben:(26 Aug 2018, 19:06)

Es lohnt sich diesen Satz nochmal Heraus zu heben, denn das entscheidet den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat.
Aus deutscher bzw. westeuropäischer Sicht, zzgl. Kanada und Australien/Neuseeland, darf man das als die vorherrschende theoretische oder ideelle Auffassung ansehen. Der Rest der Welt, insbesondere China, die islamischen Länder, Japan, Korea und der Großteil der nicht-islamischen Afrikas, ginge hier bestimmt nicht mit, und die wenigen überlebenden geschlossenen Gesellschaften der sog. Naturvölker würden diese Idee mit ihrem sofortigen Ende bezahlen.

Übrigens interessanter Sprachgebrauch, dass wir diese Völker Naturvölker nennen, gleichzeitig die diesen völlig fremde Idee der modernen Individualrechte wie in Artikel 1 GG nur aus dem Naturrecht ableiten können.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Eulenwoelfchen »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 18:55)
Kommt darauf an, was man unter "politischer Umsturz" versteht. Wenn die NPD eine Zweidrittelmehrheit in freien Wahlen erhielte, wäre das m.E. ein politischer Umsturz, jedoch klar auf demokratischer Basis.
Auch eine 70-% NPD könnte innerhalb des Rechtsrahmens des Grundgesetzes qua Wählerentscheidung keine neue Verfassung vom Volk wählen lassen. Dazu müsste sie zuerst das Grundgesetz und den bestehenden Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland abschaffen.
Da können Sie noch soviel Gegenargumente "Ihres Erachtens nach" anführen. Im GG sind ohnehin nur ganz wenige Dinge - auch mit 2/3 - Mehrheiten, änderbar. Die wesentlichen Kernpunkte jedoch nicht.

Fragen Sie mal einen Verfassungsrechtler, und Sie werden sehen, dass man das Grundgesetz nicht mit 2/3-Mehrheit abschaffen kann. Ebensowenig wie die drei Säulen dieses in demokratischer Gewaltenteilung verfassten
Staates.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Zunder »

MäckIntaier hat geschrieben:(26 Aug 2018, 21:59)
Übrigens interessanter Sprachgebrauch, dass wir diese Völker Naturvölker nennen, gleichzeitig die diesen völlig fremde Idee der modernen Individualrechte wie in Artikel 1 GG nur aus dem Naturrecht ableiten können.
Das Naturrecht ist ja auch eine kulturelle Errungenschaft und kein Naturzustand. Mit irgendeiner Form von Naturbelassenheit hat das nichts zu tun.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(26 Aug 2018, 22:23)

Auch eine 70-% NPD könnte innerhalb des Rechtsrahmens des Grundgesetzes qua Wählerentscheidung keine neue Verfassung vom Volk wählen lassen. Dazu müsste sie zuerst das Grundgesetz und den bestehenden Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland abschaffen.
Da können Sie noch soviel Gegenargumente "Ihres Erachtens nach" anführen. Im GG sind ohnehin nur ganz wenige Dinge - auch mit 2/3 - Mehrheiten, änderbar. Die wesentlichen Kernpunkte jedoch nicht.

Fragen Sie mal einen Verfassungsrechtler, und Sie werden sehen, dass man das Grundgesetz nicht mit 2/3-Mehrheit abschaffen kann. Ebensowenig wie die drei Säulen dieses in demokratischer Gewaltenteilung verfassten
Staates.
Im Prinzip ja. Aber:

Wenn die Mehrheit der Deutschen wie von dir beschrieben der Demokratie überdrüssig in einem nationalen Rausch versinkt und die NPD o.ä. wählt ist das GG inkl. seiner Ewigkeitsartikel das Papier nicht wert.

Schon heute machen diese doch deutlich, dass sie „des Volkes Wille“ bzw. was sie dafür halten für viel wichtiger erachten, als Normen. Deswegen der Drang nach Volksabstimmungen, deswegen die Verneinung jeglichen Menschenrechtes in Zusammenhang mit den Flüchtlingen, deshalb die Unterstützung der illegalen Krim-Annektion.

Und die paar Mahner des Grundrechtes die es dann noch gibt, werden so lange bedroht, bis sie die Klappe halten oder emigrieren.

