Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

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King Kong 2006
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Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von King Kong 2006 »

Es ist wohl schon länger zu beobachten, daß gerade Konservative oder Rechtskonservative, wie auch Rechtsradikale eine gewisse Sympathie für Putin und Russland hegen. Hat das eine historische Kontinuität? Und worin begründet sich die aktuelle Situation?

Zunächst verwundert dies. Zuletzt haben wir durch Adolf & die Nationalsozialisten gelernt, daß jenseits der dt. Ostgrenzen eigentlich der Untermensch wohnt. Der hat überhaupt nix zu melden, der ist zu vernichten und das Land anzueignen. Aber auch hier sah man bereits eine Ambivalenz. Ich glaube, es war der dt. damalige Außenminister Rippentropp der bei dem Besuch in Moskau anerkennend meinte, daß er sich dort "wie zuhause gefühlt" habe. Das waren zwar lt. NSDAP verjudete Untermenschen und Bolschewisten, aber immer noch besser als diese verweichlichten verjudeten "Demokraten" im Westen.

Ähnlich wie nach England wurden auch dt. Adelsprößlinge in höchste Würden nach Russland exportiert. Wie Katharina II. Bismarck versuchte im 19. Jahrhundert einen zweckmäßigen Umgang mit Russland zu finden. Im 20. Jahrhundert kippte dies alles allmählich bis hin zum Vernichtungskrieg-Verhältnis. Jetzt scheinen viele Rechte von Russland wieder zu schwärmen. Dieses Land irgendwie als wahrer Bewahrer des Abendlandes zu sehen. Anders als dieser Schmelztiegel USA mit der Ostküste, die Londoner Banker, die alles globalisieren wollen. Oder die BRD, die es eigentlich gar nicht gäbe oder immer noch besetzt wäre. Russland als strahlende Nation! Was natürlich auch eine selektive Wahrnehmung ist. Z.B. Putin und Medwedew sagten selbst, daß der Islam traditionell/originär zu Russland gehöre. „Kratzt du an einem Russen, kommt ein Tatare zum Vorschein“ (Putin 2013). Russland ist auch ein Schmelztiegel vieler Völker. Das wußten die Nazis.

Dennoch hat Russland durchaus Anteil an der Wahrnehmung, daß es sich um ein Land, mit einer Mission und Haltung handelt. Russland hat sich nie als eine europäische Nation verstanden (schon das wirkt sympathisch, weniger globalisiert und mehr protektionistisch), aber als dessen Retterin! Zar Alexander I. sah sich im Titanenkampf mit dem Internationalismus und der gewaltätigen Einigung und teilweisen Standardisierung Europas (Code Civil) unter Napoleon Bonaparte als Bewahrerin der Einzelinteressen. Natürlich unter der väterlichen Pflege Russlands... Später verfiel Alexander I. diesem Wahn immer mehr und instrumentalisierte sich als Retter des europäischen Abendlandes. Das nervte die anderen Herrscher beim Wiener Kongress durchaus. Diese Stafette scheint nun an Wladimir Putin weitergereicht worden sein.
Wie Putin die rechten Parteien in Deutschland hofiert

In den vergangenen zwei Jahren ist etwas Merkwürdiges passiert: Deutsche Rechtsextremisten haben ihre Liebe zu Russland entdeckt.

Was noch vor einem Jahrzehnt an gewissen ideologisch-historischen Denkschranken gescheitert wäre, kann man jeden Montag in Dresden besichtigen. Wenn Pegida montags marschiert, wehen nicht nur die Farben Schwarz, Rot und Gold in sämtlichen nur denkbaren Konstellationen, sondern auch die russische Flagge.

Rechtsextreme Demonstranten im sächsischen Heidenau trugen gar eine Fahne der russischen Separatisten bei einer Demonstration mit sich herum.

Und bei der AfD sind derzeit wohl viele Werte verhandelbar – die Treue zu Putins Russland gehört nicht dazu.

http://www.huffingtonpost.de/2015/12/15 ... 10816.html
So funktioniert Putins rechtes Netzwerk in Europa

Einer der Gäste war FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Putin-Strache-Pakt als "außenpolitische Geisterfahrt"?

