Provokateur hat geschrieben:(09 May 2017, 13:32)
Nein, es gibt eine totale Erreichung, diese ist aber, wie Perfektion, realistisch betrachtet eine Fiktion.
Eine unerreichbare totale Erreichbarkeit ist ein unsinniges Konstrukt. Das beschreibt doch im Grunde nur, was ich bereits sagte: Staatliches Handeln ist auf Erhalt und Verwirklichung von Staatszielen ausgerichtet. (Ziel) Wie genau die Verwirklichung aussieht, ist unbestimmt. (Fiktion)
Theoretisch möglich, praktisch nicht. Auch wenn gesellschaftlich die totale Gleichberechtigung erreicht ist, wird es immer noch irgendwo einen Mann oder eine Frau geben, der/die seine/n oder ihre/n Mann oder Frau unterdrückt. Genau so, wie es im totalen Krieg genügend Leute gab, die keinen einzigen Schuss abgefeuert haben.
Mit der teleologischen Sicht kann ich nichts anfangen. Wie könnte es eine "totale" Gleichberechtigung geben angesichts der Ungleichheit der Geschlechter? Da geht es doch offensichtlich um Aushandelsprozesse.
Ich hätte als Beispiel auch Demokratie nennen können, da wird es noch deutlicher, dass eine "totale" Unerreichbarkeit Unfug ist aufgrund der nie abgeschlossenen Definition von Demokratie.
Staat und Nation sind synonym. Es gibt keinen Unterschied.
Natürlich gibt es die. Für manche sind z.B. deutsche Staatsbürger (Staatsebene) keine Deutschen (Nationenebene). Ein Staat ist mit der Regelung gesellschaftlichen Miteinanders befasst, eine Nation steht demgegenüber eher für "kulturelles" Gerüst. Ein Staat gewährt dir Schutz, in dem er deine Rechte durchsetzt - eine Nation kann sie dir potentiell vorenthalten, da deren Regeln nicht kodifiziert, sondern willkürlich sind. Zugespitzt gesagt, kann dich der Staat vor der "Nation" schützen.
Das bedeutet, dass wir über die Prozesse, welche die Nation erhalten, sprechen müssen, um sie am laufen zu halten - denn wenn Nationen zerbrechen (wie im Sudan), geht das häufig mit großem Leid einher. Und dann kommen internationale Organisationen ins Spiel.
Da stimme ich zu. Demokratische und Menschenrechte sind Ergebnis von Kämpfen. Sie für selbstverständlich zu halten, wird sie erodieren lassen über Zeit. Das lässt sich mMn am Aufschwung der rechtskonservativen bis -extremen Strömungen in ganz Europa beobachten. Es scheint so, als wenn die Bedeutung grundlegender Werte erneuert gehört.
Die Wirtschaftsleistung von Bhutan ist mit der deutschen nicht zu vergleichen.
Es ging um deine Aussage, dass "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" ein spezifisch deutsches ("Hier in Deutschland") Staatsziel sei. Es ist ein universelles, was sogar für Bhutan gilt. Dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bhutan und Deutschland sich unterscheiden, belegt nur die Relativität des Begriffs "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" und den unterschiedlichen ökonomischen Standard von Ländern.
Sprich mal mit einem Atomstromkonzern über das Staatsziel des Umweltschutzes. Dann wird dir klar, dass es sich um einen ständigen Kampf handelt. Kampf ist nämlich einer der wenigen Faktoren, aus denen sich Menschen zu einer Gruppe zusammenschließen. Die anderen Faktoren sind Handel/Nahrungserwerb und soziale Bedürfnisse
Ein Atomstromkonzern hat dann eine andere Auffassung von Umweltschutz sowie von der Abwägung von "wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit" und Umweltschutz. Er stellt damit das Staatsziel nicht grundsätzlich in Frage, der Kampf gilt der Auslegung. Der Leitstern strahlt weiterhin.
Menschen brauchen Struktur und Kontrolle. Sie wollen wissen, dass sie die Macht über ihr Leben haben. Das Konzept "Nation als Prozess" verspricht diese Kontrolle, denn hier hat das Individuum gestaltungsspielraum in der Zielerreichung. Zudem eint es Hinzukommende, wenn man ihnen sagt: gemeinsam wollen wir dieses Ziel erreichen.
Wie das, wenn es eine "totale Erreichung" gebe? Worin erstreckt sich dann der Gestaltungsspielraum und warum soll das so relevant sein, dass ein Konzept "Nation als Prozess" Sinn ergibt?
Inwiefern soll außerdem das Prozesshafte Kontrolle bedeuten? Die gibt es nicht mal dann, wenn der Prozess offen steht, wenn man an ihm partizipieren kann. Denn das Ergebnis ist ungewiss, ich kann dann Einfluss nehmen, aber nicht kontrollieren. Ich bin dann Teil der Macht, nicht sie selbst. Deswegen benötigst du auch abstruse Konstruktionen wie "totale Erreichbarkeit", um das Ergebnis vorwegzunehmen. Allerdings ist das nur möglich um den Preis der Partizipation. Wenn das Ziel endgültig definiert ist, besteht kein Anlass, am Prozess teilzunehmen. Damit ist en passant auch die angenommene Kontrolle wieder aufgegeben, da ich als Bürger nicht mal mehr Teil der Macht bin. Kontrolle gibt es in öffentlichen Belangen nicht. Auch aus ganz logischen Gründen: Der demokratische Rechtsstaat gebietete, dass jeder die gleiche Kontrolle habe. Womit sie letztlich keiner hat.
Ein Zusammenhalt lässt sich bei einer angenommen zielfixierten Prozesshaftigkeit nicht erzeugen. Wie dargelegt, liegt das Gegenteil nahe.
Wenn man "Nation als Zustand" verwendet, setzt man allen Hinzukommenden und allen Anderen einen Trog vor und sagt: Friss oder stirb. Das ist der Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus. Der Patriot will seine Kampfgruppe vergrößern, der Nationalist will alle anderen draußen halten.
Aber es ist doch beides. Sowohl Zustand, sie existiert ja, als auch Prozess, sie entwickelt sich. Ich halte es für zielführender, sich von der Nationen- bzw. Staatsebene zu lösen, wenn über Integration geredet wird. Die findet in der, über und in die Gesellschaft statt.