Das Grundgesetz und seine Ewigkeitsartikel halten der Gefahr der Verwässerung im Alltag gut stand, für den von Dir geschilderten Katastrophenfall einer Abkehr der Bürger von demokratischen Prinzipien sehe ich sie als nicht haltbar.

Aber natürlich glaube ich an das Herz und Hirn der Deutschen, dass so etwas nicht vorkommt. :)
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Eulenwoelfchen hat geschrieben:(26 Aug 2018, 22:23)

Auch eine 70-% NPD könnte innerhalb des Rechtsrahmens des Grundgesetzes qua Wählerentscheidung keine neue Verfassung vom Volk wählen lassen. Dazu müsste sie zuerst das Grundgesetz und den bestehenden Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland abschaffen.
Da können Sie noch soviel Gegenargumente "Ihres Erachtens nach" anführen. Im GG sind ohnehin nur ganz wenige Dinge - auch mit 2/3 - Mehrheiten, änderbar. Die wesentlichen Kernpunkte jedoch nicht.

Fragen Sie mal einen Verfassungsrechtler, und Sie werden sehen, dass man das Grundgesetz nicht mit 2/3-Mehrheit abschaffen kann. Ebensowenig wie die drei Säulen dieses in demokratischer Gewaltenteilung verfassten
Staates.
Dann ist der Artikel 146 GG also eine Leerformel, oder welchen Sinn soll er dann nach Ihrer Meinung haben? Historisch gesehen nannte man das GG nicht Verfassung, weil man damit bis zur Wiedervereinigung warten wollte. Und wenn Sie sich noch erinnern können an die Wiedervereinigung, gab es damals durchaus Ansichten, die das GG nicht übernehmen wollten, sondern diese neue Verfassung anstelle des als Interimslösung gedachten GG haben wollten. Also, falls Sie Informationen über Sinn und Zweck des Artikel 146 haben, wäre ich interessiert, wie das gesehen wird.

Es ist wichtig, über tagespolitische Dinge hinauszudenken. Könnten diejenigen, für die das GG gilt, also das deutsche Volk, wie nachzulesen im GG, dieses nicht auch durch eine neue Verfassung ersetzen, worin fände die Verfassung denn ihren Bezug? In Gott? In der Natur?
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Dark Angel hat geschrieben:(26 Aug 2018, 20:20)

Du beziehst dich auf Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", darin beschreibt Popper die Demokratie (Herrschaftsform, nicht Staatsform) als die beste mögliche Herrschaftsform, erwähnt aber auch, dass diese Herrschaftsform immer auch den Keim für ihren "Untergang" in sich trägt.
Letzteres scheint die Bedingung dafür, eine offene Gesellschaft sein zu können.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Keoma »

Es ist jedenfalls naiv, zu glauben, dass ein von Menschen geschaffenes Gesetzeswerk nicht auch durch Menschen abgeschafft werden kann.
Der Gescheitere gibt nach!
Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.

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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

MäckIntaier hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:24)

Dann ist der Artikel 146 GG also eine Leerformel, oder welchen Sinn soll er dann nach Ihrer Meinung haben? Historisch gesehen nannte man das GG nicht Verfassung, weil man damit bis zur Wiedervereinigung warten wollte. Und wenn Sie sich noch erinnern können an die Wiedervereinigung, gab es damals durchaus Ansichten, die das GG nicht übernehmen wollten, sondern diese neue Verfassung anstelle des als Interimslösung gedachten GG haben wollten. Also, falls Sie Informationen über Sinn und Zweck des Artikel 146 haben, wäre ich interessiert, wie das gesehen wird.

Es ist wichtig, über tagespolitische Dinge hinauszudenken. Könnten diejenigen, für die das GG gilt, also das deutsche Volk, wie nachzulesen im GG, dieses nicht auch durch eine neue Verfassung ersetzen, worin fände die Verfassung denn ihren Bezug? In Gott? In der Natur?
Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.

Wo bei ich mich wiederhole - auch eine Verfassung ist ein Stück Papier, wenn die Bürger nicht mehr dahinter stehen. Etwas ausschließlicher Formulierungen als der 146 GG können den Prozess bestenfalls offensichtlicher machen und vielleicht verlangsamen.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Senexx »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:34)

Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.
Es gab überhaupt keine Veranlassung, das GG zu ersetzen. Es hatte sich in 41 Jahren bewährt und bewährt sich noch heute.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

Senexx hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:39)

Es gab überhaupt keine Veranlassung, das GG zu ersetzen. Es hatte sich in 41 Jahren bewährt und bewährt sich noch heute.
Das ist überhaupt keine Frage, aber es war als Provisorium für die BRD 1949 gedacht, und das Provisorium BRD hat 1990 seine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen.

