Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

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schokoschendrezki
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(26 Dec 2016, 14:48)

Aber denk dran, manche Ungarn mögen keine Ausländer ;)
Ich weiß. Es gibt sogar eine im Parlament bedeutsam vertretene Partei, die sich offiziell dazu bekennt, Juden nicht zu mögen. Einmalig skandalös in Europa. Gleichzeitig gibt es in Budapest in der Dohány Utca (Tabakgasse) die größte jüdische Synagoge Europas, die jedoch, im Gegensatz zur Synagoge etwa in Berlin, weder durch Metallpöller gesichert noch durch schwerbewaffnete SIcherheitskräfte bewacht werden muss. Jedermann/frau kann sie ungehindert betreten, ohne dass es irgendwann zu nennenswerten Zwischenfällen kam.
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Selina
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 19:25)

Ich weiß. Es gibt sogar eine im Parlament bedeutsam vertretene Partei, die sich offiziell dazu bekennt, Juden nicht zu mögen. Einmalig skandalös in Europa. Gleichzeitig gibt es in Budapest in der Dohány Utca (Tabakgasse) die größte jüdische Synagoge Europas, die jedoch, im Gegensatz zur Synagoge etwa in Berlin, weder durch Metallpöller gesichert noch durch schwerbewaffnete SIcherheitskräfte bewacht werden muss. Jedermann/frau kann sie ungehindert betreten, ohne dass es irgendwann zu nennenswerten Zwischenfällen kam.
Ich war mal in den 70ern in Budapest für zwei Wochen. Hat mich schwer beeindruckt damals diese Stadt. Die kam meinen Freunden und mir damals sehr westlich vor im Vergleich zum restlichen soz. "Lager". Also viel Vergnügen!
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Re: Re:

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 19:13)

Erst mal ganz sachlich: Ein "Katalysator" ist niemals primär ursächlich. Nur innerhalb der beeinflussenden Faktoren mag der eine Katalysator wichtiger sein als der andere. Und dann polemisch: "Schwadronieren" stammt ursächlich aus der Sprache der Studenten der schlagenden Verbindungen und bedeutete quasi ein wildes Herumfuchteln mit der Waffe bzw. im übertragenen SInne ein wildes Herumfuchteln mit nationalen Gefühlen in sprachlichen Phrasen.
Ein "Katalysator" kann Reaktionen/Ereignisse sowohl beschleunigen, als auch bremsen.
Du hast allerdings der SPD am Ausbruch des WK1 zugesprochen und das stimmt so nicht, weil es nationalistische Bestrebungen (ist ein Unterschied zu Nationalgefühl und sollte auch nicht gleichgesetzt werden) in den anderen europäischen Staaten in gleichem Maß.
schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Dec 2016, 19:13)Ich könnte mich durchaus auf eine Diskussion einlassen, wie heterogene Gesellschaften aus Individualisten und Gruppenidentifizierten funktionieren könnten ... Dass Gruppenzugehörigkeit zwingend sein soll, hält mich aber davon ab. Nicht, weil ich mich nicht zwingen lasse (das sowieso nicht), sondern weil das Bestehen auf "Zwang" auf Ideologie hindeutet. Da ist (sachliche) Diskussion sinnlos ...
Du weißt aber schon, was ein menschlichen Grundbedürfnisses ist und du weißt auch, dass Grundbedürfnisse vor allen anderen Bedürfnissen befriedigt werden?
Daraus ergibt sich das "zwingend", nicht weil von außen Zwang ausgeübt wird.
Auch Individualisten streben nach Anerkennung und wollen sich irgndwo zugehörig fühlen - heißt auch Individualisten identifizieren sich mit Gruppen. Unabhängig und außerhalb der Gesellschaft (im "luftleeren Raum") sind auch Individualisten nicht lebens- oder überlebensfähig. Du scheinst absolut nicht verstehen zu wollen, dass "Gruppenzugehörigkeit" nicht gleichbedeutend mit Kollektivismus oder Konformismus ist.
Gruppenzughörigkeit hat auch nichts mit "Gruppenidentifizierten" zu tun, weil diese Identifikation eben nicht von außen (durch die Gesellschaft) vorgenommen wird, sondern vom Individuum selbst erfolgt. Es besteht also kein Widerspruch zwischen Individualismus und Gruppenzugehörigkeit.
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Re: Re:

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(27 Dec 2016, 14:14)
Du weißt aber schon, was ein menschlichen Grundbedürfnisses ist und du weißt auch, dass Grundbedürfnisse vor allen anderen Bedürfnissen befriedigt werden?
Daraus ergibt sich das "zwingend", nicht weil von außen Zwang ausgeübt wird.
Auch Individualisten streben nach Anerkennung und wollen sich irgndwo zugehörig fühlen - heißt auch Individualisten identifizieren sich mit Gruppen. Unabhängig und außerhalb der Gesellschaft (im "luftleeren Raum") sind auch Individualisten nicht lebens- oder überlebensfähig. Du scheinst absolut nicht verstehen zu wollen, dass "Gruppenzugehörigkeit" nicht gleichbedeutend mit Kollektivismus oder Konformismus ist.
Selbstverständlich existieren auch Individualisten nicht im luftleeren Raum. Schon deshalb nicht, weil die Muttersprache in jeder Hinsicht prägend für den Menschen ist. Nur: Erstens hat diese Prägung niemals eine eindeutige Richtung. Man kann etwa aus dem Einfluss einer dominanten Mutter jede beliebige Charaktereigenschaft herleiten. Genau wie auch die gegenteilige Eigenschaft. Es ist - unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten - einfach das bessere Lebensmodell, davon auszugehen, von gar nix geprägt und nur und allein eigenverantwortlich und aus eigenem Entschluss zu handeln. Vor allem aber gehört zweitens der Begriff "Nation" im Gegensatz etwa zu Muttersprache ganz sicher nicht zu diesen Prägungen und ist ein künstlicher Begriff viel jüngeren Datums mit politischer Ausrichtung.
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frems
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

ZEIT ONLINE: Nun fühlen viele Franzosen aber ein Wir, einfach weil sie zusammen in Frankreich leben. Und Deutschen geht es ähnlich.

Guérot: Erstmal ist doch die Frage: Stimmt das? Ich bezweifle, dass es gerade zu einer Renationalisierung kommt, wie viele behaupten. Ich war vor drei Tagen in London. Dort gibt es zwei Lager: Entweder jung oder alt, London oder Landbevölkerung, dafür oder dagegen. Aber wer sind jetzt die Briten? Die Europäer, die für den Brexit waren oder die anderen? Wo ist die Einheit der britischen Nation?
deutsche Nation. Mit welchem Recht behaupten diese Gruppen, das deutsche Volk zu sein? [...]

Die Renationalisierung, von der so viel geredet und über die so viel geschrieben wird, findet in Wahrheit nur an der Oberfläche statt. Darunter sind die Nationen längst gespalten. Es findet eine transnationale Debatte statt, die sich grundlegend in zwei Lager aufteilen lässt: Da sind diejenigen, die für eine europäische Abschottung stehen. Selbst die Identitären haben sich kürzlich zu einem Kongress in Linz getroffen, der Titel war: die Verteidigung Europas. Das andere Lager sind jene, die das Erbe der französischen Revolution und der Aufklärung verteidigen.

ZEIT ONLINE: Wann verschwindet der Nationalstaat?

Guérot: Der Nationalstaat wird verschwinden. Schon jetzt ist er teilweise verschwunden. Es gibt eine große Städtebewegung, Leute sagen: Ich komme aus Barcelona oder London, nicht aus Spanien oder Großbritannien. Die zentrale Frage ist: Ist das Nationale das wichtigste identitäre Merkmal? Oder gibt es andere Merkmale, die über dem Nationalen stehen können? [...]

