Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

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lamb of god
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Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von lamb of god »

Bevor ihr bei der diesem Absatz folgenden meinerseitigen Analyse weiterlest, empfehle ich interessierten Diskussionsteilnehmern erstmal sich den Antrag selbst durchzulesen.. Es sind nur 25 und dies äusserst weit beschriebene Seiten, sodass der Zeitaufwand kaum über 10 min liegen sollte.


Der Antrag unterteilt sich in 4 große Punkte die ich grob anreisse bevor ich zu ausgewählten Passagen komme.
In Teil 1 kann man das lesen was man auch schon am Wahlabend aus den Reihen der SPD-spitze vernehmen konnte: Wir haben eigentlich alles richtig gemacht, aber anscheinend ein Vermittlungsproblem
Teil 2 beschäftigt sich mit den selbstgestellten Aufgaben in der Opposition. Dabei kommt dem inzwischen für die SPD typische Linksblinken, eine besondere Rolle zu. Würde dort nicht SPD stehen könnten vermutlich 95% der Menschen in diesem Land nicht sagen, ob es sich um einen Antrag von SPD, Grüne oder Linke handelt.
Teil 3 ist im Grunde nur ein Mix aus Teil 1 und Teil 2 in dem das dort bereits Geschriebene mit anderen Worten noch einmal wiedergekäut wird.
Teil 4 ist der eigentlich interessanteste Punkt, da er sich mit den internen Planungen zur Neugestaltung der SPD auseinandersetzt, dewegen möchte ich dort auch zu den Passagen einsteigen.

Da heißt es
Es wird eine permanente Koordinierungsebene mit den Landesverbänden geben. Der Prozess soll zeitlich befristet sein und mit einem Beschluss auf dem Parteitag 2011 abgeschlossen werden.
Da frage ich mich: Sollte eine Institution die primär der vertikalen Kommunikation innerhalb der Partei dient, in einer Partei von der Größe der SPD nicht eine Selbstverständlichkeit sein? Warum muss man sowas erst schaffen und dann nur 2 Jahre? Offensichtlich glaubt man, dass sich bis 2011 die Wogen geglättet haben und man dann weiter so machen kann wie bisher. Um dem Ganzem die Krone aufzusetzen folgt weiter unten
Grundlage muss zunächst eine realistische Einschätzung unserer organisationspolitischen Ausgangslage unter Einbeziehung folgender Aspekte sein:
• Finanzen
• Mitgliederentwicklung
• hauptamtliche Strukturen
• veränderte Bedürfnisse der Mitglieder und potentieller Mitglieder
Bravo! Kein Ton zu den Inhalten, was allerdings nicht wirklich verwundert, da man sich weiter oben, im selbst auf die Schulter klopfen geübt hatte. Offensichtlich wird die SPD von der Spitze eher als Unternehmen und weniger als Partei gesehen.

In Teil 3 kann man z.B. lesen
Wenn sich die Demokratie als erpressbar durch wirtschaftliche Macht erweist, muss diese Macht beschränkt werden. Wo zu viele Entscheidungen durch internationale Vereinbarungen vorgegeben erscheinen, müssen Befugnisse dorthin zurückgeholt werden, wo Bürgerinnen und Bürger mitwirken können. Wo Konsenszwänge politische Verantwortung verschleiern, muss Klarheit und Verantwortlichkeit hergestellt werden. Das erfordert eine Erweiterung der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten auf allen Ebenen: Referenden, Bürgerentscheide, und eine subsidiäre Verteilung von Entscheidungsbefugnissen.
Angesichts dessen, wo heutzutage viele der ehemals verantwortlichen SPD-ler sitzen, muss sich der vakante SPD-Wähler bei diesen Worten total verarscht vorkommen und das ist bei Leibe nicht der einzige Absatz, wo Worte und Taten der Verantwortlichen massiv auseinanderklaffen. So kann man in Teil 2 erfahren
Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland zurückgedrängt wird und Mindestlöhne zumindest die schlimmsten Dumpinglöhne verhindern. Am Ziel eines allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohnes als unterste Grenze halten wir fest. Wir wollen, dass Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu einem zentralen Kriterium wird. Wir werden gegen den Missbrauch von Leiharbeit vorgehen. Wir sehen diesen Missbrauch mit Sorge und unterstützen alle Bemühungen, sie besser zu reglementieren, die Mitbestimmungsrechte zu stärken und den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ebenso durchzusetzen wie einen Mindestlohn.
Eigentlich schlägt es dem Fass den Boden aus, wenn eine Partei behauptet dafür sorgen zu wollen, dass sie die Asozialitäten die sie selbst erst eingeführt hat, bekämpfen will.