Natürlich hätte eine neue Verfassung nahezu wortgleich sein können.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Senexx »

Das war historisch. Durch die gelebte Praxis hat sich das alles verändert und es bestand keine Notwendigkeit, etwas Bewährtes zu ersetzen.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Selina »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:34)

Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.

Wo bei ich mich wiederhole - auch eine Verfassung ist ein Stück Papier, wenn die Bürger nicht mehr dahinter stehen. Etwas ausschließlicher Formulierungen als der 146 GG können den Prozess bestenfalls offensichtlicher machen und vielleicht verlangsamen.
Richtig. Das war einer der grundlegenden Fehler der Wiedervereinigung. Mit dem Beibehalten des Grundgesetzes, statt sich eine neue gemeinsame deutsche Verfassung zu geben, entstand der Eindruck bei etlichen Ostdeutschen, die Vereinigung sei eine Art Annexion. Es gab trotzdem eine Mehrheit für den Beitritt ohne neue Verfassung, weil man vor allem keine Zeit verlieren wollte, um zügig an die D-Mark zu gelangen. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Betrachter »

Senexx hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:39)

Es gab überhaupt keine Veranlassung, das GG zu ersetzen. Es hatte sich in 41 Jahren bewährt und bewährt sich noch heute.
Wenn es sich so bewährte, warum wurde es bis heute mehr als hundertmal geändert?
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Bleibtreu »

Spam entsorgt - Nachdem der Strang seit gestern Nachmittag endlich zu einer guten Diskussion fand, mussten heute Morgen wieder die Spamer zum Schreddern anruecken - bleibt beim StrangThema und stellt persoenliche Hakereien ein!
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Stoner »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:55)

Das ist überhaupt keine Frage, aber es war als Provisorium für die BRD 1949 gedacht, und das Provisorium BRD hat 1990 seine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen.

Natürlich hätte eine neue Verfassung nahezu wortgleich sein können.
Man hätte mindestens das, was die erste GroKo versucht und nur ungenügend getan hatte, in einem großen Wurf tun können, nämlich den Föderalismus angesichts der neuen Wirklichkeit neu justieren können. Und es wäre eben ein feiner Legitimationsakt gewesen, hätte das wiedervereinigte Volk dann wirklich über seine Verfassung abstimmen dürfen. Ob die entsprechenden Köpfe zur Ausarbeitung nach vernünftigen Kriterien bestimmt worden wären, darf dabei natürlich bezweifelt werden, und dass eine neue Verfassung wieder vom tiefen Misstrauen gegenüber denjenigen, für die die Verfassung gelten soll, getragen worden wäre, scheint auch sicher.

Doch fürs Thema ist das eher hypothetisch. Wichtiger bei der Frage der Gefährdung der Globalisierung wäre der Hinweis, den Dark Angel gab, wie weit supranationale Organisationen die Demokratie in diesem Lande unterhöhlen oder fördern.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Realist2014 »

Betrachter hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:06)

Wenn es sich so bewährte, warum wurde es bis heute mehr als hundertmal geändert?

an den wesentlichen Grundsätzen wurde gar nichts verändert

logischerweise auch nicht an Artikel 14
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Realist2014 »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:04)

. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
auch eine "neue Verfassung" hätte keinesfalls auch nur den "Hauch" dessen beinhaltet, was du und die Linkspartei gerne HÄTTEN
Laut Aussage der linken Ideologen sind alle ökonomisch erfolgreichen dumm, und die wahre Intelligenz tritt sich in der untersten ökonomischen Etage auf die Füße.....daher muss diese Etage ausgebaut werden
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Ammianus »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:04)