Vielmehr sage ich mit Robert Menasse: Heimat ist Region, Nation ist Fiktion.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016 ... ettansicht

Interessanter letzter Satz bzw. Zitat. Geht einher mit Umfragen, wonach die Heimatregion bzw. -stadt für Europäer der wichtigste Identifikationspunkt ist, weit vor dem Nationalstaat.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Ich würde Heimatregion oder auch "Heimatgefühl" jetzt allerdings weniger mit "bewusster Identifikation" verbinden. Es ist ein sehr menschliches und psychologisch völlig erklärliches Gefühl, das nicht zuletzt mit der beruhigenden Wirkung von Komplexitätsreduktion zusammenhängt. Ich kann mir in aller Ruhe die Wiesen, Bäume und den Abendhimmel anschauen, weil ich nicht erst überlegen muss, wo ich langzugehen habe oder Sätze in einer fremden Sprache gedanklich zusammenflicken muss. Und: Heimatgefühl schließt sehr wohl und gerade auch kritische Distanz ein. Denn man weiß in der Regel ziemlich genau, wo die häßlichen Ecken sind und weshalb es sie gibt.

Besonders die letzten Präsidentenwahlen in Österreich haben diesen Unfug mit der primären Nationenbindung gezeigt. Einen Wiener van-der-Bellen-Wähler und einen Lndoner Brexit-Verneiner verbindet weit mehr als die beiden gegensätzlichen poliitischen Lager in jeweils einem der beiden Länder.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(04 Jan 2017, 12:31)

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016 ... ettansicht

Interessanter letzter Satz bzw. Zitat. Geht einher mit Umfragen, wonach die Heimatregion bzw. -stadt für Europäer der wichtigste Identifikationspunkt ist, weit vor dem Nationalstaat.
Sehr gutes Interview, die Grundaussagen sehe ich ähnlich:

Zitat:

Guérot: Der Nationalstaat wird verschwinden. Schon jetzt ist er teilweise verschwunden. Es gibt eine große Städtebewegung, Leute sagen: Ich komme aus Barcelona oder London, nicht aus Spanien oder Großbritannien. Die zentrale Frage ist: Ist das Nationale das wichtigste identitäre Merkmal? Oder gibt es andere Merkmale, die über dem Nationalen stehen können? [...]
Vielmehr sage ich mit Robert Menasse: Heimat ist Region, Nation ist Fiktion.


Genau. Und so, wie "die Nation" Fiktion ist, halte ich auch die Diskussionen bei den Identitären und bei der AfD um das "Bewahren der deutschen Nation" und das "Schützen der Nation vor fremden Einflüssen" für pure Erfindung und Fiktion aus politischem Kalkül. Sorgen bereiten mir dabei die rechtsradikalen Tendenzen in Denken und Sprache dieser Leute, weil sie immer salonfähiger werden.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

Selina hat geschrieben:(04 Jan 2017, 12:46)
Und so, wie "die Nation" Fiktion ist, halte ich auch die Diskussionen bei den Identitären und bei der AfD um das "Bewahren der deutschen Nation" und das "Schützen der Nation vor fremden Einflüssen" für pure Erfindung und Fiktion aus politischem Kalkül.
Weil es mir gefällt, wenn sich Diskussionen im Kreis drehen und ich mich gern selbst zitiere, stimme ich dir hier mit folgendem Zitat weitestgehend zu:
Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:52)

Nation ist m. E. ein Konstrukt, dass der politische Verstand sich im Nachhinein zurecht bastelt, um die unbewussten Regungen seines Identitätsbedürfnis zu verstehen (und dann für machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren). Deswegen sprach ich ja davon es in konstruktive Bahnen zu lenken: Lieber Identifikation im Kleinen (Heimat, Nachbarschaftlichkeit, Naturschutz, Ehrenamt, Fußballverein) statt im Großen (Nation, Europäische Union, der Westen, das Abendland).

Allerdings sind natürlich das Sprechen derselben Sprache und das Befolgen derselben Alltagsregeln maximal identitätsstiftend (weswegen Navid Kermani oder Hamed Abdel-Samad welche von 'uns' sind, und der nur arabisch sprechende Iman, der Frauen nicht die Hand gibt, einer von 'denen' ist).
"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann."
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Selina hat geschrieben:(04 Jan 2017, 12:46)
Guérot: Der Nationalstaat wird verschwinden. Schon jetzt ist er teilweise verschwunden. Es gibt eine große Städtebewegung, Leute sagen: Ich komme aus Barcelona oder London, nicht aus Spanien oder Großbritannien. Die zentrale Frage ist: Ist das Nationale das wichtigste identitäre Merkmal? Oder gibt es andere Merkmale, die über dem Nationalen stehen können? [...]
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Genau. Und so, wie "die Nation" Fiktion ist, halte ich auch die Diskussionen bei den Identitären und bei der AfD um das "Bewahren der deutschen Nation" und das "Schützen der Nation vor fremden Einflüssen" für pure Erfindung und Fiktion aus politischem Kalkül. Sorgen bereiten mir dabei die rechtsradikalen Tendenzen in Denken und Sprache dieser Leute, weil sie immer salonfähiger werden.
Ob der Nationalstaat verschwindet, weiß ich nicht. Ich denke aber schon, dass er an Bedeutung verliert. Einerseits weil die Leute heutzutage mobiler sind. Zum anderen sind viele Probleme der heutigen Zeit nicht mehr nationalstaatlich zu lösen. Dass ältere Nationalisten nochmal laut zucken, ist da nur nachvollziehbar, auch wenn man viele Parolen abstoßend findet. So ist das halt bei jeder Generation, die mit Veränderungen konfrontiert wird, die sie über Jahrzehnte nicht für vorstellbar hielten. Und ich denke, dass das die heutige Jugend in 40, 50 Jahren auch betreffen wird, wenn auch mit völlig anderen Themen. Man sieht's ja auch beim technischen Fortschritt. "Digital natives" können nur mit den Augen rollen, wenn ältere Personen das Internet zum "Neuland" erklären, während sie selbst damit aufwuchsen und beim Umgang ihren Eltern und Großeltern weit voraus sind.

Gleichzeitig haben wir es global mit einer Urbanisierung zu tun. In der Wissenschaft wird da manchmal das Kofferwort der Glokalität benutzt, welches vereinfacht sagt, dass einerseits viele Bereiche (Handel, Digitalisierung, Bildung, Wirtschaft, Netzwerke etc.) immer internationaler werden. Gleichzeitig zieht es -- quasi als ergänzende, nicht ersetzende "Gegenbewegung" -- Menschen immer mehr auf die lokale Ebene, die bekanntlich eine stärkere Identifikation bietet als der Nationalstaat. Die eigene Stadt, in der man täglich verkehrt und seinen Mittelpunkt hat (Arbeit, Bekannte, Freizeit), ist eben "näher" als eine abstrakte Nation, die man primär über Medien wahrnimmt. Im Debattenblatt European gab's da mal auch eine recht spannende Reihe, wonach Städte bzw. Metropolregionen politisch immer stärker an Bedeutung gewinnen -- auf globaler, nicht nationaler Ebene. Falls von Interesse: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11.