Von völliger Faktenresistenz ist der erste Teil geprägt. Da findet man z.B.
Wir brauchen eine politische Sprache, die in der Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger verankert ist. Unsere Sprache muss unsere Werte und Ziele vermitteln. Und sie muss von allen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden. Sie ist das wichtigste Medium der Politik.
Genau! Das typische Geseiere vom Vermittlungsproblem und gleich hinterher
Aktuelle Wahlerfolge auf kommunaler Ebene zeigen, wie entscheidend die enge Einbindung in die Bürgergesellschaft, die Vereine und Verbände vor Ort ist. Hier wächst Vertrauen.
Richtig! Hier wächst Vertrauen. Aber ausser der SPD-spitze dürfte niemand in diesem Land auf den Gedanken kommen in solchen Ergebnissen ein wachsendes Vertrauen zu erkennen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder die Wahlergebnisse der letzten Jahre verstanden hat, aber das wird der SPD im Gesamten nichts nützen, so lange an der Spitze die selben Apparatschiks das Sagen haben, die das Desaster zu verantworten haben. Ein erster Schritt der Basis und des Mittelbaus der Spitze endlich mal Zähne zu zeigen, könnte darin bestehen, diesen Leitantrag vollumfänglich abzulehnen.
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aloa5
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von aloa5 »

Die SOLL-IST Diskrepanz bei der SPD ist gigantisch.
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aloa5
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von aloa5 »

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder die Wahlergebnisse der letzten Jahre verstanden hat, aber das wird der SPD im Gesamten nichts nützen, so lange an der Spitze die selben Apparatschiks das Sagen haben, die das Desaster zu verantworten haben. Ein erster Schritt der Basis und des Mittelbaus der Spitze endlich mal Zähne zu zeigen, könnte darin bestehen, diesen Leitantrag vollumfänglich abzulehnen.
Ich glaube dazu müsste sich erst einmal die Erde in eine andere Richtung drehen.

Letztlich wird an Parteitagen oft mit der Alternativlosigkeit gewunken. So lange kein alternativer Antrag existiert der wirklich gut ist wird immer das gewählt was von oben kommt.
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lamb of god
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von lamb of god »

aloa5 hat geschrieben:
Letztlich wird an Parteitagen oft mit der Alternativlosigkeit gewunken. So lange kein alternativer Antrag existiert der wirklich gut ist wird immer das gewählt was von oben kommt.
Es gibt da wohl aus linken Reihen einen Versuch sowas zu starten, aber dem verschliessen sich die so genannten Linken der Spitze. Ich frage mich nur wie lange sich die Basis mit TINA abfüttern läßt. Wenn das nämlich so ist, wären die 23% auch alternativlos.

Ich weiß nicht wie es den anderen in der realen Welt mit SPD-lern geht, aber mir ist aufgefallen, dass alle die ich kenne über das BTW-Ergebnis nicht reden wollen und zwar unabhängig davon, wo sie aus der Republik stammen. Als Analogie könnte man einen resignierten Vogel Strauss heranziehen.:dunno:
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Claud
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von Claud »

lamb of god hat geschrieben: In Teil 1 kann man das lesen was man auch schon am Wahlabend aus den Reihen der SPD-spitze vernehmen konnte: Wir haben eigentlich alles richtig gemacht, aber anscheinend ein Vermittlungsproblem
Bitte verzeihe mir, ich halte es hier recht kurz, aber genau dieser Meinung bin ich ebenfalls, da ich recht wenige Punkte entdecke, in den letzten Regierungsjahren, die ich wirklich für verdammenswert empfinde, als dass meiner Meinung nach die Sozialdemokraten so stark hätten abgestraft werden können und sollen, wie es jetzt geschehen ist. Es ist ein Übermittlungs- und Standhaftigkeitsproblem.