Richtig. Das war einer der grundlegenden Fehler der Wiedervereinigung. Mit dem Beibehalten des Grundgesetzes, statt sich eine neue gemeinsame deutsche Verfassung zu geben, entstand der Eindruck bei etlichen Ostdeutschen, die Vereinigung sei eine Art Annexion. Es gab trotzdem eine Mehrheit für den Beitritt ohne neue Verfassung, weil man vor allem keine Zeit verlieren wollte, um zügig an die D-Mark zu gelangen. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
Die Jammerossis hätten auch dann geklagt. Natürlich wäre den Politspinnern teilweise etwas Wind aus den Segeln genommen. Aber im Unsinn sind die kreativ und es wäre ihnen garantiert neuer Quatsch eingefallen.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Ammianus »

Betrachter hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:06)

Wenn es sich so bewährte, warum wurde es bis heute mehr als hundertmal geändert?
Das nennt man Leben. Gerade darin bewährt sich eine Verfassung als von Menschen gemachte Sache, dass sie eben auch gesellschaftlichen Evolutionen unterliegt. Nichts ist perfekt und im Gebrauch zeigen sich dann Schwachstellen an denen gearbeitet werden muss und wird.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von KarlRanseier »

https://www.stern.de/politik/deutschlan ... 28500.html

In Sachsen wird es langsam spannend. Die Neonazis, die man freundlichst züchtete und schützte, bekommt man nun offenbar gar nicht mehr in den Griff.

Witzig ist, dass die "Demonstranten" die Ansagen der Polizei ignoriert haben. Warum auch nicht, sie konnten schließlich davon ausgehen, dass ihre Freunde und Helfer sie zumindest in Ruhe lassen würden.

Ganze vier Anzeigen werden im Zusammenhang mit der Hetzjagd der Nazis bearbeitet, vermutlich gegen Migranten, die weggerannt sind, anstatt sich, wie es sich gehört, zünftig verprügeln zu lassen. Oder gegen Migranten, die die Nazis beleidigt haben...

Die Demonstranten wollten zeigen, wem die Stadt gehört. Dabei ist es weitgehend bekannt, in wessen Händen sich Chemnitz, Zwickau, Bautzen, Dresden, Pirna und z.T. Leipzig befinden.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

Ammianus hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:02)

Die Jammerossis hätten auch dann geklagt. Natürlich wäre den Politspinnern teilweise etwas Wind aus den Segeln genommen. Aber im Unsinn sind die kreativ und es wäre ihnen garantiert neuer Quatsch eingefallen.
Schaut man sich mal an, WO der Ossi-Aufstand am größten ist, dann landet man vor allem in Sachsen. In Sachsen hat man schon seit dem Alten Fritz große Vorbehalte gegen Berliner Regierungen. Das galt für das Kaiserreich, das galt für die Weimarer Republik, das galt für die DDR und das gilt auch heute noch. Man fühlt sich in Sachsen von den "Preußen" fremdbestimmt und gegängelt - auch wenn das so heute nicht mehr stimmt. Aber es sitzt halt tief in den Köpfen.
Und man darf ja nicht vergessen: die DDR stand in königlich-preußischer Tradition - auch wenn das die Parteioberen und Staatsratvorsitzenden immer vehement bestritten haben. Aber es war nun einmal so, dass das Land straff von Berlin aus geführt wurde. Die höheren und hohen Ämter waren nur einer bestimmten Elite (in Preußen dem Adel, in der DDR der Partei-Nomenklatura) vorbehalten. Das politische System war von Kaderparteien geprägt - man konnte zwar wählen, aber die Wahlen waren erst dann gültig, wenn der gewählte Kandidat von der Staats- und Parteispitze genehmigt bzw. "bestätigt" war. Wichtige politische und administrative Entscheidungen wurden sowohl im Königreich Preußen, als auch in der DDR von irgendwelchen Klüngels im stillen Kämmerlein ausgebrütet und nach Gutsherrenart entschieden. Diese Klüngel waren jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen.
In Sachsen hat man auch zu DDR-Zeiten immer das nicht ganz unberechtigte Gefühl gehabt, von Berlin aus fremdbestimmt zu werden. Und da hatte man ja in der Sache nicht ganz unrecht. In der Weimarer Zeit gab es die Reichsexektive, heute gibt es den Bundeszwang.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von schokoschendrezki »