Artikel 1 ist von der bekannten Soziologin Saskia Sassen, die lange im Bereich "Global City" forschte. Ich fand aber vor allem Artikel 2 (Benjamin Barber) und 3 (Parag Khanna) interessant. 4 bis 11 beschäftigen sich vor allem mit technischen Innovationen (Verkehr, Ökologie, Energie, Digitalisierung usw.).
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(09 Jan 2017, 01:03)

Gleichzeitig zieht es -- quasi als ergänzende, nicht ersetzende "Gegenbewegung" -- Menschen immer mehr auf die lokale Ebene, die bekanntlich eine stärkere Identifikation bietet als der Nationalstaat. Die eigene Stadt, in der man täglich verkehrt und seinen Mittelpunkt hat (Arbeit, Bekannte, Freizeit), ist eben "näher" als eine abstrakte Nation, die man primär über Medien wahrnimmt.
Vielen Dank für die interessanten Infos. Das mit der Regionalisierung von Befindlichkeiten und Gefühlswelten ist mir natürlich bekannt. Dazu wurde auch im Osten bereits in den 70ern und 80ern geforscht und erkannt, dass die Identifikation mit dem Regionalen und die Heimatverbundenheit (etwa "ich bin aus der Lausitz" oder "ich bin Thüringer" oder "ich bin Leipziger") eine große, ja wachsende Rolle für die Menschen spielte. Vielleicht auch als Pendant zur wachsenden Komplexität der Prozesse und zur Globalisierung, die man damals natürlich anders nannte. Und sicher auch als Versuch, sich vor allzu viel bevormundender Staatlichkeit zu retten. Heute ist das ähnlich. Nur mit anderen Vorzeichen natürlich. Wobei ich dennoch eine gewisse "völkische" Hinwendung zur "Nation" sehe, sehr gut und sehr pointiert und zugespitzt gestern im "Tatort" zu sehen. Stichwort "Ethnien dürfen sich nicht vermischen". Mir wird kalt dabei. Ansonsten habe ich gegen eine gewisse Bodenständigkeit und regionale Verbundenheit mit dem Leben und den Leuten vor Ort nichts einzuwenden. Wär ja auch weltfremd. Solange es keine Heimattümelei ist, ist alles gut.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Ein großartiges aktuelles Buch des schweizerisch-israelischen Psychologie- und Philosophie-Professors Carlo Strenger mit Bezug (u.a.) zum Thema: "Abenteuer Freiheit". Vorgestern in "Andruck" rezensiert: http://www.deutschlandfunk.de/demokrati ... _id=383355. Seine Grundthese besteht darin, dass "Freiheit" als Lebensgefühl in den westlichen Nachkriegswohlstandsgesellschaften zu einem bloßen Schlagwort verkommen ist und gleichzeitig die Tragik der menschlichen Existenz bedeutet. Eine absolut nichttriviale Erkenntnis: Sich zur individuellen Freiheit zu bekennen bedeutet Anstrengung, bedeutet, den Weg des geringsten Widerstands zu verlassen. Ist dem universell gültigen physikalisch-biologischen Naturgesetz der Wirkungsminimierung entgegengesetzt. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, dass jemand heute, in dieser durch und durch hedonistischen Epoche ernsthaft dazu auffordert, sich zur "Tragik der menschlichen Existenz" zu bekennen. Genau darin und nicht in der Wohlfühl-Optimierung, den Weg der Selbsterkenntnis zu sehen. Und umgekehrt: Die Identitäts-Angebote (Religion, Klasse, Nation usw.) als Abwendung einmal von individueller Freiheit aber auch als Hinwendung zu Bequemlichkeitsangeboten, zu Komplexitätsreduktionsangeboten darzustellen. Freiheit ist unbequem, anstrengend und tragisch. Identität ist bequem, leicht und freudvoll.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Apr 2017, 13:40)

Ein großartiges aktuelles Buch des schweizerisch-israelischen Psychologie- und Philosophie-Professors Carlo Strenger mit Bezug (u.a.) zum Thema: "Abenteuer Freiheit". Vorgestern in "Andruck" rezensiert: http://www.deutschlandfunk.de/demokrati ... _id=383355. Seine Grundthese besteht darin, dass "Freiheit" als Lebensgefühl in den westlichen Nachkriegswohlstandsgesellschaften zu einem bloßen Schlagwort verkommen ist und gleichzeitig die Tragik der menschlichen Existenz bedeutet. Eine absolut nichttriviale Erkenntnis: Sich zur individuellen Freiheit zu bekennen bedeutet Anstrengung, bedeutet, den Weg des geringsten Widerstands zu verlassen. Ist dem universell gültigen physikalisch-biologischen Naturgesetz der Wirkungsminimierung entgegengesetzt. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, dass jemand heute, in dieser durch und durch hedonistischen Epoche ernsthaft dazu auffordert, sich zur "Tragik der menschlichen Existenz" zu bekennen. Genau darin und nicht in der Wohlfühl-Optimierung, den Weg der Selbsterkenntnis zu sehen. Und umgekehrt: Die Identitäts-Angebote (Religion, Klasse, Nation usw.) als Abwendung einmal von individueller Freiheit aber auch als Hinwendung zu Bequemlichkeitsangeboten, zu Komplexitätsreduktionsangeboten darzustellen. Freiheit ist unbequem, anstrengend und tragisch. Identität ist bequem, leicht und freudvoll.
Und nun braucht es noch eine pfiffige Begründung, warum Menschen nicht das Recht haben sollten, " bequem, leicht und freudvoll", also mit Identität, leben zu wollen.
Gerade ein "schweizerisch-israelischen Psychologie- und Philosophie-Professor " steckt da mitten im Thema "Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl" und deren Widersprüchlichkeiten.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(12 Apr 2017, 14:24)

Und nun braucht es noch eine pfiffige Begründung, warum Menschen nicht das Recht haben sollten, " bequem, leicht und freudvoll", also mit Identität, leben zu wollen.
Sie haben jedes Recht dazu. Die Brisanz der Aussagen Carlo Strengers besteht darin, dass "Freiheit" im individuellen Bereich eben gerade keine Selbstverständlichkeit gesellschaftlich gegebener Zustände ist, sondern eine bewusste Entscheidung einzelner Menschen, Individuen für eine tragische Existenz, aber eben auch für tatsächliche individuelle Freiheit jenseits von "Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl".
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Apr 2017, 15:07)

Sie haben jedes Recht dazu. Die Brisanz der Aussagen Carlo Strengers besteht darin, dass "Freiheit" im individuellen Bereich eben gerade keine Selbstverständlichkeit gesellschaftlich gegebener Zustände ist, sondern eine bewusste Entscheidung einzelner Menschen, Individuen für eine tragische Existenz, aber eben auch für tatsächliche individuelle Freiheit jenseits von "Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl".
Ja, aber diese "Brisanz" ist doch keine Neuigkeit, finde ich ....
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(12 Apr 2017, 15:15)

Ja, aber diese "Brisanz" ist doch keine Neuigkeit, finde ich ....
Nach drei Nachrkriegsgenerationen, die mit Glücks- und Wohlstandsversprechen aufgewachsen sind? In einem anderen Kommentar zu Strengers neuem Buch heißt es:
Strenger sieht im Mentalitätsbestand der westlichen Gesellschaften mehrere, gravierende Probleme. Nach sieben Jahrzehnten fast ununterbrochenem Frieden und ständig steigendem Wohlstand, zumindest in Europa und den USA, gebe es nun drei Generationen, die nie für Freiheit kämpfen mussten. Diese nähmen die Freiheit als selbstverständlich, sagte Strenger.

Die Idee der Freiheit müsse man aber immer wieder durchdenken. Die liberale politische Ordnung sei sehr fragil und müsse gepflegt, gehegt und verteidigt werden. Doch diese Erkenntnis sei unpopulär geworden: Es solle alles so bequem wie möglich sein.

Die westliche Kultur verdrängt nach Ansicht des Philosophen zudem, dass das menschliche Leben im Grundsatz eine tragische Struktur hat. Alle meinten, ein Recht auf Glück zu haben - und machten dann die Gesellschaft oder die Eltern verantwortlich, wenn es sich nicht einstelle.