Alles richtig, dies trifft es durchaus nicht ganz, aber vieles, dies würde passen.
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aloa5
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von aloa5 »

da ich recht wenige Punkte entdecke, in den letzten Regierungsjahren, die ich wirklich für verdammenswert empfinde, als dass meiner Meinung nach die Sozialdemokraten so stark hätten abgestraft werden können und sollen, wie es jetzt geschehen ist.
Faktisch empfinden das überzeugte Menschen auch so. Das ist der Grund warum sie abgewählt werden. ;) Sie würden es nämlich jederzeit wieder tun und weiter so machen (alternativlos eben).

Schon gut so das die SPD derzeit und hoffentlich für länger (ver)schwindet. Dort kann man sich Alternativen überlegen. Wenn man diese gefunden hat wird man wählbar. So lange man lediglich nach einem Weg sucht die Ära Schröder zu vermitteln wird das nicht geschehen.

Grüße
ALOA
Zuletzt geändert von aloa5 am Sa 31. Okt 2009, 10:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von lamb of god »

Claud hat geschrieben:Bitte verzeihe mir, ich halte es hier recht kurz, aber genau dieser Meinung bin ich ebenfalls, da ich recht wenige Punkte entdecke, in den letzten Regierungsjahren, die ich wirklich für verdammenswert empfinde, ...
Zum Thema ob richtig oder nicht gibt es ja andere Threads und ob du das nicht siehst ist genauso irrelevant wie meine oder jedes anderen Meinung dazu. Die Frage die sich die SPD stellen muss ist ja warum sich 10Mio Wähler die 98(da warst du 11 oder 12?) noch SPD wählten nach 11 Jahren Regieriungsbeteiligung dieser Partei nicht mehr wählten.

Es sind ja nicht nur 10Mio Wähler die der SPD bei den BTW fehlten sondern auch 10 Mio Wähler die der SPD inzwischen in den den Landtagen und den Kommunen fehlen. Ausser RLP hat die SPD in allen Ländern verloren und das zumeist genauso Zweistellig wie im Bund.

Die SPD trat im Bund seit 98 3 Mal mit der Behauptung an, für sozialere und gerechtere Politik einzutreten als die Vorgänger und hat jedes Mal ihre Wählerklientel um die es ja primär erstmal geht enttäuscht. Dass bspw. unter der SPD die Schere bei gleichzeitigem Erodieren Mittelschicht auseinanderging, behaupte ja nicht ich, sondern unabhängig voneinander verschiedenliche Instititutionen. Das Selbe gilt für Bildung, Gesundheit, Rente etc. Dass sie erst jetzt 23% bekam ist für mich eigentlich ein Wunder. Die 23% von heute hätte sie imo schon 2005 verdient. Kein Mensch der wirklich will, dass sich sich das Soziale aus der Gesellschaft verabschiedet wählt SPD. Da wählt man FDP oder Union. Da ist man auf der sicheren Seite, denn im Gegensatz zur SPD gibt es dort keine Flügel die da störend wirken.

Der Leitantrag, um den es hier ja geht, wurde zu 100% von Leuten verfasst, die die Verantwortung für das Desaster tragen. Dass die ungern zugeben, dass sie Scheisse gebaut haben, ist nur zu verständlich. In der Konsequenz müsste ein solcher Leitantrag also aus von Leuten aus der SPD kommen, die unbelastet von der Vergangenheit sind. Nun wurde aber schon bei der Inthronisation des zukünftigen Vorstandes genau damit weitergemacht womit man laut Papier eigentlich brechen will :arrow: Unglaubwürdig von A-Z. :dunno:
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Re: Leitantrag des Parteivorstands der SPD zum Bundesparteitag

Beitrag von aloa5 »

Dass die ungern zugeben, dass sie Scheisse gebaut haben, ist nur zu verständlich.
Es ist die Frage ob sie das überhaupt so sehen. Und da liegt das Problem. Die SPD-Führung hält das Vorgehender letzten 12 Jahre u.U. für sozial und gerecht etc..

Zumindest für sozialer und gerechter als es jede CDU/FDP-Regierung in der Zeit in der Regierung erledigt hätte. So sieht man das vermutlich.

Das ist recht traurig.

Grüße
ALOA
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