MäckIntaier hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:28)
Man hätte mindestens das, was die erste GroKo versucht und nur ungenügend getan hatte, in einem großen Wurf tun können, nämlich den Föderalismus angesichts der neuen Wirklichkeit neu justieren können.
Allerdings.
Schluss mit der Kleinstaaterei im Schulwesen! Deutschland leistet sich 16 verschiedene Bildungssysteme. Das ist weder effizient noch zeitgemäß - und muss aufhören.
Einer von sehr vielen jüngeren Presse-Artikeln zum Thema Föderalismus und "Kooperationsverbot". (Allein dieser Begriff "Kooperationsverbot" ist doch demokratiemäßig eigentlich ein Absurdum, oder?") Das betrifft aber nicht nur eine vorzunehmende "Feinjustierung" sondern doch eher eine grundsätzliche Neuausrichtung.
Doch fürs Thema ist das eher hypothetisch. Wichtiger bei der Frage der Gefährdung der Globalisierung wäre der Hinweis, den Dark Angel gab, wie weit supranationale Organisationen die Demokratie in diesem Lande unterhöhlen oder fördern.
Dabei müssen aber endlich die mehr und mehr eigentlich mächtigen "supranationalen Organisationen" in den Fokus gerückt werden: Große internationale Unternehmen. Facebook, Cambridge Analytica, die Wahlen in den USA ... das war womöglich nur ein "Vorgeschmack".
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von JJazzGold »

Europa2050 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 08:34)

Ich hielt es schon damals für einen Fehler, nachdem Wiedervereinigung, entgültiger Verzicht auf die Ostgebiete und Besatzungsstatut abgeschlossen waren, auf die Verabschiedung einer Verfassung zu verzichten.
Da war Kohl bei aller historischer Leistung zu operativ und zu feig.

Wo bei ich mich wiederhole - auch eine Verfassung ist ein Stück Papier, wenn die Bürger nicht mehr dahinter stehen. Etwas ausschließlicher Formulierungen als der 146 GG können den Prozess bestenfalls offensichtlicher machen und vielleicht verlangsamen.
Cui bono?

Welchen Sinn, welche Auswirkung, hätte es gehabt, nach der Wiedervereinigung statt GG Verfassung über das Regelwerk zu schreiben? Davon, wie du, ausgehend, dass der Inhalt bis ggfls. auf marginale Veränderungen unverändert geblieben wäre.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

KarlRanseier hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:12)

https://www.stern.de/politik/deutschlan ... 28500.html

In Sachsen wird es langsam spannend. Die Neonazis, die man freundlichst züchtete und schützte, bekommt man nun offenbar gar nicht mehr in den Griff.

Witzig ist, dass die "Demonstranten" die Ansagen der Polizei ignoriert haben. Warum auch nicht, sie konnten schließlich davon ausgehen, dass ihre Freunde und Helfer sie zumindest in Ruhe lassen würden.

Ganze vier Anzeigen werden im Zusammenhang mit der Hetzjagd der Nazis bearbeitet, vermutlich gegen Migranten, die weggerannt sind, anstatt sich, wie es sich gehört, zünftig verprügeln zu lassen. Oder gegen Migranten, die die Nazis beleidigt haben...

Die Demonstranten wollten zeigen, wem die Stadt gehört. Dabei ist es weitgehend bekannt, in wessen Händen sich Chemnitz, Zwickau, Bautzen, Dresden, Pirna und z.T. Leipzig befinden.

In der Sachsen-CDU glaubt man immer noch, diese Leute irgendwie "einfangen" zu können. Und die andere Seite droht bzw. träumt ja schon seit Jahren vom "Bürgerkrieg".

Dabei haben die Herren anscheinend richtig dämlich gehandelt. Sie wollten - vermutlich kräftig alkoholisiert - das Recht in die eigene Hand nehmen und mal "Polizei" spielen. Dabei sind sie dann in ihrer Großmannssucht an die Falschen geraten. Ich meine, Laien sollten nie Polizei spielen - erst recht nicht, wenn sie besoffen sind.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von schokoschendrezki »