Die zehnteilige Vereinbarung, die Strache jetzt mit der Putin-Partei – von Kritikern „Partei der Gauner und Diebe“ genannt – abschloss, sieht unter anderem eine Zusammenarbeit bei „Jugend-, Frauen-, Bildung-, Hilfs- und anderen gesellschaftlichen Organisationen“ vor, mit dem Ziel der „Stärkung der Freundschaft und der Erziehung der jungen Generation im Geiste von Patriotismus und Arbeitsfreude“. Kreml-Kritiker argwöhnen, dass neben dem offiziellen Papier nach „Kreml-Tradition“ auch geheime Zusatzvereinbarungen gebe.
Parteichef Strache rechtfertigt die Kooperation damit, die FPÖ sei ein „neutraler und verlässlicher Vermittler und Partner im Sinne einer Friedensstiftung“ und „Brückenbauer“. Kritiker indes bezeichneten den „Putin-Strache-Pakt“ als „außenpolitische Geisterfahrt“ der FPÖ „auf den Roten Platz“. Die FPÖ ist nicht nur für ihre massive EU-Kritik und freundliche Töne Richtung Moskau bekannt – sie kämpft auch für die Abschaffung der Sanktionen, die wegen der Aggression Moskaus gegen die Ukraine verhängt wurden.

http://www.focus.de/politik/ausland/rus ... 41214.html
Mir erscheint das als eine Mischung aus Nostalgie und reiner Zweckmäßigkeit.

Nostalgie, weil dt. und europäische Rechte vergangenen Zeiten nachtrauern, die sie wieder in Reichweite durch eine Macht wie Russland sehen. Und Putin an der Spitze. Sie sehen sich in einer Gegenwart, die ihnen durch die westlichen Siegermächte verpasst wurden. Warum dies schlimmer erscheint als der sowjetisch dominierte Raum im Osten Europas, wäre mal ganz interessant zu erfahren. Aber das Stichwort Globalisierung scheint eine Rolle zu spielen.

Die Zweckmäßigkeit ist auf beiden Seiten erkennbar. Putin sieht in dem rechten Spektrum den Hebel den geostrategischen Gegner EU, NATO und USA zu schwächen. Das sind starke Blöcke. Wenn sie zerstückelt werden können, hat es Moskau leichter. Dann wird man merken, was von der Freundschaft übrig ist... Geht wohl auch andersherum. Wenn die Rechten in Deutschland Oberhand bekommen würden und man sich mit Moskau über Interessensphären in Europa und international auseinandersetzen muß, dann wird der Russe schnell wieder zum Untermenschen... Aber im Moment scheinen sie gemeinsame Gegner zu haben.
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
Wissen stellt eine Barriere dar, die einen daran hindert, etwas in Erfahrung zu bringen.
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Woppadaq
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Re: Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von Woppadaq »

King Kong 2006 hat geschrieben:(10 Sep 2017, 15:04)

Die Zweckmäßigkeit ist auf beiden Seiten erkennbar. Putin sieht in dem rechten Spektrum den Hebel den geostrategischen Gegner EU, NATO und USA zu schwächen. Das sind starke Blöcke. Wenn sie zerstückelt werden können, hat es Moskau leichter. Dann wird man merken, was von der Freundschaft übrig ist... Geht wohl auch andersherum. Wenn die Rechten in Deutschland Oberhand bekommen würden und man sich mit Moskau über Interessensphären in Europa und international auseinandersetzen muß, dann wird der Russe schnell wieder zum Untermenschen... Aber im Moment scheinen sie gemeinsame Gegner zu haben.
Also ich würde schon einen Unterschied zwischen rechts und Nazis setzen, auch wenn das hierzulande - sowohl von Diffamierungs- wie auch von Agitierungsseite aus betrachtet - schier unmöglich zu trennen scheint. Sowohl die AfD wie auch die FPÖ sind rechts im Sinne von nationalistisch - was die Putin-Russen ganz klar auch sind. Mit einem zersplitterten Europa kann Russland ganz anders hantieren als mit einem geeinten. Und die Nationalisten hierzulande sehen nur, dass sie in ihrem Bestreben von Russland unterstützt werden. Deswegen ändern sie aber nicht ihre Politik. Warum sollten sie?
Flaschengeist
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Re: Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von Flaschengeist »

King Kong 2006 hat geschrieben:(10 Sep 2017, 15:04)

Es ist wohl schon länger zu beobachten, daß gerade Konservative oder Rechtskonservative, wie auch Rechtsradikale eine gewisse Sympathie für Putin und Russland hegen. Hat das eine historische Kontinuität? Und worin begründet sich die aktuelle Situation?