Strenger wirbt für eine grundsätzlich andere, schmerzhafte Perspektive.
Ich finde schon, dass ein solches Bekenntnis zur Tragik etwas, naja, ziemlich gegen den Strich der Zeit gerichtetes ist. Kritisieren würde ich nur den einseitigen Blick auf den Westen. Das "Recht auf Glück" kann auch in der Perspektive gesehen werden, gemeinsam mit allen einem Putin oder Erdogan als geeinte Nation oder auch Religionsgemeinschaft hinterherzulaufen. Dabei nicht mitzumachen ist ebenso tragisch wie gleichermaßen individuell-freiheitlich wie das westliche Wohlstandsversprechen anzuzweifeln.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(12 Apr 2017, 15:48)

Nach drei Nachrkriegsgenerationen, die mit Glücks- und Wohlstandsversprechen aufgewachsen sind? In einem anderen Kommentar zu Strengers neuem Buch heißt es:


Ich finde schon, dass ein solches Bekenntnis zur Tragik etwas, naja, ziemlich gegen den Strich der Zeit gerichtetes ist. Kritisieren würde ich nur den einseitigen Blick auf den Westen. Das "Recht auf Glück" kann auch in der Perspektive gesehen werden, gemeinsam mit allen einem Putin oder Erdogan als geeinte Nation oder auch Religionsgemeinschaft hinterherzulaufen. Dabei nicht mitzumachen ist ebenso tragisch wie gleichermaßen individuell-freiheitlich wie das westliche Wohlstandsversprechen anzuzweifeln.
Da bin ich ganz bei Dir. Ist aber eben nicht neu für mich.
Ich bin schon vor vielen Jahren, es werden so ca. 40 sein, auf diese "Tragik" gekommen, als ich begann, mich mit der Geschichte Israels zu beschäftigen.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

ThorsHamar hat geschrieben:(12 Apr 2017, 16:05)

Da bin ich ganz bei Dir. Ist aber eben nicht neu für mich.
Ich bin schon vor vielen Jahren, es werden so ca. 40 sein, auf diese "Tragik" gekommen, als ich begann, mich mit der Geschichte Israels zu beschäftigen.
Sofern das nicht auch nur einem verbreiteten Anti-Israel-Reflex folgt und offen ist auch für die Pro-Israel- (und nicht nur einfach philosemitische) Sicht ... völlig o.k. und aus meiner Sicht eingeordnet in die kleine Minderheit der Freiheitsliebenden.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(13 Apr 2017, 08:10)

Sofern das nicht auch nur einem verbreiteten Anti-Israel-Reflex folgt und offen ist auch für die Pro-Israel- (und nicht nur einfach philosemitische) Sicht ... völlig o.k. und aus meiner Sicht eingeordnet in die kleine Minderheit der Freiheitsliebenden.
Es war damals eine Folge meiner Israel Begeisterung ....
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Nochmal was zum Thema "deutsche Nation":
Wir sind das Volk der Unsicherheit und Selbstbefragung. In seiner monumentalen Studie „Was ist deutsch?“ legt der Heidelberger Professor Dieter Borchmeyer die deutsche Geschichte und Kultur auf die Couch. [...]

Die Deutschen, sagt man, wissen nicht, wer sie sind. Es hat auch damit zu tun, dass der Weg in den Nationalstaat für die Deutschen weit weniger zwingend war als etwa für Franzosen, Polen oder Belgier.

Das Gegenstück zur Zersplitterung der Deutschen in der Provinz war eine Ahnung und – bei Goethe und Schiller etwa – die Gewissheit, dass der politische Nationalstaat nicht zu den Deutschen passt, weil er zu eng, zu wenig menschheitlich ist. Das widerspricht der weitverbreiteten Überzeugung, alle Wege der Deutschen hätten seit eh und je direkt in den chauvinistischen Nationalstaat und dann in den Holocaust geführt. [...]

Goethe sah die Deutschen unfähig zur Nation, und das gefiel ihm durchaus. Er, das „Zeitablehnungsgenie“ (Heinrich Heine), stemmte sich gegen den nationalen Trend, weil er mehr wollte. Er wollte die Deutschen aus ihrer „Selbstigkeitslust“ befreien und sah „die Epoche der Welt-Literatur an der Zeit“.

Politischer war Schiller, der – heute fast vergessen – entschieden für übernationale Zusammenschlüsse, für ein vereintes Europa, eine „europäische Staatengesellschaft“ stritt. All jene, die heute wieder vom souveränen Nationalstaat träumen und sich dabei auch auf das kulturelle Erbe der „Weimarer Klassik“ berufen, sollte es beschämen, dass ihnen die Weimarer Koryphäen schon vor mehr als 200 Jahren weit voraus waren.
https://www.welt.de/kultur/literarische ... schen.html
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(09 Jan 2017, 01:03)

Ob der Nationalstaat verschwindet, weiß ich nicht. Ich denke aber schon, dass er an Bedeutung verliert. Einerseits weil die Leute heutzutage mobiler sind. Zum anderen sind viele Probleme der heutigen Zeit nicht mehr nationalstaatlich zu lösen. Dass ältere Nationalisten nochmal laut zucken, ist da nur nachvollziehbar, auch wenn man viele Parolen abstoßend findet. So ist das halt bei jeder Generation, die mit Veränderungen konfrontiert wird, die sie über Jahrzehnte nicht für vorstellbar hielten. Und ich denke, dass das die heutige Jugend in 40, 50 Jahren auch betreffen wird, wenn auch mit völlig anderen Themen. Man sieht's ja auch beim technischen Fortschritt. "Digital natives" können nur mit den Augen rollen, wenn ältere Personen das Internet zum "Neuland" erklären, während sie selbst damit aufwuchsen und beim Umgang ihren Eltern und Großeltern weit voraus sind.

Gleichzeitig haben wir es global mit einer Urbanisierung zu tun. In der Wissenschaft wird da manchmal das Kofferwort der Glokalität benutzt, welches vereinfacht sagt, dass einerseits viele Bereiche (Handel, Digitalisierung, Bildung, Wirtschaft, Netzwerke etc.) immer internationaler werden. Gleichzeitig zieht es -- quasi als ergänzende, nicht ersetzende "Gegenbewegung" -- Menschen immer mehr auf die lokale Ebene, die bekanntlich eine stärkere Identifikation bietet als der Nationalstaat. Die eigene Stadt, in der man täglich verkehrt und seinen Mittelpunkt hat (Arbeit, Bekannte, Freizeit), ist eben "näher" als eine abstrakte Nation, die man primär über Medien wahrnimmt. Im Debattenblatt European gab's da mal auch eine recht spannende Reihe, wonach Städte bzw. Metropolregionen politisch immer stärker an Bedeutung gewinnen -- auf globaler, nicht nationaler Ebene. Falls von Interesse: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11.

Artikel 1 ist von der bekannten Soziologin Saskia Sassen, die lange im Bereich "Global City" forschte. Ich fand aber vor allem Artikel 2 (Benjamin Barber) und 3 (Parag Khanna) interessant. 4 bis 11 beschäftigen sich vor allem mit technischen Innovationen (Verkehr, Ökologie, Energie, Digitalisierung usw.).
Tja aber schon komisch, wenn usere französischen Nachbarn ihre Sprache als Hauptmerkmal ihrer nationalen Identität betrachten und das sogar in der Verfassung verankern und die Academie Francaise über die Reinhaltung der französischen Sprache wacht.
Irgendwie haben doch nur "die die schon immer hier leben" (deutsche sagen, ist ja verpönt), ein Problem mit nationaler Identität.
Nur hier muss man sich als räächts titulieren lassen oder als "identitär", wenn von Nationalgefühl, nationaler Identität etc die Rede ist. Sorry, aber für mich grenzt sowas an Paranoia.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:47)

Tja aber schon komisch, wenn usere französischen Nachbarn ihre Sprache als Hauptmerkmal ihrer nationalen Identität betrachten und das sogar in der Verfassung verankern und die Academie Francaise über die Reinhaltung der französischen Sprache wacht.
Irgendwie haben doch nur "die die schon immer hier leben" (deutsche sagen, ist ja verpönt), ein Problem mit nationaler Identität.
Nur hier muss man sich als räächts titulieren lassen oder als "identitär", wenn von Nationalgefühl, nationaler Identität etc die Rede ist. Sorry, aber für mich grenzt sowas an Paranoia.
Ich finde es auch sehr paranoid, wenn man sich einbildet, es sei verpönt "Deutsche" zu sagen. So ein verkrampftes Verhalten und Aussagen wie "Man darf sich nicht zu Deutschland bekennen, blabla" finde ich wahrlich skurril, weil's Millionen von Menschen tun und es niemanden stört.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:54)