sünnerklaas hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:14)
Schaut man sich mal an, WO der Ossi-Aufstand am größten ist, dann landet man vor allem in Sachsen. In Sachsen hat man schon seit dem Alten Fritz große Vorbehalte gegen Berliner Regierungen. Das galt für das Kaiserreich, das galt für die Weimarer Republik, das galt für die DDR und das gilt auch heute noch. Man fühlt sich in Sachsen von den "Preußen" fremdbestimmt und gegängelt - auch wenn das so heute nicht mehr stimmt. Aber es sitzt halt tief in den Köpfen.
Also erstmal ist Sachsen eben nun mal der Teil der Ex-DDR mit der größten Bevölkerungs-, Industrie-, Städte-Dichte usw.
Es gibt auch eine andere Sicht auf Sachsen: SIe wären die ersten gewesen, die mit den Nazis konnten, die ersten, die mit den SED-Genossen konnten und die ersten, die mit der Bundesrepublik konnten. Also eher eine opportunistische Haltung. Die Ossi-Aufständischen in Sachsen wussten nach meinem Eindruck bereits ab Ende der 80er und noch zu DDR-Zeiten alle recht gut, dass die Tage der SED eigentlich gezählt sind,
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:04)

Richtig. Das war einer der grundlegenden Fehler der Wiedervereinigung. Mit dem Beibehalten des Grundgesetzes, statt sich eine neue gemeinsame deutsche Verfassung zu geben, entstand der Eindruck bei etlichen Ostdeutschen, die Vereinigung sei eine Art Annexion. Es gab trotzdem eine Mehrheit für den Beitritt ohne neue Verfassung, weil man vor allem keine Zeit verlieren wollte, um zügig an die D-Mark zu gelangen. Aber im Laufe der Jahre zeigte sich immer mehr, dass es für ein gesamtdeutsches Zusammenwachsen auf Augenhöhe besser gewesen wäre, eine neue Verfassung zu beschließen.
Was da jetzt in Ostdeutschland läuft, ist in erster Linie ein Aufstand gegen Westdeutschland. Ich höre von Ostdeutschen der Generation Ü40 immer wieder den Ausspruch, wenn sie 1990 gewusst hätten...
Was man nicht berücksichtigt hat: es sind da zwei völlig unterschiedliche Mentalitäten aufeinander getroffen. Die Konflikte entladen sich immer an Entscheidungen. Viele - nicht alle - Ostdeutsche kennen nur die Begriffe "JA/NEIN" - "VERBOTEN/ERLAUBT". Sobald Entscheidungen getroffen werden müssen, die zwischen diesen Begriffen liegen, gibt es unendliche "Gerechtigkeits-Debatten", warum der eine etwas darf, der andere aber nicht etc.. Und da kommt es dann auch bei einigen ganz schnell zu zum Teil heftigen Wut-Reaktionen.
Ich würde mal sagen: die Wiedervereinigung von 1990 hat sich für viele Ostdeutsche als große Enttäuschung entpuppt.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Europa2050 »

JJazzGold hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:17)

Cui bono?

Welchen Sinn, welche Auswirkung, hätte es gehabt, nach der Wiedervereinigung statt GG Verfassung über das Regelwerk zu schreiben? Davon, wie du, ausgehend, dass der Inhalt bis ggfls. auf marginale Veränderungen unverändert geblieben wäre.
Da hat der Logiker/ Formelmensch in mir zugeschlagen. Es wäre einfach der formell jedermann einleuchtende Abschluss des Provisoriums BRD (alt) gewesen.
Und es hätte der Grundliegenden Rechtsordnung Deutschlands eine höhere Wertigkeit gegeben, und damit etwas mehr Festigkeit in einer Identitätskrise, auf die wir ja irgendwie hinsteuern.

Faktisch - da bin ich bei Dir - hätte es keiner wesentlichen Veränderung benötigt, zumal die Wiedervereinigung per Beitritt ja auch im GG vorgesehen war.

Ich denke Kohls größte Angst war, dass die Westdeutschen einer Einigung nur mit mäßigem Ergebnis zustimmen und dadurch die vorhandenen Gräben noch tiefer werden. Auch nicht von der Hand zu weisen ...
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Selina »

sünnerklaas hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:14)