Zunächst verwundert dies. Zuletzt haben wir durch Adolf & die Nationalsozialisten gelernt, daß jenseits der dt. Ostgrenzen eigentlich der Untermensch wohnt. Der hat überhaupt nix zu melden, der ist zu vernichten und das Land anzueignen. Aber auch hier sah man bereits eine Ambivalenz. Ich glaube, es war der dt. damalige Außenminister Rippentropp der bei dem Besuch in Moskau anerkennend meinte, daß er sich dort "wie zuhause gefühlt" habe. Das waren zwar lt. NSDAP verjudete Untermenschen und Bolschewisten, aber immer noch besser als diese verweichlichten verjudeten "Demokraten" im Westen.

Ähnlich wie nach England wurden auch dt. Adelsprößlinge in höchste Würden nach Russland exportiert. Wie Katharina II. Bismarck versuchte im 19. Jahrhundert einen zweckmäßigen Umgang mit Russland zu finden. Im 20. Jahrhundert kippte dies alles allmählich bis hin zum Vernichtungskrieg-Verhältnis. Jetzt scheinen viele Rechte von Russland wieder zu schwärmen. Dieses Land irgendwie als wahrer Bewahrer des Abendlandes zu sehen. Anders als dieser Schmelztiegel USA mit der Ostküste, die Londoner Banker, die alles globalisieren wollen. Oder die BRD, die es eigentlich gar nicht gäbe oder immer noch besetzt wäre. Russland als strahlende Nation! Was natürlich auch eine selektive Wahrnehmung ist. Z.B. Putin und Medwedew sagten selbst, daß der Islam traditionell/originär zu Russland gehöre. „Kratzt du an einem Russen, kommt ein Tatare zum Vorschein“ (Putin 2013). Russland ist auch ein Schmelztiegel vieler Völker. Das wußten die Nazis.

Dennoch hat Russland durchaus Anteil an der Wahrnehmung, daß es sich um ein Land, mit einer Mission und Haltung handelt. Russland hat sich nie als eine europäische Nation verstanden (schon das wirkt sympathisch, weniger globalisiert und mehr protektionistisch), aber als dessen Retterin! Zar Alexander I. sah sich im Titanenkampf mit dem Internationalismus und der gewaltätigen Einigung und teilweisen Standardisierung Europas (Code Civil) unter Napoleon Bonaparte als Bewahrerin der Einzelinteressen. Natürlich unter der väterlichen Pflege Russlands... Später verfiel Alexander I. diesem Wahn immer mehr und instrumentalisierte sich als Retter des europäischen Abendlandes. Das nervte die anderen Herrscher beim Wiener Kongress durchaus. Diese Stafette scheint nun an Wladimir Putin weitergereicht worden sein.



Mir erscheint das als eine Mischung aus Nostalgie und reiner Zweckmäßigkeit.

Nostalgie, weil dt. und europäische Rechte vergangenen Zeiten nachtrauern, die sie wieder in Reichweite durch eine Macht wie Russland sehen. Und Putin an der Spitze. Sie sehen sich in einer Gegenwart, die ihnen durch die westlichen Siegermächte verpasst wurden. Warum dies schlimmer erscheint als der sowjetisch dominierte Raum im Osten Europas, wäre mal ganz interessant zu erfahren. Aber das Stichwort Globalisierung scheint eine Rolle zu spielen.

Die Zweckmäßigkeit ist auf beiden Seiten erkennbar. Putin sieht in dem rechten Spektrum den Hebel den geostrategischen Gegner EU, NATO und USA zu schwächen. Das sind starke Blöcke. Wenn sie zerstückelt werden können, hat es Moskau leichter. Dann wird man merken, was von der Freundschaft übrig ist... Geht wohl auch andersherum. Wenn die Rechten in Deutschland Oberhand bekommen würden und man sich mit Moskau über Interessensphären in Europa und international auseinandersetzen muß, dann wird der Russe schnell wieder zum Untermenschen... Aber im Moment scheinen sie gemeinsame Gegner zu haben.