Ich finde es auch sehr paranoid, wenn man sich einbildet, es sei verpönt "Deutsche" zu sagen. So ein verkrampftes Verhalten und Aussagen wie "Man darf sich nicht zu Deutschland bekennen, blabla" finde ich wahrlich skurril, weil's Millionen von Menschen tun und es niemanden stört.
Und warum kriegt dann unsere Kanzlerin das Wort nicht über die Lippen und spricht stattdessen von "die schon immer hier leben"?
Offensichtlich hat sie ein Problem damit, von Deutschen oder "dem deutschen Volk" zu sprechen, dem sie ihren Treueeid geleistet hat.
Was meinst du denn, woher der in Anführungszeichen gesetzte Ausdruck stammt. Aus den Fingern gezutscht hat sich den jedenfalls keiner.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:54)

Ich finde es auch sehr paranoid, wenn man sich einbildet, es sei verpönt "Deutsche" zu sagen. So ein verkrampftes Verhalten und Aussagen wie "Man darf sich nicht zu Deutschland bekennen, blabla" finde ich wahrlich skurril, weil's Millionen von Menschen tun und es niemanden stört.
Genau. Du sagst es. Das wird doch dauernd gesagt: "Wir Deutschen", "wir Bio-Deutschen", "das Volk der Deutschen" oder "die Identität als Deutsche". Ich sehe da auch keine Unterdrückung oder Vermeidung dieser Begrifflichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ich bin eher dankbar, wenn es mal ne Weile nicht so arg deutschtümelt :D
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:08)

Und warum kriegt dann unsere Kanzlerin das Wort nicht über die Lippen und spricht stattdessen von "die schon immer hier leben"?
Offensichtlich hat sie ein Problem damit, von Deutschen oder "dem deutschen Volk" zu sprechen, dem sie ihren Treueeid geleistet hat.
Was meinst du denn, woher der in Anführungszeichen gesetzte Ausdruck stammt. Aus den Fingern gezutscht hat sich den jedenfalls keiner.
Weil die Kanzlerin mal irgendeine Wortwahl nutzte, heißt das doch nicht, andere Bezeichnungen seien verpönt. Erst vor zwei Tagen sagte die selbe Person, deren Sprachgebrauch kein Staatsgesetz ist,sie wolle die "Interessen der Deutschen wahren" (http://www.handelsblatt.com/politik/deu ... 25346.html), sprach im März erst von "Wir Deutschen haben gute Argumente" (http://www.zeit.de/politik/ausland/2017 ... uch-plaene) und die Liste kann endlos erweitert werden, wenn man mal drei Begriffe bei Google eingibt statt sich hysterisch darüber aufzuregen, dass sie mal nicht (im eigenen Sinne) super politisch korrekt so redete, wie man es privat getan hätte. Wo ist es denn nun verpönt "Deutsche" zu sagen? Wer will's verbieten, wer will's verhindern, wer geht irgendwie gegen dieses Wort vor? Offensichtlich hat die Kanzlerin kein Problem damit, und wenn es sie hätte, wär's erstmal auch nicht wichtig. Dass sich manche Milieus da mehr reinspinnen als da tatsächlich steht, gehört halt dazu.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Selina hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:11)

Genau. Du sagst es. Das wird doch dauernd gesagt: "Wir Deutschen", "wir Bio-Deutschen", "das Volk der Deutschen" oder "die Identität als Deutsche". Ich sehe da auch keine Unterdrückung oder Vermeidung dieser Begrifflichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ich bin eher dankbar, wenn es mal ne Weile nicht so arg deutschtümelt :D
Ich hab auch noch nie gesehen, dass irgendwer -- ob politisch/öffentlich oder privat -- mal von "den Deutschen" sprach und einzig und alleine dafür angepflaumt wurde, dass er dieses Wort nutzte. Entscheidend ist da höchstens der Kontext. Sagt z.B. jemand, die Deutschen seien asoziales Volk, würden da sicherlich viele widersprechen. Das Problem ist dann aber nicht "die Deutschen". Irgendwie wirkt das alles sehr an den Haaren herbeigezogen und verkrampft.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:25)

Weil die Kanzlerin mal irgendeine Wortwahl nutzte, heißt das doch nicht, andere Bezeichnungen seien verpönt. Erst vor zwei Tagen sagte die selbe Person, deren Sprachgebrauch kein Staatsgesetz ist,sie wolle die "Interessen der Deutschen wahren" (http://www.handelsblatt.com/politik/deu ... 25346.html), sprach im März erst von "Wir Deutschen haben gute Argumente" (http://www.zeit.de/politik/ausland/2017 ... uch-plaene) und die Liste kann endlos erweitert werden, wenn man mal drei Begriffe bei Google eingibt statt sich hysterisch darüber aufzuregen, dass sie mal nicht (im eigenen Sinne) super politisch korrekt so redete, wie man es privat getan hätte. Wo ist es denn nun verpönt "Deutsche" zu sagen? Wer will's verbieten, wer will's verhindern, wer geht irgendwie gegen dieses Wort vor? Offensichtlich hat die Kanzlerin kein Problem damit, und wenn es sie hätte, wär's erstmal auch nicht wichtig. Dass sich manche Milieus da mehr reinspinnen als da tatsächlich steht, gehört halt dazu.
Ich rege mich nicht hysterisch auf, ich fand es nur arg daneben, auch den Kontext. Merkel ist Regierungschef dieses Landes und als solche kann sie nicht daher reden, wie es ihr gerade in den Sinn kommt. Das sollte eigentlich kein Politiker machen. Die stehen nunmal immer in der Öffentlichkeit und die schaut ihnen auch auf's "Maul".
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:55)

Ich rege mich nicht hysterisch auf, ich fand es nur arg daneben, auch den Kontext. Merkel ist Regierungschef dieses Landes und als solche kann sie nicht daher reden, wie es ihr gerade in den Sinn kommt. Das sollte eigentlich kein Politiker machen. Die stehen nunmal immer in der Öffentlichkeit und die schaut ihnen auch auf's "Maul".
Ja, und? Von "verpönt" kann nirgends die Rede sein. Wer ein unverkrampftes Verhältnis zu seiner Heimat hat, würde sich daran auch nicht stören, wenn irgendeine Politikerin in 99% der Fällen von "wir Deutsche" spricht und es dann einmal nicht tut. Das wirkt so als hätte man nur jahrelang darauf gewartet, dass mal eine andere Beschreibung vorkommt und nun wolle man es für etwas ausschlachten, was man noch nie belegen oder beweisen konnte. Hurra, endlich sagt sie etwas anderes! Da haben wir's! Wir dürfen nicht "Deutsche" sagen! Seriously? Sag's so oft Du willst, häng Dir ein Fähnchen ans Haus, teile jedem ungefragt mit wie sehr Du Deutschland liebst (und nicht verachtest, weil's hier angeblich so viel schlimmer sei als in Frankreich, wo die Verfassung anders aufgebaut ist) und so weiter. Wen juckt das? Kommt die Polizei und holt Dich ab? :?:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:11)

Genau. Du sagst es. Das wird doch dauernd gesagt: "Wir Deutschen", "wir Bio-Deutschen", "das Volk der Deutschen" oder "die Identität als Deutsche". Ich sehe da auch keine Unterdrückung oder Vermeidung dieser Begrifflichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ich bin eher dankbar, wenn es mal ne Weile nicht so arg deutschtümelt :D
Ja - wer hat denn den Begriff "Bio-Deutsche" geprägt und im welchem Zusammenhang - na?
Das war der Herr Özdemir und in dem Kontext in dem er den Begriff verwendete, war er abwertend gemeint. Und jetzt wundern sich einige, dass genau dieser Begriff von einem gewissen Klientel in gegenteiliger Bedeutung verwendet wird.
Von mir wirst du den Begriff jedenfalls noch nicht gelesen haben.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:58)