Schaut man sich mal an, WO der Ossi-Aufstand am größten ist, dann landet man vor allem in Sachsen. In Sachsen hat man schon seit dem Alten Fritz große Vorbehalte gegen Berliner Regierungen. Das galt für das Kaiserreich, das galt für die Weimarer Republik, das galt für die DDR und das gilt auch heute noch. Man fühlt sich in Sachsen von den "Preußen" fremdbestimmt und gegängelt - auch wenn das so heute nicht mehr stimmt. Aber es sitzt halt tief in den Köpfen.
Und man darf ja nicht vergessen: die DDR stand in königlich-preußischer Tradition - auch wenn das die Parteioberen und Staatsratvorsitzenden immer vehement bestritten haben. Aber es war nun einmal so, dass das Land straff von Berlin aus geführt wurde. Die höheren und hohen Ämter waren nur einer bestimmten Elite (in Preußen dem Adel, in der DDR der Partei-Nomenklatura) vorbehalten. Das politische System war von Kaderparteien geprägt - man konnte zwar wählen, aber die Wahlen waren erst dann gültig, wenn der gewählte Kandidat von der Staats- und Parteispitze genehmigt bzw. "bestätigt" war. Wichtige politische und administrative Entscheidungen wurden sowohl im Königreich Preußen, als auch in der DDR von irgendwelchen Klüngels im stillen Kämmerlein ausgebrütet und nach Gutsherrenart entschieden. Diese Klüngel waren jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen.
In Sachsen hat man auch zu DDR-Zeiten immer das nicht ganz unberechtigte Gefühl gehabt, von Berlin aus fremdbestimmt zu werden. Und da hatte man ja in der Sache nicht ganz unrecht. In der Weimarer Zeit gab es die Reichsexektive, heute gibt es den Bundeszwang.
Ja. Wobei auch Gründe aus der Nachwendezeit hinzukommen, warum die Ostdeutschen besonders anfällig für die Neue Rechte (mit der AfD als Kern) sind und sie sich immer wieder selbst rechtspopulistisch artikulieren. Die AfD-Prozente sind in allen fünf Bundesländern ja besonders hoch. Warum? Da muss man wirklich bis 1989/90 zurückschauen. Im Osten gab es zunächst die großartigen Erfahrungen, mit den Füßen abstimmen zu können und auf friedlichem Wege eine Diktatur abschütteln zu können. Das sind einmalige Erfahrungen, wichtig auch für Gesamtdeutschland. In den Jahrzehnten nach der Wende erfuhren dieselben Leute, die einen ungeliebten Staat praktisch hinweggefegt hatten aus eigener Kraft, dass ihre Stimme plötzlich nichts mehr wert war. Kein Hahn krähte mehr nach den kämpferischen Ostdeutschen, sie spielten keine Geige mehr. "Die da oben" interessierten sich nicht für ihre Belange. Das hat sie in ihrem gerade erst erworbenen Empfinden, selbstbewusst in die Politik eingreifen zu müssen und zu können, wieder arg zurückgeworfen. Mal von krassen wirtschaftlichen Nachwende-Veränderungen abgesehen, die ebenfalls negativ wirkten. Und mal abgesehen von rechtsradikalem Denken, dass es hüben und drüben schon immer gab und gibt.
Zuletzt geändert von Selina am Mo 27. Aug 2018, 10:46, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Tomaner »

Realist2014 hat geschrieben:(27 Aug 2018, 09:58)

auch eine "neue Verfassung" hätte keinesfalls auch nur den "Hauch" dessen beinhaltet, was du und die Linkspartei gerne HÄTTEN
Die Linkspartei will GG nicht verändern. https://www.linksfraktion.de/themen/a-z ... undgesetz/
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von sünnerklaas »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:36)

Im Osten gab es zunächst die großartigen Erfahrungen, mit den Füßen abstimmen zu können und auf friedlichem Wege eine Diktatur abschütteln zu können.
Das ist übrigens ein sehr interessanter Aspekt: heute wird gerne mal "1989" beschworen. Nur sind die, die hinter den Parolen herlaufen, keine Leute, die mit den Füßen abstimmen. Das sind nach meinen Beobachtungen sehr oft Leute, die schon in für sie besseren Zeiten große Ängste ausstanden, wenn sie in die Kreisstadt mussten. Das sind Leute, die sich nicht weg trauen. Es zieht sich ein Wort durch deren Pöbeleien und Schimpfereien - das Wort "beschützt".
Auf dieser Welle reiten dann geschickt einige Leute mit eher zwielichtigen Ambitionen. Da spielt sich zum Beispiel die Störchin quasi als Anwältin der Ostdeutschen auf. Der geht es aber nicht um Ostdeutschland, sie will den nach 1945 enteigneten Grund und Boden ihrer Familie wiederhaben. Und zwar ohne dass sie etwas dafür zahlen muss.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(27 Aug 2018, 10:36)