Können Sie das mit einer Quelle belegen?

Das Bild vom "Untermenschen" haben heute vermutlich viele Deutsche Politiker im Kopf. Wenn man sich die Politik gegen über den östlichen Nachbarn anschaut.

"Rechte Parteien" setzen sich für eine Unabhängigkeit ihrer Staaten ein. Also gegen eine Einflußnahme durch die USA. Das ist auch der Unterschied zu linken Parteien wie CDU oder GRÜNE die sich nur all zu gerne unter die Knute der USA begeben. Man erinnere sich nur mal an die Reaktion unsere geliebten Kanzlerin als ihr Cellphone durch die NSA abgehört wurde....
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King Kong 2006
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Re: Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von King Kong 2006 »

Woppadaq hat geschrieben:(11 Sep 2017, 22:20)

Mit einem zersplitterten Europa kann Russland ganz anders hantieren als mit einem geeinten. Und die Nationalisten hierzulande sehen nur, dass sie in ihrem Bestreben von Russland unterstützt werden. Deswegen ändern sie aber nicht ihre Politik. Warum sollten sie?
Sie müssen gar nichts ändern. Aber es sollte ihnen klar sein, das die Gruppe schützt. Das Problem ist natürlich, das auch die anderen Gruppenmitglieder mit denen man alliert und assoziert sind natürlich dann auch ihre Interessen vertreten. Man mit denen kooperieren muß. Auch tut Russland dies nicht durch ein angeborenes Bösheitsgen, sondern auch präventiv, um sich zu schützen. Dennoch sollte klar sein, daß man dann dem militärischen und rohstoffreichen Land Russland wesentlich schwächer gegenüber steht, wenn man alleine ist. Da sollten sich die Freunde und Anhänger Putins und einer Koalition mit Russland keinen Illusionen hingeben. Russland ist da nicht anders als z.B. die USA oder anderen großen Mächten. Da gibt es im Ernstfall so etwas wie "Fairness" nicht. Das wird ja oft vorgebracht. Der Russe wäre eine besserer Partner, nicht wie der der hinterlistige Okkupant USA. Wobei die Performance der Russen in Osteuropa gegenüber Westeuropa/USA ja nicht gerade Werbung dafür machen sollte.
Zuletzt geändert von King Kong 2006 am Di 12. Sep 2017, 08:02, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von King Kong 2006 »

Flaschengeist hat geschrieben:(12 Sep 2017, 00:04)

Können Sie das mit einer Quelle belegen?

Das Bild vom "Untermenschen" haben heute vermutlich viele Deutsche Politiker im Kopf. Wenn man sich die Politik gegen über den östlichen Nachbarn anschaut.

"Rechte Parteien" setzen sich für eine Unabhängigkeit ihrer Staaten ein. Also gegen eine Einflußnahme durch die USA. Das ist auch der Unterschied zu linken Parteien wie CDU oder GRÜNE die sich nur all zu gerne unter die Knute der USA begeben. Man erinnere sich nur mal an die Reaktion unsere geliebten Kanzlerin als ihr Cellphone durch die NSA abgehört wurde....
Was genau mit einer Quelle belegen?

Ganz ohne Zweifel spielen die USA ihre Rolle aus. Das tun und würden aber auch die Russen tun. Und ich glaube wesentlich "konsequenter" als die USA. ;)

Das wird irgendwie von den "rechten Parteien" komplett selektiv ausgeblendet.
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Tom Bombadil
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Re: Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von Tom Bombadil »

King Kong 2006 hat geschrieben:(10 Sep 2017, 15:04)

Es ist wohl schon länger zu beobachten, daß gerade Konservative oder Rechtskonservative, wie auch Rechtsradikale eine gewisse Sympathie für Putin und Russland hegen.
Rechtsextreme finden Putin toll, weil sie auf "starke" Führer abfahren. Dass Konservative und "Rechtskonservative" Putin und Russland mehr Sympathien als anderen Staaten entgegenbringen, lässt sich irgendwie belegen?
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King Kong 2006
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Re: Deutscher Konservatismus/Extremismus und die russische Seele - Eine Haßliebe?

