Dark Angel hat geschrieben:(16 May 2018, 13:01)
Dass Antisemitismus und Islamophibie/Islamfeindlichkeit
qualitativ und auch quantitativ NICHT miteinander vergleichbar sein, hatten wir bereits über mehrere Seiten und jetzt fängst du wieder damit an.
Man
muss beide Phänomene sogar vergleichen, um die qualtitativen und quantitativen Unterschiede überhaupt feststellen zu können. Selbst die (selbstverständlich richtige) Feststellung, dass die Shoah ein unvergleichliches Phänomen ist, basiert auf Vergleichen. Was sich (vielleicht) erstmal paradox anhört, ist logisch völlig klar und kann gar nicht anders sein.
Das Problem ist, dass der
seriös geführte Diskurs zum Themenbereich einfach bereits ein Stück weiter gekommen ist. Aus der Einleitung zu dem verwiesenen Vortrag:
Seit einigen Jahren diskutieren Wissenschaftler*innen die These, ob sich die Rolle des Antisemitismus bei der Herausbildung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert mit der Funktion vergleichen lässt, die der Rassismus gegenüber Muslim*innen im Zuge der europäischen Integration einnimmt.
Der britische Historiker David Feldman fragt in seinem Vortrag nach historischen und gegenwärtigen Parallelen zwischen Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus. Ist es vor dem Hintergrund des derzeitigen Rechtsrucks in Europa sinnvoll, beide Phänomene politisch gemeinsam zu adressieren? Welche Chancen für künftige jüdisch-muslimische Allianzen ergeben sich daraus.
Selbst in diesem kurzen Text ist eine solche Fülle von konstruktiven Ansätzen, von differenzierter Betrachtung und vor allem Genauigkeit feststellbar, die weit über diese pauschalen Thesen von wegen "Der Islam ist mit 'unserer' Lebensweise grundsätzlich inkompatibel" hinausgehen.
Dass weder die Vortragenden noch das Publikum irgendetwas von Gleichsetzung oder auch nur von Angenähertheit reden, ist so selbstverständlich, dass das gar nicht erst thematisiert werden muss. Und du wirst hoffentlich nicht glauben, dass sich ausgerechnet eine Einrichtung wie das Jüdische Museum in Berlin in der Hand von islamistischen Kulturvergiftern befindet.
Es nützt nix: Will man über konkrete und praktisch-wirksame
Maßnahmen nachdenken, sollte man sich nicht der Frage von Genuität oder Bibel- oder Korantexten widmen. Sondern vor allem politischer Analyse: Das heißt: Abläufen, Wahlergebnissen, Protestereignissen, Vertragsgegenständen, Militäraktionen, Börsenkursen, Wirtschaftsentwicklungen, Machtstrukturen usw. usf. Das ist mühevoller als Zuschreibungen vorzunehmen. Ich gehe jede Wette ein: Niemand, der mit auch heute judenfeindlich interpretierbaren Koranzitaten kommt, hat jemals irgendwelche Originaltexte gelesen. Es handelt sich stets um einfach nur weitergereichte Narrative. Politische Zeitereignisse dagegen muss man persönlich und aktuell verfolgen und aus der Fülle der Informationsströme herausdestilieren.
Das andere Problem ist die Form und Art und Weise, wie hier politische Diskussionen geführt werden. Dazu mal ein Gegenbeispiel: In einem Replik-Artikel in der Frankfurter Rundschau wird auf die These des einen Islamwissenschaftlers (Abdel-Hakim Ourghi)
Der Koran bilde die „Tiefenschicht des Antisemitismus islamischer Prägung“ und folglich würden Muslime dazu erzogen, „die Juden zu hassen, nicht nur Israel, sondern alle Juden der Welt“ (FR vom 15.12.).
durch den anderen Islamwissenschaftler (Michael Kiefer) folgendermaßen geantwortet:
Die islamischen Traditionsquellen sind in Bezug auf Juden und Christen widersprüchlich und begründen keine allgemeine und permanente Judenfeindschaft. Anders als im Christentum mit seiner Anklage des Gottesmordes, hat es im Islam keinen Vorwurf des Prophetenmordes an die Juden gegeben. Auch hat sich der Islam nie als Erfüllung und Ersetzung des Judentums verstanden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es in der 1400 Jahre andauernden islamischen Geschichte vielerorts ein weitgehend konfliktarmes Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen gab. Unvergessen ist der Zuzug sephardischer Juden in die Städte des Osmanischen Reiches nach dem Alhambra-Edikt 1492, welche die christliche Reconquista zum Abschluss brachte.
http://www.fr.de/kultur/islam-und-antis ... -1411961,2
(und im nachfolgenden Text werden noch zahlreiche in muslimischen Kreisen zirkulierende antijüdische Erzählungen als christlichen Ursprungs nachgewisen).
Es handelt sich also um sehr sehr weit auseinanderliegende Positionen und um Auseinandersetzungen wie sie zumindest ungefähr und teilweise auch hier geführt wurden. Und dennoch werden die in ein- und derselben Zeitung gedruckt und es wird ein politischer Diskurs anstelle einer Diffamierungsanreihung geführt. (Ich will mich selbst dabei nicht einmal ausnehmen).
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)