Ja, und? Von "verpönt" kann nirgends die Rede sein.
Hier fehlt ein Ironie-Smilie!
frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:58) Wer ein unverkrampftes Verhältnis zu seiner Heimat hat, würde sich daran auch nicht stören, wenn irgendeine Politikerin in 99% der Fällen von "wir Deutsche" spricht und es dann einmal nicht tut. Das wirkt so als hätte man nur jahrelang darauf gewartet, dass mal eine andere Beschreibung vorkommt und nun wolle man es für etwas ausschlachten, was man noch nie belegen oder beweisen konnte. Hurra, endlich sagt sie etwas anderes! Da haben wir's! Wir dürfen nicht "Deutsche" sagen! Seriously? Sag's so oft Du willst, häng Dir ein Fähnchen ans Haus, teile jedem ungefragt mit wie sehr Du Deutschland liebst (und nicht verachtest, weil's hier angeblich so viel schlimmer sei als in Frankreich, wo die Verfassung anders aufgebaut ist) und so weiter. Wen juckt das? Kommt die Polizei und holt Dich ab? :?:
Sorry - aber jetzt bist du derjenige der hyperventiliert.
Wir - haben ein Problem mit nationaler Identität und wir haben ein Problem, so etwas wie Nationalstolz zu zeigen - außer beim Fußball. Und dieses Problem hängt mit den dunkelsten 12 Jahren unserer Geschichte zusammen.
Wir dürfen diese 12 Jahre nicht aus unserem Gedächtnis streichen, wir dürfen unsere Geschichte aber auch nicht auf diese 12 Jahre reduzieren und eine Art Schuldkomplex entwickeln - wie das bestimmte Zeitgenossen gern hätten und immer mal wieder anmahnen, welche Schuld doch auf uns lastet.
Ich habe nirgends irgendwas bemängelt oder behauptet, dass es hier viel schlimmer als in Frankreich ist. Bis gestern abend habe ich nichtmal gewusst, dass die französische Sprache als Merkmal nationaler Identität in der französischen Verfassung verankert ist und dass über die Reinhaltung der französischen Sprache gewacht wird. Ich fand und finde das lediglich interessant.
Könnte uns allerdings auch nicht schaden, sowas wie "Reinhaltung der deutschen Sprache", dann gäbe es weniger denglische Begriffsfindungen, die wenn man sie mal wörtlich übersetzt, vollkommen sinnbefreit sind.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 20:14)

Hier fehlt ein Ironie-Smilie!


Sorry - aber jetzt bist du derjenige der hyperventiliert.
Wir - haben ein Problem mit nationaler Identität und wir haben ein Problem, so etwas wie Nationalstolz zu zeigen - außer beim Fußball. Und dieses Problem hängt mit den dunkelsten 12 Jahren unserer Geschichte zusammen.
Wir dürfen diese 12 Jahre nicht aus unserem Gedächtnis streichen, wir dürfen unsere Geschichte aber auch nicht auf diese 12 Jahre reduzieren und eine Art Schuldkomplex entwickeln - wie das bestimmte Zeitgenossen gern hätten und immer mal wieder anmahnen, welche Schuld doch auf uns lastet.
Ich habe nirgends irgendwas bemängelt oder behauptet, dass es hier viel schlimmer als in Frankreich ist. Bis gestern abend habe ich nichtmal gewusst, dass die französische Sprache als Merkmal nationaler Identität in der französischen Verfassung verankert ist und dass über die Reinhaltung der französischen Sprache gewacht wird. Ich fand und finde das lediglich interessant.
Könnte uns allerdings auch nicht schaden, sowas wie "Reinhaltung der deutschen Sprache", dann gäbe es weniger denglische Begriffsfindungen, die wenn man sie mal wörtlich übersetzt, vollkommen sinnbefreit sind.
Ich hab gar kein Problem mit meiner Identität und mir ist real auch noch niemand begegnet. Diese reflexhafte Fokussierung auf die NS-Zeit ist mir auch fremd. Sprachvereine gibt's übrigens viele in Deutschland, wovon auch einige mit der englischen Sprache fremdeln (https://www.welt.de/kultur/article16052 ... tiert.html). Warum immer so verkrampft behaupten, man dürfe dies oder jenes nicht tun bzw. es sei angeblich verpönt? Ist doch gar nicht der Fall. Ich fand's ja mal urkomisch, als jemand behauptete, in Deutschland dürfe man sich nicht als Patriot bezeichnen. Erst am Tag zuvor tat es ein Ministerpräsident eines Bundeslandes und erhielt von den Bürgern Applaus statt Buhrufe. Da macht halt der Ton die Musik.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Kael »

Ihr solltet auf die Generation achten.
Die Kanzlerin ist ein Kind von 54 und war Physikerin in der DDR.

Das wir wieder stolz auf deutschland und seiner Geschichte sind, ist ein Phänomen der heutigen neueren generation zwischen 1985-1995.

Alles was danach kommt wirkt für mich größtenteils ziemlich verhätschelt
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Zunder »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 20:00)

Ja - wer hat denn den Begriff "Bio-Deutsche" geprägt und im welchem Zusammenhang - na?
Das war der Herr Özdemir und in dem Kontext in dem er den Begriff verwendete, war er abwertend gemeint.
Cem Özdemir hat den Begriff "Bio-Deutscher" geprägt als komplementären Ausdruck zu der herabsetzend gemeinten Formulierung vom "Pass-Deutschen", mit der eingebürgerte Migranten als eher fragwürdige Mitbürger denunziert werden sollten.
Abwertend wirkt der "Bio-Deutsche" nur, weil er ungefähr auf der gleichen Ebene angesiedelt ist wie der "Pass-Deutsche". Das kann man aber nicht Cem Özdemir vorwerfen.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

frems hat geschrieben:(29 Apr 2017, 19:30)

Irgendwie wirkt das alles sehr an den Haaren herbeigezogen und verkrampft.
Genau. Und dann wieder diese Pseudo-Schuld-Diskussion. Wo doch jeder weiß, dass es heute nicht mehr um Schuld gehen kann, sondern nur um Verantwortung. Verantwortung dafür, dass so etwas wie diese grausame Nazizeit mit allen ihren verheerenden Folgen nie wieder kommt. Ich sage es noch mal: V e r a n t w o r t u n g. Großer Unterschied. Und auf diese Verantwortung der Nachgeborenen zu verweisen, kann zuweilen nicht schaden. Gerade dann, wenn manche wieder bräunlichen Quatsch von "Überfremdung" und "dämlicher Erinnerungspolitik" faseln. Ansonsten kann doch jeder gerne immer wieder stolz darauf sein, einer bestimmten Nation anzugehören, auch der deutschen. Ich selbst finde dieses Stolz-Getue immer etwas affig, aber wers braucht... :D
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Wasteland »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 20:14)

Sorry - aber jetzt bist du derjenige der hyperventiliert.
Wir - haben ein Problem mit nationaler Identität und wir haben ein Problem, so etwas wie Nationalstolz zu zeigen - außer beim Fußball. Und dieses Problem hängt mit den dunkelsten 12 Jahren unserer Geschichte zusammen.
Wir dürfen diese 12 Jahre nicht aus unserem Gedächtnis streichen, wir dürfen unsere Geschichte aber auch nicht auf diese 12 Jahre reduzieren und eine Art Schuldkomplex entwickeln - wie das bestimmte Zeitgenossen gern hätten und immer mal wieder anmahnen, welche Schuld doch auf uns lastet.
Ich habe nirgends irgendwas bemängelt oder behauptet, dass es hier viel schlimmer als in Frankreich ist. Bis gestern abend habe ich nichtmal gewusst, dass die französische Sprache als Merkmal nationaler Identität in der französischen Verfassung verankert ist und dass über die Reinhaltung der französischen Sprache gewacht wird. Ich fand und finde das lediglich interessant.
Könnte uns allerdings auch nicht schaden, sowas wie "Reinhaltung der deutschen Sprache", dann gäbe es weniger denglische Begriffsfindungen, die wenn man sie mal wörtlich übersetzt, vollkommen sinnbefreit sind.
Kael hat geschrieben:(29 Apr 2017, 21:03)

Ihr solltet auf die Generation achten.
Die Kanzlerin ist ein Kind von 54 und war Physikerin in der DDR.