Beitrag von King Kong 2006 »

Tom Bombadil hat geschrieben:(12 Sep 2017, 09:20)

Rechtsextreme finden Putin toll, weil sie auf "starke" Führer abfahren. Dass Konservative und "Rechtskonservative" Putin und Russland mehr Sympathien als anderen Staaten entgegenbringen, lässt sich irgendwie belegen?
Die Sympathien bei Pegida und AfD-Sympathisanten bzw. bei der AfD selbst, wie auch bei der FPÖ ist zu offenkundig. Ich gehe davon aus, das es sich bei der Pegida, der AfD und der FPÖ, um z.B. diese drei Gruppen zu nennen, im dt. Raum, Konservative, Rechtskonservative und Rechtsradikale antreffen lassen. Es gäbe sonst noch die Front National oder Lega Nord. Die Pegida, die AfD und die FPÖ sind nicht per se Rechtsradikal oder die Mitglieder überwiegend Neonazis.
Das schwärmerische Russland-Bild der Deutschen

Namentlich in Deutschland spiegelt das Schema dieser Gefühlsmischung die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition eines projektiven Russlandbildes, das zwischen der Angst vor dem unheimlichen, vermeintlich rohen und zivilisatorisch ungebändigten Riesenreich und einer erwartungsvollen Verklärung der vermeintlich unverbildeten geistigen und moralischen Reinheit eines „jungen Volkes“ hin und her schwankt, als welches der „konservativ-revolutionäre“ Kulturphilosoph Arthur Moeller van den Bruck die Russen Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat.
Anders als bei großen Diktatorengestalten des 20. Jahrhunderts gibt es im Falle Putin zwar keine offenen Anhänger und euphorischen Verehrer seiner Person und Ideologie – wohl aber, quer durch die politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen, einen mächtigen Chor von Stimmen, die ihm klammheimliche bis unverhohlene Sympathie, oder doch zumindest großzügiges Verständnis entgegenbringen.
Dass Russland ganz anders ticke als der ungeduldige Westen und mit dessen Vorgaben einer glatten, oberflächlichen Rationalität nicht kompatibel sei, bildet seit über einem Jahrhundert die Prämisse deutscher Russophilie. 1889 nannte Friedrich Nietzsche Russland, „die einzige Macht, die heute Dauer im Leibe hat, die warten kann, die etwas noch versprechen kann“, und erklärte es zum „Gegensatz-Begriff zu der erbärmlichen europäischen Kleinstaaterei und Nervosität“.
Für Rainer Maria Rilke etwa bedeutete die Entdeckung Russlands so etwas wie ein Erlösungserlebnis, das ihn gleichsam zu seinen kreativen Urquellen zurückgeführt habe. 1920 bilanzierte er im Rückblick: „… was verdankt ich Russland –, es hat mich zu dem gemacht, was ich bin, von dort ging ich innerlich aus, alle Heimat meines Instinkts, all mein innerer Ursprung ist dort!“. Und deklamierte: „Dieses ist das Land des unvollendeten Gottes, und aus allen Gebärden des Volkes strömt die Wärme seines Werdens wie ein unendlicher Segen aus.“

Auch Thomas Mann war fasziniert

Thomas Mann unternahm es in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918), diese schwärmerische Russland-Faszination in eine Art kulturgeschichtliches Gegensatzschema einzupassen, das eine grundsätzliche Frontstellung von Deutschen und Russen gegenüber dem Westen begründen sollte. Weil sich sowohl die deutsche als auch die russische Kultur dem anmaßenden „Imperialismus“ und flachen „Zivilisationsliteratentum“ des westlichen Rationalismus widersetzten, verbinde beide Völker eine tiefe Seelenverwandtschaft.

„Der Unterschied von Geist und Politik“, schrieb Thomas Mann, „enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.“ Weil dies in ähnlicher Weise auf die Russen zutreffe, würden sie wie die Deutschen vom Westen missverstanden und drangsaliert.
Der Traum von der deutsch-russischen Achse

Bis die NS-Barbarei mit ihrem rassistischen Hass gegen „slawisches Untermenschentum“ und „jüdischen Bolschewismus“ dem ein mörderisches Ende setzte, geisterte die Option eines Zusammengehens Deutschlands und Russlands gegen den Westen durch Teile der deutschen nationalistischen Rechten.