Ja. Wobei auch Gründe aus der Nachwendezeit hinzukommen, warum die Ostdeutschen besonders anfällig für die Neue Rechte (mit der AfD als Kern) sind und sie sich immer wieder selbst rechtspopulistisch artikulieren. Die AfD-Prozente sind in allen fünf Bundesländern ja besonders hoch. Warum? Da muss man wirklich bis 1989/90 zurückschauen. Im Osten gab es zunächst die großartigen Erfahrungen, mit den Füßen abstimmen zu können und auf friedlichem Wege eine Diktatur abschütteln zu können. Das sind einmalige Erfahrungen, wichtig auch für Gesamtdeutschland. In den Jahrzehnten nach der Wende erfuhren dieselben Leute, die einen ungeliebten Staat praktisch hinweggefegt hatten aus eigener Kraft, dass ihre Stimme plötzlich nichts mehr wert war. Kein Hahn krähte mehr nach den kämpferischen Ostdeutschen, sie spielten keine Geige mehr. "Die da oben" interessierten sich nicht für ihre Belange. Das hat sie in ihrem gerade erst erworbenen Empfinden, selbstbewusst in die Politik eingreifen zu müssen und zu können, wieder arg zurückgeworfen. Mal von krassen wirtschaftlichen Nachwende-Veränderungen abgesehen, die ebenfalls negativ wirkten.
Mindestens ebenso wichtig für eine Erklärung der AfD-Erfolge ist aus meiner Sicht der Käseglocken-Charakter der DDR und ganz besonders Sachsens. Auch im westlichen Teil Deutschlands gabs ja dieses Nachkriegsbedürfnis nach Ruhe, Friede, Freude, Eierkuchen, Einfamilienhaus, Lebensversicherung. Aber - glaube ich jedenfalls - das wurde ab vielleicht Anfang der 70er zunehmend von internationalen Einflüssen überlagert. Die große Welt zog in ganz anderem Ausmaß in die kleine Welt der Westdeutschen ein als im Osten Deutschlands. Bzw. und genauer müsste man eigentlich sagen: Sie zog dort auch ohne Eigeninitiative und ungefragt ein. Es ist keineswegs so, dass Provinzialität für einen Menschen in der DDR unabwendbares Schicksal war.
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Re: Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Beitrag von Bleibtreu »

Erneuten schlimmsten Spam entsorgt - Ihr driftet schon wieder zuweit vom Thema ab. Zur Erinnerung der EingangsBeitrag:
Tom Bombadil hat geschrieben:(02 Jun 2018, 15:31)

In letzter Zeit häufen sich die Meldungen, dass die Bürger mal wieder das Vertrauen in eine Institution verloren haben.

Beispiel Politik: https://de.statista.com/statistik/daten ... -parteien/ Nur noch 33% vertrauen den politischen Parteien. Noch eine weitere Quelle: https://www.fes-mup.de/files/mup/pdf/Pr ... e_2016.pdf

Beispiel Rechtsstaat: https://www.t-online.de/nachrichten/deu ... assiv.html Hier vertrauen aber immerhin noch 55% den rechtsstaatlichen Institutionen, trotzdem ist das mMn. ein besorgniserregender Wert.

Beispiel "4. Gewalt": http://www.spiegel.de/spiegel/journalis ... 95175.html 71% haben nur noch (stark) eingeschränktes Vertrauen in die Medien.

Ich halte diese Entwicklung für sehr gefährlich, weil sie Extremisten Vorschub leistet, was die Demokratie weiter schwächt. Dazu kommen ja auch noch äußere Einflüsse, Autokraten allerorten, die sich - so hat es den Anschein - aller Fesseln entledigt haben und ohne große Probleme tun und lassen, was sie wollen (zB. Putin, Erdogan, Trump, Orban).

Was kann man gegen das schwindende Vertrauen der Bürger tun? Und wann ist ein "point of no return" erreicht, an dem die ganze Sache endgültig kippt? Oder ist das alles halb so wild, Wahlerfolge wie der der AfD nur temporär zu sehen?
Der Strang bleibt erst mal geschlossen - solange habt ihr Zeit darueber nachzudenken, ob ihr zum eigentlichen Thema etwas schreiben wollt! Ob ich ihn wieder oeffne, ueberlege ich mir noch.

[Hervorhebung im Zitat von mir]
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