Das wir wieder stolz auf deutschland und seiner Geschichte sind, ist ein Phänomen der heutigen neueren generation zwischen 1985-1995.

Alles was danach kommt wirkt für mich größtenteils ziemlich verhätschelt

Mich würde mal interessieren wie ihr Deutsch definiert.

Ist das hier ein Deutscher?
[youtube][/youtube]

Oder der hier?

[youtube][/youtube]

Oder die hier?

[youtube][/youtube]
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Bleibtreu »

Wasteland hat geschrieben:(29 Apr 2017, 22:52)

Mich würde mal interessieren wie ihr Deutsch definiert.

Ist das hier ein Deutscher?
Oder der hier?
Oder die hier?
Klar, wieso sollen das keine Deutschen sein? :)
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Wasteland »

Bleibtreu hat geschrieben:(29 Apr 2017, 23:07)

Klar, wieso sollen das keine Deutschen sein? :)
Ich frage deshalb, weil es da sehr verschiedene Definitionen gibt. Viele Deutsche definieren "Deutsch" ethnokulturell.

Ich, so wie du, nicht.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Bleibtreu »

Wasteland hat geschrieben:(29 Apr 2017, 23:08)

Ich frage deshalb, weil es da sehr verschiedene Definitionen gibt. Viele Deutsche definieren "Deutsch" ethnokulturell.
Ich, so wie du, nicht.
Fuer mich sind auch die Franzosen aus den ehemaligen Kolonien echte Franzosen. Da sind manche so schwarz wie die Nacht. :D
OK, gibt auch in Frankreich Spacken, die das strikt zurueck weisen - und sie am liebsten zu NichtFranzosen erklaeren wollen.
Bloedheit stirbt eben nicht aus - nie.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Wasteland »

Bleibtreu hat geschrieben:(29 Apr 2017, 23:14)

Fuer mich sind auch die Franzosen aus den ehemaligen Kolonien echte Franzosen. Da sind manche so schwarz wie die Nacht. :D
OK, gibt auch in Frankreich Spacken, die das strikt zurueck weisen - und sie am liebsten zu NichtFranzosen erklaeren wollen.
Bloedheit stirbt eben nicht aus - nie.
Einer meiner besten Freunde hier ist ein Senegalese aus Frankreich. Oder ein Franzose aus Senegal? Wie dem auch sei, nach anfänglichen Ängsten und Vorurteilen als er hierher zog ist er inzwischen zu dem Schluss gekommen das Frankreich rassistischer ist als Deutschland. Und er würde seiner Tochter nicht erlauben einen Araber zu heiraten, weil er die als am rassistischsten empfunden hat. Atheisten, Christen, Chinesen, Türken, Russen, Brasilianer, was auch immer, kein Problem für ihn. Er ist Muslim, kommt aus einer recht konservativen Ecke des Senegal, an der Grenze zu Mauretanien. Hat aber lange in Nordfrankreich gelebt und war Fallschirmspringer in der französischen Armee. Er meinte das er in Frankreich sich viel Scheisse hat anhören müssen, obwohl er super integriert ist, hier wie dort.
Und es gibt viele Deutsche die niemals jemanden mit ethnisch anderweitigen Wurzeln als Deutschen akzeptieren würden. Wir sprechen hier nicht von verschwingend geringen Zahlen, sondern von einem großen Teil.
Das ist ein großes Hinderniss bei der Integration das wir uns leider selbst vor die Füsse legen.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Wasteland hat geschrieben:(29 Apr 2017, 22:52)

Mich würde mal interessieren wie ihr Deutsch definiert.

Ist das hier ein Deutscher?
[youtube][/youtube]

Oder der hier?

[youtube][/youtube]

Oder die hier?

[youtube][/youtube]
Deutscher ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft hat - und nur die deutsche (Ausnahme bilden die Staaten, die ihre Bürger nicht aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen) - wer sich zu unseren Werten (Grundgesetz) bekennt und unsere Kultur respektiert und deutsch spricht.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Quatschki »

Dark Angel hat geschrieben:(30 Apr 2017, 09:42)

Deutscher ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft hat - und nur die deutsche (Ausnahme bilden die Staaten, die ihre Bürger nicht aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen) - wer sich zu unseren Werten (Grundgesetz) bekennt und unsere Kultur respektiert und deutsch spricht.
Was machst du, wenn einer trotzdem darauf beharrt, dass er Kurde sei?
Oder wenn einer nach Chile auswandert und auf das Grundgesetz pfeift? Den kannst du auch nicht "entdeutschen".
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Julian »

Wasteland hat geschrieben:(29 Apr 2017, 23:58)
Und es gibt viele Deutsche die niemals jemanden mit ethnisch anderweitigen Wurzeln als Deutschen akzeptieren würden. Wir sprechen hier nicht von verschwingend geringen Zahlen, sondern von einem großen Teil.
Das ist ein großes Hinderniss bei der Integration das wir uns leider selbst vor die Füsse legen.
Achso, jetzt sind es wieder die Deutschen, die "Mischehen" ablehnen. Träum weiter! Sind es in der Realität nicht eher rückständige muslimische Männer, die ihre Frauen vor den Schweinefleischfressern bewahren und damit die Familienehre sichern wollen? Das ist ein großes Hindernis bei der Integration, das uns leider von anderen vor die Füsse gelegt wird.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Quatschki hat geschrieben:(30 Apr 2017, 09:55)

Was machst du, wenn einer trotzdem darauf beharrt, dass er Kurde sei?
Oder wenn einer nach Chile auswandert und auf das Grundgesetz pfeift? Den kannst du auch nicht "entdeutschen".
Tja entweder - oder. Der Kurde muss seine "Wurzeln" nicht verleugnen, aber er muss sich entscheiden, er kann nicht beides sein.
Das gleiche gilt, für den der nach Chile auswandert.
Frag mal einen US-Amerikaner, dessen Vorfahren aus Deutschland eingewandert sind und der die Traditionen seiner Vorfahren pflegt, welche Nationalität der hat.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Billie Holiday »

Dark Angel hat geschrieben:(30 Apr 2017, 10:43)

Tja entweder - oder. Der Kurde muss seine "Wurzeln" nicht verleugnen, aber er muss sich entscheiden, er kann nicht beides sein.
Das gleiche gilt, für den der nach Chile auswandert.
Frag mal einen US-Amerikaner, dessen Vorfahren aus Deutschland eingewandert sind und der die Traditionen seiner Vorfahren pflegt, welche Nationalität der hat.
Von wem wird eigentlich verlangt, seine Wurzeln zu verleugnen? :?:
Ich finde es immer hochinteressant, wenn jemand erzählt, wo seine Familie ursprünglich herstammt.
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Fuerst_48 »

Billie Holiday hat geschrieben:(30 Apr 2017, 10:53)

Von wem wird eigentlich verlangt, seine Wurzeln zu verleugnen? :?:
Ich finde es immer hochinteressant, wenn jemand erzählt, wo seine Familie ursprünglich herstammt.
Bei insgesamt 4 Großeltern kann ich 4 Länder (damals alles Monarchie) in die Wagschale werfen. Ungarn, Österreich, Böhmen und Deutschland. :cool: :cool:
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Quatschki
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Quatschki »

Dark Angel hat geschrieben:(30 Apr 2017, 10:43)