„Nationalbolschewisten“ wie Moeller van den Bruck und Ernst Niekisch glaubten, in der Oktoberrevolution eine antiwestliche Rückwendung zu russischen „völkischen“ Wurzeln und damit ein Vorbild für die eigene „nationale Erhebung“ erkennen zu können. Nur im fatalen Hitler-Stalin-Pakt 1939-41 flackerte diese Vision noch einmal kurzzeitig auf.

Die besten Russenversteher der Welt?

Der Traum von einem deutsch-russischen Gegengewicht zur übermächtigen Dominanz des Westens lebte aber auch nach dem Krieg in Form neutralistischer Bestrebungen fort. In den aktuellen Forderungen, Moskaus Großmachtambitionen mehr Empathie entgegenzubringen, wirken solche Vorstellungen untergründig auch im heutigen Deutschland nach.

Aufgrund unserer besonderen Fähigkeit zur Einfühlung in das russische Wesen, so scheinen uns die zahlreichen deutschen Beschwichtiger gegenüber Putins Gewaltpolitik zu sagen, könnten wir die wirklichen Beweggründe der Russen besser begreifen als namentlich die oberflächlichen, nur auf ihren kurzfristigen Vorteil bedachten Amerikaner.

https://www.welt.de/kultur/article12557 ... schen.html
Vereint gegen liberale Werte: Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert und fördert

Russische Politiker haben Kontakte zu Rechtsextremen und Populisten in Westeuropa geknüpft: zum Beispiel in Deutschland zur AfD und in Frankreich zum Front National.
RT wird vom russischen Staat finanziert. Chefredakteurin Margarita Simonjan sieht ihren Kanal als eine Art mediales Verteidigungsministerium. Wenn Russland Krieg führe, "ziehen wir mit in die Schlacht", sagt sie.[35] Der Sender macht smarte Propaganda: Berichte über die Lage in Russland gibt es kaum. Den meisten Raum nehmen Themen wie der NSA-Überwachungsskandal oder US-Drohnenangriffe ein.

RT hat von Putin den Auftrag, "das Monopol der angelsächsischen Massenmedien zu brechen".[36] Das gelingt in Ansätzen. Der Sender hat ein Millionenpublikum im Westen. In Großbritannien wuchs die Zahl der regelmäßigen Zuschauer von 2,5 Millionen (2012)[37] auf 3,3 Millionen (2016)[38]. Der Brexit-Befürworter und langjährige Chef der EU-feindlichen UK Independence Party (UKIP) Nigel Farage bekam bei RT bereits regelmäßig ein großes Forum, als ihn die meisten westlichen Medien noch wenig beachteten. Der Sender selbst behauptet stolz, Farage sei "dem RT-Publikum schon länger bekannt als dem Großteil der britischen Wählerschaft".[39]

http://www.bpb.de/politik/extremismus/r ... inspiriert
Natürlich ist die Schnittmenge größer. Es finden sich auch partiell Linke, oder Verschwörungsexperten, Rechtsesotheriker, Globalisierungsgegner, Gegner einer gewissermassen liberalen Gesellschaft (Homosexuelle, Frauenrechte usw) uvm. bei den sogenannten "Putin-Verstehern" oder bei der Sympathie einer engen Zusammenarbeit mit Russland wieder. Nicht zuletzt Trump und auch ein Teil seiner Anhänger sind/waren Putin/Russland gewogen.

Nicht alle davon sind Neonazis. Aber eben auch Konservativ bzw. Rechtskonservativ. Die Affinität zu Putin/Russland ist in den Medien, Äußerungen und in Foren unübersehbar. Das ist nicht gleichbedeutend mit realpolitischen Aspekten. Wenn z.B. Lindner von der FDP fordert wegen den Wirtschaftskontakten Rücksicht auf Russland zu nehmen. Mich interessiert eher die ideologische Affinität oder die "Schwärmerei".
Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.
Wissen stellt eine Barriere dar, die einen daran hindert, etwas in Erfahrung zu bringen.
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