Tja entweder - oder. Der Kurde muss seine "Wurzeln" nicht verleugnen, aber er muss sich entscheiden, er kann nicht beides sein.
Warum nicht?
Ich habe ja bewußt Kurde und nicht Türke gesagt. Kurden hatten nie eine eigene Nation.
Kurden waren immer Kurden und Staatsangehörige eines anderen Landes, egal ob Türkei, Syrien, Irak oder Iran. Viele Deutsche sind Staatsangehörige eines anderen Landes und trotzdem Deutsche, obwohl sie keinen BRD-Pass haben.
Die Gleichsetzung "Deutsche=Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft" ist ein welt- und lebensfremdes politisches Konstrukt!
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Billie Holiday hat geschrieben:(30 Apr 2017, 10:53)

Von wem wird eigentlich verlangt, seine Wurzeln zu verleugnen? :?:
Ich finde es immer hochinteressant, wenn jemand erzählt, wo seine Familie ursprünglich herstammt.
Verlangt niemand. Darum habe ich ja Nationalität mit Staatsbürgerschaft gleich gesetzt.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Quatschki hat geschrieben:(30 Apr 2017, 11:53)

Warum nicht?
Ich habe ja bewußt Kurde und nicht Türke gesagt. Kurden hatten nie eine eigene Nation.
Kurden waren immer Kurden und Staatsangehörige eines anderen Landes, egal ob Türkei, Syrien, Irak oder Iran. Viele Deutsche sind Staatsangehörige eines anderen Landes und trotzdem Deutsche, obwohl sie keinen BRD-Pass haben.
Die Gleichsetzung "Deutsche=Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft" ist ein welt- und lebensfremdes politisches Konstrukt!
Negativ.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Quatschki hat geschrieben:(30 Apr 2017, 11:53)

Warum nicht?
Ich habe ja bewußt Kurde und nicht Türke gesagt. Kurden hatten nie eine eigene Nation.
Kurden waren immer Kurden und Staatsangehörige eines anderen Landes, egal ob Türkei, Syrien, Irak oder Iran. Viele Deutsche sind Staatsangehörige eines anderen Landes und trotzdem Deutsche, obwohl sie keinen BRD-Pass haben.
Die Gleichsetzung "Deutsche=Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft" ist ein welt- und lebensfremdes politisches Konstrukt!
Wenn Staatbürgerschaft ein lebensfremdes politisches Konstrukt sind, dann sind es Staaten erst recht.
Kurden sind eine eigene Etnie, mit eigener Sprache, die zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört, genau wie deutsch. Türken bilden wiederum eine eigene Ethnie, sie entstammen den Turkvölkern und deren Sprache bildet sogar eine eigene Sprachfamilie ==> Turksprachen.
Du verwurschtelst hier Äpfel mit Kartoffeln.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Hyde »

Dark Angel hat geschrieben:(29 Apr 2017, 18:47)

Tja aber schon komisch, wenn usere französischen Nachbarn ihre Sprache als Hauptmerkmal ihrer nationalen Identität betrachten und das sogar in der Verfassung verankern und die Academie Francaise über die Reinhaltung der französischen Sprache wacht.
Irgendwie haben doch nur "die die schon immer hier leben" (deutsche sagen, ist ja verpönt), ein Problem mit nationaler Identität.
Nur hier muss man sich als räächts titulieren lassen oder als "identitär", wenn von Nationalgefühl, nationaler Identität etc die Rede ist. Sorry, aber für mich grenzt sowas an Paranoia.
Nur weil die Franzosen etwas machen, müssen wir es nicht nachmachen und muss es noch längst nicht gut sein. Die Franzosen haben auch mit über 40% Le Pen und Melenchon gewählt.

Ich bin froh darüber und auch stolz darauf, dass die Bevölkerung in Deutschland derart fortschrittlich entwickelt ist, dass sie das rückständige und engstirnige Denken in nationalen Kategorien bereits in viel höherem Maße überwunden hat als die meisten anderen Nationen.

Gesellschaften, die kosmopolitisch denken und in denen die Individuen ihr Selbstwertgefühl aus sich selbst ziehen, anstatt dafür auf irgendeinen diffusen Nationalismus angewiesen zu sein, sind die weiter entwickelteren, erwachseneren und stärkeren Gesellschaften.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von frems »

Selina hat geschrieben:(29 Apr 2017, 22:37)

Genau. Und dann wieder diese Pseudo-Schuld-Diskussion. Wo doch jeder weiß, dass es heute nicht mehr um Schuld gehen kann, sondern nur um Verantwortung. Verantwortung dafür, dass so etwas wie diese grausame Nazizeit mit allen ihren verheerenden Folgen nie wieder kommt. Ich sage es noch mal: V e r a n t w o r t u n g. Großer Unterschied. Und auf diese Verantwortung der Nachgeborenen zu verweisen, kann zuweilen nicht schaden. Gerade dann, wenn manche wieder bräunlichen Quatsch von "Überfremdung" und "dämlicher Erinnerungspolitik" faseln. Ansonsten kann doch jeder gerne immer wieder stolz darauf sein, einer bestimmten Nation anzugehören, auch der deutschen. Ich selbst finde dieses Stolz-Getue immer etwas affig, aber wers braucht... :D
Wer unbedingt meint, er müsse "stolz" auf die Leistung "großer Deutscher" sein, dem empfehle ich eh immer Arthur Schopenhauer:
"Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen."
Ich find's halt immer skurril, wenn Leute meinen, irgendwas sei verpönt, woran sich niemand stört und sie über zig Ecken wild heruminterpretieren müssen. Da muss ich, der schon 2005 "Merkel muss weg" sagte, schon eine Lanze für die Dame brechen. Man, man, man. :|

Interessant ist da auch, wie Leute irgendeine Fokussierung auf die NS-Zeit beklagen und gleichzeitig selbst davon völlig besessen sind, sodass das Thema von ihnen -- und sonst niemanden -- bei jeder Zeit in den Raum geworfen wird. Wenn da ein Björn Höcke über den Geschichtsunterricht jammert, muss ich zwangsläufig immer an meine eigene Schulzeit denken und das wäre für die Besorgten eine Horrorvorstellung. Die meiste Zeit ging ich in Hamburg-Eimsbüttel zur Schule, eine linke Hochburg. Ein Geschichtslehrer machte keinen Hehl daraus, dass er Mitglied bei der DKP sei, was ich schon etwas grenzwertig fand. (Gleiches galt aber über einen stinkkonservativen Bayern, ehem. Bundeswehroffizier, in der Oberstufe :? ) Und da wurde die NS-Zeit nicht nur im Geschichtsunterricht stark beleuchtet worden, sondern auch in Deutsch, Gemeinschaftskunde, Englisch etc. Aber nie kam auch nur von einem einzelnen Irren die Meinung, ich persönlich sei für irgendwas schuldig oder solle mich für Taten der Vergangenheit gar schämen. Beeindruckender fand ich da den Besuch eines jüdischen KZ-Überlebenden, den eine Klassenkameradin direkt fragte, ob er wütend auf "die Deutschen" sei. Da meinte er (sinngemäß) nur: "Nein, das verbietet schon mein Glaube. In der Torah steht geschrieben, dass man keinen Sohn für die Taten seines Vaters verantwortlich machen darf. Auf Völker übertragen kann ich somit gar nicht sauer auf irgendwen sein. Darüber hinaus bin ich mit dem Umgang Deutschlands mit seiner Geschichte und der Sensibilität beim Antisemitismus sehr zufrieden und lebe als deutscher Jude gerne in diesem Land"

Tjoa, und demnächst geht's zu einem Netzwerktreffen bei der Patriotischen Gesellschaft (https://de.wikipedia.org/wiki/Patriotis ... t_von_1765). Woohoo, "patriotisch" darf man doch angeblich gar nicht sagen. Schließlich hat eine Kanzlerin vielleicht mal genau das selbe gemeint, aber anders ausgedrückt. Nun müsste es ja staatlich untersagt und gesellschaftlich verpönt sein, nich? :p
Labskaus!

Ob Mailand oder Madrid -- Hauptsache Europa.
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